Liegestuhl hat geschrieben:(26 Nov 2020, 11:06)
Was haltet ihr von der Aussage:
"Jeder Mensch ist in der Lage zwischen
gut und
böse zu unterscheiden?"
Ich halte von dieser Aussage auch nichts. Sie setzt ein manichäisches Denken voraus. Und ist somit selbst in der Konsequenz totalitär.
Denn was soll das denn sein, das "Gute" und das "Böse"? Gibt es so etwas wie ein absolutes Gutes und Böses?
Die Realität sieht doch eher so aus: Jeder Mensch hat seine eigenen Bedürfnisse, die auf der Maslowschen Bedürfnispyramide aufbauen. Da wir in einer Gesellschaft leben, wird es dabei intrapersonelle als auch interpersonelle Konflikte geben. Der Konflikt ist dabei nicht böse, sondern die Realität. Entscheidend ist, wie man seine Interessen durchsetzt. Geschieht das eher im Kompromiss mit anderen? Oder versucht man, seine Interessen durchzusetzen, indem man andere Leute psychisch zerstört oder gleich ganz umbringt? Für letzteren Personenkreis gibt es zurecht Gefängnisse. Wenn jemand aber seine Interessen artikuliert, indem er sie ausspricht, dann kann dies zu Meinungsverschiedenheiten führen. Der dadurch entstehende Konflikt ist aber nicht böse, weil er einen vorher existierenden Frieden, ja eine Friedhofsruhe, gestört hat. Sondern es ist das Recht jedes Menschen, seine Interessen zu artikulieren. Wenn zum Beispiel bei zwei Personen oder Gruppen so etwas wie eine Kompromissfähigkeit und die Fähigkeit zur gegenseitigen Empathie vorherrscht, dann artet das Ganze auch nicht in Gewalt aus.
Das Konzept "Gut versus Böse" funktioniert jedoch ganz anders. Da meint eine Seite, die alleinglückselige Wahrheit gefunden zum haben sowie das Wissen, was denn das absolute Gute sei. Und in der Praxis wird das "Gute" als derart heilig angesehen, dass der Zweck die Mittel heiligt. In einem ersten Stadium wird versucht, den Gegner moralisch zu diskreditieren und zu dämonisieren. Dies führt dann aber dazu, dass man die andere Seite als moralisch verkommene Leute betrachtet, denen man nur mit Belehrungen und Vorwürfen kommen kann. In einem nächsten Schritt wird dann der anderen Seite vielleicht sogar abgesprochen, dass es sich bei ihnen um Menschen handelt. Dann aber sind der Gewalt gegenüber den "Bösen" keine Grenzen mehr gesetzt. Anstatt Kompromisse zu finden auf der Basis eines "Leben und leben lassen", geht es nur noch darum, die "Bösen" von der Erde auszumerzen. Und genau diese Einstellung führt dann zu Mord und Totschlag.
Beim Konzept "Gut versus Böse" gibt es folglich ebenfalls keine objektiven moralischen Urteile. Aber man versucht, die andere Seite eines Konfliktes zu einem toten Objekt zu machen. Wenn dagegen ein Konflikt zugelassen und zivilisiert ausgetragen wird, kann das vielleicht sogar das Gemeinschaftsgefühl zwischen zwei Parteien stärken.