
Beide in der Threadüberschrift genannten Begriffe sind nicht neu und international bekannt. Im englichsprachigen Raum spricht man da eben von der German Angst oder German assertiveness .
Ich habe diese Begriffe in verschiedenen Threads in denen es um die Themen Digitalisierung oder Kartenzahlung geht verwendet und versucht die bestehenden Ängste in unserer Gesellschafft vor der zunehmenden Digitalisierung zu relativieren. Dies gelang mir nur ansatzweise. Häufig wurde ich dafür kritisiert weil angebl. Nicht Themenrelevant oder auch angegriffen. Deshalb habe ich mich entschlossen zu dieser Thematik einen eigenen Thread aufzumachen.
Wer die Begriffe „Deutsche Angst“ bzw. „Deutsche Krankheit“ noch nicht kennt hier eine kurze Erklärung aus der Beschreibung des Buches von Sabine Bode „Die deutsche Krankheit – German Angst“ auf amazon.de:
Amerikanische Publizisten haben in den Achtzigerjahren eine merkwürdige Zukunftsangst bei den Deutschen diagnostiziert: die »German Angst«. Der Begriff bezeichnete den Hang der Deutschen zum Grübeln und ihr Zögern, angemessen auf ökonomische Realitäten zu reagieren. Heute redet man allenthalben von einer gesellschaftlichen Lähmung und der Unfähigkeit, Reformen durchzuführen. Blockiert uns die »German Angst«? Ist sie eine Art kollektive Krankheit? Aber Angst wovor?
Diese typisch deutsche Angst spiegelt sich in vielen Dingen unserer Gesellschaft wider und verzögern oder verhindern Prozesse, die in anderen europäischen Staaten längst mit Wohlwollen der Bürger ausgeführt wurden und Bestandteil des täglichen Lebens geworden sind und die Bevölkerung davon profitiert.
Geradezu extrem wird diese Angst der Deutschen bei der Einführung neuer Technologien erkennbar. Schlüsselerlebnis war für mich das Bezahlen mit der Girokarte. Als ich beruflich bedingt erstmals 1977 Finnland bereiste staunte ich nicht schlecht, dass da selbst im Krämerladen auf dem Land die Leute mit ihrer Bankkarte sechs Eier und eine Packung Angelhaken bezahlten. Mit digital war da noch nichts. Die Karten wurden mit einem „Ritsch-Ratsch Kreditkartenabroller“ mechanisch ausgelesen. Ältere Semester kennen diese Technik vielleicht noch von früher.
Bereits zu diesem Zeitpunkt waren die Deutschen mehr als skeptisch was diese Zahlungsweise betraf. Und so waren wir eines der letzten Staaten der EU wo sich die Kartenzahlung durchsetzte.
Für diese deutsche Angst gibt es viele weitere Beispiele:
„StreetView“ als Bestandteil von Google Maps wurde weltweit einzig in Deutschland bereits im Jahre 2011 eingestellt, weil wie nirgendwo sonst auf der Welt zigtausende Bürger beantragten, dass ihr Haus, Grundstück, Parkplatz, Kneipe, Hotel, Unternehmen und andere in der 360 Grad Straßenansicht verpixelt werden sollten. Deutschland war auch das einzige Land, welches Google verpflichtete diesem Wunsch von Bürgern zwingend nachzukommen. Was macht es auch für einen Sinn, auf dem Monitor virtuell durch verpixelte Straßen zu fahren!
Diese Google-Geschichte ist etwas, worüber die Welt vor zehn Jahren lachte.
Weiter geht es mit der elektronischen Gesundheitskarte. Die sollte seit Jahren eingeführt sein. Nur scheitert sie hierzulande an übereifrigen Datenschützern. Dabei wäre gerade diese Form der zentralen Erfassung aller gesundheitlichen Daten der Bevölkerung etwas sehr Positives. In Dänemark zum Beispiel. Da werden von der Geburt an sämtliche ärztliche Behandlungen, Verordnungen, Therapien, stationäre Maßnahmen, Schutzimpfungen etc. zentral erfasst. Die Patientenakte befindet sich da allenfalls als Doppel auf der Festplatte des Hausarztes. Vorteil für den Patienten: Bei einem Arztwechsel ist der neue Arzt gleich auf dem aktuellen Stand. Er muss nicht ganz von vorn mit der Diagnostik beginnen und braucht keine Befunde wie Röntgenbilder, MRT-Aufnahmen usw. von Fachärzten anfordern.
Steuererklärung? Nichts einfacher als das. Absetzbare Ausgaben wie Handwerkerrechnungen, Arbeitskleidung und andere Dinge werden in Dänemark bereits auf Wunsch des Kunden bei Rechnungsbegleichung an die Finanzbehörde weitergegeben. Da braucht der Steuerzahler keine weiteren Unterlagen einreichen. Aber das ist nur eine Erleichterung mit dem Umgang der Finanzbehörde.
Noch ein Beispiel: Ein junger Mensch möchte sich für einen Studiengang an der Uni einschreiben. Ein kurzer Blick ins Onlineportal, gewünschte Uni auswählen (auch mehrere), Einverständniserklärung zum Abruf erforderlicher Unterlagen per Klick bestätigen und Enter. Das war´s. Alle erforderlichen Unterlagen wie Schulzeugnisse, Praktika- und Arbeitsbescheinigungen, Meldebescheinigung bis hin zum Gesundheitszeugnis und was sonst noch alles die Uni benötigt wird wird vollkommen automatisch ohne Zutun des Bewerbers online der Bewerbung zugefügt. Schließlich liegen diese Unterlagen ja alle abrufbereit online unter der persönlichen CPR-Nr. vor.
Nur noch zwei Beispiele, dann höre ich auf: Die Corona-Impfung. Meine Güte, wohl in keinem Land Europas wurden und werden immer noch so viele Debatten um das Impfen und seine möglichen Folgen geführt. Von keinem anderen Land habe ich von so vielen Verschwörungstheorien zu dieser Thematik gehört.
Schon allein das Anlegen eines Impfregisters lässt den Datenschützern graue Haare wachsen. Unglaublich. Dänemark braucht das nicht. Da waren die aktuellen Impfdaten schon immer ruck-zuck von der Gesundheitsbehörde abrufbar. Wir träumen weiterhin davon...
Der Ukraine-Krieg und Waffenlieferungen: Man kann dafür und dagegen sein. Ich akzeptiere da jede Meinung. Aber dieses Herumgeeiere in unserer deutschen Politik ist bereits peinlich. Unsere Nachbarstaaten beschließen und handeln. Nicht umsonst umschreibt Wikipedia die Deutsche Angst auch mit „typisch deutscher Zögerlichkeit“. Diese Umschreibung trifft hier den Nagel auf den Kopf.
Diese Dinge erfüllen sehr viele deutsche Bürger mit Angst, der deutschen Angst. Aber warum nur? Wer danach sucht findet hinreichend Literatur zu diesem Thema. Sogar Dissertationen wurden hierzu verfasst. Die Gründe für diese Ängste scheinen in unserer jüngeren geschichtlichen Vergangenheit begründet. Aber können wir die nicht endlich einmal abschütteln? Wie kann es sein, dass das dänische Volk von jeder digitalen Erneuerung geradezu begeistert ist und die Regierung gerade beschlossen hat die ohnehin sehr weitreichende Digitalisierung im Land jetzt nochmals mit aller Macht voranzutreiben? So hat die dänische Regierung gerade eine neue Digitalisierungsstrategie vorgestellt. Zwei Milliarden Kronen sollen bereitgestellt werden, um den ökologischen Wandel zu beschleunigen und die Cybersicherheit zu stärken. Auch Menschen, die Schwierigkeiten mit der Technik haben, soll geholfen werden.
Sind die Dänen, die im World Happiness Report (Glücklichkeitsreport) seit vielen Jahren immer einen der ersten Plätze belegen (2022 auf Platz 2 nach Finnland) alle blöd oder naiv ?
Wie denkt ihr darüber?