Konkordanz hat geschrieben:(17 Sep 2020, 16:51)
Hallo Forum,
was mich seit der ersten Stunde der Corona-Berichterstattungen wundert (und stört), ist, dass die Virusdynamik fast ausschließlich auf Basis absoluter Daten berichtet wird (in etwa: "300 neue Infektionen in Stadt xy"). Was das aber bringen soll, wenn diese Absolutwerte in kein Verhältnis zu einer anderen Bezugsgröße gesetzt werden, bleibt mir schleierhaft. Worauf ich aber eigentlich hinaus möchte:
Wahrscheinlich kennt jeder von uns das Argument, dass die seit Wochen wieder ansteigenden Infizierten-Zahlen in Deutschland mit den ebenfalls ansteigenden Testungen zusammenhängen. In einer Diskussion begegnete ich neulich eben diesen Punkt und wusste erstmal nichts darauf zu sagen. Kaum war ich daheim, recherchierte ich. Google leite mich auf verschiedene Seiten, auf denen anhand von wochenweisen Daten und Charts erklärt wurde, dass dieser Zusammenhang nicht besteht. Aber irgendwie reicht mir das nicht, weil die Anzahl an Wochen und die schlichten Abbildungen mMn unzureichend Einblick gewähren. Ich begebe mich also selber auf die Spur, weil ich taggenau und korrelativ testen wollte. Auf der Suche fand ich folgenden Datensatz, auf welchen ich mich beziehen möchte:
https://ourworldindata.org/coronavirus- ... PkyW7LBYjE
Aus diesem Datensatz setze ich die Anzahl täglich neuer Fälle ("new_cases") und die Anzahl neuer Tests ("new_tests_smoothed") ins Verhältnis. Zeitraum: 15.03.20202 - 06.09.2020. Um differenzierter zu testen, teile ich zudem den Zeitraum in zwei Teile. Dabei erhalte ich folgendes Ergebnis:
Für den gesamten Zeitraum (15.03.-06.09.2020): sehr schwacher, leicht sign. Negativ-Zusammenhang (Korrelationskoeffizient = -.16)
Für die erste Hälfte des Gesamtzeitraums (15.03.-10.06.2020): Kein sign. Zusammenhang (Korrelationskoeffizient= .07)
Für die zweite Hälfte des Gesamtzeitraums bis "heute" (10.06.-06.09.2020): Hochsignifikanter Zusammenhang (Korrelationskoeffizient = .73
Verlauf Anzahl Testungen und positiv Getestete: https://www.bilder-upload.eu/bild-8dbc1 ... 8.png.html
Meine Interpretationen zur Korrelationsanalyse:
Für den
Gesamtzeitraum zeigt sich also kein Zusammenhang zwischen steigender Anzahl an Testungen und der Anzahl an entdeckten Neuinfizierten, was ggf daran liegt, dass sich die beiden Zeiträume mathematisch gegenseitig ausgleichen: Am Anfang wenige Tests bei vielen Infizierten (und entdeckt Infizierten), in den letzten Monaten das Gegenteil. In Summe also ein kaum sichtbarer Zusammenhang.
In der
ersten Hälfte des betrachteten Zeitraums gab es sehr viele Fälle und die wenigen Tests, die eingesetzt werden konnten, wurden an Verdachtspersonen getestet. Die Trefferquote war also recht hoch, worauf ja auch die Daten "tests per case" verweisen (Vergleich: Mitte März bis Mitte April brauchte man im Schnitt 17 Tests um 1 Corona-Infizierten zu finden, während man zwischen Mitte Juni-Mitte Juli 156 Tests benötigte). Corona hat sich in den Anfangswochen vielleicht genauso schnell ausgebreitet wie die Testanzahl, weshalb sich kein so starker Zusammenhang zeigt.
Verlaufskurve Test pro Fall: https://www.bilder-upload.eu/bild-02f9f ... 7.png.html
Zweite Hälfte des betrachteten Zeitraums: Mittlerweile scheint sich das Virus in Deutschland stark zurückgezogen zu haben. Das sieht man auch an der stark gesunkenen Positivrate, die zudem seit langer Zeit etwa gleich tief bleibt. Darüber hinaus werden Pro Testung tendenziell weniger Fälle gefunden (vgl "Tests per case"). Da aber gleichzeitig die Anzahl an Testungen ver-x-facht wurde, lassen sich möglicherweise deshalb dennoch so viele absolute Fälle finden. Wäre die Testanzahl noch genauso niedrig wie zu Beginn der Zeit, wäre die absolute Anzahl an entdeckten Infizierten also recht gering. Insofern - und aufgrund der starken oben genannten Korrelation - kann man sagen, dass in den vergangenen Monaten die absolute Steigerung der Positiv-Testungen zu einem guten Teil (bzw. mit einer hohen Korrelation) mit der Ausdehnung an Testungen verbunden ist.
Verlauf der Positivrate: https://www.bilder-upload.eu/bild-50876 ... 0.png.html
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Aufgrund dieser Ergebnisse bin ich gerade dabei, meine spontane Abneigung gegenüber dem Argument, dass eine steigende Testanzahl auch eine steigende Anzahl an positiv Getesteten hervorbringt, zu überdenken. Denn es scheint diesen Zusammenhang seit Monaten zu geben. Wenn dem so ist, dann fällt es mir ab jetzt wohl noch schwerer, die ständigen Horrormeldungen auf Basis absoluter Werte, die in keine Relation zu irgendeiner anderen Bezugsgröße gesetzt werden, ernst zu nehmen.
Was meint ihr hierzu?