Terrorismus und digitale Parallelwelten
Monster, die sich für Helden halten
Manifest aus dem Nerdkultur-Biotop
Das Neue am Fall Christchurch ist, dass da ein weiteres "Radikalisierungsnetzwerk" hinzugekommen zu sein scheint:
Der Täter kündigte seine Tat nicht nur bei Twitter an, sondern auch im Bilderforum "8Chan", einem Ableger der sogenannten Chan-Kultur, deren Ursprung 4Chan heißt.
In seinem "Manifest" finden sich massenweise pseudo-ironische Zitate und Insiderwitze aus diesem Nerdkultur-Biotop.
Mit viel Aufwand biedert er sich an bei den anonymen Zynikern, bis hin zu einem Verweis auf eine Art digitales Geländespiel rund um den Videospiel-YouTuber PewDiePie am Anfang seines Massenmord-Livestreams.
Der Täter hatte offenbar das Gefühl, sich im politisch oft extremen /pol-Forum von 8Chan unter Gleichgesinnten aufzuhalten, die sein live gestreamtes Massaker zu würdigen wissen würden. Und in der Tat gab es dort im Anschluss an das Massaker offenbar Beifall.
Oder kommen eben auch neue Technologien zum Einsatz? Guy Fawkes, dessen maskenhaftes Konterfei gerne in der Popkultur als Rebell benutzt wird, versuchte im 17. Jahrundert das englische Parlament in die Luft zu sprengen. Er wollte Sprengmittel verwenden, weil es seinerzeit möglich war. Ein paar hundert Jahre zuvor hätte er vielleicht mit einer Axt operieren müssen. Die neue Waffentechnologie machte ihn vermutlich nicht per se zu einem neuen Typus von Attentäter. Der Christchurch Attentäter versuchte zwar nicht durch das Internet zu töten, aber schien dadurch radikalisiert worden zu sein. Noch vor 20 Jahren wäre das vermutlich in Rechts-, Links,- oder radikalislamischen Milieus im direkten Austausch geschehen müssen. Sicher hat der hier thematisierte Attentäter auch jenseits des Cyberspaces eine Sozialisation erfahren, die ihn auf den Weg gebracht hat. Aber wäre er auch losmarschiert, wenn ihm nicht in seiner Wahrnehmung der Zuspruch und die Aufmerksamkeit im Netz Gewiß gewesen wäre? Er streamte ja wohl live seinen Amoklauf. Für seine Community? Sein Manifest für das World Wide Web war ihm wichtig. Wie bei Breivik.In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ist im Netz eine rechtsradikale Jungmänner-Suppe aus Trollerei, Tabubruch, YouTube, Videospielen, Verschwörungstheorien, Minderwertigkeitsgefühlen, Sexismus, Rassismus, intellektuellem Hochmut und Gewaltfaszination entstanden. In ihr wuchs beispielsweise auch der deutsche Politiker-"Doxxer" 0rbit heran.
Jetzt hat diese Szene ihren ersten echten Terroristen.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 58159.html
Es wäre wohl nicht richtig, ihn als neuen Typen eines Terroristen zu bezeichnen. Er tötete mit konventionellen Waffen. Wie viele vor ihm. Vermutlich ist er psychisch "auffällig". Wie viele vor ihm. Die Taten zu dokumentieren machten schon Serienkiller weit vor ihm. Ruhm und Märtyrertum spielten auch schon lange vor ihm eine Rolle bei vielen. Die Frage wäre wohl, ob man das Internet, die Echokammern, bestimmte Communities u.a. als neue "Kraft", als Formkraft und Triebfeder, als Bestandteil eines neuen Typus bezeichnen kann.
Sicher auch ein Thema für die digitalen Medien. Aber ich halte es noch mehr für eine gesellschaftliche Frage.