Kohlhaas hat geschrieben:(01 Jul 2019, 19:33)
Die Ablehnung von „Doppelstrukturen“ war in den vergangenen Jahrzehnten das Argument, mit dem Großbritannien sich immer wieder hartnäckig einer engeren militärischen Zusammenarbeit der europäischen Staaten widersetzt hat.
Dabei ist nie hinterfragt worden, was mit „Doppelstrukturen“ eigentlich gemeint ist. Fakt ist doch, dass der Nato nur zwei Nationen angehören, die nicht in Europa liegen: USA und Kanada. (Wer es ganz genau nehmen will, darf noch die Türkei dazurechnen....)
Würde es der Nato schaden, wenn sich in Europa eine „Gruppe“ von Nato-Staaten bildet, die militärisch eng vernetzt ist? Wenn die „Gruppe“ als „Gruppe“ in der Nato mitwirkt und nicht mehr als eine Anzahl von Einzelstaaten?
Natürlich könnte die erwähnte „Gruppe“ auch abseits der Nato bestimmte Eigeninteressen verfolgen. Das wäre aber gar nicht neu. Die USA machen doch auch immer wieder mal Sachen, die ganz unabhängig von der Nato sind.
Meiner Ansicht nach gibt es europäische Interessen, die nichts mit der Nato zu tun haben. Interessen, die auch nicht alle Nato-Staaten berühren. Diese Interessen muss Europa selbst vertreten können. Unabhängig von der Nato. „Unabhängig“ heißt dabei nicht „in Konkurrenz“!
Wollte man alle Interessen europäischer Staaten immer mit der Nato verknüpfen, dann wäre innereuropäische Politik immer von der Zustimmung der USA abhängig. Das wollen weder die USA, noch die Europäer. Nehmen wir als Beispiel Finnland. Gehört nicht der Nato an. Ist aber unzweifelhaft ein Teil Europas. Sollte Europa auf die Zustimmung und die Teilnahme der USA warten, wenn Finnland ein Problem hat? Oder die Schweiz: Gehört weder der Nato noch der EU an. Sollte Europa auf Zustimmung und Teilnahme der USA warten, wenn die Schweiz ein Problem hat?
Mag sein, dass diese rhethorischen Fragen jetzt allzu theoretisch wirkten. Machen wir es deshalb praktisch: Der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien. Wegen eines ähnlichen Konflikts ist schonmal ein Weltkrieg ausgebrochen. Und die Europäer konnten sich nicht aufraffen, dort regelnd einzugreifen. Sie waren auf die USA angewiesen, um dann im Nato-Verbund mit einem Konflikt umzugehen, der direkt in Europa stattfand. Ein Konflikt, der zudem in den USA zu dem Zeitpunkt niemanden groß interessiert hat. Diese Verzögerung hat mit zur Eskalation des Konflikts beigetragen!
Der Begriff „Doppelstrukturen“ impliziert, dass eine europäische Armee eine „Konkurrenz“ zur Nato wäre. Das ist aber nicht der Fall. Das haben die Briten, die diesen Begriff geprägt haben, auch ganz genau gewusst.
Europa (damit meine ich die EU oder eine Gruppe von EU-Mitgliedern!) braucht einfach eigene und unabhängige Mittel und Wege, um mit rein europäischen Problemen umzugehen. Dabei muss ja nichtmal jedes EU-Mitglied mitmachen.
Das ist ja jetzt schon so, dass sich Gruppen bilden und in einem multinationalen Verbund die eine oder andere Aufgabe erfüllen.
Auch Nicht-NATO- oder Nicht-EU-Staaten können sich beteiligen.
Wichtig ist aus meiner Sicht, die Formalien nicht losgelöst von der konkreten Aufgabenstellung zu sehen.
Nehmen wir als Beispiel die Verstärkte Vornepräsenz zur Sicherung der Ostflanke alliierter Territorien (Litauen, Estland, Lettland, Polen).
Die veränderte Sicherheitslage hat hier Sorgen ausgelöst, weshalb die Abschreckung verstärkt worden ist.
In Litauen stellt Deutschland die Rahmennation, andere Nationen sind die Speichen.
In Lettland führt Kanada und in Polen die USA.
"Doppelstruktur" hieße, das gleiche zu leisten, aber mit mehr Fähnchen und mit gesonderten Organisationsformen.
Das wäre dann der Fall, wenn in Litauen einmal die so gedachte EU-Armee präsent wäre, sagen wir mal bestehend aus drei Schengen-Staaten, plus einem Nicht-Schengen-EU-Staat, plus einem Nicht-EU-aber-NATO-Staat, plus einem Übersee-Alliierten, der weder in der EU noch in Europa beheimatet ist.
Die vielen Fähnchen, Standarten und Wappen wären nicht das Problem und das Oberkommando könnte, wie jetzt auch, irgendwer übernehmen.
Problem wäre eher, nach welchen Standards all diese Truppenteile organisiert werden. Sollte dann ein EU-Standard anders sein als der NATO-Standard?
Wenn ja, behindert man sich gegenseitig ein wenig, wenn nein, hat man das gleiche wie jetzt.
Der Punkt ist auch, dass zumindest ein Übersee-Alliierter, die USA, die ungleich höheren Fähigkeiten aufweist als dies eine "EU-Armee" (sprich, drei bis sechs Schengen-Staaten) erreichen würde.
Und das hat nicht allein symbolische Bedeutung. Hier entscheidet sich das Maß der Abschreckung und damit die Handlungsmöglichkeiten eines potentiellen oder faktischen Gegen-Akteurs.
Sollte diese EU-Armee in 50 Jahren (?) auch die internationalen Seewege schützen können, gleich wie die USA?
Also, schlußendlich ergibt sich erstmal kein Sinn daraus, etwas anderes zu tun, als in der Allianz und mit der Allianz die Sicherheit zu verstärken oder gleich zu halten.
Und die strategische Außenpolitik im Mittelmeer, gegenüber fragilen Staaten, gegenüber östlichen Nachbarn, am Horn von Afrika oder am Persischen Golf wird heute sehr unterschiedlich und flexibel gesehen.
Portugal hat völlig andere Interessen als Litauen, Großbritannien andere als Italien, Deutschland andere als Spanien und Belgien andere als Kanada. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Sicherheit wollen alle, dafür ist die Allianz seit 70 Jahren ziemlich gut und effektiv.
Nur außenpolitische Belange wie Krisenprävention und Versorgungssicherheit, bilaterale Partnerschaften usw. sind alles andere als einheitlich.
Im Grunde stehen Zielfragen im Vordergrund, weniger Formalfragen.
Gruppen, Kommissionen und Wappen kann man bilden, sei es auch ohne konkrete Zielvorgabe, nur sollten sie dann möglichst wenig hinderlich sein.