Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

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imp
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von imp »

Großer Adler hat geschrieben:(24 Sep 2018, 15:49)

Nachdem der Osten ja in den nächsten Landtagswahlen "vermutlich" die AfD an der Spitze in allen Landtagen haben wird, sind meine Sorgen weniger geworden. Zu gegebener Zeit könnte es sein, dass ich wieder optimistischer voraus blicke.
Glaubst du echt noch, dass Landtagswahlen etwas am grundlegenden Gelingen des Lebens in Deutschland ändern? Noch dazu irgendwelche Randparteien auf dem Zuschauersitz? Nach DVU und NPD immer noch nicht gelernt, wie der Laden läuft? Die Politik findet zwischen den Parteien statt, die zusammenpassen. Gerade in der Landespolitik sind die Spielräume minimal, zudem gibt's wegen Schuldenbremse und Rahmengesetzen wenig zu investieren. Allenfalls bei der Bildung könnte man sich austoben, wenn nicht die wichtigsten Dinge der Vernunft halber in der KMK normiert werden würden und da niemand ernsthaft ausscheren will der Konsequenzen wegen. Landespolitik ist nicht egal, aber Schicksalsfragen finden woanders statt.
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Fuerst_48
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von Fuerst_48 »

Großer Adler hat geschrieben:(23 Sep 2018, 21:33)

Besser Fragen als nichts tun. Das zeugt von Stärke.
Fragen brauchen aber auch Antworten, sonst ist es nur heisse Luft.
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Ammianus
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von Ammianus »

zollagent hat geschrieben:(24 Sep 2018, 15:30)

Mit Selbstmitleid verbessert niemand was.
Wie ist diese Aussage jetzt im Kontext des von mir Geschriebenen zu verstehen?
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schokoschendrezki
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(24 Sep 2018, 14:25)

Vergessen wir nicht Italien und Frankreich.
Usw. Ja. Da muss man aber jetzt den Wiedereinstieg in das eigentliche Strangthema finden. Es gibt - das ist nun wirklich inzwischen eine Trivialaussage - einerseits überall zentrifugale Kräfte in Europa .. Brexit, Rechtspopulismus überall ... wenn auch in verschiedenenen Varianten. Der grundsätzliche Irrtum schon im Eingangsbeitrag besteht in der Annahme, dass es "Ostdeutsche" (oder "Westdeutsche") als Menschenkategorie überhaupt gäbe ... und nicht politische Phänomene, die aus verschiedenerlei Gründen vermehrt im Osten oder vermehrt im Westen Deutschlands auftauchen. Es gibt keine "Ostdeutschen"! Der anfängliche Link auf ausgerechnet einen BILD-Artikel spricht dafür, das Ganze eigentlich am besten ins Vergessen zu versenken.
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imp
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von imp »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Sep 2018, 19:20)

Usw. Ja. Da muss man aber jetzt den Wiedereinstieg in das eigentliche Strangthema finden. Es gibt - das ist nun wirklich inzwischen eine Trivialaussage - einerseits überall zentrifugale Kräfte in Europa .. Brexit, Rechtspopulismus überall ... wenn auch in verschiedenenen Varianten. Der grundsätzliche Irrtum schon im Eingangsbeitrag besteht in der Annahme, dass es "Ostdeutsche" (oder "Westdeutsche") als Menschenkategorie überhaupt gäbe ... und nicht politische Phänomene, die aus verschiedenerlei Gründen vermehrt im Osten oder vermehrt im Westen Deutschlands auftauchen. Es gibt keine "Ostdeutschen"! Der anfängliche Link auf ausgerechnet einen BILD-Artikel spricht dafür, das Ganze eigentlich am besten ins Vergessen zu versenken.
Von der Idee her stimmt das ja. Jedoch gibt es Ostdeutsche so wie Christen und Bayern, solange sich Menschen selbst unter diesem Begriff subsumieren. Auch wenn keine einzelne Zuschreibung zu "den Ostdeutschen" jeden einzelnen DDR-geborenen trifft oder jeden, der sich selbst ostdeutsch bezeichnet sieht, ist der Begriff damit nicht entsorgt. Wenn "wir Ostdeutschen" wieder mal "das Volk" sind und den Rauswurf von "den Fremden" fordern, ist das mengentheoretisch bescheuert und auch sonst nicht so toll. Da begreifen sich welche (eine Minderheit!) als Kollektiv mit Anrecht auf einen nationalen Sozialplan. Darum geht es hier doch. Und wehe dem, der aus der Reihe tanzt.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(24 Sep 2018, 19:37)

Von der Idee her stimmt das ja. Jedoch gibt es Ostdeutsche so wie Christen und Bayern, solange sich Menschen selbst unter diesem Begriff subsumieren. Auch wenn keine einzelne Zuschreibung zu "den Ostdeutschen" jeden einzelnen DDR-geborenen trifft oder jeden, der sich selbst ostdeutsch bezeichnet sieht, ist der Begriff damit nicht entsorgt. Wenn "wir Ostdeutschen" wieder mal "das Volk" sind und den Rauswurf von "den Fremden" fordern, ist das mengentheoretisch bescheuert und auch sonst nicht so toll. Da begreifen sich welche (eine Minderheit!) als Kollektiv mit Anrecht auf einen nationalen Sozialplan. Darum geht es hier doch. Und wehe dem, der aus der Reihe tanzt.
Ja. Das Phänomen "Selbstzuschreibung" im Sinne von Gruppenzuordnung gibts nicht nur sondern es ist wahrscheinlich dominanter als irgendwann seit längerer Zeit. Es ist leider etwa umständlich, aber man müsste eigentlich fragen: Was wollen die, was steckt hinter dem Wunsch, sich unbedingt und dann auch irgendwann gemeinschaftlich als "Ostdeutscher" oder als "Bayer" sehen zu wollen und dann auch irgendwann meint, zu sein.
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Großer Adler
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von Großer Adler »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Sep 2018, 19:20)

Usw. Ja. Da muss man aber jetzt den Wiedereinstieg in das eigentliche Strangthema finden. Es gibt - das ist nun wirklich inzwischen eine Trivialaussage - einerseits überall zentrifugale Kräfte in Europa .. Brexit, Rechtspopulismus überall ... wenn auch in verschiedenenen Varianten. Der grundsätzliche Irrtum schon im Eingangsbeitrag besteht in der Annahme, dass es "Ostdeutsche" (oder "Westdeutsche") als Menschenkategorie überhaupt gäbe ... und nicht politische Phänomene, die aus verschiedenerlei Gründen vermehrt im Osten oder vermehrt im Westen Deutschlands auftauchen. Es gibt keine "Ostdeutschen"! Der anfängliche Link auf ausgerechnet einen BILD-Artikel spricht dafür, das Ganze eigentlich am besten ins Vergessen zu versenken.
Ich betrachte mich als individuell in vielen Dingen. Dazu gehört nun mal auch ein nationaler Bezug, z.B. ein Ost- bzw. Westdeutscher zu sein uvm. Vielfalt sollte nicht nur ein Phänomen ala Willkommenskultur zugeschrieben sein, dazu gehört auch der Gegenpol. Unterschiede zwischen Ost und West gibt es ja auch noch genug. Destruktive Gedankenansätze und Handlungen beiderseits verschlimmern diese Lage nur. Deshalb passt das Thema aktuell, wie ich finde. Alles andere ist ignorant und naiv. Leider gehört auch das zum Diversity. Deswegen ist anzuraten, den sachlichen Bezug zu wählen, aber auch der unsachliche ist dem Individuum anzuerkennen.

Fazit: Wir werden uns irgendwann die Köpfe einschlagen, weil jeder individuell sein will und heute nahezu jede Veränderung, sowohl einen krassen positiven, aber auch negativen Effekt hervorruft. Veränderung sollte also so stattfinden, dass der Grad verhältnismäßig und schwerpunktmäßig kurz-, mittel- langfristig angesetzt wird und "alle" wenigstens kompromissbereit bleiben. Das wurde vor allem politisch verspielt. Die einen haben einen so positiven Erfolg errungen, das die anderen negativ auf sie einwirken und gleichzeitig ausbremsend oder herb rückschlagend wirken. Das Gefühl teilen wohl mittlerweile alle und ist eine unbedeutende Gemeinsamkeit.

Mir ist der Name des Autors nicht mehr bekannt, aber sein zitat ist:" Integration scheitert genau dort wo sie ansetzen sollte, nämlich am Problem."

Sind die Ostdeutschen, Westdeutschen das Problem? Subjektiv eingeschätzt ist es wohl der Ostdeutsche. Objektiv, sind es die, die falsche "Veränderungen" herbeiführen und richtige, also bürgerliche Interessen, als unwichtig (unverhältnismäßig) bewerten. So ist zumindest mein Eindruck.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von JJazzGold »

Großer Adler hat geschrieben:(23 Sep 2018, 19:23)

Um dich aufzuklären, ich bin gelernter Maler/ Lackierer, habe nach 17 Jahren mein Abi nachgeholt und studiert. Ich war nie arbeitslos. Das Versagen, wie du es beschreibst ist nicht allein den Eltern vorzuwerfen, auch der Staat trägt Mitverantwortung. Ebenso fällt es manchen nicht so leicht, dem gesellschtlichen Druck standzuhalten oder den gestellten Anforderungen gerecht zu werden.

Ich selbst bin nun in der sozialen Branche tätig und mein Klientel gehört zu den "Restbeständen" des Staates. Ich wage vorsichtig zu urteilen, über den deiner Meinung nach abnehmenden Restbestand. Ein von massiv ansteigenden Problemen, Krisen, Katastrophen und Risiken bedrohtes System, sorgt eher dafür, dass ein Versagen eine Masse an Menschen treffen kann, die es nie vorher glaubte.
Dann ist mir unverständlich, weshalb ausgerechnet Sie mit ihrer Vita schreiben, es stünde im Osten der Republik nur Montage oder Hartz IV zur Verfügung. Krisen und Katastrophen werden bewältigt und Risiken können nie ausgeschlossen werden. Das war doch in der DDR nicht anders, als heute, wenn auch die zur Verfügung stehenden Mittel deutlich begrenzter waren, als heute.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von JJazzGold »

Gilmoregirl hat geschrieben:(23 Sep 2018, 20:26)

Ja, auch ich bin eine mit so einer Biographie.
Ich wollte nicht lienientreu und parteiabhängig meinen beruflichen Weg gehen, wobei mich mein eigentlicher Job ( Kindergärtnerin) schon sehr im Gleis hielt.
Die Wende kam, da war ich 23, nun stand so viel für mich offen...was mache ich... gerade in Zeiten, als der Osten die Kitas eher schloss als neue benötigte.
Da, wo ich heute beruflich bin, hab ich z.T. meiner Entschlossenheit zu verdanken. Aber ich habe auch immer noch mit Mitarbeitern zu tun, die darauf warten: Sag mir, was ich machen soll...
Diese Einstellung scheint von Eltern zu Kindern weitergegeben zu werden. Denn dass der Staat nicht mehr anweist, müsste nach 28 Jahren eigentlich in den Köpfen angekommen sein. Aber vielleicht müssen wir einfach noch eine Generation warten, in der gesamten Republik. Denn ich kann mich noch gut an den sog. “Sozialadel“ erinnern, der zum Teil innerhalb drei Generationen die Haltung vertrat, Sozialhilfe zu beziehen, sei völlig ausreichend. Das hat sich meines Erachtens geändert, zum Einen weil es diese Sozialhilfe nicht mehr gibt, zum Anderen, weil zumindest nach meiner Beobachtung Eltern wieder vermehrt Wert auf, “meine Kinder sollen es besser haben als ich“ Wert legen.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von imp »

JJazzGold hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:11)

Diese Einstellung scheint von Eltern zu Kindern weitergegeben zu werden. Denn dass der Staat nicht mehr anweist, müsste nach 28 Jahren eigentlich in den Köpfen angekommen sein.
Wir kennen unselbständige Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus. Daraus eine DDR-Diskussion zu machen, erscheint mir fragwürdige Ideologiebildung.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von schokoschendrezki »

Großer Adler hat geschrieben:(25 Sep 2018, 00:19)
Sind die Ostdeutschen, Westdeutschen das Problem? Subjektiv eingeschätzt ist es wohl der Ostdeutsche. Objektiv, sind es die, die falsche "Veränderungen" herbeiführen und richtige, also bürgerliche Interessen, als unwichtig (unverhältnismäßig) bewerten. So ist zumindest mein Eindruck.
Es mag den meisten als reiner Formalismus erscheinen. Aber für mich persönlich macht die Formulierung "Will man in Ostdeutschland eine andere Republik ..." und "Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik ..." einen fundamentalen Unterschied. Ich bin im Osten Deutschlands geboren, aufgewachsen und habe noch immer meinen Lebensmittelpunkt dort. Aber ich bin kein "Ostdeutscher" sondern ein sich kosmopolitisch verstehender Mensch mit der Muttersprache Deutsch, die weitaus prägender ist als der geographische Ort dieses Lebensmittelpunkts.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von sünnerklaas »

Großer Adler hat geschrieben:(23 Sep 2018, 19:23)


Ich selbst bin nun in der sozialen Branche tätig und mein Klientel gehört zu den "Restbeständen" des Staates. Ich wage vorsichtig zu urteilen, über den deiner Meinung nach abnehmenden Restbestand. Ein von massiv ansteigenden Problemen, Krisen, Katastrophen und Risiken bedrohtes System, sorgt eher dafür, dass ein Versagen eine Masse an Menschen treffen kann, die es nie vorher glaubte.
Da stimme ich Dir zu. In dem aktuellen System darf einem EINES nie passieren: man darf nicht wirklich schwerer krank werden. Es darf einem im Grunde nichts passieren. Ein Autounfall mit sehr schwer zu klärender Schuldfrage, langer Prozessiererei, weil Versicherungen sich die Verantwortung gegenseitig zuschieben und sich nicht zuständig fühlen und längerer Erwerbunsunfähigkeit reicht da schon aus, um einen wirtschaftlichen Absturz herbei zu führen. Es war ein ganz großer Fehler, die EU-Rente zu privatisieren.

Hinzu kommt, dass das aktuelle globale Wirtschaftssystem extrem krisenanfällig ist. Da brauchen nur wichtige Verkehrswege für eine längere Zeit nicht funktionieren. Ich kann mich noch gut an das Elbhochwasser 2002 erinnern, als Rettungskräfte aus den Katastrophengebieten abgezogen werden mussten, weil auf Biegen und Brechen die Autobahnbrücken gehalten werden mussten. Hätte es da Probleme gegeben, wären die Verkehrswege unterbrochen worden, hätten binnen 24 Stunden die Produktionsbänder in der westeuropäischen Automobilindustrie still gestanden - mit fatalen Folgen auch für den Börsenkurs, weil Just-In-Time geliefert werden muss und der steigende Börsenkurs ein ehernes und mit vielen Ehrenworten versehenes Vorstandsversprechen ist. Sehr schön konnte man das alles auch bei der Hanjin-Pleite beobachten. Die Schiffe konnten wg. Insolvenz der Reederei keine Häfen anlaufen - an Bord waren aber Verkaufsartikel für das Weihnachtsgeschäft - also für das Geschäft des Jahres. Da brach dann bei nicht wenigen Panik aus. Die Waren waren geordert und bezahlt, die Kalkulation fürs Weihnachtsgeschäft stand. Wenn dann nicht geliefert wird, gibt es Ärger - und zwar richtig.

Kurz gesagt; das Wirtschaftssystem muss krisienfest gemacht werden. Es kann nur funktionieren, wenn es von vielen Schultern getragen wird. Es kann nur funktionieren, wenn vorausschauend und umsichtig gedacht und gehandelt wird - und nicht nur kurzfristig bvon Quartal zu Quartal. Zum Plan A gehören stets auch Pan B und Plan C. Nur dann ist man auf der halbwegs sicheren Seite.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von sünnerklaas »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:13)

Wir kennen unselbständige Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus. Daraus eine DDR-Diskussion zu machen, erscheint mir fragwürdige Ideologiebildung.
Ich würde es anders ausdrücken: es sind unterschiedliche Mentalitäten. Ich erlebe es im Beruf immer wieder, dass es zwischen Ost- und Westdeutschen bei bestimmten Entscheidungen zu Konflikten kommt - bei Entscheidungen, bei denen es weder ein klares JA, noch ein klares NEIN, ein klares ERLAUBT oder ein klares VERBOTEN gibt. Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die zwischen JA und NEIN liegen, gibt es regelmässig zum Teil hitzige Debatten, weil die inividuelle Einzelfallentscheidung von vielen Ostdeutschen dann als "ungerecht" angesehen wird. Dabei beobachte ich eines: Die Ostdeutschen, die nach ca. 1980 geboren sind, haben mit solchen Entscheidungen weniger Probleme, als die älteren.
Man darf immer eines nicht vergessen: die DDR war zwar eine Diktatur, aber sie bot auch Annehmlichkeiten. Für jeden war gesorgt, man brauchte sich um vieles nicht wirklich zu kümmern. Das machte der Staat. Und die Pflicht zur Arbeit implizierte stets auch das Recht auf Arbeit und somit das Recht auf Einkommen - auch wenn man sich von dem Geld vielleicht nicht all zu viel kaufen konnte. Sowas ist sehr bequem.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von sünnerklaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:28)

Es mag den meisten als reiner Formalismus erscheinen. Aber für mich persönlich macht die Formulierung "Will man in Ostdeutschland eine andere Republik ..." und "Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik ..." einen fundamentalen Unterschied. Ich bin im Osten Deutschlands geboren, aufgewachsen und habe noch immer meinen Lebensmittelpunkt dort. Aber ich bin kein "Ostdeutscher" sondern ein sich kosmopolitisch verstehender Mensch mit der Muttersprache Deutsch, die weitaus prägender ist als der geographische Ort dieses Lebensmittelpunkts.
Ich meine, man sollte -allein aus der historischen Erfahrung heraus - zwischen Sachsen und Ostdeutschland differenzieren. Die Sachsen hatten schon immer große Probleme mit Berliner Regierungen. Berlin steht für Preußen und Preußen stand für den Alten Fritz.
Auch wenn die DDR immer den "preußischen Militarismus" beklagt und verurteilt hat - der Staat selbst stand fest in preußischer Tradition. In Teilen war die DDR sogar fast eine Kopie des Preußens unter König Willem Zwo: Kaderparteien (Gültigkeit von Wahlen erst nach Bestätigung des gewählten Kandidaten durch obere Hierarchien), Funktionärsunwesen, nach außen hin strikt abgeschlossene Nomenklatura (unter Willem Zwo Adel, in der DDR "Avantguarde der Arbeiterklasse"), Provinzen (nannten sich in der DDR "Bezirke").
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von imp »

sünnerklaas hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:43)

Ich würde es anders ausdrücken: es sind unterschiedliche Mentalitäten. Ich erlebe es im Beruf immer wieder, dass es zwischen Ost- und Westdeutschen bei bestimmten Entscheidungen zu Konflikten kommt - bei Entscheidungen, bei denen es weder ein klares JA, noch ein klares NEIN, ein klares ERLAUBT oder ein klares VERBOTEN gibt.
Sowas habe ich auch erlebt. Jedoch nicht nur zwischen diesen Aggregaten sondern auch zwischen älteren und jüngeren, Männern und Frauen, Bayern und Zugereisten, Anhängern zweier fachlicher Herangehensweisen... Warum erinnern viele Leute gerade die Konflikte, die "Ost und West" spielen? Debatte ist gut, Ergebnis ist noch besser. Im Zweifel entscheidet im Verein der Vorstand oder die Mehrheit, in der Firma der nächstgrößere Chef.
Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die zwischen JA und NEIN liegen, gibt es regelmässig zum Teil hitzige Debatten, weil die inividuelle Einzelfallentscheidung von vielen Ostdeutschen dann als "ungerecht" angesehen wird. Dabei beobachte ich eines: Die Ostdeutschen, die nach ca. 1980 geboren sind, haben mit solchen Entscheidungen weniger Probleme, als die älteren.
Entscheidungen "nach Nase" sind vielen Menschen nicht recht, da sie das Einfallstor für alle möglichen Mißstände sind. Viele gerade ältere Menschen finden nachvollziehbare Regeln wichtig.
Man darf immer eines nicht vergessen: die DDR war zwar eine Diktatur, aber sie bot auch Annehmlichkeiten. Für jeden war gesorgt, man brauchte sich um vieles nicht wirklich zu kümmern. Das machte der Staat. Und die Pflicht zur Arbeit implizierte stets auch das Recht auf Arbeit und somit das Recht auf Einkommen - auch wenn man sich von dem Geld vielleicht nicht all zu viel kaufen konnte. Sowas ist sehr bequem.
Ich halte diese Erzählung für verklärend. In Wahrheit musste, wer etwas wollte, sich kümmern. Wissen, wo und wann es seltene Ware gab. Wissen, wer beschaffen konnte, was es nicht gab und was er dafür haben wollte. Wissen, welcher Sekretär gern Westkaffee und welcher lieber gutes Bier hat, wenn man mit ihm "nochmal nachdenken" wollte. Vieles, das man woanders einfach gekauft hätte, musste improvisiert oder gebastelt werden. Alles sehr aufwändig und unbequem. Wenn ich heute eine bestimmte Schraube brauche, hole ich sie einfach im Laden. Sollte der sie wirklich nicht haben, was extrem selten ist, kann ich sie dort reservieren lassen oder gleich nach Hause bestellen. In der DDR hätte ich vermutlich einfach alle verfügbaren Schrauben jederzeit besorgt, damit ich im Bedarfsfall eine habe. Die, die ich brauche, hätte trotzdem gefehlt. Keller voll, Laden leer, und wenn ich tot bin, kommen die Enkel und hauen den ganzen Mist auf den Müll. Ich bin froh, dass wir uns um so vieles nicht kümmern müssen, weil der Markt es für uns erledigt. Das ist bequem. Die DDR kann mich mal samt ihrer Anhänger.
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JJazzGold
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von JJazzGold »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:13)

Wir kennen unselbständige Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus. Daraus eine DDR-Diskussion zu machen, erscheint mir fragwürdige Ideologiebildung.
Das ist keine DDR Diskussion, den sog. Soziadel gab es weit vor 1990 und zwar im zwar im Westen der Republik.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von imp »

JJazzGold hat geschrieben:(25 Sep 2018, 09:39)

Das ist keine DDR Diskussion, den sog. Soziadel gab es weit vor 1990 und zwar im zwar im Westen der Republik.
Den gibt es auch in England, obwohl das Sozialsystem dort vergleichsweise karg ist. Ich habe da wenig Hoffnung, dass es diesen Typus irgendwann nicht mehr gibt.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:48)

Ich meine, man sollte -allein aus der historischen Erfahrung heraus - zwischen Sachsen und Ostdeutschland differenzieren. Die Sachsen hatten schon immer große Probleme mit Berliner Regierungen. Berlin steht für Preußen und Preußen stand für den Alten Fritz.
Auch wenn die DDR immer den "preußischen Militarismus" beklagt und verurteilt hat - der Staat selbst stand fest in preußischer Tradition. In Teilen war die DDR sogar fast eine Kopie des Preußens unter König Willem Zwo: Kaderparteien (Gültigkeit von Wahlen erst nach Bestätigung des gewählten Kandidaten durch obere Hierarchien), Funktionärsunwesen, nach außen hin strikt abgeschlossene Nomenklatura (unter Willem Zwo Adel, in der DDR "Avantguarde der Arbeiterklasse"), Provinzen (nannten sich in der DDR "Bezirke").
Ich lege weiterhin großen Wert auf die Formulierung "In Sachsen" und nicht "die Sachsen" ...

Aber davon unabhängig: Natürlich stand der Staat DDR weitgehend in der Tradition von preußischer Disziplin und Ordnung. Noch Mitte, Ende der 60er war es in einigen Schulen üblich, dass Grundschulkinder - wenn auch im Pionierhemd - den Unterricht mit Knicks und Diener begannen. Ich kann das bezeugen! Das war aber die Ulbricht-Ära.

Dann kam die Ulbricht-Honecker-Klicken-Ablösungsphase und eine zeitlang gab es in diesem Machtvakuum eine gewisse Lockerung. Bis etwa zur Biermann-Ausweisung. Also 1976. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Honecker-Klicke, in erster Linie Mittag und Mielke alle Macht an sich gerissen und es sah nach irgendeinem tausendjährigen Reich des dostojewskischen Großinquisitors aus. Ab Mitte der 80er dann der Absturz. Und verzweifelte Versuche der Rettung. Neue WIrtschaftspolitik. Informatik. Computer. Kulturelle Öffnung. Neue Synagoge in Ostberlin. Aber umsonst: Die Gesellschaft war von Frust zerfressen und ein nicht kleiner Teil ging entweder irgendwie in den Westen oder betrank sich regelmäßig statt auf Computerprogramme oder eine Renaissance jüdischer Kultur zu sinnen. Dennoch befanden sich gerade in Sachsen die verbliebenen Teile der die Gesellschaft noch am Leben haltenden Wirtschaft. Daraus entstand - aus meiner Sicht - dieser rechtskonservative Geist in Sachsen. Als könne man die rechtskonservative Epoche der (west)deutschen Nachkriegs-Bundesrepublik der 50er, 60er Jahre irgendwie nachholen oder wieder heraufholen. In der Bundesrepublik war jedoch mittlerweile Weltläufigkeit eingezogen.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von JJazzGold »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(25 Sep 2018, 09:41)

Den gibt es auch in England, obwohl das Sozialsystem dort vergleichsweise karg ist. Ich habe da wenig Hoffnung, dass es diesen Typus irgendwann nicht mehr gibt.
Anteilig wird es ihn wohl immer geben. In Deutschland hat diesen Anteil das Hartz IV Modell deutlich reduziert.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von sünnerklaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Sep 2018, 09:42)

Dann kam die Ulbricht-Honecker-Klicken-Ablösungsphase und eine zeitlang gab es in diesem Machtvakuum eine gewisse Lockerung. Bis etwa zur Biermann-Ausweisung. Also 1976. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Honecker-Klicke, in erster Linie Mittag und Mielke alle Macht an sich gerissen und es sah nach irgendeinem tausendjährigen Reich des dostojewskischen Großinquisitors aus.
In der DDR sind einige in den 1970ern offensichtlich größenwahnsinnig geworden. Strategisch gesehen hatte der Ostblock ja die Siege in Kuba und in Vietnam vorzuweisen. Dazu kamen entscheidende Geheimdienst-Coups: die Folgen der Ermordung Benno Ohnsorgs durch den Stasi-Mann Kurras führte in Westberlin und in Westdeutschland zu einer gewissen Destabilisierung. Die CDU/CSU legte daraufhin die "Schwarzen Kassen" an, von denen die Stasi schnell Wind bekam und die Leute, wie Kohl und Strauß erpressbar machte. Dazu kam die erfolgreiche Platzierung eines MfS-Spions im Kanzleramt. Das, was sich "demokratischer Zentralismus" nannte, gab es schon im Kaiserreich in Preußen - da galt es, sozialdemokratische Politiker aus Staatsämtern und aus der Verwaltung fernzuhalten. Die "Partei neuen Typus" war gar nicht neu. Auch das war etwas altbekanntes...
Ab Mitte der 80er dann der Absturz. Und verzweifelte Versuche der Rettung. Neue WIrtschaftspolitik. Informatik. Computer. Kulturelle Öffnung. Neue Synagoge in Ostberlin. Aber umsonst: Die Gesellschaft war von Frust zerfressen und ein nicht kleiner Teil ging entweder irgendwie in den Westen oder betrank sich regelmäßig statt auf Computerprogramme oder eine Renaissance jüdischer Kultur zu sinnen. Dennoch befanden sich gerade in Sachsen die verbliebenen Teile der die Gesellschaft noch am Leben haltenden Wirtschaft. Daraus entstand - aus meiner Sicht - dieser rechtskonservative Geist in Sachsen. Als könne man die rechtskonservative Epoche der (west)deutschen Nachkriegs-Bundesrepublik der 50er, 60er Jahre irgendwie nachholen oder wieder heraufholen. In der Bundesrepublik war jedoch mittlerweile Weltläufigkeit eingezogen.
Dass es so gelaufen ist, war in erster Linie ein Versagen Mielkes. Mielke war nicht in der Lage aus all den Lagerberichten aus der Vollüberwachung der Bevölkerung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Vielleicht war er auch gar nicht willens, weil zu alt, zu starrsinnig und zu machtgeil. Jedenfalls hat man die Chancen, die sich boten, gar nicht genutzt. Horch und Guck waren mit ihren Ohren überall und nirgends, war aber nicht in der Lage, wirklich zuzuhören. Im Grunde wurden da Berge von Papiermüll produziert.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

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Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:58)

Sowas habe ich auch erlebt. Jedoch nicht nur zwischen diesen Aggregaten sondern auch zwischen älteren und jüngeren, Männern und Frauen, Bayern und Zugereisten, Anhängern zweier fachlicher Herangehensweisen... Warum erinnern viele Leute gerade die Konflikte, die "Ost und West" spielen? Debatte ist gut, Ergebnis ist noch besser. Im Zweifel entscheidet im Verein der Vorstand oder die Mehrheit, in der Firma der nächstgrößere Chef.
Es gibt Themen, da bringen langwierige Debatten einfach nichts, weil sie einfach nutz- und fruchtlos sind.
Entscheidungen "nach Nase" sind vielen Menschen nicht recht, da sie das Einfallstor für alle möglichen Mißstände sind. Viele gerade ältere Menschen finden nachvollziehbare Regeln wichtig.
Das sind keine Entscheidungen nach "Nase", sondern begründete Einzelfallentscheidungen, Kompromisse. Hebel ist da der berühmte Dreizeiler, mit dem eine Entscheidung begründet wird. Idealerweise gibt es bei solchen Entscheidungen eine Win-Win-Situation.
Ich halte diese Erzählung für verklärend. In Wahrheit musste, wer etwas wollte, sich kümmern. Wissen, wo und wann es seltene Ware gab. Wissen, wer beschaffen konnte, was es nicht gab und was er dafür haben wollte. Wissen, welcher Sekretär gern Westkaffee und welcher lieber gutes Bier hat, wenn man mit ihm "nochmal nachdenken" wollte. Vieles, das man woanders einfach gekauft hätte, musste improvisiert oder gebastelt werden. Alles sehr aufwändig und unbequem.
Wo ist eigentlich der Erfindergeist der Leute aus den ehemaligen RGW-Staaten geblieben? Weg.
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Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(25 Sep 2018, 11:16)
Dass es so gelaufen ist, war in erster Linie ein Versagen Mielkes. Mielke war nicht in der Lage aus all den Lagerberichten aus der Vollüberwachung der Bevölkerung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Vielleicht war er auch gar nicht willens, weil zu alt, zu starrsinnig und zu machtgeil. Jedenfalls hat man die Chancen, die sich boten, gar nicht genutzt. Horch und Guck waren mit ihren Ohren überall und nirgends, war aber nicht in der Lage, wirklich zuzuhören. Im Grunde wurden da Berge von Papiermüll produziert.
Klar ist, und das ist inzwischen kaum umstritten: Honecker, Mielke, Mittag war das entscheidende Machttrio spätestens ab Ende der 70er. Von einem "Versagen" MIelkes kann deshalb nicht die Rede sein, weil ein "Nichtversagen" Mielkes ja nur bedeutet hätte, dass er - in seiner Funktion eben - den DDR-Geheimdienst noch perfekter und lückenloser geführt hätte. Beim Wirtschaftsboss Mittag kann man schon eher von einem "Versagen" reden. Ich glaube auch, dass der ab Mitte der 80er tatsächlich das eigentliche Sagen hatte. Seine vieldokumentierten cholerischen Ausbrüche lehrten interne Kritiker das Fürchten und irgendwann muckte niemand mehr auf.

Für mich stellt sich nach wie vor und immer noch eine entscheidende Frage: Wie war der spektakuläre von F.J.Strauß eingefädelte Milliardenkredit 1983 für die DDR motiviert. Der das Überleben der DDR für bestimmt 5 Jahre noch mal absicherte. Wie. (Und das Überleben der weitaus schlimmeren Autokratie RUmänien sollte - ebenfalls auf Initiative von Strauß - gleichfalls künstlich verlängert werden.)

Es gibt die - inzwischen etwas in Vergessenheit geratene - sogenannte "Sonthofen-Strategie" von Strauß und der CSU. Durch die Veröffentlichung einer an sich internen Rede wurde bekannt. dass Strauß - vereinfacht gesagt - die CSU dazu aufrief, die Bundesrepublik möglichst selbst an die Wand zu fahren, damit man nach dem "starken Mann" rufen solle, der er selbst dann sein werde. Das zeigt, wie skrupellos ein solcher Politiker seine Machtspiele austrägt. Und irgendetwas in dieser Richtung wird ihn wohll auch bei diesen Milliardenkrediten geleitet haben.

Was wirklich absolut pikant und gleichzeitig bezeichnend ist: Die Gründung der "Republikaner" - eigentlich ein Vorgängerphänomen der AfD - geht genau auf diesen Milliardenkredit-Coup von Strauß zurück.
So mancher Parteikollege sieht die Glaubwürdigkeit der CSU in Gefahr. Auf dem Parteitag am 14. Juli wird Strauß nur noch mit 77 Prozent als CSU-Chef bestätigt - eine Klatsche angesichts von sonst 95 Prozent. Franz Handlos und Eckehard Voigt verlassen aus Protest die CSU und gründen Ende 1983 in München mit Franz Schönhuber "Die Republikaner" - eine neue Partei, rechts von der CSU, die allerdings nach einiger Zeit wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
(https://www.br.de/nachricht/inhalt/stra ... dr100.html)

Was hat das nun mit den verbreiteten Stimmungslagen im Osten Deutschlands heute zu tun? Na, zumindest, dass ab Mitte der 80er eine eher linksliberale Opposition in den Westen gegangen war. Diese künstlich lebensverlängerte DDR war eine kaum aushaltbare Gesellschaft. Später kam dann noch Glasnost und Perestroika und die strikte Ablehnung dieser Vorstöße durch die DDR-Oberen hinzu. Bis hin zu Aufführungsverboten sowjetischer Filme. Die Luft wurde - kulturell natürlich, nicht sozial und materiell - so dünn, dass ein großer Teil der DDR-Bürger quasi bleibende Gehirnschäden davontrug. Gut, das ist jetzt vielleicht etwas drastisch formuliert. Verblieben waren lediglich innerparteilich moderat oppositionelle Leute in der SED wie etwa Gysi. Und eher rechtskonservative Oppositiionelle aus Kirchenkreisen wie Rainer Eppelmann.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Sep 2018, 13:29)

Was hat das nun mit den verbreiteten Stimmungslagen im Osten Deutschlands heute zu tun? Na, zumindest, dass ab Mitte der 80er eine eher linksliberale Opposition in den Westen gegangen war. Diese künstlich lebensverlängerte DDR war eine kaum aushaltbare Gesellschaft. Später kam dann noch Glasnost und Perestroika und die strikte Ablehnung dieser Vorstöße durch die DDR-Oberen hinzu. Bis hin zu Aufführungsverboten sowjetischer Filme. Die Luft wurde - kulturell natürlich, nicht sozial und materiell - so dünn, dass ein großer Teil der DDR-Bürger quasi bleibende Gehirnschäden davontrug. Gut, das ist jetzt vielleicht etwas drastisch formuliert. Verblieben waren lediglich innerparteilich moderat oppositionelle Leute in der SED wie etwa Gysi. Und eher rechtskonservative Oppositiionelle aus Kirchenkreisen wie Rainer Eppelmann.
Also ich hab keine "bleibenden Gehirnschäden" als Folge der DDR-Verhältnisse davongetragen (zumindest nicht, dass ich wüsste :D ) und ich glaube auch nicht, dass die jetzigen rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Entwicklungen viel mit der DDR zu tun haben, sondern wesentlich mehr mit den Verhältnissen im Osten in den Jahren nach der Wende. Und das dauert bis heute an. Dass es Rechtsradikale und Neonazis auch in der DDR gab, wie überall in Europa, und das schon lange vor dem Fall des Eisernen Vorhanges, ist unstrittig. Aber nun jetzt jeden Mittag-Honecker-Pups heute 30 Jahre (!) nach der Wende für die jetzige Entwicklung verantwortlich zu machen, halte ich für ziemlich schräg.

Man kann sich hier zwar viel "Sympathie" und ne Menge Pluspunkte holen, wenn man behauptet, die besonders große Hinwendung der Ostdeutschen zum Rechtspopulismus hätte mit ihrer tragischen und verfehlten DDR-Vergangenheit zu tun. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die heute draußen herumgrölenden 35- bis 40-Jährigen, vor allem viele Männer, keine besonders engen innerlichen Bindungen mehr haben zur DDR-Vergangenheit, zumindest nicht vordergründig im Sinne von "ganz schlimme Diktatur". Im Gegenteil, ich hab sogar mal aus dem Mund eines heute sehr weit rechts stehenden jungen Sachsen höchstpersönlich gehört, dass er es gut findet, was seine Eltern (keine SED-Mitglieder) aus der DDR-Zeit erzählen, dass die soziale Sicherheit Gold wert gewesen sei und man das nach der Wende erst wieder schätzen gelernt habe, was es damals bedeutet habe, sich nie um den Job, die Wohnung, die Miete, den Kita-Platz, die Ausbildung und die Rente sorgen zu müssen. Auch wenn das Fehlen der Reisefreiheit und der Mangel an bestimmten Konsumgütern schon unheimlich genervt hätten, meinte er. Er habe jedoch als Kind erlebt, wie seine Eltern, die in der DDR ihr ganzes Leben lang beide Vollzeit gearbeitet hätten und das auch sehr gerne, nach der Wende dann jeden Tag immer wieder aufs Neue kämpfen mussten, um halbwegs abgesichert zu sein, wie sie sich von ABM zu ABM hangeln mussten und ab und zu mal einen schlecht bezahlten Job fanden. All das hat den jungen Mann mehr geprägt im negativen Sinne als das, was Honecker und co. veranstaltet haben. Vielleicht sollte man mal fragen, warum sich so einer nun magisch von den Rechten angezogen fühlt.

Es wird bei dieser DDR-Analyse meistens viel zu wenig beachtet, dass die von Stasi, Staat und SED Verfolgten nur ein Teil der Bevölkerung waren, dass die meisten aber ganz normale durchschnittliche nicht verfolgte Leute waren, die einfach mal besser leben und konsumieren und deshalb die D-Mark haben wollten. Der große oft postulierte Anspruch, den "schrecklichen, diktatorischen und gefängnisartigen Staat DDR" endlich loszuwerden und gegen die "freiheitliche und demokratische BRD" einzutauschen, war nur die Intention eines Teils der Menschen. Dass sie dann in der Mehrheit den Anschluss wählten, hat eher Wohlstandsgründe. Man wollte das haben, was "die da drüben" auch hatten. Das wird nachträglich immer so heroisiert und als "Freiheitskampf" hochstilisiert.
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Beitrag von Skull »

Selina hat geschrieben:(25 Sep 2018, 16:52)

Es wird bei dieser DDR-Analyse meistens viel zu wenig beachtet, dass die von Stasi, Staat und SED Verfolgten nur ein Teil der Bevölkerung waren, dass die meisten aber ganz normale durchschnittliche nicht verfolgte Leute waren, die einfach mal besser leben und konsumieren und deshalb die D-Mark haben wollten. Der große oft postulierte Anspruch, den "schrecklichen, diktatorischen und gefängnisartigen Staat DDR" endlich loszuwerden und gegen die "freiheitliche und demokratische BRD" einzutauschen, war nur die Intention eines Teils der Menschen. Dass sie dann in der Mehrheit den Anschluss wählten, hat eher Wohlstandsgründe. Man wollte das haben, was "die da drüben" auch hatten. Das wird nachträglich immer so heroisiert und als "Freiheitskampf" hochstilisiert.
Solchen Relativierungen kann ich NICHTS abgewinnen.

Auch wenn vielleicht...die Mehrheit nicht gerade besonders politisiert ist , besser aber ...war...

Die Stasi, der Staatsapparat, die DDR als Staat, war für jeden DDR-Bürger präsent.
Und diesen eingeschlossenem Raum, war definitiv die MEHRHEIT mehr als "erfreut", ihn hinter sich zu lassen.

Freiheit.

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Selina »

Skull hat geschrieben:(25 Sep 2018, 17:04)

Solchen Relativierungen kann ich NICHTS abgewinnen.

Auch wenn vielleicht...die Mehrheit nicht gerade besonders politisiert ist , besser aber ...war...

Die Stasi, der Staatsapparat, die DDR als Staat, war für jeden DDR-Bürger präsent.
Und diesen eingeschlossenem Raum, war definitiv die MEHRHEIT mehr als "erfreut", ihn hinter sich zu lassen.

Freiheit.

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Beitrag von Skull »

Selina hat geschrieben:(25 Sep 2018, 17:10)

Hast du in der DDR gelebt?
Ironische Replik:

Hast Du im Dritten Reich gelebt ?


Ernsthaft:

Was soll diese Frage ? Meine persönliche Geschichte und die meiner Familie tut NICHTS zur Sache.
Wir haben aber eine Kopie "unserer" Stasiakte zu Hause.

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Selina »

Skull hat geschrieben:(25 Sep 2018, 17:11)

Ironische Replik:

Hast Du im Dritten Reich gelebt ?


Ernsthaft:

Was soll diese Frage ? Meine persönliche Geschichte und die meiner Familie tut NICHTS zur Sache.
Wir haben aber eine Kopie "unserer" Stasiakte zu Hause.

mfg
Wie ich schon mehrfach erwähnte, gehörte meine Familie auch zu denjenigen, die gravierenden Ärger mit den DDR-Oberen hatten. Dazu habe ich ebenfalls diverse Akten hier liegen. Auch eine zur Rehabilitierung nach der Wende. Allerdings fiele mir nie im Traum ein, deshalb die gesamte damalige Gesellschaft als eine Gesellschaft von Verfolgten zu beschreiben. Weil es auch nicht so war. Ja, ein Teil litt unter Verfolgung und Repressalien, ein anderer Teil (die Mehrheit) jedoch nicht. Es war schon so, auch wenns schwerfällt, das einzugestehen: Viele Leute schätzten die soziale Sicherheit sehr, was ihnen nach der Wende erst richtig bewusst wurde, und fragen heute, wieso man nicht beides haben konnte, soziale Sicherheit und Demokratie/Freiheit. Und dauerhaft unter sozialen Ängsten leben zu müssen, kann einen Menschen auch verändern, ja, sogar krankmachen. Selbst die Fast-Vollbeschäftigung heute in Sachsen ist nicht das Wahre, weil man ja immer fragen muss, was das für Jobs sind. Das sind eben oft schlecht bezahlte Jobs, zu viel prekäre Arbeit. Unterm Strich verbessert man zwar mit jedem neuen Job die Arbeitslosenstatistik, aber keiner fragt, was das für Jobs sind, wie viele davon nur befristet, Leiharbeit, erzwungene Teilzeit (es geht nicht um die freiwillige Teilzeit, die ja ok ist) und Minijobs etcpp.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Skull »

Selina hat geschrieben:(25 Sep 2018, 17:42)

Allerdings fiele mir nie im Traum ein,
deshalb die gesamte damalige Gesellschaft als eine Gesellschaft von Verfolgten zu beschreiben.
Die übliche Ausweich- und Nebendiskussion.

Da hat nie irgendjemand so etwa geschrieben. Da wird einfach geschrieben...andere...würden...
Und dann will man eine Diskussion über das von niemand geschriebene führen.

Vergiss es. Zumindest mit mir. ;)


P.S.: Ich führe auch keine Diskussion, das es im Dritten Reich noch auf deutschen Strassen sicherer war. :mad2:

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Selina »

Skull hat geschrieben:(25 Sep 2018, 18:03)

Die übliche Ausweich- und Nebendiskussion.

Da hat nie irgendjemand so etwa geschrieben. Da wird einfach geschrieben...andere...würden...
Und dann will man eine Diskussion über das von niemand geschriebene führen.

Vergiss es. Zumindest mit mir. ;)


P.S.: Ich führe auch keine Diskussion, das es im Dritten Reich noch auf deutschen Strassen sicherer war. :mad2:

mfg
Die DDR und Hitlerdeutschland gleichzusetzen, ist ein Fehler. Da gibts schon ne Menge größerer Unterschiede. Aber gut. Das wars auch meinerseits dazu. Hat keinen Sinn, wie man sieht.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von Ammianus »

sünnerklaas hat geschrieben:(25 Sep 2018, 11:16)

...

Dass es so gelaufen ist, war in erster Linie ein Versagen Mielkes. Mielke war nicht in der Lage aus all den Lagerberichten aus der Vollüberwachung der Bevölkerung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Vielleicht war er auch gar nicht willens, weil zu alt, zu starrsinnig und zu machtgeil. Jedenfalls hat man die Chancen, die sich boten, gar nicht genutzt. Horch und Guck waren mit ihren Ohren überall und nirgends, war aber nicht in der Lage, wirklich zuzuhören. Im Grunde wurden da Berge von Papiermüll produziert.
Das Entscheidende und die ganz simple Realität war, dass die DDR zu keinem Zeitpunkt von einer deutlichen Mehrheit ihrer Bewohner getragen wurde. Um die Mittagszeit des 17. Juni z.B. hatte sie de facto aufgehört zu existieren. Und dann kamen die Panzer der Russen. Genau so war es auch in den anderen Ostblockstaaten. Jedes Mal, wenn die Regime sich zu lockern begannen kündigte sich deutlich ihr Ende an. Das sieht man 56 in Ungarn, 68 in der CSSR und 81 in Polen. Aber bei Letzterem liess man die Schmutzarbeit die polnische Armee erledigen da Teile von dieser signalisiert hatten gegen fremde Truppen Widerstand zu leisten. Nirgendwo in der Welt waren die Kommunisten durch freie Wahlen oder eine Mehrheit an die Macht gelangt. Das ganze System war an sich eine nicht wirklich funktionierende Farce.

Und so brach es dann auch zusammen, als die Herrschenden jeglichen Widerstand aufgaben. Voraussetzung war aber, dass die Führungsmacht UdSSR deutlich macht, nicht mehr zu Gunsten der Regime in den anderen Staaten zu interveniren. Das Politbüro konnte nicht mehr hoffen, dass sie noch einmal durch russische Panzer gerettet werden. Sie hatten die Wahl entweder zu kapitulieren oder sich noch eine Weile mit Gewalt an der Macht zu halten. So war der 9. Oktober, der Tag der friedlichen und großen Montagsdemonstration in Leipzig eigentlich der entscheidenste Tag der gesamten Ereignisse von 1989. Die Tausende von Menschen, die da auf die Straße gingen, wussten nicht, ob sich Polizei und Staasi auf sie stürzen würde, ob nicht sogar Schüsse fallen würden. Vorbereitungen dafür waren getroffen genau wie für landesweite Internierungen von als Negativ-feindliche Elemente eingestufte Menschen. Die Kommunisten hätten sich dann vielleicht noch ein paar völlig trostlose Jahre gehalten. Doch je nach Lage und Zahl der Opfer hätten sie dann ihr verspätetes Ende wohl nicht mehr überlebt.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Skull »

Selina hat geschrieben:(25 Sep 2018, 18:14)

Die DDR und Hitlerdeutschland gleichzusetzen, ist ein Fehler.

Da gibts schon ne Menge größerer Unterschiede.
Ersteres mache ich auch nicht.

Zweiteres ist sicherlich richtig.

Richtig ist aber auch -> das BEIDE (totalitäre) Unrechts-Staaten waren.

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(25 Sep 2018, 16:52)

Also ich hab keine "bleibenden Gehirnschäden" als Folge der DDR-Verhältnisse davongetragen (zumindest nicht, dass ich wüsste :D ) ...
Das ist mir doch klar. Ich auch nicht. Was ich damit sagen wollte und was historisch ja auch auf der Hand liegt: Die historische Wende 89/90 war speziell in der DDR und anders als in den anderen Staaten des sogenannten Ostblocks völlig von der Frage der "Deutschen Einheit" und der "Mauer" überformt.

Opposition in der damaligen Sowjetunion - in dem Falle legale, mehr oder minder geduldete Opposition - hieß unter anderem künstlerisch überragende Filme wie "Abschied von Matjora". Übergreifende Menschheitsthemen. Wie will die Menschheit künftig leben. Ich habe absolut nix, wirklich nix mit Katholizismus am Hut. Aber die Solidarnosc-Bewegung in Polen hatte selbstverständloch etwas damit zu tun, dass mit Johannes Paul II erstmals ein Pole in Rom Papst wurde. Der "Hauptstadt der Welt". Die DDR zu der Zeit war von piefigen-miefigen Meckerern bevölkert. Denen es nicht um Weltläufigkeit sondern um die "Deutsche Einheit" ging. Die in ihren Camping-Anhängern in Erkner sich über fehlende Reisefreiheit und fehlende Bananen mockierten. Dass die jetzt den Zuzug von Asylanten ablehnen oder einfach nicht verstehen ... das wundert doch eigentlich nicht. Oppositionelle gegen Ende der 80er, Künstler, Literaten, produzierten zwar auch Samisdat-Publikationen ... liefen aber häufig mit 'ner Flasche Rotwein durch Berlin oder Dresden, weil sie dieses miese kleinbürgerliche DDR-Klima sonst einfach nicht ausgehalten hätten. Ich weiß, wovon ich spreche.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von becksham »

Skull hat geschrieben:(25 Sep 2018, 18:03)

Die übliche Ausweich- und Nebendiskussion.

Da hat nie irgendjemand so etwa geschrieben. Da wird einfach geschrieben...andere...würden...
Und dann will man eine Diskussion über das von niemand geschriebene führen.

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von zollagent »

Ammianus hat geschrieben:(24 Sep 2018, 17:17)

Wie ist diese Aussage jetzt im Kontext des von mir Geschriebenen zu verstehen?
So, wie du sie auch verstanden hast. Es wird von einigen in den neuen Bundesländern immer noch ein Opferkult gepflegt, man "war Opfer in der DDR und man ist wieder Opfer im vereinigten Deutschland". Das aber als das zu erkennen, was es ist, nämlich Selbstmitleid und Hader, daß die Dinge, die man erwartet hat, so nicht eingetroffen sind, und statt dessen andere Zumutungen oder auch Anforderungen an einen gestellt werden, wird empört von sich gewiesen. Das würde die Eigensicht als Opfer gefährden.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Skull »

becksham hat geschrieben:(26 Sep 2018, 08:49)

Das ist kein Ausweichmanöver. Das war tatsächlich für viele Realität.
Viele hatten sich bequem eingerichtet und dachten nicht viel über Politik nach,
sondern lebten ihr Leben. Das war wirklich so.
Klar. So wie in jedem totalitären System.

Natürlich wird sich jeder einrichten (müssen) und MUSS sein Leben leben. Man hat ja auch nur dieses eine.

Ich betone ja selbst immer wieder den Unterschied.

Der Staat und das System DDR war scheisse. Und das hat gerade die überwiegende Mehrheit der Bürger so empfunden.
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Menschen alle permanent unzufrieden waren.
Schliesslich hatte dort auch jeder sein einmaliges "glückliches" Leben, in dem er lebte.

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von zollagent »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(25 Sep 2018, 08:13)

Wir kennen unselbständige Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus. Daraus eine DDR-Diskussion zu machen, erscheint mir fragwürdige Ideologiebildung.
Feststellen, wo solche Phänomene gehäuft auftreten und warum sie auftraten, kann durchaus vermitteln, wo man ansetzen muß. Und, auch wenn ich dir zustimme, daß eine reine "DDR-Diskussion" fehl am Platze wäre, so darf nicht übersehen werden, daß die DDR-Bevölkerung durch die Staatserziehung gespalten wurde, in diejenigen, die eben der staatlich gewollten Unselbständigkeit nachgaben und diejenigen, die letztlich das Regime gestürzt haben, eben weil sie sich diese Unselbständigkeit nicht aufdrängen lassen wollten.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von schokoschendrezki »

Skull hat geschrieben:(25 Sep 2018, 17:04)

Solchen Relativierungen kann ich NICHTS abgewinnen.

Auch wenn vielleicht...die Mehrheit nicht gerade besonders politisiert ist , besser aber ...war...

Die Stasi, der Staatsapparat, die DDR als Staat, war für jeden DDR-Bürger präsent.
Und diesen eingeschlossenem Raum, war definitiv die MEHRHEIT mehr als "erfreut", ihn hinter sich zu lassen.

Freiheit.

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Was Du vergisst: Die Präsenz der Stasi und des Staatsapparats war für eine relative MINDERHEIT repressiv. Eine relative MEHRHEIT sah sich nach karrierefördernden Beziehungen zum Staatsapparat um. Das ist eine ziemlich bittere Wahrheit.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mi 26. Sep 2018, 09:23, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(25 Sep 2018, 16:52)
..Dass sie dann in der Mehrheit den Anschluss wählten, hat eher Wohlstandsgründe. Man wollte das haben, was "die da drüben" auch hatten. Das wird nachträglich immer so heroisiert und als "Freiheitskampf" hochstilisiert.
Nun ja, "Gehirnschäden" würde ich auch nicht sagen, aber prägende Erlebnisse, das durchaus. Erwartungen, Selbstversprechen und auch viele Versprechungen wurden nicht erfüllt. Und "zu bekommen, was die hatten" entpuppte sich schon als schwierig. Das ist so, als wenn man bei einem Marathonlauf startet, eine Stunde nach dem Startschuß, wenn die Anderen längst auf und davon sind. Und das programmiert jemanden, der gewohnt war, daß der Staat allumfänglich umsorgt. Danach sehnt man sich wieder, der Druck der Eigenvorsorge wird als unbequem empfunden. Und man wäre ihn gerne los. Da bietet sich doch an, jemandem zu folgen, der a. "Schuldige an der Misere" anbieten kann und b. verspricht, eben diesen Druck wegzunehmen. Daß solcherlei Versprechungen sehr diffus sind, tut dem keinen Abbruch.
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Beitrag von schokoschendrezki »

zollagent hat geschrieben:(26 Sep 2018, 09:23)

Nun ja, "Gehirnschäden" würde ich auch nicht sagen, aber prägende Erlebnisse, das durchaus. Erwartungen, Selbstversprechen und auch viele Versprechungen wurden nicht erfüllt. Und "zu bekommen, was die hatten" entpuppte sich schon als schwierig. Das ist so, als wenn man bei einem Marathonlauf startet, eine Stunde nach dem Startschuß, wenn die Anderen längst auf und davon sind. Und das programmiert jemanden, der gewohnt war, daß der Staat allumfänglich umsorgt. Danach sehnt man sich wieder, der Druck der Eigenvorsorge wird als unbequem empfunden. Und man wäre ihn gerne los. Da bietet sich doch an, jemandem zu folgen, der a. "Schuldige an der Misere" anbieten kann und b. verspricht, eben diesen Druck wegzunehmen. Daß solcherlei Versprechungen sehr diffus sind, tut dem keinen Abbruch.
Das ist schon eine ziemlich zutreffende Sicht ... ich würde nur anstelle oder zumindest neben des "Drucks der Eigenvorsorge" die "Konfrontation mit der Welt" setzen wollen.
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Beitrag von Skull »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2018, 09:20)

Was Du vergisst: Die Präsenz der Stasi und des Staatsapparats war für eine relative MINDERHEIT repressiv. Eine relative MEHRHEIT sah sich nach karrierefördernden Beziehungen zum Staatsapparat um. Das ist eine ziemlich bittere Wahrheit.
Die meisten Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind -> die ich kenne,
trauern der DDR NULL nach. Hatten auch kaum bis keine karrierefördernden Beziehungen zum Staatsapparat.
Sie differenzieren die eigene staatliche Vergangenheit,
hatten wie die meisten Menschen, Umstellungsprobleme nach dem Fall der DDR, haben ihre Chancen genutzt.

Und kritisieren HEUTE ebenso Dinge, wie andere Menschen auch. Das auch in der BRD nicht alles, das gelbe vom Ei ist.
Relativieren und romantisieren aber (trotzdem) nicht die DDR.

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Beitrag von schokoschendrezki »

Skull hat geschrieben:(26 Sep 2018, 09:45)

Die meisten Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind -> die ich kenne,
trauern der DDR NULL nach. Hatten auch kaum bis keine karrierefördernden Beziehungen zum Staatsapparat.
Das eine steht mit dem anderen in keinem Widerspruch. Es ist allgemein menschlich verständlich, sich unter gegebenen Bedingungen einzurichten. Eine "Beziehung zum Staatsapparat" gehst du schon ein, wenn Du dein Kind zur Schule anmeldest. Ist also sowieso völlig unvermeidlich.

Das spezielle Strang-Problem DDR-Gesellschaft bzw. "eine andere Republik" besteht aus meiner Sicht auch gar nicht so sehr in der "Einlassung mit dem Staatsapparat" sondern in der Nichteinlassung mit der Welt.
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Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2018, 09:20)

Was Du vergisst: Die Präsenz der Stasi und des Staatsapparats war für eine relative MINDERHEIT repressiv. Eine relative MEHRHEIT sah sich nach karrierefördernden Beziehungen zum Staatsapparat um. Das ist eine ziemlich bittere Wahrheit.
Zwischen diesen beiden Polen befanden sich aber noch sehr viele (etliche Millionen, meiner Meinung nach), die weder unter Repressionen leiden mussten noch Staat/SED/Stasi zur Karriereförderung brauchten oder nutzten. Diese Extreme in der Darstellung ärgern mich immer besonders. Mein eigenes Leben in der DDR und wie ich es empfand, finde ich in sämtlichen Nachwende-Beschreibungen von Dritten einfach nicht wieder. Ich war weder "staatsnah" noch irgendein "Kader". Auch kein Wendenrevolutionär, dafür aber immer sehr kritisch, wenn wieder mal sinnlos propagandistisch rumgelabert wurde. Aber sowas äußerte ich auch, kriegte eins aufm Deckel und manchmal auch nicht und machte weiter. Ich hatte ein gutes - überhaupt nicht angepasstes - Leben, einen interessanten Job, Familie, Freunde, richtig spannende Freizeitbeschäftigungen etcpp. Und Nachbarn, Kollegen, Freunde haben es ähnlich oder genauso empfunden oder eben auch ganz anders. Mir fehlt heute einfach die differenzierte und differenzierende Sicht. Stattdessen werden Klischees bedient. Ich hatte immer die Hoffnung, je weiter die DDR-Zeit entfernt ist, desto mehr rückt nüchterne und wirklich analytische Betrachtung dieser Zeit in den Vordergrund, wo man, wie du immer sagst, geschilderte Widersprüche einfach aushält und akzeptiert. Aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Und was du oft mit "miesem kleinbürgerlichen DDR-Klima" beschreibst, sorry, aber das sehe ich heute ebenfalls massenhaft. Es kommt doch immer darauf an, in welchen Kreisen man sich bewegt. Ich könnte dir aus der jetzigen Bundesrepublik, aus Ost und West, jede Menge aktuelle Beispiele "für mieses kleinbürgerliches Klima" aufzählen. Dafür würde der Platz gar nicht reichen. Und andersrum hab ich durchaus auch damals in der DDR jede Menge Gelegenheiten gehabt und auch genutzt, wo es sehr lebendig, sehr frei, sehr kreativ und sehr streitbar und vor allem auch sehr humorvoll zuging.

Das hat auch nichts mit "der DDR hinterhertrauern" zu tun, wie es hier jemand formulierte. Nein, es geht einfach um ausgewogene, antithetische und halbwegs objektive Beschreibungen, wo man auch mal "einerseits und andererseits" zulassen kann.
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Ammianus
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Ammianus »

becksham hat geschrieben:(26 Sep 2018, 08:49)

Das ist kein Ausweichmanöver. Das war tatsächlich für viele Realität. Viele hatten sich bequem eingerichtet und dachten nicht viel über Politik nach, sondern lebten ihr Leben. Das war wirklich so.
Das ist aber eigentlich auch das ganz normale Verhalten der meisten Menschen zu allen Zeiten und überall.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von zollagent »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2018, 09:36)

Das ist schon eine ziemlich zutreffende Sicht ... ich würde nur anstelle oder zumindest neben des "Drucks der Eigenvorsorge" die "Konfrontation mit der Welt" setzen wollen.
Einverstanden. Ich habe nach der Wende ca. 5 Jahre "drüben" gewohnt und gearbeitet. Und habe mich bewußt in einem kleinen Dörfchen eingemietet, obwohl mir Magdeburg oder Dresden mehr "westliches Lebensgefühl" hätten geben können. Es hat ein paar Jugenderinnerungen wachgerufen, als ich als Kind immer ein paar Wochen im Jahr bei meinem Großonkel war. Und die Menschen waren nach einer kurzen Eingewöhnungszeit zugänglicher und offener "zum Nachbarn von nebenan", als zu dem "Sanierer aus der Großstadt". Damals sind Freundschaften entstanden, die bis heute bestehen.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von BlueMonday »

Das geistige Klima in der DDR war hoffnungslos vergiftet. Es gab keinen offenen Diskurs. Substanzielle Kritik war unmöglich. Das Atmen fiel schwer, wenn man auch nur ansatzweise ein liberaler, selbstbewusster Mensch war.
Mit der Einmauerung der Bevölkerung 61 war das System schon moralisch bankrott. 53 eigentlich schon. Es war ein System, das sich nur mit Gewalt und viel Aufwand am Leben hielt. Ein nicht unwesentlicher Teil seiner Ressourcen wurde mit Militärisierung, Grenzsicherung und Bespitzelung verbrannt. Den anderen Teil wirtschaftete der falsche Ansatz des Sozialismus herunter. 89 war einfach Feierabend mit diesem Dreck. Ein Wunder im Grunde, dass die DDR 40 lange Jahre durchhielt.
Was waren die Gründe dafür? Schalck-Golodkowski vielleicht. Ein paar Lockerungen, die "Besuchsregelung" für Rentner und das System hinter dem offiziellen System: der Schwarzmarkt, die private Initiative. Ohne die Hardliner wie Mittag oder Mielke hätte die DDR vielleicht länger existiert. Eine innere Reform wäre vielleicht möglich gewesen, eine Transformation in ein liberales, marktförmiges, würdevolleres, selbstkritisches System und eine Wiedervereinigung unter anderen Bedingungen, auf gleicher Augenhöhe. Die DDR hätte die BRD vielleicht sogar überholen können. Die BRD hat ja auch ihre Trägheiten und Verkrustungen im staatlichen Bereich, viel Wasserkopf, viel Masse, die sich schwer bewegen lässt.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(26 Sep 2018, 10:55)
Und was du oft mit "miesem kleinbürgerlichen DDR-Klima" beschreibst, sorry, aber das sehe ich heute ebenfalls massenhaft. Es kommt doch immer darauf an, in welchen Kreisen man sich bewegt. Ich könnte dir aus der jetzigen Bundesrepublik, aus Ost und West, jede Menge aktuelle Beispiele "für mieses kleinbürgerliches Klima" aufzählen.
Woraufs mir ankommt, ist, eine Erklärung für die spezielle Situation in der EX-DDR bzw. heute im Gebiet dieser Ex-DDR im Vergleich mit dem übrigen Ostblock und der SU/Russland zu finden. Und natürlich: Die deutsch-deutsche Frage überlagerte in der DDR sonstige Demokratisierungs-Fragen. Das ist doch völlig klar. Die "Enge" der DDR-Gesellschaft hatte auch etwas mit dieser starren Hinwendung zu dieser deutsch-deutschen Frage von seiten auch eher oppositioneller Leute etwas zu tun.

Ich bin mir der Paradoxien und WIdersprüche dieser Entwicklungen dabei völlig bewusst. Die Hinwendung der Blicke der Polen nicht nur auf ein anderes Polen sondern auf einen Papst in Rom ... war im Vergleich zur Situation in der DDR auch damals schon auf der einen Seite zutiefst reaktionär, auf der anderen Seite aber eben auch irgendwie über den Horizont von Erkner-Fangschleuse hinausreichend. Und heute haben wir eine reaktionär-katholisch-nationalistisch-konservative Regierung in Polen.

Heute zieht in Polen ein erzkatholischer Hardliner die Fäden und in Sachsen ein Büroinformationselektroniker und umgelernter Wirtschaftsingenieur. Es ist im Grunde alles beim Alten geblieben. Unabhängig von der politischen Bewertung: Allein schon das Wort "Büroinformationselektroniker" sagt irgendwie eine Menge aus. Sachsen ist irgendwie das Land der Büroinformationselektroniker ... Richtig Stunk wollen da eigentlich nur wenige ... aber "Ordnung muss sein".
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Sep 2018, 12:27)

Woraufs mir ankommt, ist, eine Erklärung für die spezielle Situation in der EX-DDR bzw. heute im Gebiet dieser Ex-DDR im Vergleich mit dem übrigen Ostblock und der SU/Russland zu finden. Und natürlich: Die deutsch-deutsche Frage überlagerte in der DDR sonstige Demokratisierungs-Fragen. Das ist doch völlig klar. Die "Enge" der DDR-Gesellschaft hatte auch etwas mit dieser starren Hinwendung zu dieser deutsch-deutschen Frage von seiten auch eher oppositioneller Leute etwas zu tun.

Ich bin mir der Paradoxien und WIdersprüche dieser Entwicklungen dabei völlig bewusst. Die Hinwendung der Blicke der Polen nicht nur auf ein anderes Polen sondern auf einen Papst in Rom ... war im Vergleich zur Situation in der DDR auch damals schon auf der einen Seite zutiefst reaktionär, auf der anderen Seite aber eben auch irgendwie über den Horizont von Erkner-Fangschleuse hinausreichend. Und heute haben wir eine reaktionär-katholisch-nationalistisch-konservative Regierung in Polen.

Heute zieht in Polen ein erzkatholischer Hardliner die Fäden und in Sachsen ein Büroinformationselektroniker und umgelernter Wirtschaftsingenieur. Es ist im Grunde alles beim Alten geblieben. Unabhängig von der politischen Bewertung: Allein schon das Wort "Büroinformationselektroniker" sagt irgendwie eine Menge aus. Sachsen ist irgendwie das Land der Büroinformationselektroniker ... Richtig Stunk wollen da eigentlich nur wenige ... aber "Ordnung muss sein".
:D :thumbup:

Witzige Beschreibung. Du, ich kenne aber auch westliche "Büroinformationselektroniker". Das ist schon ziemlich deutsch. "Ordnung muss sein", und wenn ihm auch quiekt :D Hinzu kommt "Klein, aber mein".

Polen, das ich recht gut kenne, ist auch ein Schock für mich.
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(26 Sep 2018, 12:13)

Das geistige Klima in der DDR war hoffnungslos vergiftet. Es gab keinen offenen Diskurs. Substanzielle Kritik war unmöglich. Das Atmen fiel schwer, wenn man auch nur ansatzweise ein liberaler, selbstbewusster Mensch war.
Mit der Einmauerung der Bevölkerung 61 war das System schon moralisch bankrott. 53 eigentlich schon. Es war ein System, das sich nur mit Gewalt und viel Aufwand am Leben hielt. Ein nicht unwesentlicher Teil seiner Ressourcen wurde mit Militärisierung, Grenzsicherung und Bespitzelung verbrannt. Den anderen Teil wirtschaftete der falsche Ansatz des Sozialismus herunter. 89 war einfach Feierabend mit diesem Dreck. Ein Wunder im Grunde, dass die DDR 40 lange Jahre durchhielt.
Was waren die Gründe dafür? Schalck-Golodkowski vielleicht. Ein paar Lockerungen, die "Besuchsregelung" für Rentner und das System hinter dem offiziellen System: der Schwarzmarkt, die private Initiative. Ohne die Hardliner wie Mittag oder Mielke hätte die DDR vielleicht länger existiert. Eine innere Reform wäre vielleicht möglich gewesen, eine Transformation in ein liberales, marktförmiges, würdevolleres, selbstkritisches System und eine Wiedervereinigung unter anderen Bedingungen, auf gleicher Augenhöhe. Die DDR hätte die BRD vielleicht sogar überholen können. Die BRD hat ja auch ihre Trägheiten und Verkrustungen im staatlichen Bereich, viel Wasserkopf, viel Masse, die sich schwer bewegen lässt.
Ja. Franz-Joseph Strauß und seine Milliardenkrediteinfädelungen hatte ich ja schon genannt. Das war zwar auch nur ein Baustein bei der Lebensverlängerung der DDR aber kein ganz unwichtiger. Ein anderer, vielleicht noch wesentlicherer Punkt: Die völlig und absolut rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt zugunsten von Deviseneinnahmen.

Ich glaube, wenn man wirklich unabhängig von Beschuldigungen und uralten Ideologisierungen, unabhängig von antikommunistischer Hysterie und sozialistischer Klassenkampfrhetorik Überlegungen anstellen will, dann in diese Richtung: Was eigentlich hat ein Land wie China anders gemacht und den totalen wirtschaftlichen Aufstieg auch unter dem Banner des Sozialismus hinbekommen. Dass der chinesische "Sozialismus" in vielerlei Hinsicht kapitalistischer ist als die kapitalistischste Marktwirtschaft ... wissen wir doch. Das war in der DDR auch nicht anders. Gibt es etwas kapitalistischeres als den Freikauf politischer Häfltinge, um sich mit den Devisenerlösen eine neue Regierungsautoflotte zu finanzieren?
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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von Skull »

Selina hat geschrieben:(26 Sep 2018, 10:55)

Das hat auch nichts mit "der DDR hinterhertrauern" zu tun, wie es hier jemand formulierte.

Nein, es geht einfach um ausgewogene, antithetische und halbwegs objektive Beschreibungen,
wo man auch mal "einerseits und andererseits" zulassen kann.
Ich gehe davon aus, das Du mich da meinst.

Was Du nicht verstehst, das ich einen Unterschied mache, zwischen dem System und Staat der DDR...
und den Menschen und das Leben in der DDR.

Bei zweiterem liege ich nahe bei Dir. Bei ersterem bin ich kompromislos.

Was Du mir überigens immer noch nicht beantwortet hast, war die Frage, ob ICH in der DDR lebte, was das sollte.
Oder Du weisst genau, was mein Kommentar aussrückte und Du eine offenen Antwort scheust.

Ich differenziere bei diesem Thema. Und gerade aus und wegen meinem (eigenen) familiären Hintergrund. ;)

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Re: Wollen die Ostdeutschen eine andere Republik als die Westdeutschen? Antwort erstellen

Beitrag von schokoschendrezki »

Skull hat geschrieben:(26 Sep 2018, 12:48)

Ich gehe davon aus, das Du mich da meinst.

Was Du nicht verstehst, das ich einen Unterschied mache, zwischen dem System und Staat der DDR...
und den Menschen und das Leben in der DDR.
Der Unterschied besteht zunächst mal darin, dass es natürlich keine "Ostdeutschen", keine "DDR-Menschen" als irgendwie anthropologische Kategorie gibt. Eine Wechselbeziehung zwischen dem gesellschaftlichen System und dem Leben der Menschen auf dem Gebiet der DDR gibt es aber sehr wohl. Die DDR war ein autokratisches System und keine Diktatur. System und Staat rekrutierten sich sehr wohl nicht aus irgendwelchen Aliens von einem fremden Stern sondern aus einem Teil der Bürger selbst. In einer durcschnittlichen Gymnasisumsklasse oder einer durchschnittlichen Seminargruppe oder Studiengang in den 70ern würde ich geschätzt ein Viertel bis ein Drittel als Teil dieses Rekrutierungspotenzials ansehen. Und geschätzt ein Zwanzigstel als wirklich bewusst widerständig. Den großen Rest als neutral.
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