schokoschendrezki hat geschrieben:(07 Aug 2018, 09:19)
Das
war kein "europäisches" Gebilde sondern Westeuropa. Der geographische Mittelpunkt Europas liegt - je nach Berechnungsmethode und -zeit - irgendwo in Litauen, Polen oder der Ukraine.
Weitaus wichtiger sind jedoch die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge. Von Jan Hus über Lew Tolstoi bis Andrej Tarkowski.
Vom Standpunkt eines Geographen haben Sie sicher Recht. Allerdings halte ich die gemeinsame Kultur, Geschichte und Sprachen unserer Völker für geeigneter als die doch sehr willkürliche östliche Grenzziehung unserer Halbinsel.
Für unstrittig halte ich erst einmal die europäischen Provinzen des alten römischen Reichs als Kern Europas, und in seiner geschichtlichen Nachfolge das Karolinger Reich und seine Nachfolger. Die Ostsee als Kultur- und Handelsraum kann man so sehen wie den Kultur- und Handelsraum um das Mittelmeer, bevor er von Osmanen und Arabern erobert und verfremdet wurde. Teile davon wurden wieder in Europa eingebunden, manche nur unvollkommen, manche gar nicht. Also da würde ich wirklich eine Grenze ziehen. Viele Gemeinsamkeiten sehe ich da nicht. Dafür hat es viele Jahrhunderte des kulturellen Austauschs mit Rußland seit seiner mythischen Gründung durch Wikinger in der heutigen Ukraine gegeben. Dieses Rußland endet sicher nicht am Ural, sondern am Pazifischen Ozean.
Mein Gefühl sagt mir, daß Europa sich in diesen Grenzen zu einem Ganzen formen könnte, daß das Gefühl des völlig Fremden dort nicht aufkommen kann. Besonders scharf sind diese Grenzen nicht zu ziehen. Da wird es darauf ankommen, wie das Gefühl der Dazugehörigkeit sich offenbart und entwickelt. Jedes Volk in Europa ist auf seine Art "besonders"; die offene Frage ist eben, ob es so besonders ist, daß es sich nicht als Glied der europäischen Familie versteht.
Der Rest ist Tagespolitik; die übergeordnete Strategie muß doch sein, das Europäische in der sich weiter entwickelnden Welt behaupten zu können. Die EU ist dazu ein vernünftiger Anfang. Erweisen sich bestehende Unterschiede in der Wesensart als zu groß, dann sollte man auch entschlossen einen Kern bilden, wo diese Zweifel gar nicht erst aufkommen. Von diesem Kern aus kann man Europa weiter entwickeln und zusammen führen. Aber der Kern muß passen!
Insofern halte ich Orbiters Wunsch, die europäischen Oststaaten erst einmal sich selbst finden zu lassen, für ganz vernünftig. Vernünftiger jedenfalls, als durch eisernes Beharren auf dem durch glückliche Umstände Erreichten das Ganze einschließlich des harmonischeren Kerns zu zerstören. Unser europäischer Ansatz war doch, einen Bund der freiheitlich demokratischen Rechtsstaaten zu entwickeln, mit Gewaltenteilung und den europäischen Menschenrechten als Grundlage. Im Bestreben, unsere Gemeinschaft immer enger zu gestalten, bis hin zu einem gemeinsamen Staat. Wo das nicht (mehr) gewährleistet ist, da ist dieses Europa erst einmal gescheitert. Dort müssen wir warten, bis diese Voraussetzungen sich gefestigt haben, bevor wir eine Gemeinschaft mit diesen Artverwandten bilden können. Das sehe ich so grundsätzlich auch für das so ferne und große Rußland.