Freki » Fr 16. Jan 2015, 18:25 hat geschrieben:
Eben.
Da haben wir ja schon einen weiteren Kardinalfehler: Du gehst von Dir aus. Selbstbezüglichkeit ist das Todesurteil für jegliche objektive Beurteilung. Mit Verlaub, aber ich hätte nicht gedacht, daß Dir das nicht klar ist...
Dem anderen die Gabe zur objektiven Reflexion abzusprechen ist keine gute Basis für Diskussionen
Den Fehler kannst du mir außerdem nicht unterstellen. Das, was du als Grundlage für deine Betrachtung heranziehst, ist ebenso wenig objektiv, wie es mein persönliches Urteil ist. Deine Vorstellung einer funktionierenden, eben nicht kalten Gesellschaft ist nicht etwa fix, sondern steht zur Disposition. Ebenso wenig ist mein egozentrischer Gesichtspunkt falsch - wir haben einfach unterschiedliche Theorien darüber, wie sich erfolgreiche (Und jetzt sind wir bei dir - erfolgreich im Sinne von warm, herzlich, ellbogenfrei) Gesellschaften bilden und halten. Wenn wir denn schon beim Differenzieren von Ossies und Wessies sind, dann bin ich so frei zu sagen, dass du als Ossie eventuell einfach mehr Gefallen an starken Strukturen und Leitsätzen findest als ich es tue.
Man brauch das Ganze generell nicht komplexer machen als es ist. Ich begegne jedem Menschen gleich. Entweder sagt er mir zu oder nicht. Wenn nicht, dann gehe ich ihm aus dem Weg. Mit den Menschen, die mir zusagen, tue ich mich automatisch zusammen. An diesem Punkt divergieren wir - du würdest gerne von den Personen einfordern, dass sie mal ein wenig Bereitschaft zum Umdenken mitbringen, weil du deinen Weg irgendwo für praktikabler und sozialer hältst. Ich tue das nicht. Nach meiner Auffassung weiß jeder für sich am besten, was ihn glücklich macht. Und weiter muss er nicht blicken, so lange er die Freiheit und die Unversehrtheit der Anderen beachtet.
Freki » Fr 16. Jan 2015, 18:25 hat geschrieben:Das reicht nicht: Es gibt die offiziellen, niedergeschriebenen Gesetze, und es gibt die unausgesprochenen Regeln, die das Zusammenleben auf engstem Raum erst geschmeidig machen. Assimilierung ist das Ziel, Integration der Weg. Wie sowas umgesetzt wird, ist noch mal ne ganz andere Frage.
Ok, übertragen wir mal meine obigen Ausführungen auf dieses Beispiel. Ein Personenkreis A migriert in eine Gesellschaft B. A und B haben unterschiedliche Gepflogenheiten und Denkweisen. A sieht einige seiner Positionen als besser an als die der Gruppe B, in die er migriert ist. Natürlich könnte es das Zusammenleben geschmeidiger machen, wenn entweder B oder A sich jeweils in ihren Positionen annähern würden. Kann man dies von einer der beiden Personengruppen erwarten?
Nein. Weder kann Gesellschaft B Forderungen abseits der Anerkennung der geltenden Gesetze an Gruppe A richten, noch kann A von B erwarten sich den eigenen Gepflogenheiten offen gegenüber zu zeigen.
Logisch betrachtet ist der Sachverhalt noch viel einfacher: Wenn Gruppe B ihre Gewohnheiten nicht überdenkt und in Annäherung an A ändert, dann scheint der erreichbare Geschmeidigkeitsgewinn kein ausreichender Anreiz zu sein, um den eigenen Lebensstil zu ändern.
Auch hier wieder dasselbe Spiel, was im nächsten Punkt angesprochen wird: Entweder du pathologisierst die Leute und sprichst ihnen die Fähigkeit ab für sich selbst zu erkennen, was gut für sie ist und was sie glücklich macht, oder du erkennst, dass sie mit ihrem Weg zufrieden sind.
Nochmal rückgreifend bezüglich des Punktes ich wäre ego-fixiert (oppositionell zu deinem objektiven Blick für das gesamtgesellschaftliche Ganze): Du willst auf ggf. vorhandene Möglichkeiten zur Optimierung des gesellschaftlichen Miteinanders hinweisen und hast vage Vorstellungen davon, was man kritisieren und ändern könnte. Der Fehler, der dir unterläuft, ist aber, dass du dies zu etwas erhöhen willst, was den Bereich einer Meinungsfrage (ich wage sogar Geschmacksfrage zu sagen) überschreitet. Mehr ist es aber nicht. Dementsprechend halte ich es für vermessen, den "Wessies" hier bezüglich ihrer Lebensweise eine Kälte zuzusprechen, nur weil sie dir selbst nicht zusagt. Auch wenn du mir daraus wieder einen Strick bezüglich der Objektivität drehst - ich persönlich würde zum Beispiel an konservativen Gesellschaften mit starker Rolle der Familie kritisieren, dass das Modell "Familie" an sich starken Überholungsbedarf hat. Der einzige Unterschied zum freiheitlichen Modell ist der, dass ich auf mich selbst Zwänge in der Form ausübe, als das ich mir suggeriere, ich müsse diesen Verband entgegen aller negativen Eigenschaften (die sehr mannigfaltig sein können) die ich vielleicht in ihm sehe, aufrechterhalten muss. Ohne diese konservative Prägung habe ich immer noch genau so die Möglichkeit mich mit so vielen Personen in so enge Verhältnisse zu begeben, wie ich möchte - aber ich kann es auch jederzeit abbrechen. Ich empfinde das als große Freiheit.
Ich will jedoch sogar Kritik an dieser Sicht zulassen, welche du hier schon gut zusammengefasst hast:
Freki » Fr 16. Jan 2015, 18:25 hat geschrieben:
Ich bemühe mich immer, niemanden etwas zu "unterstellen", denn das ist auch im Sinne meiner eigenen Argumentationskraft kontraproduktiv. Schließlich ist mir der Blick in den Spiegel meiner Logik ziemlich wichtig, weswegen ich versuche, sophistische Taschenspielertricks zu vermeiden. Ich kann niemandem etwas vorhalten, was ich selber tue...
Zur Sache: Die "Menschen im Westen" sind wie alle Menschen zu allen Zeiten an allen Orten durch ihre Gesellschaft geprägt bzw. konditioniert, also immer und überall. Man könnte jetzt auch den heuristischen Ausdruck "gehirngewaschen" gebrauche, weil er den gleichen Vorgang beschreibt. Menschen sind weder gut noch schlecht, sie SIND lediglich. In welche Richtung sie konditioniert werden, entscheidet neben ein paar genetischen Voraussetzungen vor allen Dingen das soziale Gefüge der Gesamtgesellschaft. Konditioniert werden sie jedoch immer. Daß ich genetische Gründe annehme, unterscheidet mich im übrigen wesentlich von großen Teilen der Linken, ich halte sie jedoch nicht für dominant. (Marx: Das Sein bestimmt das Bewußtsein)
Der sogenannte "freie Wille" steht nicht umsonst in den letzten Jahren im Fokus der Neurologen und ist umstritten, um es gelinde auszudrücken. Aber auch ohne diese Forschungen wäre der "freie Wille", sorry, eine Chimäre: Unsere Entscheidungen wären dann "frei", wenn jeder Einzelne wie "der liebe Gott" wäre, der auf nix und niemanden Rücksicht nehmen muss. Wir sind in unseren Entscheidungen in erster Linie abhängig von unserem Geldbeutel, von Gesetzen, von internen Regeln, außerdem von Zufällen, emotionalen Schwankungen, sozialen Beziehungen usw.usf.. Rationalität kann den Einzelnen mehr oder weniger beeinflussen, Irrationalität ist allerdings der Normalfall. Insofern ist totale "Freiheit" im wesentlichen nicht möglich, die Einbildung dieser Freiheit jedoch sehr wohl. Hier genau setzt die kapitalistische Gesellschaft mit ihrer Konditionierung und manipulativen Propaganda sehr wirkungsvoll an, einerseits durch Werbung (siehe auch Frederic Beigbeder "39,90"), andererseits durch die erziehende Macht des Geldes und seiner Wirkungen. Wenn alles nichts hilft, gibt es immer noch den von unseren Eliten korrumpierten Staat, der uns erzählt, wo der Hase langläuft. Das konnte man ja jetzt ganz aktuell wieder bei den hysterischen Propaganda-Stürmen der Herrschenden zum Thema Islam erkennen. Schlußfolgerung: "Freiheit" nach westlicher Lesart ist eine Suggestion - vor allen Dingen im Verhältnis zu der Freiheit, die eigentlich in einem wirklich freien System möglich wäre...
Von Freiheit im Allgemeinen kann man tatsächlich nicht sprechen, dafür sind die Teilbereiche zu vielfältig. Generell widerspreche ich deinen Ausführungen nicht. Sie geben kurz und knackig alles so wieder, wie ich es auch ausdrücken würde. Dementsprechend stimme ich dir in diesem Punkt zu: Durch die gesellschaftliche Konditionierung (und auch aufgrund meiner Gene) kann ich bezüglich meiner Geschmäcker gar kein "freies" Urteil abgeben. Ebenso ist mein Wille eher gelenkt und beschränkt (

) als frei.
Genau das ist mir aber zuträglich. Denn deswegen erhebe ich nicht den Anspruch, meinen Lebensstil über andere zu erheben, oder Werturteile über die Qualität einzelner Lebensweisen zu liefern. Ich belasse es bei dem, was ich weitestgehend objektiv und rational erfassen kann. Mein Umfeld hat mich vielleicht darauf konditioniert die "Kälte" der westlichen Gesellschaft zu mögen. Mein Umfeld hat mich vielleicht auch darauf konditioniert es als Freiheit zu empfinden, mich innerhalb meines Lebens unzählige Male an verschiedene Frauen binden zu können, nur um mir nach kurzer Zeit einzureden, irgendwelche Lappalien seien genug um mir selbst zu suggerieren, dass ich etwas Neues bräuchte und mich deshalb in den Trennungsschmerz und ewig neue Verwirrungen stürze, anstatt die Konstanz einer haltgebenden Familie zu erfahren.
Aber am Ende steht immer das eine Résumé: Ich bin was ich bin und ich mag was ich mag. Und dem folge ich. Zu hinterfragen, ob ich Sache XY nicht nur deswegen mag, weil meine Gesellschaft mich daraufhin geprägt hat, führt zu keinem Ergebnis - denn wie du schon sagtest... den freien Willen gibt es nicht. Und somit auch kein Ergebnis einer Überlegung, dass freier wäre als der Status quo.