Orbiter1 hat geschrieben:(19 May 2018, 14:49)
Dazu gab es eine Kleine Anfrage an den Bundestag.
„Aufgrund der Informationen aus dem Ausländerzentralregister (AZR) ergibt sich, dass die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Geflüchteten Mitte 2017 insgesamt bei etwa 1,5 Millionen lag. Hierbei sind nicht nur anerkannte Flüchtlinge im Rechtssinne mit einberechnet, sondern auch Asylsuchende, Geduldete und Geflüchtete mit einem humanitären Aufenthaltsstatus. Quelle:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/001/1900136.pdf
Danke für den Verweis auf die Anfrage; da stehen viele Zahlen drin, die zu einer von mir gewünschten Versachlichung der Diskussion beitragen können.
Bemerkenswert finde ich aber, dass du offenbar (ganz wie ich) der
Anfrage der Fraktion der Linken mehr entnehmen kannst als der
Antwort der Bundesregierung, nämlich insbesondere die Gesamtzahl von ca. 1,5 Millionen Geflüchteten. Sollte es nicht umgekehrt sein?
Die Zahl von 1,5 Millionen taucht, soweit ich das in der Kürze beurteilen konnte, nur in der Anfrage auf und stammt aus dem Ausländerzentralregister. Und wieder muss ich fragen:
Sind dabei Familienangehörige, die im Rahmen des Familiennachzugs kamen, berücksichtigt? Davon ist nicht explizit die Rede. Geduldete scheinen darunter zu sein.
Man kann sich beim Statistischen Bundesamt Berichte zu den Zahlen der "Schutzsuchenden" herunterladen, beispielsweise diesen Bericht:
https://www.destatis.de/DE/Publikatione ... cationFile
Merkwürdigerweise lässt sich daran die Zahl von 1,5 Millionen, die von der Fraktion der Linken in ihrer Anfrage verwendet wurde, nicht bestätigen. Stattdessen ist von einer Zahl von 1.602.590 die Rede (Stand: 31.12.2016, Seite 27). Ich bin geneigt, dass mit der Tatsache zu erklären, dass die Linke für die 1,5 Millionen einen Stand von "Mitte 2017" nennt. Auf der anderen Seite halte ich es nicht für plausibel, dass die Zahl der Schutzsuchenden in der ersten Jahreshälfte 2017 abgenommen haben soll.
Die Zahl der freiwilligen Ausreisen und Abschiebungen sollte für 6 Monate des Jahres 2017 ca. 25.000 betragen; im gleichen Zeitraum kamen ja aber im gesamten Jahr 180.000 neue Schutzsuchende und 120.000 Familienangehörige dazu, das sind also, wenn man der Einfachheit halber halbiert, ca. 90.000+60.000 in einem halben Jahr. Außerdem ist bekannt, dass zwar der Anteil der Frauen unter den Schutzsuchenden geringer ist als in der deutschen Bevölkerung, dass diese aber wesentlich fruchtbarer sind als deutsche Frauen und durch Geburten zum Anwachsen der Anzahl der Schutzsuchenden beigetragen haben sollten.
Interessanterweise wird das gesamte Ausmaß der vorgespiegelten Präzision der Zahlen aus dem Ausländerzentralregister deutlich, wenn man den folgenden Absatz liest:
Die Datenbasis ist das Ausländerzentralregister (AZR). Im AZR waren am 31.12.2016 rund 392 000 Ausländer registriert, bei denen sich wegen unvollständiger Angaben nicht ermitteln lässt, ob es sich um Schutzsuchende handelt oder nicht.
https://www.destatis.de/DE/PresseServic ... 12521.html
Wenn ich das recht interpretiere, könnten zu den 1,6 Millionen also noch ca. 0,4 Millionen oben drauf kommen, und wir hätten ca. 2 Millionen. Und nach wie vor kann ich selbst den sehr langen, pseudopräzisen Berichten nicht entnehmen, ob Familienangehörige hier berücksichtigt sind oder nicht; entsprechend müsste man weitere Hunderttausende draufschlagen.
Aus der Antwort der Bundesregierung (
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/001/1900136.pdf) gehen folgende Zahlen hervor:
Asylberechtigte
41.000
Flüchtlingsschutz § 3 des Asylgesetzes i. V. m. § 60 Absatz 1 AufenthG
580.000
(Diese können unbefristete oder befristete Aufenthaltsrechte haben, oder seltsamerweise auch geduldet sein - Geduldete werden aber mit ganz anderen Zahlen noch weiter unten aufgeführt)
Aufenthaltserlaubnisnach § 25 Abs. 2 (subsidiärer Schutz) AufenthG
177.000
Aufenthaltserlaubnis nach§ 25 Abs. 3 AufenthG (Abschiebeverbot)
65.000
Duldung nach § 60a Abs. 1 AufenthG
5.000
Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG (Aufnahme aus dem Ausland)
4.000
Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG (Härtefälle)
7.000
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1 und 2 AufenthG (BMI, oberste Landesbehörden)
47.000
Aufenthaltserlaubnis nach § 104a oder b AufenthG
1.000
Aufenthaltserlaubnisnach § 25 Absatz 4 AufenthG
23.000
Aufenthaltserlaubnisnach § 25 Abs. 5 AufenthG
51.000
Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG
5.000
Aufenthaltserlaubnis nach 25b AufenthG
2.000
Aufenthaltsgestattung
362.000
Ankunftsnachweis
8.000
Jugendhilferechtliche Zuständigkeiten
33.000
Abgelehnter Asylantrag
605.000
Ausreisepflichtige ohne Aufenthaltsstatus
60.000
Abgelehnte Asylbewerber ohne Aufenthaltsstatus
54.000
Vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit
70.000
Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG
22.000
Ausreisepflichtige Personen
229.000
Ausreisepflichtige mit Duldung
163.000
Ausreisepflichtige mit abgelehntem Asylantrag
114.000
Ausreisepflichtige Personen mit einem anhängigen Asylverfahren
44.000
Ausreisepflichtige ohne abgelehnten Asylstatus
116.000
Es ist offensichtlich, dass hier ein Wildwuchs herrscht an verschiedenen Regelungen, und dass kein Laie mehr verstehen kann, um welche Kategorien es sich handelt und inwiefern sich diese überschneiden. Ja, man darf sogar vermuten, dass nicht einmal sogenannte Experten hier noch den Überblick haben. Am schönsten ist natürlich die Pseudopräzision dieses Zahlensalates, die ich mir erlaubt habe durch Rundung zu korrigieren.
Interessanterweise wird da nur von Asylherkunftsländern gesprochen, nicht vom Aufenthaltsstatus dieser Leute. Muss ich also davon ausgehen, dass ein iranischer Informatiker, der von SAP im Jahr 2017 angeworben wurde, ebenso in die Zahlen einfließt wie ein iranischer Geschäftsinhaber, der schon seit zehn Jahren in Deutschland lebt? Nun, zumindest kann man an der ansteigenden Dynamik sehen, dass tatsächlich auch neu hinzugekommene Staatsangehörige dieser Länder zur Beschäftigung beitragen, und vermuten, dass dies überwiegend Schutzsuchende seien.
Offenbar ist die Beschäftigtenquote der Schutzsuchenden bei ca. 25,2% (das sind 216.000 Beschäftigte, im Gegensatz zu einer Quote von 67,9% bei deutschen Staatsangehörigen).
https://statistik.arbeitsagentur.de/Sta ... ration.pdf
Seite 12
Man bezieht sich bei den 25,2%, die einer Anzahl von 216.000 entsprechen, offenbar auf eine Gesamtheit von ca. 857.000. Diese setzt sich wohl zusammen aus 594.000 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und 290.000 nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Damit komme ich zwar auf eine Summe von 884.000, aber die Größenordnung stimmt wenigstens.
https://statistik.arbeitsagentur.de/Sta ... ration.pdf
Seite 11
Nicht berücksichtigt sind natürlich diejenigen, die ihr Verfahren noch nicht durchlaufen haben, und wahrscheinlich auch die Geduldeten, sprich alle, die nicht arbeiten dürfen.
Was soll man also zusammenfassend sagen? Die Zahlen sind reichlich ungenau, und immer wieder gibt es Inkonsistenzen, die zeigen, dass das Zahlenmaterial qualitativ zu wünschen übrig lässt. Offenbar kann man nicht viel mehr sagen, als dass wir größenordnungsmäßig ca. 1,5 Millionen bis 2 Millionen Schutzsuchender hier haben, und dass davon ca. 200.000 einer Beschäftigung nachgehen.