Beitragvon Kölner1302 » Do 5. Jul 2018, 22:55
Ich hatte Mitte der 80er Jahre als Teilnehmer einer westdeutschen Evangelischen Studentengemeinde zum ersten Mal Kontakt zur DDR Opposition. Wir haben uns in einem Gemeindehaus in Ostberlin mit ein oder 2 Dutzend DDR Studenten getroffen und u,a, sehr viel über politische Themen gesprochen.
Schon damals ging das Gerücht um, Ungarn werde demnächst die Grenze nach Österreich öffnen. Ungarn brauche Devisen und westliche Touristen. Was denn aber dann geschehen würde? Auch wirtschaftlich? Wie man denn lebe im Westen und ob es da wirklich so viele Arbeitslose gebe?
Ich war in mehreren Haushalten in der DDR zu Besuch. Ich erinnere mich noch an ein Arbeiterehepaar mit einem Kind, das in einem erbärmlichen Häuschen - im Westen hätte ich gesagt Abbruchhäuschen leben musste, dessen Dach nicht dicht und dessen Statik beeintträchtigt war, weil Pflanzen durch das Gebäude wuchsen, und dessen Sanitäreinrichtungen wahrscheinlich seit der Nachkriegszeit nicht renoviert waren. Dann wieder gab es Akademiker, die in Jugendstilhäusern wohnten, deren Fassade zwar bröselig, deren Möbel und Sanitäreinrichtungen aber durchaus dem Stil der 70er Jahre entsprachen. Ihre Kinder durften, auch wenn sie gut in der Schule waren, nicht studieren, weil die Eltern ja schon studiert hatten?
An anderer Stelle hörte ich, das DDR Gesundheitssystem werde nur von der evangelischen Kirche noch aufrecht erhalten... Jetzt kann man vielleicht verstehen, warum die DDR der in den Kirchen Freiräume für Versammlungen bestehen ließ. Evtl. war die Gesundheitsversorgung überhaupt die Achillesferse der DDR.
Wer christlich überzeugt war, der hatte meist Kontakt zur Friedensbewegung, und mancher konnte kein Abitur machen, weil er/ sie sich weigerte den Wehrkundeunterricht zu besuchen und ihm dann das Fach für die Zulassung fehlte. Einige waren Bausoldaten gewesen. Es gab auch oppositionelle Wehrpflichtige die an der Grenze auf dem Turm gedient hatten - und dachten hoffentlich läuft keiner rüber sonst muss ich schießen! Ein Kontakt kam zum Erliegen, nachdem die HA III die Briefe öffnete - mit Stempel! Geöffnet am ... in... und dann weitergeschickt an mich im Westen. Man traut sich dann nix mehr zu schreiben...
1990 nach der Wende war ich zu Besuch bei der Leipziger Volkszeitung. Dort wurde noch mit Bleisatz gearbeitet, also mit diesen Trommeln, in die der Setzer die Buchstaben stecken muss... Anzeigen erschienen erst Wochen später. Ich habe zu der Zeit im Westen bereits für mehrere Zeitungen geschrieben und dort erschienen die Anzeigen auf jeden Fall am nächsten Tag und teilweise waren auch schon Computer im Einsatz. Den Beruf des Setzers gab es nicht mehr... In den anderen VEB sah es ähnlich überholt aus...
Ich glaube auch nicht daran, dass Günter Schabowski sich vertan hat, als er diesen Zettel verlas und einfach nicht geahnt hat, was geschehen musste, als er zur Primetime hinsichtlich der Ausreisemöglichkeit über Grenzübergangsstellen der DDR hinausposaunte:.. ähm, ja, meineserachtens ist das SOFORT!