Ammianus hat geschrieben:(10 Jun 2020, 16:44)
Also erstmal schieben wir die ganze "tu quoque"-Sache mal beiseite. Und bei Geißlers Kapitalismus-Kritik würden mir die Ohren sicher nicht schlackern.
Dann ist es ja auch ganz schön, was die Landeszentrale für Dingsbums aus Irgendwo so weiß. Was der Autor dieses Textes da geschrieben hat ist sogar richtig. Uljanow war alles andere als ein Dummkopf und einige Leute um ihn herum auch. Trotzki wollte ja eigentlich eine "Arbeitsarmee" aufstellen. Das Land hungerte nach dem Bürgerkrieg und ohne eine motivierte Bauernschaft war nichts zu holen. Man sollte sich nur mal ansehen, wie viele Bauernaufstände die Kommunisten blutig niedergeschlagen haben.
Aber gegen Ende der 20er merkten die auch, dass es zwar einem Großteil der Bauern wirklich besser ging, aber nicht genug dabei heraussprang um die geplante Industrialisierung fortzusetzten. Ergebnis: Wieder ein paar Millionen Tote. Ob Eltern wie in China unter Mao auch ihre Kinder tauschten - wer ist schon gern die eigenen, irgendwo sind Grenzen - kann ich jetzt nicht sagen.
Dein Problem ist, dass du die Lügen, die uns über Jahrzehnte serviert wurden verinnerlichst hast. Das mag auch daran liegen, dass zu den relativ privilegierten gehörtest. Du hattest dein Abitur gemacht, studiert und dann eine gehobenen Tätigkeit. Deren Erhalt hing aber von mehr oder wenige absoluter Anpassung ab. Ich war ab einem bestimmten Zeitpunkt ein "negativ feindliches Element", hatte aber einen ganz normalen Job. Mich konnte man nicht degradieren. Alle in mehr oder weniger akademischen Berufen schon.
Welche Lügen z.B.?
"Armut gabs vereinzelt auch bei den Sowjets, aber marginal im Vergleich zu heute."
Das ist das, was man dir eingetrichtert hat. Die Realität war eine ganz andere. Armut prägte das Leben der meisten normalen Sowjetbürger. Und nach der Zwangskollektivierung war es auch auf dem Land mit dem zeitweiligen besseren Leben vorbei. Die Leute hatten ein Dach über dem Kopf, wenn sie Glück hatten und lange genug anstanden auch relativ genug zu essen. Von der Qualität wollen wir hier nicht reden. Und Mangelperioden gab es immer wieder und die Versorgung war auch nicht gleichmäßig über das ganze Land verteilt. Natürlich gab es auch die ganzen privilegierten Gruppen. Die höheren Bewaffneten Kader, Polizei, Geheimdienst, das Gulag-Personal. Auch als Wissenschaftler oder gefragter Ingenieur ging es den Leuten - im Verhältnis zu den übrigen etwas besser. Aber wie gesagt, die durften nicht aus der Reihe tanzen. Ein Archäologe oder Historiker, der es gewagt hätte festzustellen, dass die Waräger wesentlich an der Gründung der Rus beteiligt waren. Sie hätten noch großes Glück gehabt, wenn man sie in einen Betrieb gesteckt hätte.
Die normalen Arbeiter und Bauern, diese angeblich verbündeten und führenden Klassen lebten in Armut. Was denkst du, was es für einen Bauernsohn, der dann als siegreicher Soldat nach Deutschland kam, bedeutete, zu sehen wie hier gelebt wurde. "Wasser aus Wand", Armbanduhren, Fahrräder, befestigte Straßen und was die Leute alles in ihren Wohnungen hatten. Toiletten? Djewotschki na sprawa, maltschiki na slewa.