Deswegen ist der wiederholte Hinweis, daß es "den Islam" nicht gibt kein abgehobenes, akademisches Gerede. Es gibt nicht mal die Muslima, den Muslimen, oder den Iraner, die Iranerin im Iran! Geschweige denn "den" im Nahost, Asien, weltweit oder "den" in Deutschland.H2O hat geschrieben:(30 Dec 2017, 11:24)
Ich kann mir Kenntnisse dieser Gemengelage nur anlesen; ich glaube erst einmal Ihren Ausführungen.
Aus der Ferne betrachtet ergibt sich ein buntes Kaleidoskop des Irans. Mal sind die Menschen selbstbezogene Arier, mal sich sunnitisch bedroht fühlende Schiiten mit überregionalem Auftritt, mal drohen sie Israel mit der Auslöschung. Ich vermute da mächtige Gruppeninteressen in Iran, die sich nach diesen Schwerpunkten aufgliedern. Zart besaitet gehen die auch innenpolitisch nicht miteinander um. Menschenleben haben einen weitaus geringeren Stellenwert als in unseren westlichen Gesellschaften.
Dieses Gemisch macht den Iran völlig unberechenbar: Je nachdem, wer die Nase gerade einmal vorn hat, kommen andere Stoßrichtungen zum Tragen.
"Mal" wie du schreibst, wird das vielleicht von Menschen wahrgenommen, die sich eben damit nicht näher auseinandersetzen. Das ist ja nicht schlimm. Ich kann mich auch mit Bolivien oder der Quantenmechanik nicht erschöpfend auseinandersetzen. Die politische, die soziale, kulturelle, historische Situation ist eben komplex. Und kann nicht mit vordergründig wirtschaftlich motivierten Eingriffen in Nahost (z.B. Carter-Doktrin) gelöst werden. Es soll auch nix gelöst werden. Es soll bedient werden. Das schöpft natürlich eine Armada neuer Probleme.
Im Iran gibt es Leute, die man als westlich bezeichnen würde. Im Westen auch ausgebildet, oft im Westen und hassen die Mullahs, den Glauben. Das sind nicht automatisch nette Demokraten. Darunter gibt es Leute, die man in Deutschland als Nazis zumindest als AfDler bezeichnen würde. Für die sind "Neger", also Schwarzafrikaner, Araber ("Sandnigger"), Türken und Juden allesamt zweite Wahl. Auch die verdrehten, vom Weg abgekommenen Iraner, die sich für Muslime halten. Für die ist Iran first! Arier. Der alte Iran. Keiner von denen würde auf die Idee kommen, wie der Muslim Ahmadinjad, Ex-Präsident Irans, bei sich jeder beliebigen Situation jüdische Rabbiner zu herzen und zu küssen! Wie auch in New York geschehen. Oder sich mit anderen Semiten herzlich und küssend eben mit arabischen Politikern händchenhaltend zu zeigen. Natürlich gibt es auch innerhalb der nationalistischen Fraktion jede Schattierung von vergleichsweise Tea Party, Trumpisten bis eben zum Schlage des Ku Klux Klan. Auch einige, die durchaus gläubig sind, aber nationalistisch. Und sich verbunden mit türkischen oder europäischen Rechten fühlen. Und mit Israel kein Problem haben. Da man gemeinsame Feinde hat. Den "Sandneger" z.B. den Araber. Auch die Nationalisten sind natürlich nur eine Fraktion im Iran. Nur sollte man sich wirklich nicht einbilden, daß der iranische Schönheitschirug in Düsseldorf oder der schwule Iraner mit einem 3.Welt Buchladen an einer Uni repräsentativ ist. Und gegen die Mullahs zu sein nicht automatisch ein "natürlicher" Verbündeter zu bedeuten hat (für wen, ist ohnehin die Frage). Und Arier wird, wie gesagt nicht so verwendet wie in Deutschland. Iran ("Land der Arier") hat sich schon lange vor dem Österreicher Schickelgruber so bezeichnet. Deshalb wundern sich vielleicht viele, warum das Holocaust-Thema und die dt. Staatsräson für Asiaten keine Bedeutung hat. Das ist das "Problem" der Deutschen. Niemand im Iran oder Indien oder in anderen Teilen Asiens lässt sich diese Selbstzeichnung "Arier" und die Swastika madig reden, wegen der dt. Geschichte.
Zum Thema, wer bestimmt eigentlich was für ein Thema im Iran. Das ist in der Tat interessant. Es war unter der Bush-Administration oder unter Obama, ich weiß es nicht mehr, da machte Washington einen Vorschlag, der würde gleich abschlägig von einer Quelle in Teheran beurteilt. Die offizielle Antwort Washingtons war interessant. Man möge doch erstmal den Entscheidungsprozess in Teheran abwarten. Man weiß in den USA, daß es verschiedene Machtblöcke im Iran gibt. Keinen Diktator der sich sofort mit einer alleinigen Meinung durchsetzt. Das mag zuerst als brüchig erscheinen und als eine Schwäche, wird aber gerade deshalb als Stabilitätsfaktor im politischen System Irans betrachtet!
Statt Tunesien hätte man auch die Person des letzten iranischen Kaisers Reza Pahlavi nehmen können. Alles war auf seine Person zugeschnitten. Es gab zwar ein Parlament, aber er war quasi ein absoluter Herrscher und Verbündeter des Westens. Mit seiner Person ist das gesamte System im Iran zusammengebrochen.Regimestabilität der arabischen Staaten und Irans im Vergleich
Das iranische Regime wird allerdings nicht nur durch den Faktor „Äußere Bedrohung“ stabilisiert, wodurch man in der Lage ist, das Volk um sich zu scharen, sondern vor allem auch aufgrund seiner systemrelevanten Beschaffenheit und des ideologischen Überbaus.
Der größte ordnungspolitische Stabilitätsfaktor in der Islamischen Republik ist die Verfassung selbst. Iran ist nicht monolithisch, das heißt., dass es gleich mehrere zueinander konkurrierende Machtzentren gibt, wie die Exekutive, Legislative und Judikative, die institutionell unabhängig voneinander sind. Hinzu kommen das „überparteiische“ Amt des religiösen Staatsoberhauptes (Wilayat al-Faqih) und einige weitere Machtzentren, wie die des Schlichtungrates. Das heißt buchstäblich das, was in der westlichen Rezeption als „Systemfehler“, „Machtkampf“ und „Risse im Regime“ empfunden wird, ist in Wirklichkeit eine der Grundsäulen der iranischen Stabilität.
Zur Gegenüberstellung: In Tunesien gab nur ein einziges Machtzentrum, nämlich das des Präsidenten. Alles war auf eine Person zugeschnitten, die seit mehr als 20 Jahren regiert. Sein Sturz kam daher dem Sturz des gesamten Regimes gleich, in Iran ist dies dagegen nur eine Frage der Personalentscheidung. Das heißt, dass die Islamische Republik im Falle von Unruhen fähig ist, durch den Austausch eines einzelnen oder mehrerer Verantwortungsträger oder einer politischen Strömung die Schuld von Miseren und Krisen auf einer einzelne Person bzw. einer politischen Strömung zu delegieren, wodurch neue glaubwürdige Versprechen möglich sind und neue Hoffnungen verbreitet werden können und der Volkszorn damit stark gedämpft wird.
http://www.irananders.de/nachricht/detail/410.html
Aktuell bedeutet es, daß es schwer fällt einen Verantwortlichen für Miseren zu finden. Im Iran. Ahmadinejad hatte einst solch eine Funktion. Im Westen war er der totale Buhmann. Ein irrer Diktator mit dem Finger am roten Knopf. Er absorbierte den kompletten Gegenwind. Das System dahinter blieb intakt. Auch innenpolitisch wurde er fertiggemacht. Nicht nur von den Liberalen, auch von den Hardlinern, als er mehr Frauenrechte forderte. Das System blieb intakt. Im Iran herrscht das System, so wie in der Sowjetunion oder China. Man kann nicht einzelne Personen angreifen, wenn man das gesamte System ändern will. Wie Gadaffi in Libyen o.a. Das macht eine Änderung nicht unmöglich. Siehe DDR oder UdSSR.