schokoschendrezki hat geschrieben:(30 Dec 2019, 23:22)
Schauen Sie den englischen Eintrag an:
Das Projekt "Leitkultur" ist nicht nur ungefähr sondern
ganz genau das, was sie linken Politikern anlasten: Eine Erziehung der Menschen durch Politik betreiben zu wollen. Jedem Menschen, auch jedem Politiker steht es frei, seine Ansichten und Vorstellungen über Kultur vorzutragen und dabei auch einen Begriff wie nationale Leitikultur einzuführen. Thomas de Maizière hat das Konzept "Leitkultur" aber nicht als Mensch und (nebenbei) Politiker eingeführt sondern ganz ausdrücklich als Innenminister.
Schauen Sie (wikipedia):
Selbstverständlich ist es nicht nur das Recht einer demokratischen Regierung westlicher Prägung sondern sogar ihre Pflicht, Kulturförderung zu betreiben, Dies geschieht nach allgemeinem Verständnis durch den Unterhalt öffentlicher Bibliotheken, Theater, Kulturförderung, Ausstattung von Schulen mit Digitaltechnik, Wissenschaftsförderung, überhaupt die Förderung von Kultur und Bildung. Genau das ist Kern
eigentlich linker Politik. Bestrebungen entsprechender Art können Sie etwa in Thüringen besichtigen. Die Vorstellung rechtskonbservativer Politiker wie de Maizere oder Merz in Hinsicht auf "Leitkultur" geht jedoch in eine ganz andere Richtung: Den Menschen von oben "Benehmen" beizubringen, sie zu gängeln, zu erziehen und ihnen eine leitkulturell korrekte patriotisch-nationale Kultur beizubringen. Zur Not mit Nachdruck. Stasi und SED 2.0!
Zunächst einmal fühle ich mich völlig inkompetent in Sachen Leitkultur - wäre ich zuhause, würde ich jetzt ein satirisches Gedicht von mir einstellen, das Anfang der Nullerjahre, als der Begriff von Stoiber benutzt wurde, entstand. Aber mich interessieren weder die christlichen zehn Gebote, noch die zehn Angebote der GBS-Humanisten und auch nicht zehn Leitsätze zur Leitkultur. Die einzigen solchen Leitsätze, die mich ansprechen, sind Daniel Pennacs zehn unantastbare Rechte des Lesers.
Allerdings möchte ich ein paar m.E. falsche Einlassungen von Ihnen gerne richtigstellen. Dass Sie die beiden konservativen Koryphäen mit Begriffen linker Unterdrückungspolitik bezeichnen, sei nur am Rande erwähnt. Es ist unpassend, denn im Grunde sind die Sätze zur Leitkultur des ehemaligen Innenministers in der Sache falsch benannt, es waren Leitlinien zur
Integration - also für ein Anliegen, das lagerübergreifend verfolgt wird und bei dem hier wie dort kräftig geflunkert und gelogen wird. Dass konservative Moralapostel dabei etwas mehr Knigge wagen wollen als identitätspolitische Que(e)rulanten liegt in der Natur der Sache - hat aber anders als die pädagogischen "Angebote" letzterer m.W. zu keinen nennenswerten praktischen Konsequenzen geführt.
Was Ihre Erwähnung Thüringens angeht, liegen Sie daneben. Die Förderung der schönen Künste oder von Film, Theater und Literatur findet in allen Bundesländern statt, allerdings ist der soziologische Begriff der Kultur nicht auf diesen Bereich menschlichen Wirkens begrenzt. Und vielleicht sollte daran erinnert werden, dass gerade in Kunst und Literatur und Film das allgemeine moralische Umerziehungsprogramm der moralisch-que(e)rulantischen Klasse (man mag eigentlich nicht wirklich von Linken sprechen, auch wenn Teile da mitmachen) die größten Verheerungen anrichtet, weil hier ästhetische Kriterien von moralischen verdrängt werden. Und als Sprachler habe ich die Verhunzung der Sprache und das Hineinregieren in Fragen der Grammatik live miterleben dürfen.
Insofern: Natürlich bilden sich Politzwerge aller Richtungen gerne ein, fürs Schöne, Gute und Wahre besonders kompetent zu sein. Doch wer wachen Sinnes die Entwicklung betrachtet, wird nicht abstreiten können, dass auf der "linken" Waagschale ungleich schwerere Erziehungsklöpse liegen als auf der rechten.
Wäre aber ein Thema für einen anderen Strang. Aber die beiden genannten Figuren und ein paar aufgehängte Kreuze und propagierte Leitsätze sind halt eine andere Hausnummer als die Umerziehung, die von den moralischen Que(e)rulanten ausgeht. Wollten wir den orwellesken Que(e)rulanten des Jahres wählen, wären die sog. Linken klar im Vorteil und häufigere Preisträger.