Brainiac hat geschrieben:(08 Nov 2020, 07:38)
Nachdem sich der Staub gelegt hat, muss ich zugeben, dieses merkwürdige Wahlsystem - bei aller berechtigter Kritik - in gewisser Weise schätzen gelernt zu haben. Sicher sollten die Anzahlen der Wahlleute je State besser die Bevölkerungsverhältnisse abbilden, aber grundsätzlich ist das Mehrheitswahlrecht je Bundesstaat natürlich viel spannender als eine landesweite Direktwahl und auch quasi eine Ode an den Föderalismus. Auch lernt man ein wenig über die States.
Dieser Einschätzung kann ich jetzt gar nicht folgen! Es wirkt auf mich nicht annähernd "demokratisch", wenn ein Donald Trump Präsident werden konnte, obwohl Hillary Clinton gut drei Millionen Stimmen mehr bekommen hat als Donald.
Jetzt haben wir wieder die gleiche Situation. Biden hat drei oder vier Millionen Stimmen mehr bekommen als Trump. Aber das Wahlergebnis hängt im Zweifel von den vielleicht 500 Stimmen in EINEM STAAT ab. Wie damals bei der Wahl zwischen Gore und Bush. Das ist einfach nicht demokratisch. Das hängt doch nur von Zuschnitt der "Wahlbezirke" ab. Und wenn dieser Zuschnitt der Wahlbezirke (Stichwort: Gerrymandering) auch noch nach parteipolitischen Maßstäben erfolgt, dann ist doch endgültig alles verloren.
Und ein Mehrheitswahlrecht ist aus meiner persönlichen Sicht sowieso völlig undemokratisch, weil es die Stimmen der Minderheit(en) von vornherein für nichtig erklärt. The Winner takes it all... Eine "Opposition" kann es damit praktisch nicht mehr geben. Auch dann nicht, wenn der Unterschied zwischen Wahlgewinner und Wahlverlierer nur hauchdünn ist. Wirklich "demokratisch" kann eine Wahl nur dann sein, wenn JEDE abgegebene Stimme gleiches Gewicht hat. Und das geht halt nur, wenn ein Verhältniswahlrecht besteht. Meine Meinung!
Die Frage des Föderalismus muss man getrennt davon betrachten. Wenn es um die Frage der rechtlichen Stellung verschiedener Bundesländer in einem Gesamtstaat geht, dann ist das eine ganz isoliert zu betrachtende Frage. Die kann man nicht beantworten, indem man GESAMTSTAATLICHE Themen föderalistisch zu lösen versucht - wie es in den USA derzeit üblich ist!
Nehmen wir als Gegenbeispiel die Bundesrepublik Deutschland:
Hier gibt es einen Bundestag, der gesamtstaatlich nach Verhältniswahlrecht gewählt wird. Punkt. Da gibt es auch keine Zweifel. Führt leider dazu, dass der Bundestag sich immer weiter aufbläht. Aber mit dem Problem kann ich sogar leben. Das sind halt die Kosten der Demokratie... Besser wir bezahlen dafür als keine Demokratie zu haben.
Daneben gibt es den Bundesrat. Der wird nicht direkt gewählt. Der Bundesrat dient nur dazu, die Verhältnisse zwischen den Bundesländern zu organisieren. Der Bundesrat stimmt auch nur über Gesetze ab, die das Verhältnis der Bundesländer untereinander betreffen. Das ist auch völlig in Ordnung! Das bedeutet auch nicht (wie weiter oben impliziert wurde...), dass eine Stimme aus Bremen mehr Gewicht hat als eine Stimme aus NRW. Es bedeutet nur, dass Bremen als Bundesland (fast) gleiches Gewicht hat wie NRW.
So ein System gibt es in den USA aber nicht! Bei denen gibt es nicht diese Zweiteilung: Eine Kammer, die den gesamten Staat betrifft; eine Kammer, die das Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander betrifft.
Und genau das macht Präsidentschaftswahlen in den USA undemokratisch. Würde dort ein Wahlrecht wie in Deutschland gelten, dann hätten republikanische Kandidaten bei Wahlen keine Chance mehr. Hinzu kommt noch, dass die Parteienlandschaft dort völlig anders ist als in Deutschland... Aber das ist jetzt wieder ein ganz anderes Thema.