Misterfritz hat geschrieben: ↑Mi 5. Okt 2022, 21:26
Ich weiss nicht, vielleicht ist das bei denen auch nur Attitüde.
Ich halte es für sehr mutig, sich mit den Medien anlegen zu wollen. Was Welzer betrifft, so kann er dies nach eigenen Angaben nur, weil er schon so alt ist. Und außerdem irgendwie unabhängig. Als junger Anfänger in seinem Berufsfeld wäre so ein Buch jedoch sein gesellschaftlicher Tod. Auf jeden Fall beweisen die beiden, dass sie unabhängige Köpfe sind. So viel Zivilcourage muss man erst einmal haben. Und auch Precht riskiert viel. Bisher war er anscheinend ein smarter Medienliebling. Und weil er sich mit den Medien anlegt, wird er jetzt quasi wegen Majestätsbeleidigung gegenüber dieser Zunft zum Paria erklärt.
Wie gesagt. Ich halte das Buch für mutig. Und die Verkaufszahlen beweisen, dass sie einen gesellschaftlichen Nerv getroffen haben.
Schliesslich wollen sie ihre Bücher verkaufen.
Ich glaube, sie wollen noch etwas ganz anderes. So wie ich das Buch bisher verstehe, ist es zunächst als eine Art Streitschrift gedacht. Und nicht als eine neutrale wissenschaftliche Abhandlung. Bei einer Streitschrift darf dann auch mal gerne zugespitzt und polemisiert werden. Sie scheinen aber auch Lösungen anzubieten.
Und deswegen werden sie auch so gründlich missverstanden. Weil viele Kritiker den Unterschied zwischen einer Streitschrift und einer neutralen wissenschaftlichen Abhandlung nicht kennen. Wahrscheinlich wollen sie mit diesem Buch auch vor allem eine breite gesellschaftliche Debatte lostreten.
Bezeichnend finde ich auch die beleidigte Reaktion der vielen Journalisten. Anstatt sachlich auf die Argumente und Thesen einzugehen, bringen viele nur Ad hominem Attacken. Da wird "argumentiert", dass Precht und Welzer schon zu Corona und zum Ukrainekrieg schlechte Meinungen haben. Also müssen sie auch als Menschen schlecht sein. Also muss man sich mit den Argumenten (und Lösungen) des Buches gar nicht befassen. Denn wenn die beiden allgemein schlechte Menschen sind und auch zu anderen Themen schlechte Meinungen verbreiten, so können sie auch in diesem Buch nur schlechte Meinungen vertreten. Dies wird dann behauptet, ohne das Buch auch nur ansatzweise gelesen zu haben.
Dies ist aber entlarvend für alle Kritiker.
Die Medienschaffenden scheinen die Argumente der beiden zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Deswegen ist es besser, man befasst sich erst gar nicht mit deren Thesen, sondern verdammt sie schon im Voraus mit Ad hominem Attacken. Aber für den Beobachter stellt sich das leider so dar, dass getroffene Hunde bellen.
Und hier im Forum haben ja schon einige angekündigt, die Kaufen zu wollen.....
Ich sage es mal so. Der Leitspruch der europäischen Aufklärung lautete: "Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen." In diesem Sinne hier bedeutet dies: Wenn man das Buch selbst beurteilen will, dann muss man es sich auch selbst kaufen und durchlesen. Nur bequeme und unaufgeklärte Zeitgenossen brauchen hier Journalisten, die ihnen das Ganze vorgekaut servieren. Und die eigene Meinung noch dazu. Wie auch anders soll man sich ein echtes Bild machen von dem, was die beiden Autoren schreiben? Das Buch kritisieren oder hochjubeln, ohne den Inhalt zu kennen oder aber nur vom Hörensagen berichtetes oder aus zweiter oder dritter Quelle? So etwas ist substanzlos.
Und auch ich werde hier eine Rezension zum Inhalt erst anbieten, wenn ich es mir gekauft und ganz durchgelesen habe. Alles andere wäre geistiger Dünnpfiff.
Im Übrigen nehme ich die beiden Autoren als Vertreter einer Offenen Gesellschaft wahr. Die Offene Gesellschaft wiederum ist die Grundlage jeder funktionierenden Demokratie. In diesem Sinne sehe ich als aufrechter Demokrat, der ebenfalls die offene Gesellschaft befürwortet mich in der Verantwortung, diese beiden Herren zu verteidigen gegen die Befürworter einer Gesinnungsdiktatur. Aber manchen Zeitgenossen hier scheint es ja egal zu sein, wenn mit der Offenen Gesellschaft die Demokratie gleich mit stirbt. Und was ihre Meinungen zu anderen Themen betrifft, so halte ich es mit Voltaire: Ich teile zwar nicht ihre Ansichten. Aber da ich es wichtig finde, dass es hierzulande einen Meinungspluralismus gibt und so etwas wie eine Meinungsfreiheit, werde ich sie verteidigen. Alles andere wäre wohl eine Entwicklung hin zu einer Meinungsdiktatur, bei der alle Gegner der eigenen Meinung zumindest medial auf dem Scheiterhaufen landen. Eine Demokratie lebt aber davon, dass unterschiedliche Meinungen miteinander konkurrieren. Und als Individuum muss man auch stark genug sein, andere Meinungen auszuhalten. Dies, ohne gleich nach einer Cancel Culture zu schreien.
Und wenn diese Meinungsfreiheit zugunsten einer Cancel Culture und einer faktischen Gesinnungsdiktatur aufgegeben wird, so verrohen auch die Sitten im gesellschaftlichen Diskurs noch mehr. Dann befindet sich die Gesellschaft auch bald in einem kalten Bürgerkrieg, in dem nicht mehr mit Argumenten gestritten wird. Sondern es wird nur noch versucht, mit Ad hominem Attacken den Gegner zu diskreditieren. Aber auch dies scheint hier einigen Leuten am Allerwertesten vorbei zu gehen.
Ach ja. Eines habe ich noch vergessen. In der Sendung "Markus Lanz" vom 29.9.2022 haben Precht und Welzer auch erwähnt, dass sie an einer wissenschaftlichen Abhandlung über das Thema arbeiten. Dort wird dann ihre Streitschrift "Die vierte Gewalt" auch mit Zahlen, Daten, Statistiken untermauert. Für das erste wird es ihnen aber reichen, wenn sie die Journalistenzunft genau zu den Ad hominem Attacken provozieren, die sie anscheinend in dem Buch kritisieren. In diesem Sinne haben sie dann auch ein Experiment in Echtzeit gestartet, mit dem sie ihre Thesen beweisen wollen.
Aber wie gesagt: Ein abschließendes inhaltliches Urteil steht mir erst zu, wenn ich das Buch ganz durchgearbeitet habe. Alles andere wäre substanzlos.