zollagent » So 10. Mai 2015, 09:52 hat geschrieben:
Tja, die Zumutung, für die Alimentierung, die man bekommt, auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, wird heute von verwöhnten Wohlstandskindern als feindselig empfunden. Da wirst du mit leben müssen. Denn die Zumutung, für solche Unwilligen auch noch genau so Unfreiwillig gemolken zu werden, ist auch eine erhebliche Zumutung.
Morgen. Sanktionen werden aber nicht nur verhängt, weil jemand sich dem Arbeitsmarkt verweigert. Das sind tatsächlich die allerwenigsten, wie man den Angaben der BA allmonatlich entnehmen kann.
Es gibt zigtausende Beispiele widerrechtlicher, sogar völlig absurder Sanktionen, zB die Sanktion eines Analphabeten, weil er keine Bewerbung auf Vermittlungsvorschläge geschrieben hat. Die Anwältin stellte fest, daß 2/3 aller Sanktionen gegen diese Person rechtswidrig waren. Als das richterlich bestätigt wurde, war der Mann bereits obdachlos, die Wohnung wurde zwangsgeräumt.
Viele Sanktionen beruhen darauf, daß Krankheit nicht als "wichtiger Grund" nach dem Gesetz anerkannt wurde. Die Sachbearbeiter sind angewiesen, sich dabei auf ein Urteil zu berufen, das aufgrund einer Gesetzesänderung gar keine Gültigkeit mehr hat. Alle (!) Klagen gegen selche Sanktionen werden zugunsten der Kläger entschieden, allerdings kann man davon ausgehen, daß lediglich 10% aller rechtswidrigen oder fehlerhaften Bescheide angefochten werden. Einschüchterung, Desinformation und Resignation zeigen hier Wirkung.
Es ist bekannt, daß die Geschäftsführer der Jobcenter Einsparungsvorgaben machen. Wie diese Einsparungen erlangt werden, ist völlig egal. Die Geschäftsführer erhalten für das Einhalten ihrer eigenen Vorgabenen Bonuszahlungen, was lange Zeit bestritten wurde, inzwischen aber eindeutig nachgewiesen wurde. Ob Sanktionen durch Gerichte wieder aufgehoben werden (je nach Wohnort kann das 1-2 Jahre dauern) spielt dabei nicht die geringste Rolle.
Die Verfassungsmäßigkeit dieser Sanktionspraxis ist fraglich, auch dazu gibt es Richtervorlagen beim Verfassungsgericht, die noch nicht verhandelt wurden. Die Argumentation, das Existenzminimum sei durch Lebensmittelgutscheine gewährleistet, ist irreführend, da ein Rechtsanspruch darauf nur besteht, wenn Kinder im Haushalt leben. Ansonsten sind die Leistungsberechtigten auf das Wohlwollen des Sachbearbeiters angewiesen - keine wirklich rechtsstaatliche Regelung.
Die Sanktionierung von unter 25jährigen auf null (gar nix, auch keine Miete) ist meiner Meinung nach auf keinen Fall verfassungsgemäß, zumal diese Totalsanktionierung schon aus nichtigen Anlässen durchgeführt werden kann und durchgeführt wird. Tausende haben auf diesem Grund schon ihre Wohnung verloren. Und jeder, der sanktioniert wird, ist weiterhin verpflichtet den Vorgaben der Eingliederungsvereinbarung voll umfänglich nach zu kommen, also eine bestimmte Anzahl an Bewerbungen zu schreiben, Vorstellungsgespräche wahr zu nehmen (und dafür in Vorkasse zu gehen) etc. Sind dafür keine Geldmittel vorhanden, ist die nächste Sanktion vorprogrammiert.
Derartige Regelungen sind eines Sozialstaates unwürdig. Rechtswidrige Bescheide und Sanktionen haben schon vor Jahren zu einer zunehmenden Überlastung der Sozialgerichte geführt, was seitens der Richterschaft auch regelmäßig kommuniziert wird. Ein berliner Sozialrichter hat deutliche Worte gefunden und beschuldigte die JC der Hauptstadt, unnötige Prozesse zu provozieren und zu verschleppen. Das belegt ebenfalls die Statistik der BA, wonach abgelehnte Widersprüche vor Gericht (mindestens 2 Jahre bis zur Verhandlung in erster Instanz) mehrheitlich zugunsten der Kläger entschieden werden.
Angesichts der moralischen und juristischen Feststellungen und vor allem der Kosten, die durch diese Praxis entstehen, ist es einfach nur albern die Sanktionspraxis mit der Alimentierung der Leistungsberechtigten zu rechtfertigen.
Das ganze Hartz-System ist schon anhand der Kosten für die Verwaltung widersinnig. Viele Optionskommunen decken die Verwaltungskosten inzwischen mit Geldern aus dem Vermittlungsbudget, also Geldern, die eigentlich zur Widereingliederung von Erwerbslosen verwendet werden sollen. Hinzu kommt eine eklatante Inkompetenz vieler Mitarbeiter, die auch, aber nicht nur auf die Praxis der Zeitverträge (40-60% aller Mitarbeiter) zurück zu führen ist. Nach Angaben von Personalvertretern braucht es etwa 2 Jahre, bis ein Mitarbeiter voll umfänglich eingearbeitet ist. Dann wird er entlassen und der nächste eingestellt. Das macht keinen Sinn, außer, um auch in den Reihen der JC-Mitarbeiter Unsicherheit und Angst zu schüren. Wer (meist vergeblich) darauf hofft, daß sein Vertrag entfristet ist, kann leichter dazu gebracht werden, rechtswidrigen, internen Vorgaben nach zu kommen und wird davon abgehalten, bestehende, interne Mißstände zu thematisieren.
Hier besteht dringender Reforbedarf - seit Jahren.