Erasmus hat geschrieben: ↑Fr 8. Apr 2022, 15:54
Nein, ich habe ja erstens auch Erfahrungen gemacht und zweitens meinen Hermann Hesse gelesen.
Hermann Hesse? Von dem habe ich gehört, aber selbst nichts gelesen. Was willst du damit andeuten?
Du möchstest sie nicht zum Thema haben. Aber jede Weltanschauung, die "den" Menschen, also alle jeweils existierenden Individuen, verbessern, anders haben will, sie also in ihrem gegenwärtigen So-Sein nicht akzeptiert, erhebt den gleichen Anspruch auf den Menschen wie eine Religion, so und nicht anders zu handeln. Und erzähl mir nicht, du habest noch nie vom Kommunismus gehört, um mal nur eine zu nennen. Von Lenins oder Trotzkis oder Stalins "Menschenmaterial", die das Individuum ebenso missachtet wie das bei manchen religiösen Vereinen der Fall ist. Jeder strenge Kollektivismus, religiös oder säkular, definiert ein vorgegebenes Glück, das anzustreben ist vom Einzelnen. Die leisten das hier ebenfalls:
Niemand ist dazu verpflichtet, sich selbst mögen zu müssen. Jedem steht es sogar frei zu, sich selbst abgrundtief zu hassen und zu verachten. Ich selbst kann absolut nichts dagegen unternehmen, wenn andere ihren Selbsthass auf ihr zwischenmenschliches Umfeld projizieren. Was ich hier bringe, ist lediglich ein Angebot. Die eigene Person ist diejenige, mit der man es am längsten aushalten muss. Oder darf. Die Beziehung zu sich selbst ist also eine zu einem Menschen, mit dem man das ganze Leben verbringt. Wenn man also so lebt, dass man sich von sich selbst entfremdet, sich verachtet oder sonstwie nicht gut zu sich selbst ist, dann wird es auch nicht möglich sein, zu allen anderen Mitmenschen ein gutes Verhältnis aufzubauen. Mein Vorschlag ist hier: Sich selbst so zu lieben und zu behandeln wie einen guten Freund bzw. eine gute Freundin. Das kann unter Umständen zwar sehr schwer sein. Aber im Endeffekt erleichtert es das Leben doch ungemein.
Welches ist denn der Maßstab des wahren Selbst, an dem du das misst? Wohin muss das Individuum denn deiner Meinung nach kommen? Zu welchem soll er erwachen? Irgendeine Art objektiven Sinnzusammmenhangs muss dir ja vorschweben, um die Metapher des Hamsterrads auflösen zu können. Mach mal den Käfig auf und lass ihn hinaus "den" Menschen.
Siehe oben. Wer sich selbst lieben bzw. mögen oder akzeptieren kann, wie er oder sie ist, der hat es nicht mehr nötig, sich selbst zu quälen wegen Dingen, die in der Vergangenheit schief gelaufen waren oder wegen Zielen, die erst in der Zukunft erreicht werden können. Ich bin zwar Atheist. Aber hier muss ich von spirituellem Wachstum sprechen. Wer sich selbst lieben etc. kann, der ist zunächst einmal mit sich selbst im Reinen. Und im nächsten Schritt kann er oder sie ganz anders auf seine Mitmenschen zugehen. Wer keine unbegründeten Selbstzweifel oder Minderwertigkeitskomplexe mehr hat, der fühlt sich befreiter, autonomer und selbstsicherer. Wer sich selbst lieben kann, der ist auch fähig, andere zu lieben. Nicht ohne Grund wurde ein Buch zu einem Beststeller mit dem ungefähren Titel: "Liebe dich selbst. Und es ist egal, wen du heiratest".
Und auch folgender Grundsatz eines antiken Philosophen kann dann angewandt werden: "Groß ist die Anzahl der (materiellen) Dinge, derer ich nicht bedarf."
Wer mit sich selbst im Reinen ist, der braucht keine Religion und keinen Kult des Warenfetischismus mehr. Er muss sich nicht religiös erlösen lassen wollen, auf dass in ferner Zukunft ein Zustand winkt, in dem er endlich, endlich sich selbst lieben und akzeptieren darf. Er kann es einfach jetzt schon tun. Auch wenn die Handlung, sich selbst zu akzeptieren, zu den schwersten gehört, die es im Leben geben kann. Und auf der weltlichen Ebene braucht dieses Individuum dann auch nicht mehr sich das neueste Smartphone zu kaufen in der Hoffnung, seinem eigenen Ideal ein so großes Stück näher zu kommen, dass es sich irgendwann selbst besser lieben kann.
Oder anders gesagt: Wer es schafft, sich im Hier und Jetzt selbst lieben zu können, braucht weder gedanklich in der Vergangenheit zu leben noch auf die Zukunft hin, sondern ist frei. Und wenn sich zufälligerweise zwei Menschen treffen, die sich selbst lieben können, so kann eine ganz andere Art von Neugierde und vielleicht auch tiefere Zuneigung entstehen, die es bei den ganzen anderen oberflächlichen Beziehungen vorher nicht gab. Und das verstehe ich unter "spirituellem Wachstum".
Natürlich wollen aber sowohl die Religionen als auch die Werbeindustrie, dass dieser freie Mensch nie Realität wird. Genauso wenig wollen dies alle anderen Menschen bzw. Institutionen, die danach trachten, einen zu kontrollieren und zu beherrschen.
Momentan ist dieses "Draußen, wie du es hier dann beschreibst, ein reines Müssen und Sollen. Muss, muss, muss, soll nicht, darf nicht. Das ist säkulare Religion in Form eines weiteren Therapie- und Optimierungsprogramms. Warum müsste irgendwer irgendwas davon? Sei ehrlich, du hast eine ziemlich exakte Idealvorstellung menschlichen Daseins und damit von Glück oder Unglück.
Nein, es ist ein dürfen. Niemand ist dazu verpflichtet, sich selbst zu lieben. Wer sich selbst weiterhin hassen und verachten will, den kann man sowieso nicht davon abhalten. Aber es soll einem klar werden, dass es auch erlaubt ist, sich selbst zu lieben und sich auch mal Fehler verzeihen zu können. Und wer mit sich selbst liebevoller und achtsamer umgehen kann, der kriegt es auch besser hin, sich anderen Leuten genau so liebevoll, respektvoll und achtsam zu verhalten.
Somit ist der erste Schritt getan, um (gottlos) glücklicher und zufriedener zu sein. Wer sich aus sich selbst heraus lieben kann, der braucht keinen "liebenden Gott". Und auch in einer Liebesbeziehung ist diese Person nicht darauf angewiesen, ständig um die Liebe der anderen Person betteln zu müssen. Es geht nicht mehr darum, zu kämpfen, geliebt zu werden. Denn man wird ja schon von dem wichtigsten Menschen geliebt, mit dem man es im Leben zu tun hat: man selbst. Und da man nicht mehr kämpfen muss, hat man auch viel mehr Energie, um das Gegenüber aktiv zu lieben. Man ist also auch nicht mehr davon abhängig von der Meinung eines Gottes oder den Ansichten seiner Mitmenschen. Sondern das Individuum ruht in sich selbst. Und wenn man erkannt hat, dass man sich das erlauben darf, so ist das ein Akt der Selbstbefreiung und einer neu hinzugewonnenen Autonomie.
Das sagt der Missionar zum Wilden, der Gott noch nicht gefunden hat, auch.
Um mal John Lennon zu zitieren: "War is over. If you want it."
Was ich damit sagen will, ist: Wer bereit und fähig ist, sich selbst so zu akzeptieren und zu lieben, wie er oder sie ist, der braucht nicht mehr sich selbst zu bekriegen. Oder aber seinen potentiell vorhandenen Selbsthass und seine schlechte Laune darüber an seinen Mitmenschen auszulassen.
Dies ist keine Garantie, dass man als Individuum dann nicht doch an toxische Beziehungen gerät. Wenn man aber fähig ist, die Beziehung zu sich selbst quasi nichttoxisch zu gestalten, dann ist man auch souveräner darin, dass man die Beziehungen zu seinem Mitmenschen besser gestaltet. Oder man ist freier, diese Beziehung zu einem toxischen Gegenüber zu beenden oder aber auch auf neue Füße zu stellen.
Das ist im Prinzip eine säkulare Bußpredigt auf der Basis deines Menschenbildes, zu dem sich der Mensch befreien soll. Nichts Neues unter der Sonne.
Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu mögen und mit sich im Reinen zu sein. Jeder darf sich selbst so sehr hassen, wie er meint, es tun zu müssen. Und auch, wenn jemand diesen Selbsthass auf andere projiziert, so kann ich dies nicht verhindern. Ich kann nichts tun, wenn andere der Auffassung sind, dass sie quasi die Pflicht hätten, sich selbst bzw. ihren Mitmenschen das Leben zur Hölle machen zu müssen. Ich unterbreite nur mein Angebot. Die Arbeit -bzw. die Tätigkeit der Selbstliebe- muss jeder für sich selbst machen. Ich werde niemanden zum Jagen tragen. Wer aber fähig und bereit ist, 1. sich selbst zu lieben und 2. diesen Akt der Liebe auf seine Mitmenschen zu übertragen, wird vermutlich ein angenehmeres und weniger stressiges Leben führen können.
Mein "Credo" ist ja, dass ausnahmslos alle sich zu irgendwelchen Weltanschauungen, zu irgendwelchen Ideen bekennen oder sich daran orientieren. Die unterscheiden sich darin, wie viel Pluralität und Widerspruch ihnen gegenüber sie aushalten, wie tolerant also ihre jeweiligen Missionare sind.
Keine Sorge. Ich missioniere nicht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Ich will, kann und werde niemanden zum Jagen tragen. Wenn sich ein Gegenüber von mir selbst befreien will von dem Selbsthass und dem Hass auf andere Menschen, so möchte ich wenigstens klarstellen, dass dies möglich und erlaubt ist.
In unserer Gesellschaft kann jeder sein Glückskeks inzwischen frei wählen. Die 10 % religiösen Spinner und Sektierer muss man halt akzeptieren.
Da bin ich wiederum skeptisch. Wenn ich mir anschaue, wie viele Leute doch tatsächlich auf die Gehirnwäsche der diversen Religionen oder der Werbeindustrie hereinfallen, anstatt in sich selbst zu gehen und sich selbst aktiv zu befreien, dann bezweifle ich, dass die Menschen wirklich frei sind in ihrer Wahl des "Glückskekses". Viele Leute sind meiner Beobachtung nach auch heute noch unzufrieden mit sich selbst. Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexe sind weit verbreitet. Und diese werden dann auf die Mitmenschen übertragen. Selbst, wer Yoga macht und meditiert, ist meiner Beobachtung nach nicht automatisch ausgeglichen. Somit sind intrapersonelle und zwischenmenschliche Konflikte an der Tagesordnung.
Ich für meinen Teil bin der Ansicht, dass mangelnde Selbstliebe die Wurzel all dieser Probleme ist. Ich habe deswegen diesen Thread gestartet, weil ich mir erhofft hatte, dass wir gemeinsam Ideen finden, wie das mit der Selbstliebe noch besser klappt. Damit man als Atheist gottlos glücklicher leben kann. Ein Programm habe ich darüber hinaus nicht. Und auch nicht die Absicht, andere zu missionieren. Ich bin darüber hinaus nur neugierig, wie das bei anderen Menschen mit der Selbstliebe klappt.