Bielefeld09 hat geschrieben:(02 Sep 2020, 20:09)
Sorry, das ich Ihren Aufsatz auf Ihren Schlusssatz reduziert habe, aber der ist eben bezeichnend!
Ein BGE ist dem bestehenden System deshalb unterlegen.
weil es individuelle Bedarfe für Behinderte, Kranke und Rentner nicht berücksichtigt!
Und so geht das eben nicht in einem Sozialstaat!
Und ich will auch kein BGE für Leute, die es nicht brauchen!
Ich zahle jedenfalls gerne für ein bedingungsloses Hartz4.
Da ist dann jedenfalls die Bedürftigkeit festgestellt worden.
lili hat das mit den Bedarfen schon klar gestellt. BGE ist für die Grundsicherung - nicht mehr aber auch nicht weniger. Und es ist für die Grundsicherung von jedem. Damit kann der Staat sehr vieles pauschalieren - und muss sich nur noch um die Sonderbedarfe wirklich kümmern - kann das dann aber auch!
BGE für Leute, die es nicht brauchen? Wer genau braucht es denn nicht? Brauchst du keine Grundsicherung - oder ist es vielmehr so, dass du sie brauchst, du aber derzeit
selbst dafür aufkommst?
Zahlst du eigentlich gerne in die KV, obwohl dort auch Menschen finanzielle Leistungen bekommen, die sich diese eigentlich aus eigenem Vermögen selbst leisten könnten?
Der Kern des heutigen Sozialsystems ist es, dass die, die aus eigenem Vermögen oder eigenem Einkommen die Existenzgrundsicherung selbst für sich aufbringen können, diese auch selbst aufbringen müssen. Ihnen wird in aller Regel eben nicht geholfen, auch dann nicht, wenn Hilfe verhindern würde, dass sie vollends in den Sumpf der Bedürftigkeit abrutschen.
Der Kern eines BGE-Sozialsystems ist es, dass in Anerkenntnis, dass jeder den Bedarf an der Existenzgrundsicherung hat, eben jeder auch die Existenzgrundsicherung über die Gemeinschaft bekommt. Jedem wird diese Grundunterstützung gewährt, weil auch jeder den Bedarf hat. Durch die Systematik des Bezahlens unterscheiden sich die BGE-Vorschläge.
Dass ein Multimilliardär aber durch ein BGE-System mehr zur Verfügung hat, als ohne BGE-System - ist zwar prinzipiell denkbar, aber bei keinem mir bekannten BGE-System bisher so vorgesehen.
Realistische BGE-Finanzierungsmodelle sehen regelmässig vor, dass tendenziell Otto-Normalo mit einem Durchschnittseinkommen und auch deutlich darüber hinaus tendenziell durch ein BGE-System leicht finanziell entlastet wird, während Großverdiener, oder Großkonsumenten oder sehr Reiche moderat sich weniger leisten können. Im Detail unterscheiden sich hier die BGE-Modelle dadurch, wie sie konkret finanziert werden. Mal wird über Vermögenssteuern oder Abgaben gesprochen, mal über höhere Einkommensteuern speziell für Reiche und mal über höhere Konsumsteuern (oder Abgaben). Und öfters werden Mischfinanzierungsmodelle angesprochen.
Eigentlich sind BGE-Modelle erstaunlich unspektakulär was die BGE-Seite angeht. Über die wird nur häufig diskutiert! Und zwar so, als würde dort die Musik spielen! Tut sie teilweise auch - für die Betroffenen, denen damit deutlich geholfen wird! Aber für weite Teile der Bevölkerung ist die Finanzierung des BGEs wesentlich bedeutsamer, weil hier mehr Veränderungen passieren!
Nochmal ein Beispiel:
Geht ein Paar die Ehe ein, und bekommt die Frau ein Baby und entscheidet sich deshalb dafür, dass sie zu Hause bleibt - dann passiert etwas ganz merkwürdiges in unserem heutigen System:
Weil das Paar verheiratet ist, werden sie steuerlich so veranlagt, als ob es ein Familieneinkommen gäbe. Und: Weil das Famlieneinkommen versteuert wird, gibt es auch einen Freibetrag für jeden. Dieser Freibetrag, der nicht versteuert wird, wird für Frau und Mann in gleicher Höhe gewährt. Auch dann, wenn nur der Mann ein Einkommen hat. Aus Sicht des Mannes hat er weiterhin allein das Einkommen, zahlt nur weniger Steuern! Die Frau hat kein Einkommen.
Aus Sicht des Unternehmens hat der Mann ein Einkommen. Die Frau ist für das Unternehmen des Mannes irrelevant.
Aus Sicht der Frau hat der Mann ein Einkommen, sie aber nicht.
Aus Sicht des Finanzamtes hat der Mann ein halbes Einkommen, und die Frau ein halbes Einkommen - und beide einen Freibetrag.
Spannend: Aus Sicht der Rentenversicherung hat der Mann ein Rentenkonto, was durch das Einkommen des Mannes gut gefüllt wird. Die Frau hat auch ein Rentenkonto - aber auf das wird zwar was dadurch eingezahlt, weil sie für das Kind und die Auszeit für das Kind was durch die Gesellschaft eingezahlt bekommt, aber da wird nichts durch das Einkommen des Mannes eingezahlt!
Kommt es zur Scheidung, wird das aber korrigiert - dann wird nachgeschaut, was in der gemeinsamen Ehezeit durch den Mann auf sein Konto eingezahlt wurde - und davon wird die Hälfte auf das Konto der zukünftigen Ex-Frau überwiesen......
Relevant ist dabei: WESENTLICHE Zahlungen des Mannes auf sein Rentenkonto dienen vor allem der eigenen Existenzgrundsicherung im Alter......so mancher Mann schaut betöppert aus der Wäsche, wenn er realisiert, dass mit dem Ende seiner Ehe wesentliche Teile seiner vermeintlichen Rente verschwinden, und die Existenzgrundsicherung im Alter plötzlich gar nicht mehr gesichert ist......
In einem BGE-System kann man viele dieser Merkwürdigkeiten vermeiden! Strukturell!
Gehen wir zurück auf Anfang und fragen uns, was in einem BGE-System mit unserem frisch vermählten Ehepaar passiert.....
Frau und Mann bekommen ein BGE. Damit hat die Frau ein eigenes Einkommen - auch wenn dieses erst mal nur auf Höhe der Existenzgrundsicherung liegt. Aber dieses Einkommen bekommt sie! Auch während der Zeit, in der sie ein Baby bekommt, und sich dann um den gemeinsamen Nachwuchs kümmert!
Weder Frau noch Mann haben aber den steuerlichen Freibetrag - den braucht es nicht mehr, denn der wird gerade durch das BGE ersetzt! Nur standen die Freibeträge faktisch zuvor beim Einkommen des Mannes - jetzt wird das Einkommen des Mannes ab dem ersten Euro versteuert.
Und in der Rente? Die Rente spielt in einem BGE-System eine ganz andere Rolle! Es geht in der Rente eben nicht mehr um die Existenzgrundsicherung, sondern darum, was man durch eigene Arbeit und eigene Einzahlungen über die Existenzgrundsicherung hinaus noch an finanziellen Möglichkeiten erarbeitet hat. Auch da gibt es bei einer Scheidung eine Verrechnung - nur liegt die auf einem ganz anderen Niveau, weil man ja gar nicht mehr über die Existenzgrundsicherung reden muss.
Was man bemerken kann: Ein BGE-System bietet ganz sicher keine faire Lösung für die typische und biologisch begründete Tätigkeit von Frauen, Kinder zu bekommen und sich auch noch immer zumeist mit größerem Zeitanteil um diese Kinder in den ersten Jahren zu kümmern. ABER: Die Thematik der Existenzgrundsicherung ist zumindest mal deutlich fairer organisiert! Frauen ist die Existenz gesichert - und sie sind in dieser Zeit eben nicht vom Partner abhängig!
AUch hier: Das BGE-System ist nicht der Weisheit letzter Schluss - bietet aber deutlich bessere Grundbedingungen für Problemstellungen an, bei denen unser heutiges System aufgrund des systematischen Fehlers des Bedürftigkeitsprinzips kläglich scheitert.
Man sollte sich keiner Illusion hingeben - unser nettes Pärchen hätte auch in einem BGE-System wahrscheinlich kaum mehr finanzielle Mittel zum verkonsumieren, als sie es heute haben! ABER: Weil Frauen und Männer die Existenzgrundsicherung in einem BGE-System gleichermaßen bekommen, ändert sich dennoch sehr viel, weil Frauen dann auch über ein eigenes Einkommen verfügen, wenn es nur einen Einkommensbezieher in der Familie gibt.
Gegenüber solchen Ansätzen wirkt unser heutiges System altbacken und sogar regelrecht archaisch.