Woppadaq hat geschrieben:(06 Feb 2018, 22:43)
Jemand wie Biermann hat, bevor er ausgebürgert wurde, nie den Führungsanspruch der SED infrage gestellt. Auch solche Filme wie "Spur der Steine", die verboten wurden, hatten das nicht getan. Ein offizielles Kritikverbot gab es nicht, also auch keinen offiziellen Rahmen, den man damit hätte überschreiten können. Vielmehr als eine öffentlich geäusserte kritische Meinung brauchtest du aber auch nicht, um als Oppositioneller zu gelten.
Biermann ist ja auch ein Fall für sich. Der ist eigentlich erst
nach seiner Ausbürgerung zu einem Oppositionellen geworden, der das SED-System samt Führungsanspruch vollständig ablehnte. Glaube mal nicht, dass nicht auch explizit und unter hohem Risiko dieser Führungsanspruch der SED in Samisdat-Publikationen etwa der Berliner Umweltbibliothek bestritten wurde.
Wenn es keine kulturelle Identität gibt, gibt es im Grunde gar keine Identität, man ist dann nur eine Nummer. Gegen diese Sorte Modernisierung verwahre ich mich sogar mit einem gewissen Stolz. Man ist zu nicht unwesentlichen Teilen das Produkt seiner Umgebung, sicher kann man seiner kulturellen Identität auch entfliehen, kann sich anderen Kulturen anschliessen, wenn man dadurch glücklicher wird. Es gibt aber keine Pflicht, das tun oder wollen zu müssen, und in meinen Augen sollte man nicht den Fehler begehen, zu glauben, es reiche eine Kultur für alle Menschen auf der Erde. Dies würde unsere Welt kulturell sehr arm machen.
Nein. Man muss sich
überhaupt nicht "anschließen" und ist gerade und genau deshalb keine "Nummer". Ich meine: Das ist doch irgendwie völlig logisch, dass der Beitritt und die (zumindest unkritische) Zugehörigkeit einen zur "Nummer" macht und nicht die Distanz und ganz individuelle Persönlichkeit.
"Ressourcen" (in der Sprache Julliens) wie "Demokratie", "Aufklärung", "Emanzipation", "Humanismus" usw. usf. sind ja keinewegs, nicht im Mindesten aufgelöst und verschwunden. Nur: sie sind mehr und mehr nicht einfach Bestandteile von benannten Katalogen wie etwa "westliche Werte". Sondern frei verfügbar. Zusammen mit völlig anderen wie - sagen wir mal beispielhaft - die ganz speziellen Varianten des russischen oder auch des jüdischen Humors und Witzes. Und zusammen mit wiederum anderen, die viele Menschen in Europa eben gerade
ablehnen. Ich verstehe ja, dass das nicht einfach ist, zu akzeptieren und auch nicht ohne Brüche und Konflikte abgeht. Und das keineswegs nur bei der "aufnehmenden" Seite. Nicht wenige Russen werden sich dagegen verwahren, dass ihre Art von Humor einfach so jedem anderen Menschen der Welt als "Ressource" zur Verfügung steht. Aber dieses Phänomen ist ja auch nicht so sehr eine Frage des Wollens und Wünschens sondern eher eine Frage der Akzeptanz einer faktischen Realität. In dieser Realität findet in jüngerer Zeit eine geradezu dramatische Vernetzung und Verschränkung statt. Waren, Informationen, Finanzwerte werden in immer größeren Mengen und Dimensionen ausgetauscht. Glaubt man wirklich ernsthaft, dass die Vernetzung und Verschränkung von
Menschen samt ihren Vorstellungen und Präferenzen dauerhaft davon ausgeschlossen bleiben kann? Selbst eine sich selbst einschließende und abschottende Gesellschaft wie die der DDR ließ sich nicht dauerhaft halten.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)