Das ist viel auf einmal. Die Opposition hat öffentlich verkündet, immer wieder, dass sie eine geopolitische Komponente nicht (jetzt) zum Thema machen will und dass es für Sanktionen auch "zu früh" sei. Sie hat sich aber als real existierend etabliert. Eine der drei vorstehenden Frauen sitzt im Land, eine in der EU, eine in Russland. Einer der Ehemänner war ein etablierter Mann des alten Systems, der relativ überraschend gegen Lukaschenko kandidierte und von der Wahl ausgeschlossen wurde.DevilsNeverCry hat geschrieben:(25 Aug 2020, 21:12)
Offensichtlich ist der Versuch der Opposition gescheitert bei den Partnern in Europa Tichanowskaja als vorübergehende Präsidentin im Ausland anerkennen zu lassen. Das nennt man wohl gesunder Menschenverstand. Wahl gefälscht ist nicht gleich der amtierende Präsident hat die Wahl verloren. Daher ruft man immer mehr zu Neuwahlen auf.
Ich bin aber etwas skeptisch ob Lukaschenko so einfach gehen wird. Im Gegensatz zu Janukowitsch in der Ukraine damals, ist die Macht im Staat deutlich mehr auf Lukaschenko zugeschnitten. Ca. 25 Jahre Herrschaft sorgen dafür das er administrative Verwaltung, Sicherheitskräfte und hochrangige Diplomaten auf Kurs gebracht hat. Bei Janukowitsch war das nicht so, deswegen konnten die Demonstranten in den ersten Wochen Zelte auf dem Maidan aufbauen und das Regionalparlament gestürmt werden. Hier hat Lukaschenko vorgebeugt. Auch ist nicht davon zu hören das in anderen Städten außerhalb von Minsk administrative Verwaltung und örtliche Sicherheitskräfte auf die Seite der Opposition wechseln -> das war Dezember 2013 und Januar 2014 in der Westukraine anders, da hat Janukowitsch komplett die Kontrolle verloren. Und genau das dürfte wohl den Rambo Auftritt mit Kalaschnikow von Batka erklären. Am Anfang fand ich seinen Auftritt auch übertrieben und nach wie vor nicht gut. Aber er ist Autokrat -> damit wollte er wohl dem gewaltbereiten Teil der Opposition ein Signal setzen.
Da Lukaschenko die administrativen Ressourcen und vor allem die Sicherheitsorgane mehrheitlich unter Kontrolle hat, muss die Opposition an anderen Stellen zuschlagen. Auf Diplomatenebene und den staatlichen Betrieben.
Auf Diplomatenebene ist momentan nicht viel zu sehen: Der belorussische Botschafter in der Sloawkei hat mit der Opposition sympathisiert und wurde entlassen. Gleiches ist einem Dplomaten in Indien wiederfahren. Mehr kam bisher nicht. Wenn das so bleibt dann war das ein Strohfeuer, sonst nichts.
Tja bei den staatlichen Betrieben sieht das anders aus. Das war auch der Grund warum Lukaschenko so aktiv geworden ist und anfing auf die Leute zu zu gehen. Es wurden schon vereinzelt Betriebe geschlossen. Bisher gab es aber von den Arbeitern keine "kollektiven Massenstreiks" -> hier konnte die Opposition Punkten, aber da ist noch deutlich Luft nach oben.
Bei den Protesten bemühen sie sich vor allem, Bilder militanten Auftritts zu vermeiden. Das wäre nachhaltig schlecht, lässt sich auf die Dauer aber nur schwer völlig verhindern. In den Betrieben geht es ums Eingemachte: Privat für jeden, der die Arbeit niederlegt steht die Anstellung auf dem Spiel, aber auch eine Schädigung der Lieferfähigkeit kann nachhaltig die Wirtschaft ruinieren und das will auch kaum wer. Die relativ freien modernen Wirtschaftszweige machen dann doch nicht die Mehrzahl der Arbeitsplätze aus.
Möglicherweise gewinnen sie außerhalb der Hauptstadt einige Sympathien, wenn sie gewaltsame Aktionen weiter vermeiden können und sich durchweg als unschuldige Opfer unbegründeter Gewalt positionieren können.Was für die Opposition spricht ist die Tatsache das sie mehrere soziale Schichten auf die Straße bringen können. Auch haben Sie keinen Leader, womit es schwer ist diese Bewegung zu zerschlagen. Jene die die sozialen Proteste organisieren machen Ihre Arbeit momentan ganz gut, da sind sogar welche von der "alten" Opposition dabei. Das Regime geht momentan gegen solche Leute vor und hat auch ein paar schon fest genommen.
Langfristig gesehen wird es aber nicht ausreichen solche Märsche zu organisieren, man braucht einen oder eine Gruppe von Führungspersonen die politische Forderungen an das Regime stellt. Jene die das eigentlich machen müsste sitzt im Ausland und hat sogar von einer Kandidatur bei der nächsten Wahl abgewunken. Dee alte Opposition ist nur bei der städtischen Intelligenz beliebt, nicht aber der Mehrheit der Belorussen.
Die Neigung im Militär und vor allem der Polizei, auf Leute zu schießen, die immer wieder beteuern, eigentlich nur neue Wahlen zu wollen, lässt sich nicht dauerhaft halten. Andererseits ist nicht gesagt, dass die Forderung nach neuen Wahlen und der Lukaschenko-Überdruss unbedingt den bisher aufgetauchten Köpfen zugute kommen muss. Die relativ inaktive Mehrheit könnte sich am Ende für eine Figur begeistern, die einen sauberen Neustart mit viel Kontinuität verbindet, Lukaschenko ins Abseits stellt ohne ihn hart zu bestrafen und in Russland gut vernetzt ist.Ich bin mir nicht mal sicher ob Lukaschenko sogar fällt wenn die sogenannten Massenstreiks tatsächlich anfangen. Ich traue es Ihm auch zu im Notfall eine Militärdiktatur aufzubauen. In Venezuela und Syrien haben wir ja so etwas auch und da dachten auch viele die Tage von Assad und Maduro sind gezählt. Im Falle von Belarus kommt sogar noch hinzu das Putin hier der direkte Nachbar ist, der das stillschweigend billigen könnte (wenn er sich tatsächlich dazu entscheiden sollte). Ein Eingreifen Russlands sehe ich als nicht notwendig an, Lukaschenko hat dafür das Militär zu fest im Griff.