Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

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space
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Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von space »

Letzten Freitag trafen sich Jordan Peterson und Slavoj Žižek zur Debatte zum Thema "Happieness: Capitalism vs. Marxism". Im Vorfeld wurde es von einigen Medien als Duell des Jahrhunderts bezeichnet und galt als Nachfolger der berühmten öffentlichen Debatte zwischen Foucault und Chomsky, die damals über 'menschliche Natur' sprachen.
Auf der einen Seite Zizek, verschrobener Star irgendwie linker Theorie mit Schwerpunkt auf Psychoanalyse, Kritik der Postmoderne und popkulturelle Referenzen. Auf der anderen Seite Peterson, Psychologe und starke Bezugsperson für Konservative inbesondere in den USA. Verteidiger der bestehenden Wirtschaftsordnung und Gesellschaftsstrukturen mit besonderem Lieblingsziel der Identitätspolitik.

Da ich natürlich sowohl politisch als auch philosophisch und popkulturell interessiert bin und zugegebenermaßen etwas voyeuristisch getrieben war, habe ich mir das angeschaut und es war wie zu erwarten furchtbar. Peterson hat sich als absolutes Leichtgewicht geoutet, der kurz vorher das kommunistische Manifest gelesen hatte, um es dann anhand falsch verstandener Axiome entsprechend falsch zu kritisieren und sonst nur auf dem inhaltsleeren Kampfbegriff des Kulturmarxismus herumzureiten, während Zizek wie gewohnt vor sich hingeschwurbelt hat, den Glückbegriff etwas dekonstruiert und sich sonst wie immer auf postmoderne Ideologie versteift hat. Beide fraternisieren natürlich bei allem, was auch nur irgendwie nach Identitätspolitik und vermeintliche politically correctness riecht, so war das ganze insgesamt nur ein inhaltsleeren Spektakel. Aber beide konnten sich übereinander profilieren, also war das Ziel wohl erreicht.

Interessanter ist aber folgendes und das ist immer wieder zu beobachten. Dem Kapitalismus fehlt immer noch der entsprechende theoretische Output und intellektuelle Kontextualisierung. Solche Debatten werden für den Part der Kapitalismusverteidiger in den meisten Fällen furchtbar ausgehen, weil sie erstens in den meisten Fällen keinerlei Ahnung vom Marxismus haben, und diesen nur höchstens vulgär kritisieren können und zweitens auch kaum Ahnung vom Kapitalismus haben, weil diesem eben ein tiefgehendes eigenes theoretisches Fundament* fehlt und obendrein auch noch maßgeblich und am effektivsten von denen analysiert wird, die auf der anderen Seite der Debatte stehen.

Hat sonst noch jemand die Debatte gesehen, oder hat einen Erklärungsversuch für die Theoriearmut kapitalistischer Ideologie?



*Natürlich gibt es Leute wie Weber, Rothbard, Friedman, Rand oder Fukoyama, aber gemessen am Einfluss und Ausprägung der vorherrschenden Wirtschaftsordnung ist die Quantität und teilweise auch die Qualität eben etwas dünn.


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imp
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von imp »

Zizek ist meiner Meinung nach ein substanzloser Entertainer, der zur real erlebbaren Welt nichts wichtiges zu sagen hat. Ich hätte mir das Gespräch nicht angesehen.

Was den Ismus angeht, da ist den wenigsten gegeben, so verständlich und nachvollziehbar zu argumentieren, dass sie nicht bloß vorfindliche Anhänger beglücken.
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Woppadaq
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von Woppadaq »

space hat geschrieben:(22 Apr 2019, 16:46)

Hat sonst noch jemand die Debatte gesehen, oder hat einen Erklärungsversuch für die Theoriearmut kapitalistischer Ideologie?
Ich hab die Debatte nicht gesehen, kannte die beiden auch nicht, hätte aber voraussagen können, dass es so endet.

Für die Theoriearmut kapitalistischer Ideologie gibt es einen einfachen Grund: Kapitalismus ist keine Ideologie. Es ist das von Marx in seinem "Kapital" erklärte Modell, welches der Kommunismus überwinden soll. Kapitalisten sind irgendwas zwischen "Marx hat das zu eng gesehen", "Marx hatte zwar Recht, aber es ist besser, wenn wir alles so lassen, wie es ist" bis hin zur faschistischen Ideologie "alles, was Marx gesagt hat, ist Gift für die Gesellschaft, es sollen nur die Stärksten überleben". Wenn wir von "Kapitalisten" reden, meinen wir Männer mit Geld, die auch nur Geld im Kopf und es am liebsten haben, wenn es für sie keine Gesetze gibt. Ideologien sind ihnen zu unflexibel. Sie unterstützen, was ihnen nützt. Wenns sein muss, auch Kommunisten.

Jeder, der sich offen ideologisch als "Kapitalist" outet, ist im Grunde ein Faschist - und erwartungsgemäss nicht sehr helle. Spielt seit Trump und Brexit nur irgendwie keine Rolle mehr. Es ist, als ob dumm sein und sich vorführen lassen neuerdings irre hip ist.
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BlueMonday
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von BlueMonday »

space hat geschrieben:(22 Apr 2019, 16:46)

Interessanter ist aber folgendes und das ist immer wieder zu beobachten. Dem Kapitalismus fehlt immer noch der entsprechende theoretische Output und intellektuelle Kontextualisierung. Solche Debatten werden für den Part der Kapitalismusverteidiger in den meisten Fällen furchtbar ausgehen, weil sie erstens in den meisten Fällen keinerlei Ahnung vom Marxismus haben, und diesen nur höchstens vulgär kritisieren können und zweitens auch kaum Ahnung vom Kapitalismus haben, weil diesem eben ein tiefgehendes eigenes theoretisches Fundament* fehlt und obendrein auch noch maßgeblich und am effektivsten von denen analysiert wird, die auf der anderen Seite der Debatte stehen.
Oh je. Da haben anscheinend manche noch nix von Menger, Böhm-Bawerk, Mises, Rothbard, Hayek, Block, Lachmann, D. Friedman, Caplan, Reisman, Hoppe, Hülsmann, Murphy, Blankertz, Taghizadegan (nur mal ein paar Namen aus dem Stegreif) gehört. Also erst mal die Hausaufgaben machen, ehe man da irgendein Fehlen einer theoretischen Basis moniert.

Wieso lädt man da auch irgendeinen Nichtökonomen ein? Wer soll das sein? Was qualifiziert diesen Herrn überhaupt zu diesem Thema zu sprechen?
Nun ist das ganze Thema ja längst über Jahrzehnte ausgefochten worden. Viele Bücher und Artikel wurden geschrieben. Im Grunde gibt es keinen Anlass, so zu tun als ob das eine neue Auseinandersetzung wäre. Die Schlacht ist längst geschlagen und entschieden, nicht nur auf theoretischer Ebene.
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von space »

BlueMonday hat geschrieben:(22 Apr 2019, 22:31)

Oh je. Da haben anscheinend manche noch nix von Menger, Böhm-Bawerk, Mises, Rothbard, Hayek, Block, Lachmann, D. Friedman, Caplan, Reisman, Hoppe, Hülsmann, Murphy, Blankertz, Taghizadegan (nur mal ein paar Namen aus dem Stegreif) gehört. Also erst mal die Hausaufgaben machen, ehe man da irgendein Fehlen einer theoretischen Basis moniert.

Wieso lädt man da auch irgendeinen Nichtökonomen ein? Wer soll das sein? Was qualifiziert diesen Herrn überhaupt zu diesem Thema zu sprechen?
Nun ist das ganze Thema ja längst über Jahrzehnte ausgefochten worden. Viele Bücher und Artikel wurden geschrieben. Im Grunde gibt es keinen Anlass, so zu tun als ob das eine neue Auseinandersetzung wäre. Die Schlacht ist längst geschlagen und entschieden, nicht nur auf theoretischer Ebene.
Es war klar, dass sich jemand meldet und noch fünf Namen hinzufügt. Natürlich hab ich ein paar vergessen wie Murphy, Mises und Hayek und ein paar die du aufgezählt hast, kannte ich natürlich auch nicht und ich habe nie behauptet, es gäbe da niemanden, aber es ist doch schwer zu leugnen, dass es einfach gerade im Gegensatz zu marxistischer Literatur unverhältnismäßig wenig kapitalistische u.Ä Literatur gibt und sich eben die marxistische Literatur auch noch schwerpunktmäßig mit dem Kapitalismus beschäftigt.

Und natürlich ist es keine neue Auseinandersetzung, aber es ist auch nicht zwangsläufig so, dass das Ende der Geschichte tatsächlich erreicht ist.
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BlueMonday
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von BlueMonday »

space hat geschrieben:(22 Apr 2019, 22:55)

Es war klar, dass sich jemand meldet und noch fünf Namen hinzufügt. Natürlich hab ich ein paar vergessen wie Murphy, Mises und Hayek und ein paar die du aufgezählt hast, kannte ich natürlich auch nicht und ich habe nie behauptet, es gäbe da niemanden, aber es ist doch schwer zu leugnen, dass es einfach gerade im Gegensatz zu marxistischer Literatur unverhältnismäßig wenig kapitalistische u.Ä Literatur gibt und sich eben die marxistische Literatur auch noch schwerpunktmäßig mit dem Kapitalismus beschäftigt.

Und natürlich ist es keine neue Auseinandersetzung, aber es ist auch nicht zwangsläufig so, dass das Ende der Geschichte tatsächlich erreicht ist.
Also ist dir das nicht zu blöde, die Waage rauszuholen und alle Bücher und Schriften quantitativ aufzuwiegen.
Na gut, da hat ja schon der gute Marx sich über sein "Gefolge" ausgelassen und entsprechend für manche einfachen Geister beeindruckendes "Volumen" geliefert ("da die deutschen Hunde den Wert der Bücher nach dem Kubikinhalt schätzen").

Es gibt natürlich massenhaft nichtmarxistische "Kapitalismus"-Analyse. Nennt sich dann freilich meist anders, Kapitaltheorie etc.
Der Marxismus selbst ist doch praktisch in der Klassik kleben geblieben. Hat die subjektiven Wertlehre nicht mehr mitbekommen. Nach 1870 ("marginalistische Revolution") folgte ein Ozean an ökonomischer nicht-marxistischer Literatur. Damit ging die moderne Ökonomik ja erst los. Aber ich hole die Waage, wie gesagt, nicht hervor...
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Oliver Krieger
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von Oliver Krieger »

Woppadaq hat geschrieben: Montag 22. April 2019, 21:57 Jeder, der sich offen ideologisch als "Kapitalist" outet, ist im Grunde ein Faschist - und erwartungsgemäss nicht sehr helle. Spielt seit Trump und Brexit nur irgendwie keine Rolle mehr. Es ist, als ob dumm sein und sich vorführen lassen neuerdings irre hip ist.
Wie outet man sich "ideologisch" als Kapitalist ?

Es gibt eigentlich nur noch den Kapitalismus. China wird dem Namen nach von Kommunisten diktiert, die sich selbst mittlerweile aber lieber das Prädikat "sozialistisch" hinzufügen, aber einen Staatskapitalismus praktizieren, der meiner Meinung nach beinahe hyperkapitalistisch ist.

Gerade den Faschismus gab es auch in Staaten, die alles andere sein wollten als kapitalistisch, darum ist die Reduktion des Faschismus auf den Kapitalismus alles andere als selbstverständlich.

Es gibt Wissenschaftler, die noch jede wissenschaftliche Theorie als Ideologie abtun, doch so weit würde ich nicht gehen, es braucht für die Ideologie eine Indifferenz gegenüber der bestehenden, und der möglichen Wirklichkeit, und eine Verblendung gegenüber dem Bezweckten, sowie ein Primat der Praxis. Der Kapitalismus ist daher eher nicht mit einer Ideologie, die nicht fundierte Urteile, Heil- und Erlösungsvorstellungen, und Machenssätze beinhaltet, vergleichbar.
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H2O
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von H2O »

Oliver Krieger hat geschrieben: Sonntag 10. März 2024, 11:52 (...)
...China wird dem Namen nach von Kommunisten diktiert, die sich selbst mittlerweile aber lieber das Prädikat "sozialistisch" hinzufügen, aber einen Staatskapitalismus praktizieren, der meiner Meinung nach beinahe hyperkapitalistisch ist.
(...)
Ja, das kann man wohl so sehen! Ich meine, daß in China das persönliche Gewinnstreben in den Vordergrund gerückt ist, was sich in der Zahl der Milliardäre und der Mitglieder der Mittelklasse ausdrückt... und der höhere Ruhm des Reichs der Mitte, dem sich alle Bewohner des Reichs unterzuordnen haben. Kommt mir ziemlich bekannt vor!
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Frank_Stein
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Re: Žižek vs Peterson: Marxismus vs Kapitalismus. Eine Jahrhundert-Debatte?

Beitrag von Frank_Stein »

space hat geschrieben: Montag 22. April 2019, 16:46
Interessanter ist aber folgendes und das ist immer wieder zu beobachten. Dem Kapitalismus fehlt immer noch der entsprechende theoretische Output und intellektuelle Kontextualisierung. Solche Debatten werden für den Part der Kapitalismusverteidiger in den meisten Fällen furchtbar ausgehen, weil sie erstens in den meisten Fällen keinerlei Ahnung vom Marxismus haben, und diesen nur höchstens vulgär kritisieren können und zweitens auch kaum Ahnung vom Kapitalismus haben, weil diesem eben ein tiefgehendes eigenes theoretisches Fundament* fehlt und obendrein auch noch maßgeblich und am effektivsten von denen analysiert wird, die auf der anderen Seite der Debatte stehen.
Ich hatte mich ja lange mit der Evolutionstheorie beschäftigt. Entwicklung durch Anpassung an Umweltgegebenheiten und wem es am besten gelingt, die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen, wird erfolgreich sein und sich fortpflanzen.
Dieses Konzept lässt sich sehr gut auf den Kapitalismus übertragen und daher ist der Kapitalismus auch sehr anpassungsfähig. Gewinn macht, wem es gelingt, die Ressourcen besonders effizient zu nutzen bzw. dem Markt etwas zu bieten, wonach verlangt wird.

Marx hingegen versucht zu erklären, warum die Kapitalismus nicht funktioniert bzw. nicht funktionieren kann, etwa so, wie ein Physiker versucht einer Hummel einzureden, dass sie gar nicht die physikalischen Eigenschaften hat, von der Erde abzuheben und zu fliegen.
Bisher sind alle Versuche, den Marxismus in die reale Welt zu transportieren, gescheitert. Der Kapitalismus und die Marktwirtschaft hingegen sind quicklebendig und vor allem extrem wandlungsfähig.

Aber zu den Grundlagen. Das Geschäft bzw. warum ein Geschäft stattfindet.
Theorie des Außenhandels mit komparativen Vorteilen.
Informationsasymmetrie (Zitronenmodell), Prinzipal-Agent-Theorie. Das Problem der öffentlichen Güter und Externe Effekte. Dann das Thema Wechselkurse und Außenwirtschaftliches Gleichgewicht. ... überhaupt das Thema Spieltheorie.
... oder in welchem Abstand Unternehmen entstehen in Abhängigkeit der Transportkosten (Launhardtsche Trichter).

Es gibt viele Teilbereiche, die zu untersuchen lohnt, denn natürlich haben wir keinen vollkommenen Markt.
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.
It is not racism, but pattern recognition.
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