Ilikekebap hat geschrieben: ↑Mittwoch 23. April 2025, 08:49
Vielleicht könnte man ja mal inhaltlich sagen, was man an der Reportage konkret falsch, journalistisch mangelhaft etc. fand, anstatt sich an einem Einleitungssatz aufzuhängen.
Danke für die Frage. Es ist nicht nur der Einleitungssatz, es die Frage, was der Bericht eigentlich sein will, was er (wem?) vermitteln will. Und ja, das geht in der Tat schon mit der Einleitung los:
"Was jetzt kommt, wird nicht vielleicht nicht jedem gefallen. -->Soll was suggerieren? Dass der ÖRR bisher unbequeme Themen gescheut hätte?
Aber es ist eines der ganz großen Streitthemen unserer Zeit. --> Ach, wirklich? Gab es deswegen bereits Dutzende Polit-Talkrunden und Reportagen im ÖRR genau dazu?
Ich bin Julia Ruhs und wir von "Klar" sagen, was falsch läuft. --> Sagt die Reportage eben nicht!
Unser Thema heute: Die illegale Migration. --> Nein. Hauptaufhänger ist das Schicksal der Familie Kynath und einige wenige weiter Beispiele.
Wir schauen auf die Folgen unserer Asylpolitik:
Behörden sind überfordert, immer mehr Städte und Gemeinden am Limit.
Und es passieren Verbrechen. --> Gab es denn noch andere Folgen oder sind das die einzigen?
Das alles schildern wir euch aus der Sicht von Betroffenen. --> ... dann tut aber bitte nicht so, als wäre diese eine allumfassende Reportage zum Thema "Asylpolitik".
Und wir starten mit einem Vater, den bis heute der Gedanke quält: Hätte der Tod seiner Tochter verhindert werden können?" --> ...und dann geht es auch gleich schon ins hochemotionale menschliche Schicksal
Letzteres kann man machen: Das ZDF hat dafür z.B. das Format "37°" (Reportagestil mit starkem Fokus auf Einzelschicksale; subjektive Perspektive, die den Zuschauer emotional einbindet; häufige Themen: Krankheit, Alter, Tod, Sexualität, besondere Familiensituationen; Ziel: gesellschaftliche Diskussionen anstoßen und soziale Milieus erfahrbar machen). Schaue ich, abhängig vom Thema, auch ganz gerne.
Die Einleitung von "Klar" will aber darüber hinaus den großen Bogen spannen, die großen Fragen beantworten - was dann nicht eingelöst wird. Wie auch, in 45 Minuten...
Und das ist der Punkt: Wer das Scheitern oder Gelingen im Rahmen von so einer Kurz-Reportage lediglich an den schlimmen Einzelschicksalen festmacht, muss zu einem bestimmten Ergebnis kommen. Das kann man tendenziös nennen. Die Sendung beschränkt sich weitgehend auf die bekannten rechtspopulistischen Narrative, liefert keine konstruktiven Ansätze. Das tut "37°" z.B. auch nicht, wird dort aber nicht behauptet.
Die "klar"-Sendung verfolgt die These, dass ein „funktionierendes Asylsystem“ Taten wie den Mord im Zug von Brokstedt verhindert hätte. Was ein „funktionierendes System“ sein soll, wird nicht näher beleuchtet, es bleibt bei den inzwischen bekannten Formeln: weniger „illegale Migranten“, mehr Abschiebung.
Ich finde die Rolle, die für Herrn Kyrath vorgesehen hat, unglücklich. Ich habe den Mann schon öfter in Interviews und Talkrunden gesehen und der ist alles andere als ein stumpfer "Hardliner", vielmehr eine beeindruckende Persönlichkeit mit sehr konkreten Vorschlägen, basierend auch auf den Umständen, die zum Mord an seiner Tochter und deren Freund geführt haben (warum z.B. schlüpfen auffällig gewordene potentielle oder bereits aktiv gewordenen Straftäter immer wieder durch die Maschen der Behörden?)
Die Reportage reduziert das Engagement von Kyrath auf eine Aussage von ihm zur "grundlegenden Reform des Asylrechts". Was damit gemeint ist, hinterfragt die Reportage nicht noch nimmt sie selbst dazu Stellung. Es ist aber klar, zu welchem Schluss man auf Basis dieser Sendung kommen soll: "Die" (illegalen Migranten) hätten gar nicht erst kommen dürfen.
Alles in allem ist das einfach keine seriöse journalistische (!) Arbeit, vom Niveau her ist das "Explosiv" oder "Brisant". Und in der Machart halt Wasser auf die Mühlen aller, die sich eben falls nicht tiefergehend mit dem Thema beschäftigen wollen. Insofern kann ich die Aufregung vieler Medienschaffender und -Experten durchaus verstehen.