Progressiver hat geschrieben:(15 Jan 2020, 22:20)
Das Problem heutzutage ist, dass Bildung als eine Ware begriffen wird.
Ja, ich frage mich schon lange, was eigentlich hinter dieser ewigen Pisa-Panik steckt - darf es nicht sein, dass skandinavische Kinder lernfähiger, bzw klüger sind, als deutsche Kinder? Muss Deutschland, nur weil wir bspw. Export-Westmeister sind, unbedingt auch Bildungs-Weltmeister sein?
Geht es wirklich darum, unseren Kindern bessere und nachhaltigere Bildung zu ermöglichen - oder geht es nicht vieleher um einen politisch inszenierten Wettbewerb der Nationen?
Oder steckt nicht vielleicht noch was ganz anderes dahinter: Infolge der Pisa-Panik wurde ja das Ganztagessystem in Kitas und Schulen ausgebaut - aber die bislang die Kinder zuhause hütenden Elternteile sollen deswegen ja nicht nutzlos rumhocken und Däumchen drehen = sie sollen arbeiten gehen, die Wirtschaft ankurbeln, die Staatskassen füllen und die Statistiken aufhübschen...
Bildung ist kein Selbstzweck mehr, sondern nur noch ein Mittel, um Karriere zu machen. Dementsprechend werden bestimmte Berufsfelder auch fürstlich entlohnt, wenn man beispielsweise BWL oder ähnliches studiert hat.
Hm. Ich glaube nicht, dass man automitisch besser verdient, nur weil man eine bessere Bildung nachweisen kann - es kommt da schon auf den persönlichen Anspruch und Einsatz dafür an.
Abhängig ist es auch vom ideologischen Denken der Arbeitgeber - mein Vater (studierter Ingenieur für Elektrotechnik) wurde mit ca. 40 Jahren überraschend arbeitslos; er sei zu alt und entsprechend krankheitsanfällig. Vielen in seiner Branche ging es damals, Anfang der 90er, so. Die Arbeitgeber wollten junge und gesunde Angestellte. Mein Vater hat deswegen jahrelang keine Arbeit mehr in seinem Beruf bekommen - erst als die Arbeitgeber erkannten, dass die jungen und gesunden Ingenieure rar sind und es ihnen immens an praktischer Handlungsfähigkeit und Erfahrung mangelte, stellte sich ein radikales Umdenken ein. Mein Vater konnte sich urplötzlich von mehr als hochbezahlten Jobangeboten kaum retten. In dem letzten Unternehmen, in welchem er angestellt war, gab es ausschließlich Ingenieure ü50 und ü60. Junge Ingenieure hätte man gerne ausgebildet und eingestellt, aber die Nachfrage nach Ausbildung in diesem Beruf war nichtig und der Stellenmarkt leer. Entsprechend wurde die Arbeits- und Stressbelastung für die alten Ingenieure gravierender. Der Krankenstand war hoch, aber die Arbeitgeber machtlos.
Vor ein paar Jahren hat sich mein Vater selbstständig gemacht; nimmt nur noch ausgewählte Aufträge an. Letztes Jahr hat er rund 8 Wochen für Audi gearbeitet und dabei soviel Geld verdient, dass er dieses Jahr eigentlich blau machen könnte.
Natürlich werden manche Berufe, die eine höhere (Aus-)Bildung benötigen "fürstlich(er)" entlohnt - ABER: Das liegt bestimmt nicht allein daran, dass da Leute arbeiten, die mehr im Köpfchen haben, als andere. Vielmehr sind es die Verbraucher, die diesen Branchen durch ihren Konsum immens Geld zukommen lassen. Als mein Vater mal einen Auftrag von Porsche beendete, zeigte er mir was er dabei verdient hat - in vier Wochen mehr als ich in der Altenpflege im ganzen Jahr = was er für Porsche gemacht, wollte ich wissen: Mein Vater hat lediglich eine Software entwickelt und verbaut, damit die Lenkräder des Cayenne maschinell mit Leder überspannt werden können.
Ich dachte mir da nur: Wow. Mit Leder überspannte Lenkräder sind den Menschen soviel wichtiger, als die würdige Pflege und Betreuung ihrer Angehörigen?
Weil bei uns empören sich Angehörige regelmäßig, wenn die monatlichen Heim-Kosten tw. nur geringfügig angehoben werden; wollen sofort wissen warum und ob das überhaupt nötig bis berechtigt sei. Man sei ja schließlich kein Geldscheißer. Dagegen nimmt man steigende Kosten für den Porsche - oder das Auto allgemein - wesentlich gelassener hin. Das Auto ist ja wichtiger, als der Mensch.
Während der Semesterferien hatten wir früher immer viele Studenten als Aushilfen im Heim; mittlerweile zieht es die aber zum Postverteilzentrum - die zahlen mittlerweile das doppelte als wir an Stundenlohn. Sogar Briefe und Päckchen nach PLZ sortieren ist finanziell gesehen mehr wert, als die würdevolle Pflege und Betreuung von hilfsbedürftigen, kranken und sterbenden Menschen.
Woher kommt das Geld, warum ist es so ungerecht verteilt? Das hat nichts mit mehr oder weniger Bildung zu tun. Das materialistische und somit menschenfeindliche Wertedenken der Verbraucher ist hier der eigentliche Fehler im System.
"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen." Erich Kästner