schokoschendrezki hat geschrieben:(27 Nov 2020, 04:52)Als wenn es allein die polnische oder ungarische Regierung wären, die diese europäische Idee erodieren lassen. Der EU-Haushalt wurde schon zigmal und vor allem von seiten Frankreichs oder UKs in Haftung genommen.
Ja, da ging es aber primär nur um irgendwelche finanzielle Verteilungskämpfe.
Zwischen Frankreichs Präsident Macron und der bundesdeutschen Verteidigunsministerin AKK gab es jüngst eine heftige Auseinandersetzung bezüglich der Frage des transatlantischen Bündnisses und der Rolle der Eigenständigkeit der EU in dieser Frage. Das ist nicht nur einfach eine Differenz in der Frage der Höhe irgendwelcher Agrarsubventionen. Sondern eine ganz fundamentale Differenz.
Da ging es um Themen die gar nicht vom EU-Vertrag abgedeckt werden.
Auch der Brexit ist - wenn man es historisch sieht - nicht einfach nur etwas, was auf "Minus Eins" hinausläuft. Und die Rolle Polens in Europa geht fundamental über die als Wirtschaftsstandort hinaus. Was nämlich die Beziehungen zum Baltikum, zur Ukraine, zum Ukrainekonflikt, zu den politischen Entwicklungen in Belarus und vor allem allgemein Russland anbelangt.
Die Punkte die sie hier aufführen sind vollkommen belanglos. In Wirklichkeit geht es aktuell um das Fundament der EU. Ist man eine Werteunion oder nicht. Und kann man Verstöße gegen diese Werteunion sanktionieren oder nicht. Wenn man keine Werteunion ist muss man den EU-Vertrag ändern. Genau dieser Vorschlag kommt ja nun von Polen und Ungarn. Die hätten gerne weiter eine Schein-Werteunion, die den Umbau ihrer Staaten in Autokratien nicht ernsthaft behindert. Falls der Rest der EU-Mitglieder das zulässt ist die Frage bezüglich der Zukunft der EU auch beantwortet. Das ist dann de facto eine reine Wirtschaftsunion (Szenario 2 Schwerpunkt Binnenmarkt), auch wenn man versucht sich noch ein anderes Mäntelchen umzuhängen.
Ein naher Verwandter von mir ist in verantwortlicher Position in einem großen Logistikzentrum am Rand von Berlin beschäftigt. Als in der ersten Hälfte des Jahres die Grenzen zu Polen wegen der Pandemie geschlossen wurden, gingen die Bilder von kilometerlangen LKW-Staus durch die Medien. Der musste sich nicht nur um die Belange der steckengebliebenen Fahrer kümmern. Es gibt Verträge mit zig Baustellen in Berlin über die Lieferung von Farben und Baumaterialien. Und die kommen zum großen Teil aus Polen. Ein anderer naher Verwandter arbeitet bei Rolls Royce Triebwerke südlich von Berlin. Größter Abnehmer ist Airbus mit Hauptsitz in Toulouse. Und natürlich ist das Unternehmen vom Brexit getroffen. Ich sage mal so: Jenseits dieser meist stark kulturalistischen Diskussionen gibt es noch so etwas wie eine Wirklichkeit, eine Realität. Vielleicht sollte man die zumindest gelegentlich auch mal in die Argumentationen einbeziehen. Tut man dies, so laufen die Konzepte am Ende nicht auf Maximalvertiefung sondern auf die Findung von Minimalkonsensen hinaus. Erstens. Und zweitens ist eine neuerliche Teilung Europas in West und Ost, dieses inzwischen völlig verflochtenen Wirtschaftsraums vollkommen ausgeschlossen! Undenkbar!
Selbstverständlich können wirtschaftliche Verflechtungen auch wieder aufgelöst werden. Man ist in der Vergangenheit Jahrzehnte ohne Ostblock gut zurecht gekommen und es gibt Null Gründe warum dies nicht auch in Zukunft möglich sein soll.
Nur um ein kleines Beispiel herauszugreifen: Länder wie Rumänien und Bulgarien bilden mit eigenen staatlichen Mitteln gut qualifizierte Ärzte und Pflegekräfte aus, die dann zu erheblichem Anteil für Deutschlands Gesundheitssystem arbeiten. Das, darin sind sich Gesundheitsexperten einig, vielleicht nicht zusammenbrechen aber doch in erhebliche Schwierigkeiten käme, gäbe es eine solche erneute Teilung Europas in Ost und West.
Das Handeln orientiert sich immer an den Möglichkeiten die zur Verfügung stehen. Wenn exemplarisch keine Ärzte und Pflegekräfte mehr aus Osteuropa im Westen arbeiten dürfen wird man andere Wege suchen und finden. Weltuntergang ist was anderes.