Die Kurden waren und sind ein geknechtetes Volk, einer der ganz großen "Verlierer" nach dem 1. WK und der folgenden Neuordnung im Nahen Osten. Wer sich mit kurdischer Geschichte intensiv befasst hat (und das habe ich), weiß das wir in den entscheidenden Momenten der Geschichte fast immer die falschen Entscheidungen getroffen haben. Entsprechend diesem historischen Kontext vertrete ich eine allgemein pessimistische Grundhaltung bezüglich kurdischer Forschritte. Ich war auch immer skeptisch gegenüber dem Friedensprozess zwischen der AKP und der PKK, nicht weil ich ihn mir nicht wünschte, sondern wegen dieser Grundhaltung - und ja, ich wurde leider bestätigt. Nun, ob die Kurden derzeit auf der Siegerseite stehen, ist eine sehr relative Aussage. Man müsste auch die Frage stellen ob hier die Kurden in Syrien oder im Irak gemeint sind ?palulu hat geschrieben:Glaubst Du eigentlich immer noch, dass die KurdInnen auf der Siegerseite in diesem Konflikt stünden?
Nun, ich beziehe mich nur auf die Westkurden:
Ich bin trotz der Waffenlieferungen seitens der USA skeptisch. In erster Linie muss man realistisch bleiben, die USA haben stand heute kein Interesse daran Syrien zu spalten, dem Projekt Rojava stehen sie auch sehr misstrauisch bis ablehnend gegenüber, zumindest die amerikanische Politik. Das die YPG- Einheiten derzeit mit Waffen überschüttet werden ist nichts weiter als Pragmatismus. Die USA brauchen die YPG- Einheiten, das könnte sich aber schon morgen wieder ändern. Auf der anderen Seiten haben sich die Kurden in Syrien sowohl mit dem Iran, Assad als auch Russland arrangiert. Die YPG- Einheiten hatten sogar bis vor kurzem diplomatische Kontakte zur Türkei. Sie hatten bis zum heutigen Tag vieles richtig gemacht, auch weil sie zwischen den ganzen Mächten lavierten. Was die YPG aus meiner Sicht versäumte war eine politische Emanzipation (sich von der PKK loslösen oder es zumindest versuchen oder vorzutäuschen). Die Erfolge der Kurden in Syrien könnten aber nach der Zerschlagung des IS und der Einigung zwischen dem Assad- Regime und der FSA wieder gefährdet werden.
Ich bin aber trotzdem der Meinung das die Kurden in Syrien momentan auf der Siegerseite stehen, ganz einfach weil sie zuvor mit leeren Händen dastanden. Viele Kurden in Syrien besaßen nicht einmal einen syrischen Ausweis, sie waren sogenannte Staatenlose. Die Arabisierungspolitik der Baath- Partei hat seine Spuren hinterlassen, der gesamte Norden Syriens wurde entweder vereinzelt oder stark mit arabischen Stämmen angesiedelt. Nach den Aufständen im Jahr 2004 wurden die Kurden in Syrien noch heftiger vom Assad- Regime unterdrückt, dies hatte die erste große Flüchtlingswelle in Syrien ausgelöst (wird oft vergessen). Allgemein standen die Chancen der Westkurden auf Selbstbestimmungsrechte oder gar Autonomie niemals unter einem guten Stern. In Westkurdistan gab es dutzende Parteien die sich untereinander nicht verstanden und darüber hinaus gab es nie in der Geschichte wirkliche Aufstände oder Revolten in Westkurdistan. Die Erfolge derzeit, mit den drei Kantonen kamen aus dem Nichts heraus. Ich hatte zwar nie den Glauben an Westkurdistan verloren, aber allein schon die Geographie dieses Gebiets liess nie wirklich einen richtigen Widerstandskampf zu. Was ich sagen möchte ist, das die Westkurden sich einen Namen geschaffen haben und die Welt sie registriert hat. Sie sind quasi eine Realität und werden auch so von den Großmächten wahrgenommen. Unsere Ansprüche waren immer schon sehr bescheiden, deshalb sehe ich die Westkurden sehr wohl auf der Siegerseite, auch wenn die Lage kippen kann.
Das die Westkurden aus dem Nichts heraus die Kantone aufbauten hat allen Kurden einen Aufschwung gegeben, besonders den Kurden in der Türkei. Der Widerstand in Kobanê war ein Weckruf für alle Kurden. Das man die Stadt am Ende noch halten konnte war ein Symbol des unbändigen Willens nach Freiheit. Die Botschaft der Kämpfer aus Kobanê war klar. Wenn wir hier überstehen, dann könnt auch ihr gegen den Iran und die Türkei bestehen - früher oder später.