Beitragvon Agesilaos Megas » Mi 19. Dez 2018, 01:23
Als ich im letzten Jahr in der chinesischen Botschaft in Berlin war, habe ich mir ein Propagandabüchlein mitgenommen, einen langen, pseudowissenschaftlichen und natürlich propagandistischen Traktat über Chinas "legitime" Ansprüche auf seine Nachbarn und ihre Gewässer: Das südchin. Meer. Dort wird auch eine bemerkenswerte Rede von Xi übersetzt: China werde eine neue Macht sein; als Großmacht bedürfe es aber einer starken Marine, das haben die europäischen Mächte gezeigt; Chinas Überleben hänge vom Wasser ab; die Kriegsmarine sei die Hoffnung; China erwarte ein Platz an der Sonne.
Der Navalismus ist in China kein Anachronismus. Die Zeiten der pragmatisch-zurückhaltenden Politik sind vorbei. Mit Xi tritt Ideologie in den Vordergrund - und Radikalität. Eine Weltmission wächst in den Köpfen.
Die Gesellschaft ist am Scheideweg: Chinas Aufschwung und Entwicklung ist der Übernahme neoliberaler Ideen geschuldet - Neoliberalismus zeigt sich in autoritären Regimen als besonders effektiv. Die ungebildete Landbevölkerung wird massiv ausgebeutet und produziert den Wohlstand der Städte. Die Städte selbst werden immer attraktiver - und unbezahlbar. Die Wirtschaft hängt einerseits von Massenproduktion, andererseits Massenexport ab - der Staat hilft gelegentlich nach, den Wert des RMB zu verringern. Es muss also immer mehr und immer billiger produziert werden. Diese Strategie stößt aber an ihre Grenzen: Preise steigen mit dem Wohlstand, es wird zu viel produziert. Fabriken sterben, der Mittelstand schrumpft, die soziale Schere ist wieder da.
In dieser Lage wächst ein Gerücht, es geht ein Gespenst in der KP um: "nationale Einheit". Überall ist sie, die Angst vor Aufständen, Revolten, Widerworten. Gut, China hat da eine gewisse Tradition. Xi, einerseits clever, andererseits nicht sehr gebildet, arbeitet gerade an einer neuen nationalen Saga, einer großen Ablenkung von den inneren Streitereien mit der Bevölkerung und dem Reformflügel der KP: Die bösen Westmächte haben das einst stolze zhong guo ins Unglück gestürzt und ausgebeutet. Xi führt China wieder nach vorn: Der alte Glanz des Kaiserreichs (sic!), vom Westen unterbrochen, wird wieder auferstehen; China bringe Wohlstand und Entwicklung, wenn es führe; unter Chinas Führung werde sich Afrika und die Entwicklungsländer der Welt "entwickeln". Von Piräus bis nach Nairobi.
Dieser alte Wein in neuen Schläuchen zeigt sich überall. Das südchin. Meer sei schon ein kaiserliches Protektorat gewesen. Die Seidenstraße wird ideologisch neu aufgelegt. In den Medien werden nicht mehr nur Japaner ermordet, sondern Qin reitet heroisch herum und tötet irgendjemanden. Zum Neujahr wird weitermarschiert. Diesmal auf einem Flugzeugträger. Wird Xi bald ein neuer Huangdi?
Xi sichert sich gerade seine Macht auf Lebzeiten. Mit Korruptionsgesetzen verschwindet ein Widersacher nach dem anderen. Immer öfter werden Ausländer entführt, die es wagen, über ihn böse zu reden. Doch wie kann er auf Lebzeiten regieren? Wie will er die inneren Probleme des Landes auf Dauer befrieden? Expandieren. Ökonomisch. Seidenstraße. Häfen besitzen. Autobahnen nach Europa bauen. Neue Märkte. Infrastruktur. Innere Märkte. Überproduktion irgendwohin lenken. Militärisch. Flugzeugträger, Uboote, Luftwaffe. Japan, Korea, Vietnam, Philippinen, USA - alle verdrängen. Alle Handelswege kontrollieren. Militärbasen aufbauen. In Kriegen ordentlich mitmischen. Meere besitzen. China vereinen wie die die Kaiser. Ideologisch. Stolz. Pracht. Prunk. Diese westlichen Würdenträger müssen bei Xi antreten. China leiht gönnerhaft Geld. Kauft alles auf. Bald hört alles auf China.
Große Pläne, wolkige Schlösser. Großer Dünnpfiff. Allerdings gefährlich. Wie immer, wenn idiotische Ideologien die Vernunft ersetzen...
A Radical is a man with both feet firmly planted - in the air.