Progressiver hat geschrieben: ↑Dienstag 11. April 2017, 22:33
1. Inwieweit hat er Recht oder Unrecht? (Kennt überhaupt jemand dieses Zitat?)
2. Wie kann man in akademischen Kreisen derart zu Lebzeiten geehrt werden, wenn die Studenten einem in Scharen davon laufen und die Nachwelt einen danach fast vergisst? Worin begründet sich also der Ruhm des Zitats oder des Philosophen?
1. Er hat Unrecht. Die Philosophie seit Platon ist keine schiere Fußnote, die an dessen Werken baumelt.
Der höchste Zweck der Philosophie ist die Formulierung von allgemeinen und wahren Aussagen, die für die Menschheit seit jeher, und für die Zukunft wichtig und richtig sind. Dieser Zweck ist vordergründig identisch mit den Zwecken der Natur- und Geisteswissenschaften, hintergründig führt er die Menschheit zu dem, was beide voneinander trennt, denn wir begreifen über die Nachrangigkeit der Lebenswirklichkeit Platons, und der Vorrangigkeit unserer persönlichen Lebenswirklichkeit, was sich seitdem in einer solchen Weise verändert hat, dass Platons Aussagen hierdurch unwesentlich werden :
Aussagen über die Menschheit, ihre Bedingungen und Natur, ihre Zustände, ihre Verhältnisse, ihre Position innerhalb und Beziehung zur Wirklichkeit.
Über die Philosophie Platons, und über die persönliche, soziale und politische Wirklichkeit zu seiner Lebenszeit, und an seinem Lebensort, kann ausgesagt werden, dass sie nicht der Urzustand ist, aus dem sich alles, was heutigentags auf der Erde wiederfindet, ergeben hat. Wäre dem so, wir sprächen noch immer Griechisch, und hätten das Christentum noch immer nicht angenommen, und wir hätten auch keinerlei moderne Begriffe schaffen müssen, weil sie einfach nicht notwendig gewesen wären.
Doch so ist es nicht. Die Lebenswirklichkeit der Menschen ist zivilisierter, komplexer, und unvorhersehbarer geworden, sie hat sich in vieler Hinsicht von den Aufgaben und Problemen, mit denen sich Platon befasste, abgewandt. Wenngleich vieles von dem, was Platon schrieb, noch heute als "wahr" aufgefasst werden kann, so fehlt meistenteils einfach Platons Relevanz und das, was zwischen uns und ihm liegt.
Platon idealisierte eine geschlossene Stammesgesellschaft, eine solche, die den Volksbegriff erfordert. Popper hielt diesem Modell die offene Gesellschaft entgegen, eben die, welche sich neuerdings entwickeln konnte, weil es Freiheitsmaße und zugleich Notwendigkeiten gibt, die vordem ungekannt waren.
Liest man viele seiner Werke, so fällt an diesen Platons Hang auf, Geschichten zu erzählen. Atlantis ist nur die von allen bestgekannte. Es ergibt sich demnach eine Herausforderung für die, die Platon interpretieren, und ihm zugleich eine moderne Relevanz verleihen wollen, die mit der der Bibelexegetik vergleichbar ist.
Allein, weil Klassiker keine Antworten auf die Komplexität und Verhältnisse der Gegenwart liefern, sondern nur eine Erklärung ihres Ursprungs liefern, entsteht eine Spannung und bisweilen Widersprüchlichkeit, die nur über den Rekurs zur brachialen Vereinfachung der Wirklichkeit aufgelöst werden können - und darum besser nicht aufgelöst werden sollten.
Philosophie bedeutet nicht die Möglichkeit einer Vereinfachung alles Komplexen. Als Liebe zur Wissenschaft, muss sie all ihre Disziplinen, Denkweisen, ihre Schnittstellen und Unvereinbarkeiten, ihre paradigmatischen Krisen, ihre Begriffe und Gesetze meinen. Vor diesen aber ist Platon nicht mehr wesentlich, sondern allenfalls Vordenker, und Vorbereiter.
Weder ist die Frage danach, was Universalien sind, von vorrangiger philosophischer Wertigkeit für heutige Diskurse, noch würde die Antwort hierauf einen problematischen Konflikt zerstrittener Philosophen in einer Weise lösen, dass man hernach schließen könnte mit der Erkenntnis, das Ei des Kolumbus - und eine neue Welt - gefunden zu haben.
Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet :
1. Warum blieb Platon in vielen Dingen so allgemein, und dunkel, und unausführlich, und was hat Platon eigentlich gemeint ?
2. Was würde Platon eigentlich gemeint und geschrieben haben, wüsste er, was seitdem alles geschehen ist, und wüsste er, welche Fragen die Nachwelt an ihn gerichtet hätte ?
3. Würde sich Platon gegen seine Instrumentalisierung - also gegen seine Zitierung und Anführung, zur Bekräftigung und Herleitung politischer Argumente - gewehrt haben ?
4. Mit welchem Recht hält man Platon noch heute für maßgeblich, und den Gang der Geschichte der Menschheit seit Platon bis zum heutigen Tag für demgegenüber nachrangig ?
Als Vorbereitung auf die Philosophie, sind Platon und auch Immanuel Kant hervorragend geeignet. Beider Plätze in den Philosophiekursen und -seminaren sind verdient. Als Vollendung oder Wesensinhalt der Philosophie, kann man weder den einen, noch den anderen verstehen.
Die Möglichkeit, einen sehr allgemeinen Satz der Vordenker in mannigfacher Weise interpretieren zu können, bedeutet nicht, dass der Urheber dieses Satzes mit allen Interpretationen übereinstimmt, noch gar, diese vorausgesehen hat, es bedeutet lediglich, sowohl durch die Notwendigkeit der Wirklichkeit, als auch durch den Fortschritt des Denkens, Licht in ein Dunkel zu bringen.
2. Man kann einfach so geehrt werden, doch diese Ehrung ist zweitrangig. Derlei geschieht vergleichsweise oft. Der akademische Betrieb ehrt seine Klassiker, seine Fakultäten, und seine Studenten. Die Gesellschaft tut ein Übriges, und nicht immer stimmen beide in ihren Werturteilen überein.
Aus den Schuhen der anderen herauszuwachsen, ist ein Prozess, den nur die durchleiden, die gezwungen sind, in diesen umherzulaufen, und begreifen müssen, dass dieses Unterfangen problematisch ist. Man kann also urteilen, dass Whitehead einfach noch nicht den Schuhen Platons entwachsen ist.