Corella hat geschrieben:(11 May 2020, 10:33)
Du redest offenbar einer Graswurzelbewegung das Wort, durch Erreichung innerer Reife und echter Zufriedenheit. Und das als Ökonom ohne die wirtschaftliche Katastrophe heraufzubeschwören. Eine selten erlebte Stimme und ich wäre gern dabei.
Nur leider ist zu befürchten, dass im Falle anderer Beispiele, Flugreisen, Auto, Haus eine Sättigung noch lange nicht zu erwarten ist und konventionell gewirtschaftet, Nachhaltigkeitskonzepte überfordern dürfte.
Du stündest dann sicher auch etwas wie einer "Gemeinwohlökonomie" (-> Wiki) nahe.
Naja, es gibt da ja viele Ansichten von vielen Leuten, auch Ökonomen. Niko Paech ist hier in Deutschland sicher einer der Bekanntesten. Ob ich denen jetzt das Wort rede sei mal dahin gestellt. Bei Paech weiß ich zumindest was er meint, finde seine Ansichten teilweise dann allerdings wieder zu extrem. Ob sowas in unserer durchkonsumierten Welt überhaupt jemals umsetzbar wäre, sei mal dahin gestellt.
Ich bin weder Linker, noch Kapitalismuskritiker. Ich sehe nicht einzelne Personen, sondern die ganze Gesellschaft und damit auch die von ihr erschaffenen Systeme. Es gibt sicherlich viele Ansichten wie die Postwachstumsgesellschaft von Paech oder die Gemeinwohlökonomie von Felber. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich irgendwie eines dieser Systeme bevorzugen, aber auch nicht ablehnen würde. Mein Ansatz ist das abstrakter, eben in der Hinsicht, dass es nicht die Systeme sind, sondern die Gesellschaft, die diese Systeme erschaffen hat.
Die Gesellschaft, wie sie jetzt ist, ist ein Produkt vieler Einflüsse...endogener wie auch exogener.
Ich mache mal ein Beispiel, was ich meine:
Heute ist Konsum nicht mehr nur Deckung von Grundbedürfnissen, sondern viel mehr. Die Leute identifizieren sich damit, welches Auto sie fahren, welche Kleidung sie tragen, welches Smartphone sie besitzen. Im Resultat führt das soweit, dass wir anhand seines Konsumverhalten einen Menschen in eine soziale Schicht einordnen, was die überbordende Bedeutung, die der Ökonomie gegeben wird, darlegt. Mir als Ökonom ist bspw. nicht klar, warum wir Menschen als sozial schwach bezeichnen, die ein geringes Einkommen haben. Solche Menschen möchten ökonomisch schwach sein, aber dadurch doch nicht automatisch sozial schwach...auch wenn das eine natürlich Ursache für das andere sein kann. Alleine diese Tatsache gibt mir schon zu denken.
Dem entgegen bezeichnen wir Leute mit hohem Einkommen als sozial stark, ohne die Ausprägung ihrer sozialen Interaktion überhaupt zu prüfen.
Da Jeder Mensch nach sozialer Anerkennung strebt, was absolut in Ordnung ist, resultiert das oben Gesagte darin, dass meine seine ökonomische Stärke möglichst öffentlichkeitswirksam propagieren muss...dickes Auto, immer das neueste Smartphone, schicke Markenkleidung, natürlich muss man sich im Strandurlaub dem Hautkrebsrisiko ausliefern, damit zu Hause jeder sieht, dass man ganz weit weg war und schön braun gebrannt ist. Solche Menschen erhalten in unserer Gesellschaft anerkennen, obwohl viele dieser Verhaltensweisen die Gesellschaft eher schädigen. Dem entgegen erfinden wir die tollsten negativ geprägten Begriffe für Menschen, die sich reflektieren und im Sinne der Gesellschaft handeln wollen. Sei es, dass diese Leute aufs Fliegen verzichten oder mit dem ÖPNV bzw. Fahrrad zur Arbeit fahren, um ihren Teil zu gesellschaftlichen Zielen zu erreichen. Mein Favorit ist da ja der böse "Gutmensch". Dass die Wortkombination von "gut" und "Mensch" heute negativ kontoniert ist, sagt doch schon alles aus.
Mir will sich dieses Paradoxon einfach nicht erschließen.
Dieses Problem lässt sich dadurch lösen, dass endlich die Menschen gesellschaftliche Anerkennung und Status erlangen, die auch (jedem sei durchaus die Verfolgung individualistischer Ziele zugestanden) im Sinne der Gesellschaft handeln, und nicht diejenigen, die ökonomisch möglichst erfolgreich sind (was durchaus einher gehen kann...siehe etwa die aktuelle Diskussion über die Bezahlung von Mitarbeitern im sozialen/pflegerischen Bereich), dann kann daraus was werden und dann brauchts auch keine Gemeinwohlökonomie und dergleichen.
Auch was den Kapitalismus betrifft: Kapitalismus als Grundform zur Produktion von Gütern ist vollends in Ordnung und bin ich absolut dafür. In den 70er/80er Jahren hat sich allerdings das Problem ergeben, dass durch steigende Einkommen (und damit steigende volkswirtschaftliche Ersparnisse) immer mehr Kapital auch rentabel sein muss. Das geht nur dadurch, dass immer mehr produziert wird und immer mehr abgesetzt wird. Als damals (60er Jahre) der Wandel von Verkäufermärkten zu Käufermarkten erfolgte, da waren die Käufer tatsächlich gesättigt, es gelang auch entsprechend Produktivitätsfortschritte in weniger Arbeitszeit umzuwandeln. Als Gegenantwort gab es dann immer stärkere Werbung (anfangs informativ, heute hauptsächlich emotional) um dem damals gesättigten Kunden klar zu machen, was er doch unbedingt noch bräuchte. Und wo nicht, wurden eben Probleme suggeriert, für den der Verkäufer natürlich den idealen Problemlöser hat. Eines der ersten Produkte war hier Listerine, die Mundspülung. Im ersten Werbespot dieser Marke wurde eine Frau suggeriert, die aufgrund von angeblichem Mundgeruch keine Männer mehr abbekommt. So geschieht es heute immer un überall...man kann sich nicht mehr im öffentlichen Raum bewegen, ohne von Werbung belästigt zu werden. Das TV-Programm war und ist voller Werbung, die Wirkung bestens erforscht und bekannt. Mit Wirtschafts- und Medienpsychologie gibt es mittlerweile auch Studiengänge, die sich genau solchen Themen widmen. Zudem kamen dann die Einführung von so tollen Dingen wie Konsumentenkrediten. Damals musste man nicht mehr lange warten, bis die prophezeiten glücksbringenden Konsumwünsche erfüllt werden konnten, sondern dies konnte unmittelbar passieren.
Ohne jetzt lange Texte schreiben zu müssen, sollte klar sein, was ich meine.
Da sich mir dieses Paradox nicht erschließt und ich es deshalb hinterfragt habe, bin ich zu entsprechenden Schlüssen gekommen und habe entsprechende Gegenmaßnahmen in mein Leben implementiert, um den Einfluss wesentlich geringer zu halten.
Obwohl ich aufgrund guter Qualifikation durchaus im oberen Einkommensbereich mich befinde, und mir so einiges leisten könnte, gebe ich nur noch recht wenig aus und mir fehlt trotzdem nichts, habe eine nie dagewesene Zufriedenheit erlangt ohne dass ich immer den neuesten und hippsten Produkten nachlaufen (und dafür wertvolle Arbeitszeit aufwenden) muss. Mein Job ist und bleibt weiterhin ein guter Job und im schlechtesten Fall kann ich einige Jahre früher in Rente gehen, weil ich den ganzen Konsumschwachsinn beiseite gelassen habe. Mehr Konsumption ist die Devise.
Vermissen tue ich nix, absolut rein garnix!
Leider werden ja alle Versuche auch ökonomenintern von konventionellen mit den gleichen Adjektiven versehen, wie von extern.
Naja, auch da gibt es natürlich solche und solche. Dass Ökonomen, die den Mainstream predigen steht präsenter in den Medien sind, ist systemimmanent. Im Übrigen sind auch dies selten Marktradikale, sehen nur den Konsum anders wie ist. Ansonsten sind sich auch dieser der extremen Kosten und Wohlstandsverluste bewusst, die die zukünftigen Probleme mit sich bringen. Das haben mittlerweile so gut wie alle geschnallt!