Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

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Progressiver
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Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Progressiver »

In den letzten Wochen und Monaten habe ich immer wieder mal die Forderung gehört, dass auch in der Kultur eine Art Identitätspolitik einziehen solle. Im Theater zum Beispiel sollen dann Rollen von Asiaten nur von asiatischstämmigen Personen gespielt werden. Die Rollen von Schwarzen sollen nur von echten PoC gespielt werden dürfen. Und ein hier in Deutschland lebendes Mitglied der amerikanischen Ureinwohner forderte gleich, die Winnetou-Festspiele zu verbieten. Dies alles kam vor ein paar Wochen in einer Sendung auf 3Sat.

Andererseits gibt es natürlich auch gegenteilige Forderungen von queeren Personen. So wollen Schauspieler, die im realen Leben schwul oder lesbisch sind, auch im Film nicht nur auf homosexuelle Rollen festgelegt werden. Aber dies will ich nur am Rande erwähnen, da dies den Rahmen des Threads sprengen bzw. zu sehr verwirren würde. Ich glaube, dieser Aspekt wird auch schon hier irgendwo in einem anderen Thread besprochen. Dieser Aspekt soll hier folglich nicht interessieren.

Mir geht es eigentlich mehr um die eigentliche Identitätspolitik im Kulturwesen und insbesondere in der Musik.

Was den Bereich der Musik betrifft, so beschwerten sich einige Schwarze in dieser 3Sat-Sendung, weil deutsche Weiße ihre Rapmusik stehlen würden. Stark vereinfacht gesagt. Die Aussage war in etwa: Zuerst werden die PoC für ihre kulturellen Errungenschaften unterdrückt. Dann kommen Weiße daher. Und diese stehlen die Musik und das ganze Drumherum. Und sie lassen sich dafür auch noch feiern bzw. machen richtig viel Geld damit, dass sie Rapmusik klauen. Die 3Sat- Sendung setzte am Schluss "versöhnliche" Töne. So dürften die in der Reportage erwähnten deutschen Rapkünstler zwar weiterhin diese Musik kopieren. Sie sollten sich aber von schwarzen Künstlern an der Hand führen lassen.

Meine Fragestellung wäre also: Kann man das als "gesunden Kompromiss" bezeichnen? Oder geht das zu weit?

Mein Hintergrund ist: Der Blues kam ja ursprünglich auch von Afroamerikanern. Bzw. wurde von diesen erfunden. Irgendwann wurde dieser Musikstil aber ebenfalls von Weißen entdeckt. Und er wurde dadurch immer populärer. Und natürlich soll man die afroamerikanischen Wurzeln genau so schätzen wie schwarze Bluesmusiker. Wenn man aber die Maßstäbe von heute auf die Ausbreitung des Blues seinerzeit anwenden würde, dann hätten die ersten weißen Bluesmusiker nur dann diese Musikrichtung spielen dürfen, wenn sie sich von afroamerikanischen Künstlern quasi an der Hand führen hätten lassen. "Echte" Bluesmusik hätte nur bestenfalls von B.B. King etc. und seinen Nachfahren gespielt werden dürfen, aber nicht von irgendwelchen Weißen, die den Blues für sich entdeckt hätten. Und ohne Bluesmusik keine Rockmusik.

Meine Meinung dazu: Ich kann zwar nachvollziehen, dass heutige PoC sauer sind, dass weiße Rapmusiker teilweise viel Geld verdienen mit einem Musikstil, den sie sich nur von den PoC geklaut haben, während sie selber immer noch unterdrückt werden. Aber das gegenteilige Beispiel aus der Musikgeschichte mit dem Blues sollte einen doch eines besseren belehren. Kultur ist etwas fließendes. Wenn die Regeln, die manche Anhänger einer Identitätspolitik heute verfolgen, schon seinerzeit gegolten hätten, dann würde die Bluesmusik und auch Rap auch heute noch nur von Afroamerikanern gemacht werden dürfen. Weiße Menschen beispielsweise hier in Deutschland dürften dieser Musik nur andächtig lauschen oder aber weiterhin ihre Schlagermusik oder Techno machen.

Ich bin jedenfalls kein Rassist. Ich bin dafür, dass schwarze Künstler gut entlohnt werden für ihre Musik. Ich bin auch gegen jede Diskriminierung. Die meisten Musiker werden sowieso zu schlecht entlohnt. Aber Bluesmusik und meinetwegen auch Rap wurden zwar von Afroamerikanern erfunden. Für meinen Geschmack sind aber insbesondere die Bluesmusik als immaterielles Kulturerbe zu wichtig und zu schön, als dass hier in der Kulturlandschaft eine Art "Rassentrennung" aufgebaut werden darf. Was bis in die 1960er in den USA durch die Entrechtung von Afromanerikanern betrieben wurde, darf nicht durch eine allzu strenge Identitätspolitik wieder eingeführt werden.
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odiug

Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von odiug »

Also ich habe diese Sendung nicht gesehen ... aber verbieten wir dann auch asiatischen Wunderkindern Beethoven zu spielen ?
Das Beispiel hier in Augsburg war ja das Hotel "Drei Mohren", benannt nach drei Pilgern aus Äthiopien im 12then Jahrhundert.
Heute heißt dieses Hotel nach einem Shitstorm im Netz "Maxemilian" , benannt nach einem Kaiser und Bauernschlächter.
Ist natürlich besser :(
Das hier bringt es ganz gut auf den Punkt:
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Zunder
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Zunder »

Kultur wurde schon immer "geklaut".
Es genügt vollkommen, wenn das Rad 1 Mal erfunden wird. Dann braucht es nur noch kopiert und weiter entwickelt zu werden.

Die "weiße" Rockmusik basiert auf dem "schwarzen" Blues und der "schwarze" Blues basiert auf der "weißen" 12-Ton-Skalierung.
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Skeptiker

Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Skeptiker »

Identitätspolitik ist Rassismus uns Sexismus. Es gibt kein edles Motiv ein guter Rassist oder Sexist zu sein.

Was dir aufstößt ist schlicht das offensichtliche Paradoxon linker Politik, die in Form von Identitätspolitik die Anwendung von Prinzipien nicht mehr universell gelten lässt, sondern Personengruppen diesen unterschiedlich unterwirft. Da landet man dann beim Rassismus zum Zwecke des Antirassismus - ein Ding was nicht geht.

Der Gedanke der Identitätspolitik baut auf dem Fundament des so definierten Opfers auf. Opfer werden dabei von der Einhaltung der Regeln freigesprochen, die für andere - insbesondere so definierte "Täter" - selbstredend weiter gelten. Begründung ist der "Ausgleich", der dazu führen soll, dass irgendwann "Gleichheit" herrscht. Eine Schnapsidee - um es mal klar zu sagen.

Um das auf dieses Thema hier anzuwenden: Es gibt kein Eigentumsrecht der Afroamerikaner an Black Music. Diese Musik entstammt einer von ihnen geprägten Musikszene, aber das gibt keinem von ihnen ein genetisch fundiertes Eigentumsrecht an aller Musik, die in dieses Genre fällt. Das ganze Konzept der "kulturellen Aneignung" baut auf diesem Gedanken auf, und es ist daher komplett zu verwerfen. Oder sind z.B. die im weißen Kulturraum hervorgebrachten Leistungen auch nur den Weißen vorbehalten? Mal ehrlich - das kann keiner wollen.
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BlueMonday
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von BlueMonday »

Musik ist das Gegenteil von Politik, der letzte Fluchtort vor dieser Hässlichkeit.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Troh.Klaus »

Skeptiker hat geschrieben:(26 Feb 2021, 23:01)
Das ganze Konzept der "kulturellen Aneignung" baut auf diesem Gedanken auf, und es ist daher komplett zu verwerfen. Oder sind z.B. die im weißen Kulturraum hervorgebrachten Leistungen auch nur den Weißen vorbehalten? Mal ehrlich - das kann keiner wollen.
Und die "Null" gehört den Indern. Wem die "Eins" gehört, müsste man noch untersuchen. Aber das ganze Binärsystem - eine komplette kulturelle Aneignung.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Progressiver »

Nachdem ich meinen Eingangsbeitrag fertig geschrieben hatte, ist mir diese Sendung auf arte.tv aufgefallen:

"Tracks - Kulturelle Aneignung in der Popkultur".

https://www.arte.tv/de/videos/100280-004-A/tracks/

In dieser wird das Thema "kulturelle Aneignung" ebenfalls meiner Meinung nach sehr gut beschrieben.

Auch ich finde: Wenn beispielsweise Soulmusik ursprünglich von Schwarzen gemacht wurde, sollen die Erfinder auch für ihre eigene Musik gut bezahlt werden, anstatt dass irgendwelche Musiklabels von weißen alten Herren alles kriegen und die Künstler nichts. Und natürlich muss man immer die schwarzen, leidvollen Wurzeln dieser Musikstile wie Blues mitdenken. Man darf nicht den Fehler machen wie Eric Clapton, der Ende der 1960er wohl Blues gemocht hat, nicht aber die Schwarzen, von denen der Blues ja erfunden wurde. Natürlich muss man auch Respekt zeigen. Ich halte es jedoch für überzogen, dass beispielsweise Blues, Soul oder Rapmusik jetzt trotzdem nur noch von Afroamerikanern gespielt und produziert werden darf.

Kultur und Musik sollte die Menschen verbinden. Eine fehlgeleitete Identitätspolitik dagegen baut Mauern dagegen wieder auf.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von odiug »

Skeptiker hat geschrieben:(26 Feb 2021, 23:01)

Identitätspolitik ist Rassismus uns Sexismus. Es gibt kein edles Motiv ein guter Rassist oder Sexist zu sein.

Was dir aufstößt ist schlicht das offensichtliche Paradoxon linker Politik, die in Form von Identitätspolitik die Anwendung von Prinzipien nicht mehr universell gelten lässt, sondern Personengruppen diesen unterschiedlich unterwirft. Da landet man dann beim Rassismus zum Zwecke des Antirassismus - ein Ding was nicht geht.

Der Gedanke der Identitätspolitik baut auf dem Fundament des so definierten Opfers auf. Opfer werden dabei von der Einhaltung der Regeln freigesprochen, die für andere - insbesondere so definierte "Täter" - selbstredend weiter gelten. Begründung ist der "Ausgleich", der dazu führen soll, dass irgendwann "Gleichheit" herrscht. Eine Schnapsidee - um es mal klar zu sagen.

Um das auf dieses Thema hier anzuwenden: Es gibt kein Eigentumsrecht der Afroamerikaner an Black Music. Diese Musik entstammt einer von ihnen geprägten Musikszene, aber das gibt keinem von ihnen ein genetisch fundiertes Eigentumsrecht an aller Musik, die in dieses Genre fällt. Das ganze Konzept der "kulturellen Aneignung" baut auf diesem Gedanken auf, und es ist daher komplett zu verwerfen. Oder sind z.B. die im weißen Kulturraum hervorgebrachten Leistungen auch nur den Weißen vorbehalten? Mal ehrlich - das kann keiner wollen.
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Dumm dann, wenn sie ausschließt.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Teeernte »

Troh.Klaus hat geschrieben:(26 Feb 2021, 23:11)

Und die "Null" gehört den Indern. Wem die "Eins" gehört, müsste man noch untersuchen. Aber das ganze Binärsystem - eine komplette kulturelle Aneignung.
"DER" weltweit bekannteste Kulturexport der letzten Jahre >>> aus

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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Tom Bombadil »

Ich meine, es dürften dann zB. auch nur Schwarze Rapmusik hören, das müsste für Weiße, Gelbe und Braune verboten werden, das ist sonst schon kulturelle Aneignung und damit Rassismus. Weiße, Gelbe und Braune dürfen diese Musik nur dann hören, wenn sie vom Künstler persönlich dazu eingeladen werden.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Progressiver »

Zunder hat geschrieben:(26 Feb 2021, 22:55)

Kultur wurde schon immer "geklaut".
Es genügt vollkommen, wenn das Rad 1 Mal erfunden wird. Dann braucht es nur noch kopiert und weiter entwickelt zu werden.

Die "weiße" Rockmusik basiert auf dem "schwarzen" Blues und der "schwarze" Blues basiert auf der "weißen" 12-Ton-Skalierung.
So what!
Wirklich? Ist das so? Wie erklärst du dir dann die Entstehung der Bluespentatonik?
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Progressiver »

BlueMonday hat geschrieben:(26 Feb 2021, 23:08)

Musik ist das Gegenteil von Politik, der letzte Fluchtort vor dieser Hässlichkeit.
Gute Musik hat immer auch eine gesellschaftspolitische Komponente. Man muss es ja nicht gleich wie "Rage Against The Machine" machen und in jedem Lied den Kapitalismus verdammen. Aber Rockmusik in den 1960ern und 1970ern kämpfte immer für Frieden und gesellschaftliche Emanzipation. Die E-Gitarre war dabei die schärfste Waffe. Als solche war sie mächtiger als ein einzelnes Gewehr. Und mir fallen auch noch ein paar andere Musikstile ein, die ebenfalls von unterdrückten und marginalisierten Gruppen kamen, die sich dadurch emanzipieren wollten. Wenn also jemand diese Musik adaptiert, dann sollte er schon auch die Ursprünge mitdenken.

Ein absolutes Negativbeispiel wäre der "King of Rock N´ Roll" Elvis Presley. Denn vor ihm gab es schon Leute wie die Afroamerikaner Chuck Berry etc., die Rockmusik gemacht hatten. Und ohne den Blues wäre die Rockmusik gar nicht entstanden. Elvis Presley hat dabei einfach nur deren Musik geklaut und damit Millionen gescheffelt. Mir ist aber keineswegs bekannt, dass er zusammen mit Martin Luther King für die Rechte der Schwarzen gekämpft hätte. Ich glaube sogar, dass er ein ausgesprochener Rassist war.

Was mich auch wundert, das ist das Phänomen des Rechtsrocks in Deutschland. Rock als Musikstil hatte in den 1960ern und 1970ern eher eine antibellizistische Haltung, die für gesellschaftliche Emanzipation stand. Nun schnappten sich diese "Rechtsrocker" jedoch den Musikstil und machten daraus etwas Gegenteiliges. Wenn die Neonazis wüssten, dass Rockmusik eigentlich unter anderem aus der Bluesmusik der Schwarzen entstanden war -neben Elementen von Country und Western-, wäre es vielleicht besser für alle, wenn sie sich lieber wieder auf Heino oder deutsche Blasmusik zurückbesinnen würden.

Musik hat meines Erachtens jedenfalls sehr oft eine gesellschaftliche Sprengkraft, wenn sie etwas aussagen will. Hat sie das nicht, dann ist sie vielleicht nur trivial, ohne Botschaft und irrelevant.

Trotz dieser Negativbeispiele muss ich jedoch sagen: Mich hat es aufgewühlt, dass diese identitätspolitischen Aktivisten wieder Mauern aufbauen wollen. Ich lasse es mir nicht nehmen, die Musikstile zu hören und nachzuspielen, die mir am besten gefallen. Und das sind nun mal gitarrenlastige Rock-, Blues- und Folkstücke. Mich irritiert es jedenfalls ziemlich stark, dass diese Identitären sich, nur weil sie sich benachteiligt und beklaut fühlen, nach Jakobinerart anderen Leuten verbieten wollen, bestimmte Musikstile zu hören und nachzuspielen.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Progressiver »

odiug hat geschrieben:(26 Feb 2021, 23:30)

Also erstens ist identitäre Politik nicht links, sondern dumm.
Dumm dann, wenn sie ausschließt.
Das gilt für PEGIDA wie für irgendwelche Snowflakes, die etwas für sich in Anspruch nehmen, was ihnen nicht gehört.
Die Snowflakes sind darin dumm, dass sie im Prinzip recht haben, aber dem falschen Prinzip folgen.
Die PEGIDA Deppen sind einfach nur dumm ... sie haben keine Prinzipien, außer den eigenen Dünkel.
Kurze Frage: Was sind noch einmal "Snowflakes"?

Danke für die Antwort.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von odiug »

Progressiver hat geschrieben:(27 Feb 2021, 14:22)

Kurze Frage: Was sind noch einmal "Snowflakes"?

Danke für die Antwort.
https://de.wikipedia.org/wiki/Generation_Snowflake
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Ebiker »

Ist doch ganz einfach . Weiße andersfarbige spielen wollen ist das rassistisch. Wenn andersfarbige keine weissen Rollen spielen dürfen ist das auch rassistisch.
Folgen sie den Anweisungen
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Tom Bombadil
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Tom Bombadil »

Was wäre eigentlich mit einer hautfarblich-gemischten Band? Dürfte eine Band mit zB. einem schwarzen Schlagzeuger und weißem Sänger und vice versa schwarze und weiße Musik machen?
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Zunder
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Zunder »

Progressiver hat geschrieben:(27 Feb 2021, 13:45)

Wirklich? Ist das so? Wie erklärst du dir dann die Entstehung der Bluespentatonik?
Die Pentatonik ist in der 12-Ton-Skala enthalten im Unterschied zur indischen Musik, wo die Oktave aus 22 Mikrointervallen besteht.
odiug

Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von odiug »

Tom Bombadil hat geschrieben:(27 Feb 2021, 14:33)

Was wäre eigentlich mit einer hautfarblich-gemischten Band? Dürfte eine Band mit zB. einem schwarzen Schlagzeuger und weißem Sänger und vice versa schwarze und weiße Musik machen?
Ja ... Eric Burdon & the War wirft Fragen auf :eek:
[youtube][/youtube]
Da war man in den 70gern schon weiter als heute :(
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BlueMonday
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von BlueMonday »

Progressiver hat geschrieben:(27 Feb 2021, 14:16)

Musik hat meines Erachtens jedenfalls sehr oft eine gesellschaftliche Sprengkraft, wenn sie etwas aussagen will. Hat sie das nicht, dann ist sie vielleicht nur trivial, ohne Botschaft und irrelevant.
"Triviale Musik": Und Myriaden weiterer Beispiele...
Wenn man so etwas für irrelevant hält, dann ist einem das Wesentliche von Musik bisher entgangen. Wesentliche Musik richtet sich nicht als Anspruch zur gewaltsamen Veränderung("Politik") an ein Publikum. sondern ist als solches selbst und für sich bereits Weltveränderung (Schaffung eines emotionalisierten oder geistigen Raums, Schaffung einer Nichtgreifbarkeit von außen, der Versatz, das Versetzen aus dem Hier und Jetzt, aus der alltäglichen banalen Situation, Musik als Kunst).
Gerade wenn man sagt, was kümmert es mich, ob da irgendwer meint, dass ihm irgendeine "Kategorie" des Musizierens vermeintlich gehöre, weil irgenwer in Vorzeiten sie angeblich erfunden habe. In dem Moment, in dem man Besitz ergreift, eine muikalischen Raum schafft, sind diese Gedanken überwunden und bedeutungslos. Musik ist der Ausschluss dieses nutzlosen endlosen Streits. Befreiung. Ausweitung des Raums, auf dass jeder Raum habe. Wenn ich gegen "die Maschine in Rage" gerate, dann ist es bereits das, ein Gefühlsausbruch, dem man musikalische Gestalt gibt, and that's it. Der ganze Metal besteht aus kaum etwas anderem. Aber ein politischer Anspruch würde das alles verderben. Man stelle sich vor da rollt eine gewaltige Metalwalze und dann steht plötzlich Katja Kipping mit einem dünnen politischen Programm auf der Bühne. Coitus interruptus.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(26 Feb 2021, 22:55)

Kultur wurde schon immer "geklaut".
Es genügt vollkommen, wenn das Rad 1 Mal erfunden wird. Dann braucht es nur noch kopiert und weiter entwickelt zu werden.

Die "weiße" Rockmusik basiert auf dem "schwarzen" Blues und der "schwarze" Blues basiert auf der "weißen" 12-Ton-Skalierung.
So what!
Als charakteristisch für den schwarzen Blues würde ich ja eher die 12-Takt-Einteilung sehen. Und im Harmonischen neben dem Gebrauch von Septakkorden die Verwendung von Blue Notes. Die aber mit den westlichen Tonsystemen nun gerade nix zu tun haben.

Aber egal. Ich hab die im Eingangsbeitrag erwähnte Sendung auf 3sat auch gesehen und mit großem Interessse verfolgt. Und um es mal ganz direkt und politisch unkorrekt zu sagen: Die dort zu Wort kommenden Verfechter einer Identitätspolitik in der Musik sind nicht ganz dicht im Kopf. Ganze Genres wie etwa Polish Jazz (Tomasz Stanko, Michal Urbaniak, Marcin Wasilewski um nur mal aus dem Hut drei bedeutende von etlichen Dutzend zu nennen) müssten nach diesem Konzept in der Versenkung verschwinden. Selbstverständlich ist auch der Jazz vom Ursprung her afroamerikanischen Ursprungs. Wirklich kreative Musiker machen schlicht und einfach was sie wollen und scheren sich einen Scheiß um irgendwelche Identitäten.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(27 Feb 2021, 14:45)

Die Pentatonik ist in der 12-Ton-Skala enthalten im Unterschied zur indischen Musik, wo die Oktave aus 22 Mikrointervallen besteht.
Aber Zwölftontechnik bedeutet nicht nur einfach, die ganze chromatische Tonreihe zu benutzen. Die Kompositionen Schönbergs haben mit Blues und Jazz nur sehr sehr wenig zu tun. Bei Beethovens letzter Klaviersonate (Nr. 111) gibt es Passagen, die eine ganz erstaunliche Jazzzhaftigkeit aufweisen. Aber weder hat er damit Jazz & Blues vorweggennommen noch haben sich spätere Jazz- und Bluesmusiker etwa daran orientiert. Die dem Jazz und Blues zugrunde liegende Harmonik hat sich eigentlich völlig unabhängig von der westlichen Musik entwickelt. Anders sieht es bei den (auch) verwendeten und "eingemeindeten" Instrumenten, speziell bei den Blasinstrumenten aus.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Progressiver hat geschrieben:(27 Feb 2021, 14:16)

Gute Musik hat immer auch eine gesellschaftspolitische Komponente.
Da muss ich dir wirklich widersprechen. "Musik" als Phänomen ist völlig elementar und sowas wie eine anthropologische Konstante. Sie ist ersteinmal und nur grundsätzlich ein Resonanzphänomen. Ausdruck von Resonanz mit anderen Menschen, einem eigenen Gefühl, einer Begebenheit oder was auch immer. So wie etwa "Lachen". "Lachen" speziell ist soetwas wie Resonanz auf einen als befreiend erlebten Kontrollverlust. Warum hat die Evolution Lachen als physiologisches Phänomen entwickelt? "Musik" als Phänomen schafft etwas komplexere Resonanzmöglichkeiten. Am Ende (aber natürlich nicht nur) auch so etwas wie "Gesellschaftskritik".
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Quatschki »

Müßte man doch eigentlich bei den Schwarzen alle Blechblasinstrumente einsammeln, und sie auf ihre angestammten Trommeln und Vuvzelas verweisen?!
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(27 Feb 2021, 15:49)

Aber Zwölftontechnik bedeutet nicht nur einfach, die ganze chromatische Tonreihe zu benutzen. Die Kompositionen Schönbergs haben mit Blues und Jazz nur sehr sehr wenig zu tun. Bei Beethovens letzter Klaviersonate (Nr. 111) gibt es Passagen, die eine ganz erstaunliche Jazzzhaftigkeit aufweisen. Aber weder hat er damit Jazz & Blues vorweggennommen noch haben sich spätere Jazz- und Bluesmusiker etwa daran orientiert. Die dem Jazz und Blues zugrunde liegende Harmonik hat sich eigentlich völlig unabhängig von der westlichen Musik entwickelt. Anders sieht es bei den (auch) verwendeten und "eingemeindeten" Instrumenten, speziell bei den Blasinstrumenten aus.
Es geht nicht um die Technik, sondern um die Skala. Wer auf einem Klavier Blues spielt, kommt überhaupt nicht drumherum, sich "weiße" Kultur anzueignen.

Würde man diesen Unfug, kulturelle "Enteignung" für unzulässig zu erklären, ernst nehmen, hätte Jimi Hendrix zwar Blues spielen dürfen, aber keine Gitarre, während Eric Clapton zwar Gitarre hätte spielen dürfen, aber keinen Blues.

Welche Blüten dieser kultur-identitäre Unsinn treibt, läßt sich aktuell in Holland beobachten, wo Marieke Lucas Rijneveld den Übersetzungs-Auftrag für Gedichte von Amanda Gorman zurückgegeben hat, weil man ihr vorwarf, als weiße Dichterin schwarze Lyrik übertragen zu wollen, wozu sie nicht befugt und befähigt sei.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(27 Feb 2021, 16:40)

Es geht nicht um die Technik, sondern um die Skala. Wer auf einem Klavier Blues spielt, kommt überhaupt nicht drumherum, sich "weiße" Kultur anzueignen.
Das ist zweifellos richtig. Ich schrieb ja auch, dass es bei der Instrumentierung anders aussieht.

Tatsächlich entsprechen jedoch auch die "Blue Notes" nur ungefähr den entsprechend benannten Tönen (wie Tritonus) einer chromatischen Tonleiter wie sie sich auf einer Klaviertastatur widerspiegelt. Im Übrigen: Ein bissel verstehe ich schon sowohl von Musik wie auch von Mathematik. Aber auf Themen wie die musikalisch-mathematisch-physikalischen Grundlagen der temperierten Stimmung, der Obertonreihen usw. würde ich mich so ohne weiteres hier auch nicht einlassen. Die sind viel viel schwieriger und anspruchsvoller als es erstmal den Anschein hat.
Würde man diesen Unfug, kulturelle "Enteignung" für unzulässig zu erklären, ernst nehmen, hätte Jimi Hendrix zwar Blues spielen dürfen, aber keine Gitarre, während Eric Clapton zwar Gitarre hätte spielen dürfen, aber keinen Blues.

Welche Blüten dieser kultur-identitäre Unsinn treibt, läßt sich aktuell in Holland beobachten, wo Marieke Lucas Rijneveld den Übersetzungs-Auftrag für Gedichte von Amanda Gorman zurückgegeben hat, weil man ihr vorwarf, als weiße Dichterin schwarze Lyrik übertragen zu wollen, wozu sie nicht befugt und befähigt sei.
Dazu sage ich mal ganz einfach: Es wird mit Sicherheit nicht verboten werden, Blue Notes oder Jazz zu spielen. Und nur darauf kommts an. Wenns Ärger damit gibt - umso besser! Wer mit seinem künstlerischen Schaffen - egal obs um Lyrik oder Popmusik geht - auf gesellschaftlichen Konsens aus ist, der ist ohnehin für die Kunst verloren. Man muss Lust an der Mühsal und Freude am Widerstand haben.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Sören74 »

An Identitätspolitik in Kultur und Musik scheint auch die AfD Interesse zu haben.

"Es sei, so Gauland, „eine Schande für das Deutschtum in seinen Grundfesten“, wenn die „Deutsche Jugend ihre Vorlieben in die Fremde“ verkehre und „ihren Wurzeln so den Rücken“ kehre. Vorwürfe, neben der ausländischen auch große Teile der einheimischen Musikindustrie schwer zu schädigen, wies der Fraktionsführer entschieden zurück. „Wenn die einheimische Musikindustrie ihre Muttersprache verraten will, ist sie zurecht zum Untergange verdammt! Mangelnde Kooperation wird fortan und für alle Zeit nicht mehr geduldet werden."

https://www.dance-charts.de/20170401848 ... -verbannen

Vor zwei Jahren gab es eine Anfrage der AfD im Baden-Württembergischen Landtag, wie viele nichtdeutsche Staatsangehörige an staatlichen Kulturbetrieben in Baden-Württemberg arbeiten. Ja, deutsche Gründlichkeit in der Separierung von Kultur und Staatsangehörigkeiten, so muss es sein. ;)
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von schokoschendrezki »

Sören74 hat geschrieben:(27 Feb 2021, 17:36)

An Identitätspolitik in Kultur und Musik scheint auch die AfD Interesse zu haben.

"Es sei, so Gauland, „eine Schande für das Deutschtum in seinen Grundfesten“, wenn die „Deutsche Jugend ihre Vorlieben in die Fremde“ verkehre und „ihren Wurzeln so den Rücken“ kehre. Vorwürfe, neben der ausländischen auch große Teile der einheimischen Musikindustrie schwer zu schädigen, wies der Fraktionsführer entschieden zurück. „Wenn die einheimische Musikindustrie ihre Muttersprache verraten will, ist sie zurecht zum Untergange verdammt! Mangelnde Kooperation wird fortan und für alle Zeit nicht mehr geduldet werden."

https://www.dance-charts.de/20170401848 ... -verbannen

Vor zwei Jahren gab es eine Anfrage der AfD im Baden-Württembergischen Landtag, wie viele nichtdeutsche Staatsangehörige an staatlichen Kulturbetrieben in Baden-Württemberg arbeiten. Ja, deutsche Gründlichkeit in der Separierung von Kultur und Staatsangehörigkeiten, so muss es sein. ;)
Nun sind die Tümelei-Argumente, die ein Gauland da vorbringt allerdings ganz andere als die, die die Künstler in der eingangs erwähnten 3sat-Sendung vorbringen. Wenn man die Biografie, den Lebensweg eines schwarzen Jazzmusikers wie Miles Davis kennt ,,, der als Musiker auf der Bühne gefeierrt wurde und am Hinterausgang bei einer Rauchpause schonmal als Schwarzer von der Polizei festgesnommen werden sollte, weil er sich dort nicht aufzuhalten hatte. Auf seinem Album ausgerechnet mit dem Titel "Tutu" spielt - neben vielen anderen - der polnische Jazzmusiker Michal Urbaniak mit. Man will doch wohl nicht unter dieses Niveau an Souveränität und persönlicher Stärke absinken.

Den Gaulands und seinen Anhängern muss man klarmachen, dass Kosmopolitismus keineswegs zwangsläufig auf "Einheitsbrei" hinausläuft. Das zeigt gerade auch die Geschichte der Musik. Einheitsbrei, unsägliches Zeug wie etwa das "Orchester Anthony Ventura" (hinter dem der Randy-Pie-Musiker Werner Becker stand) ... also sowas wie Andenmelodien als Fahrstuhlmusik im Karstadt-Kaufhaus ... resultieren nicht aus einem Kosmopolitimus sondern aus dem Geist der kapitalistischen Verwertungslogik wie sie Anfang bis Mitte der 80er in der Thatcher/Reagan-Ära den Zeitgeist bildete.

Es muss auch nicht immer sonstwie anspruchsvolles Zeug sein. Der sentimale Schlager der 50er Jahre zum Beispiel ... "Mandolinen und Miondschein" steckt voller Klischees über Italien vor allem. Und bildet dennoch authentisch die Sehnsüchte der deutschen Nachkriegsgesellschaft ab. Man muss immer im Einzelnen schauen, wie gelungen die Synthesen und Überbrückungen sind. Finnischer Tango zum Beispiel, ein Unding eigentlich, gehört zu den großartigsten.
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jellobiafra
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von jellobiafra »

Der weisse Jazz Pianist Bill Evans bezog einerseits wichtige Einflüsse aus der europäischen Klassik (Debussy) und war für einige der wichtigsten Alben von Miles Davis durchaus stilprägend. Kind of Blue ist ohne seinen Beitrag gar nicht vorstellbar.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Billie Holiday »

Wie erklärt man das alles von Geburt an Blinden, die von Hautfarben keine Ahnung haben? Oder kann man Hautfarben hören?
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Astrocreep2000 »

Progressiver hat geschrieben:(26 Feb 2021, 21:59)Was den Bereich der Musik betrifft, so beschwerten sich einige Schwarze in dieser 3Sat-Sendung, weil deutsche Weiße ihre Rapmusik stehlen würden. Stark vereinfacht gesagt. Die Aussage war in etwa: Zuerst werden die PoC für ihre kulturellen Errungenschaften unterdrückt. Dann kommen Weiße daher. Und diese stehlen die Musik und das ganze Drumherum. Und sie lassen sich dafür auch noch feiern bzw. machen richtig viel Geld damit, dass sie Rapmusik klauen.


Ich denke, bei dem "Vorwurf" muss man schon differenzierter hinschauen: Der Großteil des seit einigen Jahren so erfolgreichen, zeitweise die Charts dominierenden "Deutschen Gangsta-Rap" stammt ja größtenteils von jungen Männern mit Migrationshintergrund, die selbst aus benachteiligten Verhältnisse stammen.

Auch musikalisch ist da etwas eigenes entstanden, was mit dem "klassischen" US-Hip-Hop wenig gemein hat, außer, dass man hier wie dort "Sprechgesang" hört.

Insofern: Auf wen bezogen sich denn die betroffenen Musiker? "Die Fantastischen Vier"? "Fettes Brot"? Das sind (bzw. waren ...) "typische" weiße, deutsche Mittelstands-Kids ... Aber auf Jungs wie Azad, Farid Band, Haftbefehl etc. trifft das so nicht zu. Weisst Du noch den Titel der 3Sat-Doku?
Progressiver hat geschrieben:(26 Feb 2021, 21:59)"Echte" Bluesmusik hätte nur bestenfalls von B.B. King etc. und seinen Nachfahren gespielt werden dürfen, aber nicht von irgendwelchen Weißen, die den Blues für sich entdeckt hätten.
In meiner Wahrnehmung haben sich die großen US-Blues-Gitarristen wie B.B. King, Buddy, Guy Albert Collins etc. extrem gefreut, dass in den 60ern die englischen weißen Gitarristen wie Clapton, Jimmie Page, Peter Green etc. an ihr Schaffen anknüpften. Auch ein Stevie Ray Vaughan wurde als "einer der ihren" begriffen - weil eben Musik eine universelle Sprache ist, die verbinden soll und nicht trennen. Gerade die "Blueser" sehen sich da in meiner Wahrnemung als Community. Ich meine, es war sogar B.B. King selbst, der gesagt hat, man müsse keine Baumwolle gepflückt haben, um "den Blues zu fühlen".

Insofern: Ich finde, als Musiker sollte man sich schon über die Geschichte und Herkunft dessen, was man spielt, klar sein: Aus Respekt, um zu verstehen - aber dabei künstlich Grenzen einziehen zu wollen, finde ich blöd. Mir fallen spontan auch keine Musiker ein, die so etwas selbst fordern/gefordert haben. Scheint mir künstlich von außen befeuert ...
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von schokoschendrezki »

jellobiafra hat geschrieben:(28 Feb 2021, 08:04)

Der weisse Jazz Pianist Bill Evans bezog einerseits wichtige Einflüsse aus der europäischen Klassik (Debussy) und war für einige der wichtigsten Alben von Miles Davis durchaus stilprägend. Kind of Blue ist ohne seinen Beitrag gar nicht vorstellbar.
Um die Ansichten von Miles Davis zu diesem Thema zu verstehen, sollte man sein ambivalentes Verhältnis zu Louis Armstrong in Betracht ziehen. Den er als Musiker bewunderte. Dessen kompromissbereite, publikumszugewandte Haltung er aber kritisch sah. Niemals hätte ein Satchmo ein Konzert zu irgendeinem Teil mit dem Rücken zum Publikum wie Miles Davis absolviert. Das war seine Art von Protest. Nicht der Ausschluss weißer Mitmusiker oder ein identitäres Verhältnis zu seiner Herkunft. Miles Davis war nicht nur afroamerikanischer Jazzmusiker sondern ein auf der einen Seite künstlerisch genialer Mensch, auch ein von seiner sozialen Herkunft her eher privilegierter Bürger ("Zahnarztsohn"). Auf der anderen Seite ein zigfach ungerechtfertigt gedemütigter Künstler. Man wird als Mitteleuropäer die traumatischen Erlebnisse eines solchen hochsensiblen Menschen kaum nachvollziehen können. Deshalb: Ein Mensch, ein Künstler zudem ist zuallererst ein Individuum. Und er kann die Kränkungen, die er aufgrund seiner ethnischen Herkunft erfahren hat anders sublimieren als durch Identitätspolitik: Durch eine bewundernswerte Arroganz gegenüber Publikumserwartungen zum Beispiel.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Skeptiker »

Billie Holiday hat geschrieben:(28 Feb 2021, 10:05)
Wie erklärt man das alles von Geburt an Blinden, die von Hautfarben keine Ahnung haben? Oder kann man Hautfarben hören?
Blinde können das fühlen. Du kannst das natürlich nicht nachempfinden. Dennoch warne ich dich davor das in Frage zu stellen, weil dir als Cis-Visueller dazu kein Urteil zusteht.
Zuletzt geändert von Skeptiker am So 28. Feb 2021, 17:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von Skeptiker »

Quatschki hat geschrieben:(27 Feb 2021, 16:00)
Müßte man doch eigentlich bei den Schwarzen alle Blechblasinstrumente einsammeln, und sie auf ihre angestammten Trommeln und Vuvzelas verweisen?!
Ich denke es käme darauf an, aus welcher Gegend die Vorfahren kamen. Vuvuzelas sind ja nicht überall in Afrika verbreitet. Es wäre sicher unangemessen, wenn sich ein zentralafrikanischer Stamm die Kultur eines südafrikanischen Stammes aneignet. Damit ist nicht zu spaßen :x
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Re: Identitätspolitik im Kulturwesen und in der Musik

Beitrag von DarkLightbringer »

Skeptiker hat geschrieben:(28 Feb 2021, 16:37)

Blinde können das fühlen. Du kannst das natürlich nicht nachempfinden. Dennoch warne ich dich davor das in Frage zu stellen, weil dir als Cis-Visuelle dazu kein Urteil zusteht.
Man merkt, du hast dich mit der Materie auseinandergesetzt.
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[Humphrey Bogart als Rick Blaine in >Casablanca<, 1942]
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