Senexx hat geschrieben:(28 Sep 2020, 08:10)
Mir scheint, Sie haben das Versicherungsprinzip nicht verstanden.
KV, RV, AV und Pflegeversicherung sind Risikoversicherungen, die dann eintreten, wenn der Risikofall eintritt.
Bei der KV werden z.B. die Krankheitskosten abgesichert und teilweise die Lohnfortzahlung. Da diese Risiken versichert sind, wird im Schadensfalle gezahlt. Eine Vermögensprüfung hat da keinen Platz.
Hartz IV ist keine Versicherung, sondern eine steuerfinanzierte Nothilfe, für viele aber eine Dauereinkommensquelle, eine bequeme Hängematte.
Genau davon müssen wir wieder weg. Am einfachsten durch eine deutliche Einschränkung der Leistungen und eine Arbeitsverpflichtung für leistungsfähige Bezieher.
Ein BGE wäre der Schritte in die genau umgekehrte Richtung.
Das Versicherungsprinzip ist mir durchaus klar - nur ist das nicht das primäre Differenzierungsmerkmal, welches ich bezogen auf einzelne soziale Leistungen/Dienste des Staates angewendet habe.
Um es zu verdeutlichen (beispielhaft)
Die KV (und für die PV gilt das Gleiche) ist definitiv nach dem Versicherungsprinzip organisiert. (Sie heißt ja auch aus gutem Grund Versicherung.....) Schaut man etwas genauer hin, dann gilt, dass JEDER der dort versichert ist, auch die Leistungen aus dieser Versicherung bekommt. Es gilt also: Wer einen Bedarf an Leistungen hat, bekommt diesen Bedarf an Leistungen auch.
Man könnte aber die KV auch so organisieren, dass sie nur dann leistet, wenn der Betroffene bedürftig ist - also sich die Leistung nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen leisten kann. Auch dann könnte man diese KV noch immer nach dem Versicherungsprinzip organisieren. Sie wäre dann deutlich günstiger - denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Versicherung dann etwas zahlen muss, wäre deutlich geringer, als sie es ist, wenn es diesen Bedürftigkeitsvorbehalt nicht gibt.
In privaten Versicherungen findet man so etwas ähnliches wie die Bedürftigkeitsprüfung (es ist keine echte Bedürftigkeitsprüfung!), wenn man bei Schäden vereinbart, dass man diese bis zu einer bestimmten Höhe selbst abwickelt, und nicht über die Versicherung. Immer dann, wenn man solche Klauseln mit akzeptiert, wird die Versicherung regelmäßig billiger.
Hartz IV ist derzeit keine Versicherung - wäre aber eben geeignet, als Versicherung auf Gegenseitigkeit organisiert zu werden. Letzten Endes ist das ein Bestandteil der BGE-Idee.
Die Anzahl derer, die Hartz IV freiwillig und ohne Not als Dauereinkommensquelle sehen, ist recht beschränkt. Sonderlich bequem ist diese Hängematte auch nicht - jeder kann gerne für sich selbst das Experiment starten, mal nur zwei Monate auf Hartz IV Niveau leben zu müssen. Es gibt gerade bei Hartz IV Sanktionsmmöglichkeiten, die nach dem Prinzip "Fordern und Fördern" in die Gesetzgebung mit eingeflossen sind. In der Praxis klingt das zwar gut - aber bisher gibt es keine seriösen Studien dazu, ob das Fordern und Fördern tatsächlich wirksam darauf hinwirkt, dass "Faulenzer" zum Arbeiten animiert werden. Dass die Sanktionsmaßnahmen aber den Steuerzahler nicht nur entlasten, sondern vielmehr sogar belasten, weil diese Sanktionen regelmäßig zur Klage genutzt werden - und der Klageweg ist gesellschaftlich keineswegs billig! - das wurde hingegen schon immer wieder mal deutlich untersucht.
Wenn aber - und davon ist auszugehen - die sehr beschränkten Sanktionsmaßnahmen bei Hartz IV zum einen umstritten, und zum anderen wenig wirksam sind, dann stellt sich die Frage, wieso wir als Gesellschaft solche Maßnahmen gut heißen, die mehr kosten als sie bringen. Darüber hinaus stellt sich die wichtigere Frage, was müsste man ändern, damit die Motivation von Hartz IV Empfängern steigt, aus eigenem Antrieb heraus doch wieder arbeiten zu gehen - und gerne auch einer Arbeit ihrer Wahl anzustreben!
Ein wichtiger Grund, warum derzeit für einige Hartz IV Bezieher es wenig attraktiv ist, sich um eine bezahlte Arbeit zu kümmern, ist unser Sorzialsystem - das sieht vor, dass Einnahmen eines HArtz IV Empfängers zu weiten Teilen (bis zu 90%) mit den Leistungen aus Hartz IV verrechnet werden. Objektiv betrachtet und im Zusammenhang der Kernidee der heutigen Hartz IV Leistungen ist das durchaus gerechtfertigt, weil entsprechend dem Bedürftigkeitsgrundsatz zunächst jeder Einzelne für sich selbst sorgen soll, bevor der Staat einspringt.
Subjektiv aber wirkt das derzeit bestehende Modell regelmäßig so, dass ein noch so geringer Zuverdienst mit bis zu 90% Abzügen durch den Staat sanktioniert wird......was für Betroffene so wirkt, als ob sie quasi für fast nichts einen Vollzeitjob machen sollen - und sehr häufig sind solche "Einstiegsjobs" auch noch der Natur, dass sie mit hohem körperlichen Einsatz einher gehen.
Das ist klar Motivationshemmend - ist aber ursächlich darin begründet, dass es eben dieses Bedürftigkeitsprinzip (oder auch den Bedürftigkeitsvorbehalt) bei Hartz IV gibt. Gäbe es diesen nicht, und wäre statt dessen das Eixstenzminimum grundsätzlich ähnlich zum Versicherungsprinzip oder auch in einer anderen Ordnungskategorie nach dem Umlageprinzip organisiert - dann würde nicht mehr jeder primär sich um seine eigene Existenzgrundsicherung bemühen sollen - sondern vielmehr wäre es das Grundprinzip, dass man ganz allgemein Zahlungen leistet, damit jeder im Staat die Existenzgrundsicherung durch den Staat finanziert bekommt.
Unterm Strich ist das ein anderer Zugang, der keineswegs alle Probleme der Welt löst. Aber weil sich im Versicherungsprinzip bestimmte uralte Probleme von Hartz IV völlig anders darstellen, ist davon auszugehen, dass typische Probleme durch eine andere Organisation der Grundsicherung schlicht und einfach nicht mehr auftreten.
Diese Veränderung in der Organisation macht Sinn, weil derzeit Hartz IV regelrecht wie ein total veralteter Fremdkörper im Sozialsystem steht - während alle anderen sozialen Sicherungsmaßnahmen eigentlich auf das Versicherungsprinzip ziemlich erfolgreich zurückgreifen. Eine Existenzgrundsicherung, die man nach dem Versicherungsprinzip organisiert, ist schon ziemlich nah dran an einem BGE!
Das heutige System ist ziemlich veraltet, weshalb es zu Problemen führt, die auch innerhalb der Gedankenwelt von Hartz IV & Co kaum zu lösen sind. Eine Umstellung der Grundsicherung in Richtung BGE hingegen würde starke Veränderungen sowohl im Sozialrecht, als auch im Finanzrecht bei der Einkommensteuer mit sich bringen - würde aber die Chance bieten, dass man hier endlich einen Ansatz aus einem Guss machen könnte - und bei geeigneter Umsetzung könnte man bei dieser Gelegenheit auch die Motivationshemmer des heutigen Systems deutlich verhindern. In der Folge ist zu erwarten, dass mit einem BGE-Ansatz deutlich mehr Menschen deutlich leichter wieder aus dem typischen Hartz IV Zyklus herausfinden und sich mehr um eine eigene bezahlte Arbeit bemühen. Würde man dies erreichen, wäre die Einführung eines BGEs schon allein deshalb eine gute Maßnahme!