frems hat geschrieben:(02 Sep 2017, 22:40)Darauf läuft's ja hinaus, um die Handlungsfähigkeit zu stärken. Blockiert ein Mitglied Integrationsschritte, weil es sich durch einen Kuhhandel mehr Mittel verspricht, kann das nicht im Sinne des Erfinders sein. Da braucht man eben demokratische Mehrheitsbeschlüsse, die alle akzeptieren müssen. Die Polen können ja selbst entscheiden, ob sie ein Mitglied erster oder zweiter Klasse sein wollen. Ich find das persönlich gar nicht so dramatisch. Es gab ja von einigen progressiven Politikern (u.a. aus der FDP) den Vorschlag, dass man ein Drei-Ringe-System aufstellt. Im Kern sind die Mitglieder der Eurozone mit eigenem Haushalt und Parlament, wo es staatsähnliche, föderale Strukturen mit einer handlungsfähigen Exekutive gibt. Im zweiten Ring sind die sonstigen EU-Mitglieder, die sich weitestgehend nur an der wirtschaftlichen Integration ohne gemeinsame Währung beteiligen. Das bedeutet aber natürlich auch weniger Rechte, um mitzuentscheiden. Was der Kern macht, entscheidet er selbst. Und der dritte Ring ist eine losere Form der Partizipation, welches keinen kompletten Zugriff zum Binnenmarkt bedeutet. Das wäre ein Nachfolgemodell für die EFTA (Schweiz), den EWR (Norwegen, Island, Liechtenstein) und ggf. die Zollunion (Andorra, Monaco, San Marino, die Türkei und u.U. bald Großbritannien).
Genau diese Zielvorgabe getraut sich derzeit aber niemand ernsthaft aus zu sprechen. In Kommentaren, auch in Polen, wird die entsprechende Befürchtung schon angesprochen, daß sich Polen urplötzlich am Rande Europas wiederfinden könnte. Ich halte diese Befürchtung inzwischen für untertrieben, denn eine EU-Mitgliedschaft setzt schon noch Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung voraus, einmal unabhängig von der Tiefe der Zusammenarbeit und gemeinschaftlichen oder nationalen Hoheitsrechten. Speziell Polen könnte sich also irgendwann ohne jedes Stimmrecht und ohne Zahlungsströme hin und zurück hinter einer Zollgrenze wiederfinden.
Kommissionspräsident Juncker hatte das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten skizziert, weil er den Zerfall de bestehenden Union erkannt hatte. Präsident Hollande hatte vor drei Jahren das Kern-Europa der Willigen als Notlösung gegen Bremser der Fortentwicklung der EU ins Rennen geschickt, als Premier Cameron mit der BREXIT-Drohung weitere Lockerungen der EU-Bindungskräfte ertrotzen wollte.
Inzwischen hat das Kerneuropa theoretisch Gestalt angenommen... eine Gemeinschaft mit gemeinsamer Währung, einem eigenen Parlament und mindestens einer "Wirtschaftsregierung"... oder mehr. Der Schönheitsfehler dieses Konzepts ist aber, daß bisher keiner der entscheidenden Mitgliedsstaaten praktische Schritte zu diesem Ziel vorgeschlagen hat, oder daß eine erkennbare "Vereinsbildung" dazu zu erkennen wäre. Im Gegenteil gehen die untauglichen Versuche immer weiter, mit den Regeln der EU "unbotmäßige" Mitglieder bei der Stange halten zu wollen. Irgendwie fehlt die Einsicht, daß solche Regeln nur etwas taugen, wenn sie allseits anerkannt werden... und dann bräuchte man sie auch gar nicht.
Mit anderen Worten: Der Mut fehlt zu einer gründlichen Umgestaltung der EU mit dem Ziel einer Gemeinschaft, die das europäische Projekt vollendet. Dabei ist völlig klar, daß nicht alle derzeitigen EU-Mitglieder dabei mitmachen werden, daß es also eine Rückentwicklung geben wird, wodurch diese kleinere Gemeinschaft an wirtschaftlicher Bedeutung verlieren wird. Dafür gewinnt sie aber an politischer Bindekraft und aller Voraussicht nach auch an wirtschaftlicher Dynamik.
Die EWG hat letztendlich auch durch ihren wirtschaftlichen Erfolg die Nordeuropäer und Iberer dazu gebracht, sich tiefer in die EU ein zu bringen... und dieser Erfolg hat letztendlich auch die große Osterweiterung bewirkt. Ohne einen kühnen Schritt in Richtung Kerneuropa verfault die EU an allen Ecken und Enden durch nationalen Eigensinn. Da aber das Kerneuropa ohne seine Protonen D & F niemals erfolgreich wirken kann, sollten nach der Bundestagswahl die beiden Regierungen einen Werbefeldzug für das Kerneuropa anstarten, um den "Kreis der Willigen" zu ermitteln, der wesentliche Hoheitsrechte auf den Kern überträgt mit dem Ziel, das europäische Projekt zu verwirklichen. Offene Grenzen, gegenseitige Zahlungsverpflichtungen und die Grundfreiheiten der EU sollte es auch nur noch im Kern-Europa geben. Für Partner, denen der Kern zu enge Bindungen abverlangt, sollte eine Zusammenarbeit nach dem Muster Norwegens oder der Schweiz offen stehen... aber nur unter der Bedingung der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung. Von der politischen Gestaltung des Kerns sind die dann aber ausgeschlossen... können ihm aber beitreten, wenn die Mehrheit der Wähler im Kern dem zustimmt.