Es gibt ja im letzter Zeit eine ziemliche Menge von Büchern über Putin und Russland. Zu aktuellen Bestsellern zählen - laut amazon jedenfalls - "Russland verstehen" von Gabriele Krone-Schmalz und "Wir sind die Guten" von Mathias Broeckers und Paul Schreyer. Ich habe beide gelesen. Sie sind sicher nicht durchgängig falsch, verzerrend oder einseitig. Aber sie sind ohne Zweifel tendenziös. Sie beschreiben selektiv eine Wirklichkeit, die dem Bild der Autoren von Russland entspricht und lassen das weg, was dem nicht entspricht. Ob unbewusst oder bewusst taktisch sei einmal dahingestellt.
Von ganz anderem Format ist da das jüngst erschiene "Putins Welt" der ehemaligen Stern-Reporterin Katja Gloger. Weil sie Russland "weder verdammt noch mystifiziert" (wie es in einer Rezension der Reihe Andruck heißt) sondern (im Rahmen des Möglichen natürlich) nüchtern und dennoch kenntnisreich und mit persönlichem Bezug analysiert. Sie psychologisiert nicht. Gewalt, Propaganda, Religion, Ideologien, historische Bezugnahmen, stellt sie heraus, sind für Putin nicht das Ergebnis irgendwelcher "Prägungen" oder seiner "Persönlichkeitsmerkmale" sondern einfach Mittel zum Zweck im Machtgeflecht des Kreml und bei der Umsetzung einer globalen politischen Strategie. Putin bewirft keineswegs beim Schachspiel seinen Gegener, um die Metapther Reitschusters mal aufzugreifen, sondern versucht mit beachtlicher analytischer Intelligenz eine Spielstrategie aufzubauen. Er bewirft ihn erst, wenn klar ist, dass er damit verliert. Und die traurige Wahrheit ist: Genau an diesem Punkt ist Putin und RUssland angelangt:
"Das Problem dieser simulierten Demokratie war von Anfang an ihr eigener Erfolg. Sie schien doch so effizient in den ersten acht Jahren seiner Herrschaft, als das Bruttoinlandsprodukt wuchs, das Durchschnittseinkommen mit dem Ölpreis stieg und im Land endlich wieder Ruhe und Stabilität einkehrten, gar ein Gefühl der Sicherheit. Viel später erst merkten die Menschen den Betrug an ihrer Zukunft: Der Reichtum des Landes, seine enormen Rohstoffvorkommen, wurde von einer kleinen Gruppe monetarisiert."
Dadurch, so Glogers Analyse, säßen die Oligarchen in der Falle, könnten nicht mehr aus ihrer Rolle, weil sie eben das Land bestohlen haben. Der Verlust der Macht Putins wäre somit auch für sie gefährlich, weil er sie aktuell vor der Abrechnung des Volkes deckt – sie zugleich damit aber auch in der Hand hat. Sie sind Putin ausgeliefert und so ein Faktor in dem komplizierten russischen Machtgeflecht, das auf Loyalität fußt – und in dessen Mitte die Spinne Putin sitzt.
Schon, dass sie die Verhältnisse in Russland nicht auf diesen einen Dämon herunterbricht sondern eine mehrstufige Machtarchitektur mit gegenseitigen Abhängigkeiten herausanalysiert, unterscheidet sie wohltuend von anderen Autoren.
Und noch etwas: Die Monetarisierung des Landesreichtums durch eine kleine Gruppe von Oligarchen, den Betrug des Volkes an seiner Zukunft sehen wir in ähnlicher Form auch in der Ukraine, auch heute. Nur, dass anstelle der "Spinne" in der Mitte des Netzes jetzt eine demokratisch gewählte Regierung sitzt. Die Frage ist, ob das tatsächlich sehr viel an dieser Struktur ändert und die Wiedererlangung einer Zukunft ermöglicht.
In einem Land wie Bosnien-Herzegowina kann man sehen, dass allein die Einrichtung demokratisch gewählter Regierungen ein Scheitern nicht zwangsläufig verhindert.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)