schokoschendrezki hat geschrieben: ↑Dienstag 13. Mai 2025, 15:19
Das sind alles kluge Ansätze.
Aber erstens: Wir sitzen in Deutschland nicht "alle in einem Boot". Das wäre ja noch schöner!
Es gibt eine erhebliche Menge von Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft,
mit denen ich unter keinen Umständen in einem Boot sitzen möchte. Eher springe ich ins Wasser.
Und dann: Wofür soll eine "Identifikation mit der deutschen Gesellschaft" gut sein?
Der Rechtsstaat muss akzeptiert werden. Darauf kommts an.
Wir haben ja gerade den 80. Jahrestag des Kriegsendes bzw. der Befreiung vom NS-Staat.
Thomas Mann hat treffenderweise aus dem amerikanischen Exil kurz vor Kriegsende
(sinngemäß) geschrieben: Ihr Deutschen wolltet doch gar nicht "befreit" werden.
Bis zum Ende nicht.
Dass der Rechtsstaat - nur - akzeptiert werden muss, ist eine Forderung der Autoritären. Nur die Autokraten gehen noch weiter, und fordern dass man sie persönlich befolgt. Das Dritte Reich hat uns gezeigt, dass es einer Gesellschaft noch leichter fällt, sich nur mit Personen zu identifizieren.
Dass der Rechtsstaat abgelehnt werden kann, weiss man nur, wenn man auch darüber nachdenkt, welchen Sinn Gesetze haben. Hier sind die Extremisten stehen geblieben, die heute nach Verfassungsänderungen oder Neufassungen verlangen. Für einen mündigen, und vernünftigen Staatsbürger braucht es ein bischen mehr als das, was ich gerade beschrieben habe. Was Rechte sind, und wie man sie auslegen kann, weiss nur, wer den Rechtsstaat auch versteht. Genau an diesem Punkt befinden wir uns gerade.
Eine Identifikation mit der Gesellschaft leistet genau dieses Verständnis der Rechte, und der Möglichkeiten, sie anzuwenden, aber auch der Gefahren, sie auszunutzen.
Extremisten aller Lager drängen darauf bestimmte Gesetze zu ändern, weil man dort nicht nur andere Interessen, sondern auch andere Werte hat.
In den Gesetzen steht eben nicht "Die AfD darf nicht verboten werden". Akzeptiere mal ein Gesetz das ausgelegt werden muss, ohne dich mit den Prinzipien zu identifizieren, die zu diesem Gesetz führten, denn das bedeutet nichts ausser dem Rest Möglichkeit, die ein Gesetz lässt.
Darüber hinaus ist es nur natürlich, dass man eine Gesellschaft, die durch ihre Gesetze Freiheiten schafft, die man selbst genießen kann, auch liebt. Hannah Arendt, wenn sie kein Volk liebt, beschreibt eine persönliche Situation - hätten die Deutschen der Weimarer Republik sich mehr mit demokratischen Prinzipen und Tugenden auseinandergesetzt, sich mehr mit diesen, und mit einer Gesellschaft identifiziert, die es nicht verdient gehabt hätte, millionenfach in KZs und an der Front zu krepieren, dann wäre es nie zum Hitlerismus gekommen.
Du hebst auf den Personenstand im Dritten Reich ab, der dies nicht schaffte, ich auf den Menschen per se, der es schaffen kann.
Ich bin kein Freund dieser Formel, aber wen hat denn die Merkel gemeint, als sie sagte "Wir schaffen das" ? Die Gruppe zufällig durch Geburt Deutsch Sprechender ? Die CDU ? Sie hat dich gemeint, und mich auch.
Man muss eben nicht nur die Gesetze akzeptieren, sondern auch darüber nachdenken, was zu ihnen führt.
Das Resultat ist besserenfalls kein Volksdenken, sondern ein positiver, konstruktiver Patriotismus - das Gefühl, dass man auch durch die Gesetzgebung repräsentiert wird, und als Mensch mit demokratischen
Rechten gewürdigt wurde. Weder ich, noch mein Freundes- und Bekanntenkreis haben Deutschland geschaffen, oder zerstört. Wir sind Teil eines Ganzen.
Repräsentation schließlich ist nur mittels Identifikation möglich. Versuche mal, irgendwen zu repräsentieren, ohne dich auch mit diesem Menschen graduell zu identifizieren. Politiker sind mehr als nur Anwälte ihrer Wählerschaft - und selbst Anwälte sind ganz ohne Empathie denkbar schlecht.
Ich selbst, mit all meiner Freundschaft zu diesem und jenem, komme kaum über die Banalität des Bösen hinweg, wenn ich sie als einen durch Gesetze nicht erfassbaren, durch eine Verfassung ungemeinten Gegenstand verstehe. Sobald ich dies aber doch tun kann, habe ich auch allen Anlass, eine Verfassung für das zu lieben, was sie darstellt - und mich mit ihr zu identifizieren.
schokoschendrezki hat geschrieben: ↑Dienstag 13. Mai 2025, 15:19
Die Deutschen haben es nicht fertiggebracht, die Ermordung von 6 Millionen Juden und
dann im Weltrkieg nochmal den Tod von 60 Millionen weiterer Menschen zu verhindern.
Die Deutschen haben eine ganze Reihe von Genoziden entweder in Eigenregie durchgeführt, oder mitverursacht, hierunter Porajmos, Sürme, und Hererozid. Aber die Deutschen haben auch an zwei Punkten ihrer Geschichte kapiert, dass Demokratie gut und richtig ist.
Selbstverständlich komme ich dir daher mit "deutscher Kultur", weil der Begriff, so einfach wie er scheint, keinesfalls ist, und weil er wichtig ist trotz allem.
Es widerspricht jeder Logik, dass man einerseits Dinge wie "deutsche Kultur" ignoriert oder defätiert, zugleich aber die Kulturen der anderen Gesellschaften akzeptiert. Hierin steckt so eine Art "ewiges Büßertum", das im schlimmsten Fall noch den Schein exklusiven persönlichen Begriffes erlangt.
Wir Deutschen müssen damit leben, dass die Rede von der "Kultur" in Deutschland, wie während des Kolonialismus, von Überlegenheitsdenken, Nazismus, und Rassismus geprägt war, und wir haben eine Verantwortung, über diesen Zustand hinweg zu gelangen, und ihn zu verhindern, das gelingt nur durch - du errätst es - Kultur.
Es gibt ein letztes Argument gegen deinen Kulturdefätismus. Wenn die AfD stärker wird, und bis dahin der Begriff deutscher Kultur aus anti-hitleristischem Affekt vom Tisch gefegt wurde, dann wird derselbe Begriff erneut durch die Rechte missbraucht werden.
Wenn es allerdings eine deutsche Gesellschaft gibt, die mit diesem Begriff richtig umgeht, dann gibt es ihn trotzdem, doch derlei ist nicht machbar, wenn man ihn für die Deutschen radikal in Frage stellt.
Wie ich schon sagte, man kann die AfD auch unwillentlich und unbewusst stärker machen, als sie ist. Verleugnet man das Vorliegen von Kultur für die Deutschen, dann tut man genau das.