Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

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Watchful_Eye
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Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von Watchful_Eye »

Ich definiere "liberal" hier als ein Politikverständnis, welches staatliche Eingriffe sowohl in unterstützender als auch in diskriminierender Weise vermeidet.

In der Vergangenheit gab es so manche "konservative" Gesetze, die von staatlicher Seite diskriminierten. Beispielsweise das Gesetz, bei welchem Frauen das Erlaubnis des Ehepartners einholen mussten, um arbeiten gehen zu dürfen. Die Einschränkung der Ehe auf heterosexuelle Paare oder der derzeit diskutierte Paragraph 219a können je nach Standpunkt als modernere Beispiele gesehen werden. Im Ausland gibt es sie auch Heute noch in eindeutiger Form, wenn man zB an Kleidervorschriften in Saudi-Arabien denkt. Viele dieser diskriminierenden Gesetze haben/hatten religiöse Wurzeln.

Ich bin zuversichtlich, dass im Einklang mit der zunehmenden Säkularisierung die letzten Überreste diskriminierender Gesetze verschwinden werden. Allerdings wird die liberale Perspektive, "neutrale" Gesetze zu verfassen, heute an dessen Stelle von anderer Seite angegriffen.

Heutige Gesetze gehen häufig in die "linke" Gegenrichtung - so sollen sie nicht nur selbst nicht diskriminieren, sondern auch die Diskriminierung in der Gesellschaft korrigieren. Ein Beispiel dafür ist das Antidiskriminierungsgesetz, welches es verbietet, Jobs oder Wohnungen mit Argumenten wie Geschlecht, Rasse etc nicht zu vergeben. Ebenso aktuell ist die Verbreitung von Frauenquoten - sei es in Aufsichtsräten oder neuerdings auch in Parlamenten ("Paritätsgesetz").

Das sorgt meinem Eindruck nach für einen Paradigmenwechsel, wo der Begriff "Liberalismus" steht. Er selbst hat sich zwar nicht verändert, aber da sich das gesellschaftspolitische Koordinatensystem in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend nach links (von diskrimierenden Gesetzen zu antidiskriminerenden oder gar "positiv diskriminerenden" Gesetzen) verschoben hat, ist der Liberalismus im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte nach rechts gerückt. Seht ihr das auch so?
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Perdedor
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von Perdedor »

Watchful_Eye hat geschrieben: Ich definiere "liberal" hier als ein Politikverständnis, welches staatliche Eingriffe sowohl in unterstützender als auch in diskriminierender Weise vermeidet.
Es ist natürlich die Frage, ob man das Recht des Stärkeren (also ganz außerhalb irgendwelcher staatlichen Eingriffe) als librale Kernidee bezeichnen möchte, und wo dann überhaupt noch der Unterschied wäre zu einer Dikatur wo der Stärkste (der Diktator) allen anderen seinen Willen über einen Staatsapparat aufzwingt.
Watchful_Eye hat geschrieben: Allerdings wird die liberale Perspektive, "neutrale" Gesetze zu verfassen, heute an dessen Stelle von anderer Seite angegriffen.
Kann es "neutrale" Gesetze überhaupt geben? Immer wenn Menschen interagieren kann es zu Interessenkonflikten kommen. Sofern diese staatlich gelöst werden sollen, muss der Staat hier eine Seite einnehmen. Der Verzicht auf jedweden staatlichen Eingriff führt dann aber wieder zum Recht des Stärkeren.
Watchful_Eye hat geschrieben: Heutige Gesetze gehen häufig in die "linke" Gegenrichtung - so sollen sie nicht nur selbst nicht diskriminieren, sondern auch die Diskriminierung in der Gesellschaft korrigieren.
So wie das Verbot der Sklaverei? Nach dem Liberalismus soll Sklaverei also erlaubt sein (sofern sie nicht vom Staat selber betrieben wird)?
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imp
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

Gesetze sind nie "neutral". Es wäre verengt, den Liberalismus nur als die Absenz von Willkür zu begreifen. Neben der Freiheit in der Form ist auch die Freiheit in der praktischen Möglichkeit immer ein wichtiges Anliegen. Da waren wir schon bei Dahrendorf. Er lieferte immerhin schon 1965 "Bildung ist Bürgerrecht" ab. So sehr er Mühe, Konflikt und die Möglichkeit des Scheiterns als schöpferische Optionen sah, so wenig kann man sagen, er habe bloß gemeint, Bildung sei erlaubt.
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irgendwer
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

Watchful_Eye hat geschrieben:(19 Feb 2019, 18:08)

Ich definiere "liberal" hier als ein Politikverständnis, welches staatliche Eingriffe sowohl in unterstützender als auch in diskriminierender Weise vermeidet.

In der Vergangenheit gab es so manche "konservative" Gesetze, die von staatlicher Seite diskriminierten. Beispielsweise das Gesetz, bei welchem Frauen das Erlaubnis des Ehepartners einholen mussten, um arbeiten gehen zu dürfen. Die Einschränkung der Ehe auf heterosexuelle Paare oder der derzeit diskutierte Paragraph 219a können je nach Standpunkt als modernere Beispiele gesehen werden. Im Ausland gibt es sie auch Heute noch in eindeutiger Form, wenn man zB an Kleidervorschriften in Saudi-Arabien denkt. Viele dieser diskriminierenden Gesetze haben/hatten religiöse Wurzeln.

Ich bin zuversichtlich, dass im Einklang mit der zunehmenden Säkularisierung die letzten Überreste diskriminierender Gesetze verschwinden werden. Allerdings wird die liberale Perspektive, "neutrale" Gesetze zu verfassen, heute an dessen Stelle von anderer Seite angegriffen.

Heutige Gesetze gehen häufig in die "linke" Gegenrichtung - so sollen sie nicht nur selbst nicht diskriminieren, sondern auch die Diskriminierung in der Gesellschaft korrigieren. Ein Beispiel dafür ist das Antidiskriminierungsgesetz, welches es verbietet, Jobs oder Wohnungen mit Argumenten wie Geschlecht, Rasse etc nicht zu vergeben. Ebenso aktuell ist die Verbreitung von Frauenquoten - sei es in Aufsichtsräten oder neuerdings auch in Parlamenten ("Paritätsgesetz").

Das sorgt meinem Eindruck nach für einen Paradigmenwechsel, wo der Begriff "Liberalismus" steht. Er selbst hat sich zwar nicht verändert, aber da sich das gesellschaftspolitische Koordinatensystem in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend nach links (von diskrimierenden Gesetzen zu antidiskriminerenden oder gar "positiv diskriminerenden" Gesetzen) verschoben hat, ist der Liberalismus im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte nach rechts gerückt. Seht ihr das auch so?
Ich denke, der Eindruck (Paradigmenwechsel) täuscht nicht. Die bisherigen Linken (SPD, Grüne) werden schließlich geschrumpft. Ausgerechnet deshalb aus meiner Sicht, weil sie sich auf liberale Spiele eingelassen haben und nun auf ihren Minderheiten sitzen. Das war linksliberal.
Der Schwenk der FDP zu rechtsliberal ist nicht groß. Sie gelten ohnehin schon immer als "Königsmacher".
Und die Liberalen, eine Arbeitgeberpartei, werden dann wohl Opposition zu der anderen Arbeitgeberpartei spielen.
In Kolumbien z.B. sei die Sklaverei abgeschafft worden, juhu, weil: Freie billiger sind als Sklaven. Nämlich für Arbeitgeber.

Ähnliche Machtverhältnisse finden sich auch im Islam. Der Ausgang der Wahlkämpfe in der Türkei z.B. war eindeutig vorhersehbar. Die liberale Partei tingelt mit ihren Widersprüchen vor sich hin, wird in deutschen Medien natürlich als DIE Hoffnungsträgerin der Demokratie präsentiert. Aber die besten Chancen hat eben doch die Partei, die sich am wenigsten selbst widerspricht. Und das ist die mit den Glaubens-Hardlinern.
Nach meiner Beobachtung sind in der AfD eine ganze Menge alte FDPler untergekommen, die jetzt über ihre eigenen Werke klagen.
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denkmal
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von denkmal »

Bin jetzt nicht DER Experte, aber bedeutet liberal nicht eigentlich "So wenig Staat wie möglich und soviel Staat wie nötig"? Regelt also gemeinhin das Verhältnis Bürger / Staat?
Ist Neoliberalismus in dem Sinne nicht einfach (missverstandene) Freiheit als Abwesenheit von staatlichen notwendigen Regeln in der Wirtschaft?

Kann man das also so sehen:
Idealer liberaler Staat: Möglichkeiten und Notwendigkeiten sind ausgeglichen, resp. führen zu einem Gleichgewicht.
Neoliberaler Staat: Zuwenig Notwendigkeiten
Nicht liberaler Staat: Zuwenig Möglichkeiten (konservativ?)

Oder sehe ich das total falsch (auch von den Begrifflichkeiten her?
Im Laufe ihres steinernen Daseins nehmen sogar manche Denkmäler menschliche Züge an.
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irgendwer
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

denkmal hat geschrieben:(25 Feb 2019, 12:47)

Bin jetzt nicht DER Experte, aber bedeutet liberal nicht eigentlich "So wenig Staat wie möglich und soviel Staat wie nötig"? Regelt also gemeinhin das Verhältnis Bürger / Staat?
Ist Neoliberalismus in dem Sinne nicht einfach (missverstandene) Freiheit als Abwesenheit von staatlichen notwendigen Regeln in der Wirtschaft?

Kann man das also so sehen:
Idealer liberaler Staat: Möglichkeiten und Notwendigkeiten sind ausgeglichen, resp. führen zu einem Gleichgewicht.
Neoliberaler Staat: Zuwenig Notwendigkeiten
Nicht liberaler Staat: Zuwenig Möglichkeiten (konservativ?)

Oder sehe ich das total falsch (auch von den Begrifflichkeiten her?
Wenn du meine Meinung lesen willst: Liberale sind viel zu einseitig und zu huschig. Wer soll z.B. die Bildung von Kindern bezahlen? Wer soll Versicherungen für Kinder bezahlen? Wer soll mit Kleinkindern zum Arzt gehen? Oder sie hüten, wenn sie nicht in ihre Kindereinrichtung können? Sie rechnen damit, dass das urplötzlich all die ungebundenen, pflichtenlosen und freiheitsliebenden Väter tun werden, ja? Oder vielleicht doch eher damit, dass sich schon irgendwelche Frauen finden werden, die sich weiterhin brav nach religiösem Schema aufopfern, damit es den Herren gut geht. Soviel nur zu diesem einen Thema. Und ich sage glatt: SOOO nicht.
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Europa2050
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von Europa2050 »

Watchful_Eye hat geschrieben:(19 Feb 2019, 18:08)

Ich definiere "liberal" hier als ein Politikverständnis, welches staatliche Eingriffe sowohl in unterstützender als auch in diskriminierender Weise vermeidet.

In der Vergangenheit gab es so manche "konservative" Gesetze, die von staatlicher Seite diskriminierten. Beispielsweise das Gesetz, bei welchem Frauen das Erlaubnis des Ehepartners einholen mussten, um arbeiten gehen zu dürfen. Die Einschränkung der Ehe auf heterosexuelle Paare oder der derzeit diskutierte Paragraph 219a können je nach Standpunkt als modernere Beispiele gesehen werden. Im Ausland gibt es sie auch Heute noch in eindeutiger Form, wenn man zB an Kleidervorschriften in Saudi-Arabien denkt. Viele dieser diskriminierenden Gesetze haben/hatten religiöse Wurzeln.

Ich bin zuversichtlich, dass im Einklang mit der zunehmenden Säkularisierung die letzten Überreste diskriminierender Gesetze verschwinden werden. Allerdings wird die liberale Perspektive, "neutrale" Gesetze zu verfassen, heute an dessen Stelle von anderer Seite angegriffen.

Heutige Gesetze gehen häufig in die "linke" Gegenrichtung - so sollen sie nicht nur selbst nicht diskriminieren, sondern auch die Diskriminierung in der Gesellschaft korrigieren. Ein Beispiel dafür ist das Antidiskriminierungsgesetz, welches es verbietet, Jobs oder Wohnungen mit Argumenten wie Geschlecht, Rasse etc nicht zu vergeben. Ebenso aktuell ist die Verbreitung von Frauenquoten - sei es in Aufsichtsräten oder neuerdings auch in Parlamenten ("Paritätsgesetz").

Das sorgt meinem Eindruck nach für einen Paradigmenwechsel, wo der Begriff "Liberalismus" steht. Er selbst hat sich zwar nicht verändert, aber da sich das gesellschaftspolitische Koordinatensystem in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend nach links (von diskrimierenden Gesetzen zu antidiskriminerenden oder gar "positiv diskriminerenden" Gesetzen) verschoben hat, ist der Liberalismus im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte nach rechts gerückt. Seht ihr das auch so?
Prinzipiell bedeutet „liberal“ erstmal, dass jeder Mensch gleiche, verbriefte Rechte hat, und zwar aus dem Grund seines Menschseins und nicht aus Grund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Deutsche, Katholiken, Heterosexuelle, Oligarchen, Parteimitglieder oder ...).
Und er diese Rechte auch vor einer unabhängigen Instanz einklagen kann, selbst wenn sie den Gruppeninteressen der Allgemeinheit entgegenstehen.
Also nix mit „Recht des Stärkeren“ sondern „Stärke des Rechts“.

Letztlich steht immer die Gesamtzahl, aber auch der Schutz der demokratisch unterlegenen Minderheit der Menschen im Ziel von Liberaler Politik, nie ein „höherer Wert“ (Religion, Ideologie, Nation).

Oft wird das Ganze mit dem Wirtschaftssystem des Kapitalismus vermischt. Die starke individuelle Rechtsposition des Einzelnen ermöglicht - da die Menschen nun eben wirklich unterschiedlich gestrickt sind - eine Auseinanderentwicklung des Wohlstandes der Menschen, erst Recht über Generationen.

Hier greift nun die Gesellschaft über Umverteilung ein und muss einen Spagat hinbekommen:
Den Einen so viel geben, dass sie vernünftig leben können („Versicherungsprinzip“) und den Kindern eine Ausbildung ermöglichen, dass sie aus eigener Kraft obige Rechte/Möglichkeiten auch wahrnehmen ist das eine, kein ernsthafter Liberaler wird das verneinen.
Auf der anderen Seite das Recht, die Früchte seiner Arbeit möglichst ungeteilt genießen oder wem auch immer weitergeben zu dürfen. Da haben Ideologen aller Art oft Probleme, gibt es doch immer irgendwas, dass wichtiger ist als die Rechte des Einzelnen.

Und doch ist die Bundesrepublik ein Beispiel, wie über Jahrzehnte Kompromisse gefunden werden können, die in Summe allen nutzen. Auch wenn sie jeder als schlecht empfindet ...
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

Europa2050 hat geschrieben:(26 Feb 2019, 08:26)

Prinzipiell bedeutet „liberal“ erstmal, dass jeder Mensch gleiche, verbriefte Rechte hat, und zwar aus dem Grund seines Menschseins und nicht aus Grund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Deutsche, Katholiken, Heterosexuelle, Oligarchen, Parteimitglieder oder ...).
Und er diese Rechte auch vor einer unabhängigen Instanz einklagen kann, selbst wenn sie den Gruppeninteressen der Allgemeinheit entgegenstehen.
Also nix mit „Recht des Stärkeren“ sondern „Stärke des Rechts“.
Kindern ist das alles völlig egal. Sie haben Bedürfnisse. Und wenn sie Hunger haben, verlangen sie etwas zu essen. Und zwar von der "Gruppe", die du nicht genannt hast.
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imp
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

irgendwer hat geschrieben:(26 Feb 2019, 10:47)

Kindern ist das alles völlig egal. Sie haben Bedürfnisse. Und wenn sie Hunger haben, verlangen sie etwas zu essen. Und zwar von der "Gruppe", die du nicht genannt hast.
Kleine Kinder kennen bei aller Unerfahrenheit und damit einhergehender Maßlosigkeit auch Selbstbeschränkung. Die Übertrumpfung ihres Spielkameraden endet regelmäßig da, wo er die Lust am Mittun verliert. Da wird dann der Kompromiss gefunden, geteilt, abgewechselt, durchaus nicht immer "gerecht", aber hinreichend. Unsere Lebenswelt als Erwachsene ist so ein Kinderspielplatz aber nicht. Die Niederlagen von heute bestimmen unsere Startposition morgen. Es wird nichts auf null zurückgedreht, es gibt keinen zweiten Versuch. Eine liberale Gesellschaft muss sich das Scheitern als Möglichkeit offenhalten - sie muss dem Menschen aber auch einen Weg offenhalten, mit dem Scheitern umzugehen. Auch eine liberale Gesellschaft bietet daher soziale Einrichtungen, die Möglichkeit der geordneten Privatinsolvenz samt Schuldenabbau, gewisse Schutzpflichten am Arbeitsplatz wie im Elternhaus von Kindern.

Wenn die These ist, der Staat räume heute liberale Gesetze ab zugunsten von Gesetzen, bei denen der "Erfolg" fest eingeplant wird, dann kann ich sagen, dass ich das im Großen und Ganzen nicht sehe. Der Liberalismus ist nicht der rechte Rand der Gesellschaft. Das sind ganz andere. Jedoch sollten wir uns vielleicht Rechenschaft darüber ablegen, ob das wirklich unsere Anliegen sind, die etwa Vorstandsquotierungen problematisieren.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

imp hat geschrieben:(26 Feb 2019, 12:33)

Kleine Kinder kennen bei aller Unerfahrenheit und damit einhergehender Maßlosigkeit auch Selbstbeschränkung. Die Übertrumpfung ihres Spielkameraden endet regelmäßig da, wo er die Lust am Mittun verliert. Da wird dann der Kompromiss gefunden, geteilt, abgewechselt, durchaus nicht immer "gerecht", aber hinreichend. Unsere Lebenswelt als Erwachsene ist so ein Kinderspielplatz aber nicht. Die Niederlagen von heute bestimmen unsere Startposition morgen. Es wird nichts auf null zurückgedreht, es gibt keinen zweiten Versuch. Eine liberale Gesellschaft muss sich das Scheitern als Möglichkeit offenhalten - sie muss dem Menschen aber auch einen Weg offenhalten, mit dem Scheitern umzugehen. Auch eine liberale Gesellschaft bietet daher soziale Einrichtungen, die Möglichkeit der geordneten Privatinsolvenz samt Schuldenabbau, gewisse Schutzpflichten am Arbeitsplatz wie im Elternhaus von Kindern.

Wenn die These ist, der Staat räume heute liberale Gesetze ab zugunsten von Gesetzen, bei denen der "Erfolg" fest eingeplant wird, dann kann ich sagen, dass ich das im Großen und Ganzen nicht sehe. Der Liberalismus ist nicht der rechte Rand der Gesellschaft. Das sind ganz andere. Jedoch sollten wir uns vielleicht Rechenschaft darüber ablegen, ob das wirklich unsere Anliegen sind, die etwa Vorstandsquotierungen problematisieren.

Und ob unsere Erwachsenenwelt ein Kinderspielplatz ist. Wer denkt sich denn eine Gesellschaft ohne Kinder und ohne Mütter? Die zählen dann wohl unter irgendwelchen Parteimitgliedern, oder? Wo sie dann prompt bekämpft oder bemitleidet werden?
Man hat natürlich immer auch die Möglichkeit, sich im "großen Ganzen" oder in Verallgemeinerungen selbst zu übersehen. Da man auch selbst nie der Bösewicht sein kann, der das alles produziert, muss es entweder andere Schuldige geben oder Religion. Immer dann, wenn sie nützlich ist, die eigene Perspektive zu unterstützen, fällt sie einem wieder ein.

http://faktenfinder.tagesschau.de/inlan ... s-111.html

"780.000 Kinder, für die der Staat Unterhaltsvorschuss zahlt und in fast 90% der Fälle auf den Kosten sitzen bleibt? Diese Fehlentwicklung ist besorgniserregend."
So schreibt einer der Kommentatoren, und damit das, was auch ich geschrieben hätte. Das ist Zeugnis jahrzehntelanger schwarz-gelber Politik. Rote durften auch mal ran, aber eben auch mit diversen blinden Flecken.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

irgendwer hat geschrieben:(26 Feb 2019, 13:04)

Und ob unsere Erwachsenenwelt ein Kinderspielplatz ist. Wer denkt sich denn eine Gesellschaft ohne Kinder und ohne Mütter?
Die Anwesenheit von Kindern ändert nicht, wie der Hase läuft.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

imp hat geschrieben:(26 Feb 2019, 13:05)

Die Anwesenheit von Kindern ändert nicht, wie der Hase läuft.
Das darfst du glauben. Aber ich z.B. bin aktiv damit befasst, die Richtung des Hasen zu ändern.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

irgendwer hat geschrieben:(26 Feb 2019, 13:19)

Das darfst du glauben. Aber ich z.B. bin aktiv damit befasst, die Richtung des Hasen zu ändern.
Das ist großartig!
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

Ich freue mich über jede Unterstützung. Danke.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von bluetie »

Europa2050 hat geschrieben:Nationalismus lehrt Dich,
stolz auf Dinge zu sein, die Du nie getan hast und
Leute zu hassen, denen Du nie begegnet bist.
das trifft zu 100% auf den Sozialismus zu, während der Nationalist andere Menschen gar nicht hasst, sondern diese in ihrer Einzigartigkeit achtet, weil Einzigartigkeit und Besonderheit für ihn im reinen Gegensatz zum Sozialisten ewige Werte sind.
Du verwechselst den Nationalist mit dem Rassist, der den Hass des Sozialismus gegenüber andersartigen Kollektiven auf andere 'Rassen' projiziert. Merke: Nationalismus ist nicht Rassismus, denn eine 'Rasse' ist keine Nation, sondern ein transnationales Phänomen.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von BlueMonday »

Watchful_Eye hat geschrieben:(19 Feb 2019, 18:08)

Ich definiere "liberal" hier als ein Politikverständnis, welches staatliche Eingriffe sowohl in unterstützender als auch in diskriminierender Weise vermeidet.
Das ist aber schon lange her. Das war der klassische Liberalismus, der noch einem minimalen Staat anstrebte. Wobei damit der Keim für Staatswachstum freilich gelegt ist, denn es wird dann früher oder später darüber gestritten, was denn nun unbedingt nötige Staatsaufgabe sei und was nicht. Und so ging der klassischer Liberalismus absehbar in den sog. Neoliberalismus über, der dem Staat dann zusätzlich viele Aufgaben überließ, also eine deutlich etatistischere Version.

Klassisch liberal ist die Auffassung die Einzelnen urteilen und entscheiden zu lassen. Wie bilde ich mich? Wie erziehe ich meine Kinder? Wie sorge ich für Sicherheit? Vor allem die "freie Assoziation", also die freiwillige Vereinigung ist eine urliberale Idee, also sich zusammen zu tun - auf freiwilliger Basis, sprich auch den Austritt offen zu halten. Und das Ganze ist ja nun nur durch Andersbehandlung("Diskriminierung") möglich.

Letztlich, überall da, wo sich ein vermeinlicher Liberalismus anschickt, anderen Menschen etwas inhaltlich vorzuschreiben, etwas obligatorisch zu machen, hört er auf Liberalismus zu sein, weil er das Vertrauen in die spontane Bidlung gesellschaftlicher Strukturen verloren hat und nun eben an den Staat glaubt.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

bluetie hat geschrieben:(26 Feb 2019, 13:29)
während der Nationalist andere Menschen gar nicht hasst, sondern diese in ihrer Einzigartigkeit achtet
Das ist nun Unsinn. Der Nationalismus interessiert sich für den Ausweis des Menschen, nicht für sein Wesen. Es geht hier aber um die Liberalen. Die Liberalen sehen in der Individualität und in der Möglichkeit des Scheiterns wichtige Kräfte.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von denkmal »

irgendwer hat geschrieben:(25 Feb 2019, 17:46)

Wenn du meine Meinung lesen willst: Liberale sind viel zu einseitig und zu huschig. Wer soll z.B. die Bildung von Kindern bezahlen? Wer soll Versicherungen für Kinder bezahlen? Wer soll mit Kleinkindern zum Arzt gehen? Oder sie hüten, wenn sie nicht in ihre Kindereinrichtung können? Sie rechnen damit, dass das urplötzlich all die ungebundenen, pflichtenlosen und freiheitsliebenden Väter tun werden, ja? Oder vielleicht doch eher damit, dass sich schon irgendwelche Frauen finden werden, die sich weiterhin brav nach religiösem Schema aufopfern, damit es den Herren gut geht. Soviel nur zu diesem einen Thema. Und ich sage glatt: SOOO nicht.
Das meint ich eher generell. Ich weiß jetzt nicht welche "Liberale" du meinst, wahrscheinlich (aus deinem Kontext) eher Neoliberale? Von Männern und Frauen war gar keine Rede ;)
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von lili »

Ich sehe den Konflikt zwischen negativer und positiver Freiheit.

Folgendes Beispiel:

Der Konflikt sieht so aus: Ich darf meine Meinung frei äußern und die wird nicht zensiert. Allerdings lebe ich in einer Hütte indem es nicht viele Medien gibt. Daher kann ich mich nicht frei äußern.
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

lili hat geschrieben:(26 Feb 2019, 19:38)

Ich sehe den Konflikt zwischen negativer und positiver Freiheit.

Folgendes Beispiel:

Der Konflikt sieht so aus: Ich darf meine Meinung frei äußern und die wird nicht zensiert. Allerdings lebe ich in einer Hütte indem es nicht viele Medien gibt. Daher kann ich mich nicht frei äußern.
Die Frage ist m.E., ob es in solche Konstellationen überhaupt Freiheit gibt. Die eine Strömung sagt: Lasst sie doch, lasst ihnen alle Freiheiten. Und die andere Strömung sagt es ganz genau: Sie MUSS das! Wo ist denn da eine Gegenstimme, die der Demokratie ganz gut tun könnte? Geht es hier überhaupt um Demokratie?
"Freiheit": http://www.spiegel.de/lebenundlernen/un ... 55039.html
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von JJazzGold »

lili hat geschrieben:(26 Feb 2019, 19:38)

Ich sehe den Konflikt zwischen negativer und positiver Freiheit.

Folgendes Beispiel:

Der Konflikt sieht so aus: Ich darf meine Meinung frei äußern und die wird nicht zensiert. Allerdings lebe ich in einer Hütte indem es nicht viele Medien gibt. Daher kann ich mich nicht frei äußern.
Sie können Ihre Meinung doch sowohl innerhalb, als ausserhalb der Hütte frei äussern. Das muss nicht zwangsläufig über Medien geschehen. Mund auf, Sprache raus, fertig.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

JJazzGold hat geschrieben:(27 Feb 2019, 09:59)

Sie können Ihre Meinung doch sowohl innerhalb, als ausserhalb der Hütte frei äussern. Das muss nicht zwangsläufig über Medien geschehen. Mund auf, Sprache raus, fertig.
Das praktische Problem ist doch heutzutage eher das gehörtwerden als ein Medium zu finden (oder zu erstellen). Die Zeiten, da man mit der handbetriebenen Druckmaschine auf zusammengeklautem Papier grobe Flugzettel drucken und dann heimlich verteilen musste, sind doch lange vorbei. Wir sollten auch auf der Hut sein, hier durch implizite Pflichten zu viele neue Hürden aufzustellen.

Dass man auf sich aufmerksam machen muss, dass man gefunden werden muss, dass man überhaupt Interesse wecken muss (und nachher auch noch Zustimmung), das ist ein Problem, das der Staat besser nicht für dich lösen sollte.

Edit: Nicht für "dich" sondern für den Interessenten.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von JJazzGold »

imp hat geschrieben:(27 Feb 2019, 10:26)

Das praktische Problem ist doch heutzutage eher das gehörtwerden als ein Medium zu finden (oder zu erstellen). Die Zeiten, da man mit der handbetriebenen Druckmaschine auf zusammengeklautem Papier grobe Flugzettel drucken und dann heimlich verteilen musste, sind doch lange vorbei. Wir sollten auch auf der Hut sein, hier durch implizite Pflichten zu viele neue Hürden aufzustellen.

Dass man auf sich aufmerksam machen muss, dass man gefunden werden muss, dass man überhaupt Interesse wecken muss (und nachher auch noch Zustimmung), das ist ein Problem, das der Staat besser nicht für dich lösen sollte.

Edit: Nicht für "dich" sondern für den Interessenten.

Das habe ich schon richtig verstanden. ;)
Absolut d'accord.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von lili »

irgendwer hat geschrieben:(27 Feb 2019, 09:56)

Die Frage ist m.E., ob es in solche Konstellationen überhaupt Freiheit gibt. Die eine Strömung sagt: Lasst sie doch, lasst ihnen alle Freiheiten. Und die andere Strömung sagt es ganz genau: Sie MUSS das! Wo ist denn da eine Gegenstimme, die der Demokratie ganz gut tun könnte? Geht es hier überhaupt um Demokratie?
"Freiheit": http://www.spiegel.de/lebenundlernen/un ... 55039.html
Ja ich sehe auch keine politische Bewegung die das wirklich praktiziert.
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von lili »

JJazzGold hat geschrieben:(27 Feb 2019, 09:59)

Sie können Ihre Meinung doch sowohl innerhalb, als ausserhalb der Hütte frei äussern. Das muss nicht zwangsläufig über Medien geschehen. Mund auf, Sprache raus, fertig.
Es geht darum, dass positive Freiheit die Möglichkeit schafft Freiheit auch zu leben.
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von Europa2050 »

lili hat geschrieben:(28 Feb 2019, 07:41)

Es geht darum, dass positive Freiheit die Möglichkeit schafft Freiheit auch zu leben.
Freiheit ist erstmal die Abwesenheit von menschengemachten Zwängen. Klassische Freiheiten sind:
- Freizügigkeit
- Vertragsfreiheit
- Vereinigungsfreiheit (die die Freiheit des Wortes etc. einschließt)

Diese sind zumeist Umsetzbar (ja es gibt Ausnahmen und Sonderfälle), ohne Freiheiten des anderen einzuschränken. D.h. Jede Gewährung dieser Freiheiten erhöht die Gesamtfreiheit des Systems.

Ein gedachter Robinson auf einer Insel hat all diese Freiheiten.

Das was Du als positive Freiheiten bezeichnest ist nun eine Umverteilung von Möglichkeiten. Du schränkst die Grundfreiheiten ein, im wesentlichen die Vertragsfreiheit, um nun die Nutzung der Freiheiten für eine größere Menge zu erleichtern.
Wird dadurch die Gesamtfreiheit des Systems erhöht? Nein, da ja das Optimum nicht zu erhöhen ist.

Soll nicht heißen, das Freiheitseinschränkgen wie sozialer Ausgleich, ökologisches Handeln etc. nicht gerechtfertigt sind - wenn eben in einem demokratischen, rechtsstaatlichen Prozess zustandegekommen.

Aber sie mit „positiver Freiheit“ zu verargumentieren empfinde ich als ausgesprochen schräg.

Robinson hatte auch niemand, der ihm die Nutzung seiner Freizügigkeit oder Versammlungsfreiheit ermöglichte, oder mit dem er hätte Verträge schließen können. Und doch hatte er das Optimum an Freiheit.
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imp
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

Europa2050 hat geschrieben:(28 Feb 2019, 08:09)
Ein gedachter Robinson auf einer Insel hat all diese Freiheiten.
Das Beispiel zeigt schon, wie unsinnig es ist, Freiheit so zu beschränken. Einerseits kommt der Mensch in der Welt praktisch nirgendwo als Einzelexemplar daher, er ist bis auf wenige Ausnahmen immer im Kontext anderer Menschen. Das geht schon los mit Zeugung und Geburt, Kindheit. Andererseits ist der Mensch außerhalb von Gesellschaft praktisch sehr unfrei gemessen an den Möglichkeiten, die noch die schlimmste Diktatur ihm bieten kann. Die Romanfigur Robinson war weder freiwillig einsam noch hatte sie mit ihrer Einsamkeit irgendwelche Vorteile. Im Gegenteil gingen die besten Jahre voll und ganz für das erbärmlichste Überleben drauf, oft nur mithilfe endlicher Reste, Werkzeuge, Hilfsstoffe, die nur durch Gesellschaft erschaffen werden konnten. Ganze Kapitel schwafelt Defoe damit voll, wie sehr sich Robinson zurück in menschliche Gesellschaft wünscht, welche Not er geistig und materiell ohne Gesellschaft leidet und welche Erlösung es ihm ist, endlich auf Freitag zu stoßen. Die Robinsonade in der Philosophie ist darüber eher hinweggegangen, vielleicht war es nicht kommod. Crusoe selbst äußert am Anfang des Buches den Segen des Mittelstandes zwischen Armut und Reichtum, zwischen Rechtlosigkeit und dem Leid, alles entscheiden zu müssen. Auf seiner Insel hat er beides: Armut und existenzielle Verantwortung für jeden Aspekt. Wenn das Freiheit ist, werde ich lieber Sozialist.

Der Mensch ist tatsächlich ein soziales Wesen und Freiheit wird nur in der Gesellschaft zu einem relevanten Begriff. Wo Gesellschaft ist, müssen aber Menschen zwingend zu Regeln kommen, die auch gelten müssen, wo sie dem Einzelnen gerade nicht gefallen. Eine Gesellschaft, die Wagnisse, Unternehmertum, Individualität fördern will, wird mehr Erfolg haben, wenn sie ein Scheitern auch lebbar macht - etwa mit Insolvenzregeln, mit Pflichten für die Gesellschaft oder in einigen Ländern die Familie, für Notfälle aufzukommen usw.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von JJazzGold »

lili hat geschrieben:(28 Feb 2019, 07:41)

Es geht darum, dass positive Freiheit die Möglichkeit schafft Freiheit auch zu leben.
Ich verweise auf die Antwort von Europa2050, besser hätte ich es nicht formulieren können.
Chapeau Europa2050!
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von JJazzGold »

imp hat geschrieben:(28 Feb 2019, 08:24)

Das Beispiel zeigt schon, wie unsinnig es ist, Freiheit so zu beschränken. Einerseits kommt der Mensch in der Welt praktisch nirgendwo als Einzelexemplar daher, er ist bis auf wenige Ausnahmen immer im Kontext anderer Menschen. Das geht schon los mit Zeugung und Geburt, Kindheit. Andererseits ist der Mensch außerhalb von Gesellschaft praktisch sehr unfrei gemessen an den Möglichkeiten, die noch die schlimmste Diktatur ihm bieten kann. Die Romanfigur Robinson war weder freiwillig einsam noch hatte sie mit ihrer Einsamkeit irgendwelche Vorteile. Im Gegenteil gingen die besten Jahre voll und ganz für das erbärmlichste Überleben drauf, oft nur mithilfe endlicher Reste, Werkzeuge, Hilfsstoffe, die nur durch Gesellschaft erschaffen werden konnten. Ganze Kapitel schwafelt Defoe damit voll, wie sehr sich Robinson zurück in menschliche Gesellschaft wünscht, welche Not er geistig und materiell ohne Gesellschaft leidet und welche Erlösung es ihm ist, endlich auf Freitag zu stoßen. Die Robinsonade in der Philosophie ist darüber eher hinweggegangen, vielleicht war es nicht kommod. Crusoe selbst äußert am Anfang des Buches den Segen des Mittelstandes zwischen Armut und Reichtum, zwischen Rechtlosigkeit und dem Leid, alles entscheiden zu müssen. Auf seiner Insel hat er beides: Armut und existenzielle Verantwortung für jeden Aspekt. Wenn das Freiheit ist, werde ich lieber Sozialist.

Der Mensch ist tatsächlich ein soziales Wesen und Freiheit wird nur in der Gesellschaft zu einem relevanten Begriff. Wo Gesellschaft ist, müssen aber Menschen zwingend zu Regeln kommen, die auch gelten müssen, wo sie dem Einzelnen gerade nicht gefallen. Eine Gesellschaft, die Wagnisse, Unternehmertum, Individualität fördern will, wird mehr Erfolg haben, wenn sie ein Scheitern auch lebbar macht - etwa mit Insolvenzregeln, mit Pflichten für die Gesellschaft oder in einigen Ländern die Familie, für Notfälle aufzukommen usw.
Armut kann Crusoe nur empfunden haben, weil ihm der Vergleich zur Verfügung stand.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von imp »

JJazzGold hat geschrieben:(28 Feb 2019, 09:22)

Armut kann Crusoe nur empfunden haben, weil ihm der Vergleich zur Verfügung stand.
Da stimme ich zu. Ohne irgendeine vorhergehende Gesellschaft aber auch kein Robinson - und eine beliebige naturnahe Nomadensippe hatte erlebbare Vorteile gegenüber seinem Dasein. Schon die Zweisamkeit in praktisch unveränderten materiellen Verhältnissen hat ihn bereichert. Der Robinson ist eine fragwürdige Figur in der philosophischen Literatur. Wenn es um die Freiheit von Willkür und Zwang geht, bietet unsere moderne Gesellschaft so viele reiche Beispiele gelebter Devianz, Eigensinnigkeit, Individualität - und ihrer Schranken. Daran kann man studieren und begründen, warum es "Freiheit von" braucht in inwieweit sie ihr Leben nur durch "Freiheit zu" so führen können - und andere leider nicht. Und in welchem Maß dieser Unterschied richtig und hinzunehmen ist und in welchem Maß nicht. Dem Vergleich und Wettbewerb ist nun mal inhärent, dass einer besser dasteht, der andere nicht. Damit müssen Menschen leben, das soll man auch nicht durch Zwang/Zwangsfinanzierung "reparieren". Andere Dinge sollten besser geregelt sein, klassisch die Notlagen und die Förderung des gesellschaftlichen Nutzen, etwa Bildung.

Denkfiguren wie das Wasserglas in der Wüste oder der Robinson sind schon in ihrer Anlage nur bedingt tauglich, eine Idee vom Zusammenleben der Menschen zu begründen. Die vertragen schon ein wenig Kritik.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von JJazzGold »

imp hat geschrieben:(28 Feb 2019, 09:33)

Da stimme ich zu. Ohne irgendeine vorhergehende Gesellschaft aber auch kein Robinson - und eine beliebige naturnahe Nomadensippe hatte erlebbare Vorteile gegenüber seinem Dasein. Schon die Zweisamkeit in praktisch unveränderten materiellen Verhältnissen hat ihn bereichert. Der Robinson ist eine fragwürdige Figur in der philosophischen Literatur. Wenn es um die Freiheit von Willkür und Zwang geht, bietet unsere moderne Gesellschaft so viele reiche Beispiele gelebter Devianz, Eigensinnigkeit, Individualität - und ihrer Schranken. Daran kann man studieren und begründen, warum es "Freiheit von" braucht in inwieweit sie ihr Leben nur durch "Freiheit zu" so führen können - und andere leider nicht. Und in welchem Maß dieser Unterschied richtig und hinzunehmen ist und in welchem Maß nicht. Dem Vergleich und Wettbewerb ist nun mal inhärent, dass einer besser dasteht, der andere nicht. Damit müssen Menschen leben, das soll man auch nicht durch Zwang/Zwangsfinanzierung "reparieren". Andere Dinge sollten besser geregelt sein, klassisch die Notlagen und die Förderung des gesellschaftlichen Nutzen, etwa Bildung.

Denkfiguren wie das Wasserglas in der Wüste oder der Robinson sind schon in ihrer Anlage nur bedingt tauglich, eine Idee vom Zusammenleben der Menschen zu begründen. Die vertragen schon ein wenig Kritik.

Darauf wollte ich hinaus. :thumbup: Liberal oder konservativ oder sozialistisch, um wenigstens einen Hauch von Titelgebundenheit zu wahren, ;) , existiert nur durch den gegeben Vergleich. Wobei liberal je nach Erfordernis eine Schnittmenge sowohl mit konservativ, als auch sozial bilden kann, ohne ihren Kern zu verlieren, wie selbstverständlich auch die beiden anderen genannten, jeweils mit liberal.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

Europa2050 hat geschrieben:(28 Feb 2019, 08:09)

Freiheit ist erstmal die Abwesenheit von menschengemachten Zwängen. Klassische Freiheiten sind:
- Freizügigkeit
- Vertragsfreiheit
- Vereinigungsfreiheit (die die Freiheit des Wortes etc. einschließt)

Diese sind zumeist Umsetzbar (ja es gibt Ausnahmen und Sonderfälle), ohne Freiheiten des anderen einzuschränken. D.h. Jede Gewährung dieser Freiheiten erhöht die Gesamtfreiheit des Systems.

Ein gedachter Robinson auf einer Insel hat all diese Freiheiten.

Das was Du als positive Freiheiten bezeichnest ist nun eine Umverteilung von Möglichkeiten. Du schränkst die Grundfreiheiten ein, im wesentlichen die Vertragsfreiheit, um nun die Nutzung der Freiheiten für eine größere Menge zu erleichtern.
Wird dadurch die Gesamtfreiheit des Systems erhöht? Nein, da ja das Optimum nicht zu erhöhen ist.

Soll nicht heißen, das Freiheitseinschränkgen wie sozialer Ausgleich, ökologisches Handeln etc. nicht gerechtfertigt sind - wenn eben in einem demokratischen, rechtsstaatlichen Prozess zustandegekommen.

Aber sie mit „positiver Freiheit“ zu verargumentieren empfinde ich als ausgesprochen schräg.

Robinson hatte auch niemand, der ihm die Nutzung seiner Freizügigkeit oder Versammlungsfreiheit ermöglichte, oder mit dem er hätte Verträge schließen können. Und doch hatte er das Optimum an Freiheit.
Der Robinson-Vergleich ist großartig. Derzeit fällt einsamen Spinnern nämlich die Realität auf die Füße. "Vertragsfreiheit" z.B.: Was bedeutet ein Arbeitsvertrag, wenn ihn ein Arbeitgeber auch einfach außer Kraft setzen kann? Ebenso fragwürdig sogenannte Knebelverträge, die "Vertragspartner" verpflichten, für gar keine Leistung zu bezahlen.
Dieses Vertrauen gewinnen, um es zu missbrauchen, war nach der Wende vielen Ossis völlig fremd. Und dadurch sind sie prompt in sämtliche Fallen der Übermenschen gegangen.
Hier immer wieder Welt- bzw. Menschenbilder einfach vom Tisch zu wischen, sie hätten damit ja nichts zu tun, halte ich für nicht in Ordnung. Im wirklichen Leben gibt es diese Denkmauern nicht, und ein Politiker kann sehr wohl auch in einem säkularen Staat ein Gläubiger sein und daran glauben, nicht er selbst, sondern irgendein Spukwesen tut das, was er selbst tut. Der mysteriöse Herr Zeitgeist z.B. - Wer so ein Wort aus dem Mund eines Politikers liest, weiß doch sofort, zu welcher Religion derjenige gehört. Welcher Politiker weiß denn NICHT, wie genau die menschliche Zeugung abläuft? Und dass Vergewaltigung schlecht ist? Trotzdem blamieren sie sich fortwährend mit ihren Bildungslücken und glauben halt, kein Mensch hört ihnen zu. Oder rechnen damit, alle müssten den herrschaftlichen Medien alles glauben. Nächstes Thema. Seht her, Ossis meckern immer noch, dass ihnen direkt ins Gesicht gelogen wird. Auch für all die "Jammerossis" und für all den Nazi-Nachwuchs im vereinten Deutschland findet sich nirgends ein Verantwortlicher. Allerdings gab es gestern auch schon eine andere Meldung von der AfD. Sie ist also in der Lage, sich selbst von bestimmten Ideen zu distanzieren. Wer genau sollte denn auch begeistert sein, wenn er ständig beleidigt und gedemütigt wird.
Wieder umfangreich, aber ich möchte doch auf den Ursprung hinweisen. Ein Vertrag, der nicht gilt, IST kein Vertrag. So wie ein Wort, das jederzeit gebrochen werden kann. Was interessiert mich mein eigenes Geschwätz, wenn sich der Sex von gestern auch nochmal meldet und mir vorschreiben will, jetzt Vater werden zu müssen? Ja, da muss doch sofort ein neues Gesetz her, das mir auch erlaubt, über den Körper dieses Wesens zu bestimmen.
Ist das verständlich genug? So funktioniert dieses Selbstverleugner-Lügengespinnst.
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Rona
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von Rona »

Watchful_Eye hat geschrieben:(19 Feb 2019, 18:08)

Ich definiere "liberal" hier als ein Politikverständnis, welches staatliche Eingriffe sowohl in unterstützender als auch in diskriminierender Weise vermeidet.

In der Vergangenheit gab es so manche "konservative" Gesetze, die von staatlicher Seite diskriminierten. Beispielsweise das Gesetz, bei welchem Frauen das Erlaubnis des Ehepartners einholen mussten, um arbeiten gehen zu dürfen. Die Einschränkung der Ehe auf heterosexuelle Paare oder der derzeit diskutierte Paragraph 219a können je nach Standpunkt als modernere Beispiele gesehen werden. Im Ausland gibt es sie auch Heute noch in eindeutiger Form, wenn man zB an Kleidervorschriften in Saudi-Arabien denkt. Viele dieser diskriminierenden Gesetze haben/hatten religiöse Wurzeln.

Ich bin zuversichtlich, dass im Einklang mit der zunehmenden Säkularisierung die letzten Überreste diskriminierender Gesetze verschwinden werden. Allerdings wird die liberale Perspektive, "neutrale" Gesetze zu verfassen, heute an dessen Stelle von anderer Seite angegriffen.

Heutige Gesetze gehen häufig in die "linke" Gegenrichtung - so sollen sie nicht nur selbst nicht diskriminieren, sondern auch die Diskriminierung in der Gesellschaft korrigieren. Ein Beispiel dafür ist das Antidiskriminierungsgesetz, welches es verbietet, Jobs oder Wohnungen mit Argumenten wie Geschlecht, Rasse etc nicht zu vergeben. Ebenso aktuell ist die Verbreitung von Frauenquoten - sei es in Aufsichtsräten oder neuerdings auch in Parlamenten ("Paritätsgesetz").

Das sorgt meinem Eindruck nach für einen Paradigmenwechsel, wo der Begriff "Liberalismus" steht. Er selbst hat sich zwar nicht verändert, aber da sich das gesellschaftspolitische Koordinatensystem in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend nach links (von diskrimierenden Gesetzen zu antidiskriminerenden oder gar "positiv diskriminerenden" Gesetzen) verschoben hat, ist der Liberalismus im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte nach rechts gerückt. Seht ihr das auch so?
Der Liberalismus (wörtlich „die Freiheit betreffend, freiheitlich“) ist eine Grundposition der politischen Philosophie, die eine freiheitliche politische, ökonomische und soziale Ordnung anstrebt.
Leitziel des Liberalismus ist die Freiheit des Individuums vornehmlich gegenüber staatlicher Regierungsgewalt, er richtet sich gegen Staatsgläubigkeit, Kollektivismus, Willkür und den Missbrauch von Macht bzw. Herrschaft. (https://de.wikipedia.org/wiki/Liberalismus)
Bei den Menschen- und Freiheitsrechten (https://de.wikipedia.org/wiki/Freiheits ... eutschland) gibt es einen großen Pareiübergreifenden Konsens. Aber viele politische Strömungen berufen sich gerne auf den Liberalismus, um ihre eigene politische Agenda zu begründen und fordern dann mehr Freiheit für ihr Klientel/Wählerschaft.

Antidiskrimierung würde ich als ein typisches Thema des Liberalismus bezeichnen. Es geht um die Beseitigung von willkürlichen Einschränkungen der Freiheit.

Beispiel undurchlässiges Bildungssystem: Der klassische liberale Standpunkt wäre es jedem Individuum möglichst die gleichen Chancen auf einen hohen Bildungsabschluss zu geben. Die Intelligenten und Leistungswilligen sollen erfolgreich sein, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Liberale Forderungen wären somit kostenlose Bildung, kostenloses Schulmaterial, Schulbibliothek mit Internetanschluss.

Der klassische Liberalismus käme aber nicht auf die Idee alle Kinder verpflichtend in eine Ganztagsschule zu stecken. Das wäre eher ein sozialdemokratischer Gedanke.

Beim Thema Frauenquote sehe ich keinen liberalen Bezug. Der Liberalismus würde einfordern, dass Frauen die gleichen Chancen haben müssen wie Männer. Jede Frau soll das Recht haben jeden Beruf zu ergreifen.

Die Quote kommt meiner Ansicht nach eher aus der sozialdemokratischen Ecke. Es geht von der Forderung nach theoretischer Chancengleichheit über zu einer tatsächlichen Gleichheit.

Von daher sehe ich keine Verschiebung und Umdeutung des Liberalismus.
lili
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von lili »

Europa2050 hat geschrieben:(28 Feb 2019, 08:09)

Freiheit ist erstmal die Abwesenheit von menschengemachten Zwängen. Klassische Freiheiten sind:
- Freizügigkeit
- Vertragsfreiheit
- Vereinigungsfreiheit (die die Freiheit des Wortes etc. einschließt)

Diese sind zumeist Umsetzbar (ja es gibt Ausnahmen und Sonderfälle), ohne Freiheiten des anderen einzuschränken. D.h. Jede Gewährung dieser Freiheiten erhöht die Gesamtfreiheit des Systems.

Ein gedachter Robinson auf einer Insel hat all diese Freiheiten.

Das was Du als positive Freiheiten bezeichnest ist nun eine Umverteilung von Möglichkeiten. Du schränkst die Grundfreiheiten ein, im wesentlichen die Vertragsfreiheit, um nun die Nutzung der Freiheiten für eine größere Menge zu erleichtern.
Wird dadurch die Gesamtfreiheit des Systems erhöht? Nein, da ja das Optimum nicht zu erhöhen ist.

Soll nicht heißen, das Freiheitseinschränkgen wie sozialer Ausgleich, ökologisches Handeln etc. nicht gerechtfertigt sind - wenn eben in einem demokratischen, rechtsstaatlichen Prozess zustandegekommen.

Aber sie mit „positiver Freiheit“ zu verargumentieren empfinde ich als ausgesprochen schräg.

Robinson hatte auch niemand, der ihm die Nutzung seiner Freizügigkeit oder Versammlungsfreiheit ermöglichte, oder mit dem er hätte Verträge schließen können. Und doch hatte er das Optimum an Freiheit.

Ne dass sehe ich nicht so. Inwiefern schränke ich die Grundfreiheiten ein? Wenn ich von Freiheit spreche, dann ist es doch klar dass jeder die Möglichkeit hat sie zu nutzen. Außerdem habe ich die positive Freiheit nicht erfunden. Die Definition steht überall im Internet. Bezüglich den menschengemachten Zwängen: Inwiefern hat der aktuelle Liberalismus etwas dagegen unternommen? Ökonomisch ist er aktuell dem strukturellen Konservativsmus ziemlich nahe. Das bedeutet eher die Freiheit für den Adel. Für mich eher der Wiederspruch zur Freiheit. Da sie sowieso mehr Freiheit haben als die anderen.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von Europa2050 »

lili hat geschrieben:(28 Feb 2019, 16:11)

Ne dass sehe ich nicht so. Inwiefern schränke ich die Grundfreiheiten ein?
Na wenn ich so meine Lohnabrechnung anschaue, insbesondere den Block der Abzüge, bin ich mir sicher, dass ich die dem zugrundeliegenden Verträge so nicht unterschrieben hätte, vor allem das Abo „Lohnsteuer“ kommt mich teuer zu stehen. Ich glaube, den Vertrag kann ich aber nicht frei verhandeln.

Aber sowie sich die Sache momentan darstellt, akzeptiere ich die Sache als angemessenen Ausgleich zwischen freien und sozialen Handeln. Mit Freiheit hat es aber nix zu tun.
Wenn ich von Freiheit spreche, dann ist es doch klar dass jeder die Möglichkeit hat sie zu nutzen.
Nö, Freiheit und Potential sind zwei völlig verschiedene Dinge. Lass Dir das ggf. mal von einem Physiker deines Vertrauens erklären.
Außerdem habe ich die positive Freiheit nicht erfunden. Die Definition steht überall im Internet.
Naja, Du hast Sie zumindestens hier präsentiert. Da geh ich mal davon aus, dass Du das auch vertrittst.
Bezüglich den menschengemachten Zwängen: Inwiefern hat der aktuelle Liberalismus etwas dagegen unternommen?
Als Highlights möchte ich 1789, 1945 und 1989 nennen, als der Liberalismus jeweils Systeme hinwegfegte, die alle drei Grundfreiheiten für das gewöhnliche Volk abgeschafft hatten.
Ökonomisch ist er aktuell dem strukturellen Konservativsmus ziemlich nahe. Das bedeutet eher die Freiheit für den Adel. Für mich eher der Wiederspruch zur Freiheit. Da sie sowieso mehr Freiheit haben als die anderen.
Freiheit ist unteilbar und nicht mit Stand verbunden. Das wäre sonst tatsächlich Konservativismus, zudem in einer eher historischen Form.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von lili »

Europa2050 hat geschrieben:(28 Feb 2019, 18:25)

Na wenn ich so meine Lohnabrechnung anschaue, insbesondere den Block der Abzüge, bin ich mir sicher, dass ich die dem zugrundeliegenden Verträge so nicht unterschrieben hätte, vor allem das Abo „Lohnsteuer“ kommt mich teuer zu stehen. Ich glaube, den Vertrag kann ich aber nicht frei verhandeln.

Aber sowie sich die Sache momentan darstellt, akzeptiere ich die Sache als angemessenen Ausgleich zwischen freien und sozialen Handeln. Mit Freiheit hat es aber nix zu tun.



Nö, Freiheit und Potential sind zwei völlig verschiedene Dinge. Lass Dir das ggf. mal von einem Physiker deines Vertrauens erklären.



Naja, Du hast Sie zumindestens hier präsentiert. Da geh ich mal davon aus, dass Du das auch vertrittst.



Als Highlights möchte ich 1789, 1945 und 1989 nennen, als der Liberalismus jeweils Systeme hinwegfegte, die alle drei Grundfreiheiten für das gewöhnliche Volk abgeschafft hatten.



Freiheit ist unteilbar und nicht mit Stand verbunden. Das wäre sonst tatsächlich Konservativismus, zudem in einer eher historischen Form.

Aber aktuell vertritt der aktuelle Liberalismus den Stand? Außerdem wird viel Potenzial verpulvert, wenn man nicht zur höheren Kaste gehört. Ist Leiharbeit Bürger Freiheit?Ich würde jetzt sagen Nein. Sind Hartz 4 Sanktionen gegen Arme Freiheit? Der Staat bestimmt welchen Job du ausübst und wenn du es nicht tust Sanktionen. Ist Obdachlosigkeit und Armut Freiheit? Alles was ich mit Nein beantworten kann.

Ja ich finde positive Freiheit toll, da es nicht vom sozialen Status abhängt.
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Re: Wird "liberal" langsam zum neuen "konservativ"?

Beitrag von irgendwer »

irgendwer hat geschrieben:(28 Feb 2019, 10:28)

Der Robinson-Vergleich ist großartig. Derzeit fällt einsamen Spinnern nämlich die Realität auf die Füße. "Vertragsfreiheit" z.B.: Was bedeutet ein Arbeitsvertrag, wenn ihn ein Arbeitgeber auch einfach außer Kraft setzen kann? Ebenso fragwürdig sogenannte Knebelverträge, die "Vertragspartner" verpflichten, für gar keine Leistung zu bezahlen.
Dieses Vertrauen gewinnen, um es zu missbrauchen, war nach der Wende vielen Ossis völlig fremd. Und dadurch sind sie prompt in sämtliche Fallen der Übermenschen gegangen.
Hier immer wieder Welt- bzw. Menschenbilder einfach vom Tisch zu wischen, sie hätten damit ja nichts zu tun, halte ich für nicht in Ordnung. Im wirklichen Leben gibt es diese Denkmauern nicht, und ein Politiker kann sehr wohl auch in einem säkularen Staat ein Gläubiger sein und daran glauben, nicht er selbst, sondern irgendein Spukwesen tut das, was er selbst tut. Der mysteriöse Herr Zeitgeist z.B. - Wer so ein Wort aus dem Mund eines Politikers liest, weiß doch sofort, zu welcher Religion derjenige gehört. Welcher Politiker weiß denn NICHT, wie genau die menschliche Zeugung abläuft? Und dass Vergewaltigung schlecht ist? Trotzdem blamieren sie sich fortwährend mit ihren Bildungslücken und glauben halt, kein Mensch hört ihnen zu. Oder rechnen damit, alle müssten den herrschaftlichen Medien alles glauben. Nächstes Thema. Seht her, Ossis meckern immer noch, dass ihnen direkt ins Gesicht gelogen wird. Auch für all die "Jammerossis" und für all den Nazi-Nachwuchs im vereinten Deutschland findet sich nirgends ein Verantwortlicher. Allerdings gab es gestern auch schon eine andere Meldung von der AfD. Sie ist also in der Lage, sich selbst von bestimmten Ideen zu distanzieren. Wer genau sollte denn auch begeistert sein, wenn er ständig beleidigt und gedemütigt wird.
Wieder umfangreich, aber ich möchte doch auf den Ursprung hinweisen. Ein Vertrag, der nicht gilt, IST kein Vertrag. So wie ein Wort, das jederzeit gebrochen werden kann. Was interessiert mich mein eigenes Geschwätz, wenn sich der Sex von gestern auch nochmal meldet und mir vorschreiben will, jetzt Vater werden zu müssen? Ja, da muss doch sofort ein neues Gesetz her, das mir auch erlaubt, über den Körper dieses Wesens zu bestimmen.
Ist das verständlich genug? So funktioniert dieses Selbstverleugner-Lügengespinnst.
Zugabe zu meinem eigenen Beitrag:
Die Meinung eines Kommentators, die gerade eine Stunde alt ist. https://www.kath.net/news/67102
Schon die Wortwahl ist entlarvend
"Verhüten" will man ein Unglück, aber Kinder sind das größte Glück. Unsere Krankenkassen bezahlen die Abtreibung obwohl Schwangerschaft keine Krankheit ist. Und obwohl es sich um eine (nicht mit Strafen belegte) Straftat handelt. Junge Frauen bekommen jetzt bis zum Alter von 22 JAhren kostenlos (die Krankenkasse zahlt) die Pille, obwohl es in Deutschland an Kindern mangelt.
Wer fragt eigentlich bei der ganzen Gleichberechtigungsdiskussion die Väter? "Mein Bauch gehört mir". Schon klar, aber nicht das eigenständige Leben darin.


Bei soviel Blindheit sind wir aus der großen Freiheit ganz schnell auch wieder in die Sklavenhaltergesellschaft gefallen.

Nicht so viel anders dieser Fall: Ein Ungeborenes Was genau? SCHEINT den "gläubigen" Herren in Argentinien wichtig. Aber ein Geborenes KIND! ist ihnen nicht wichtig.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 55717.html

Das sind "Gewissenskonflikte", die gar nicht sein müssen. Die Herren müssten nur lesen lernen.
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