Lieber Imam
Seit längerem habe ich mir jemanden in diesem Forum gewünscht, welcher 1:1 die Propaganda der Islamischen Republik wiederholt, welche ich bisher nur aus Aussagen/Reden von Khamenei&Co kannte. Darum finde ich es interessant deine Beiträge zu lesen und zu analysieren wie diese Aussagen zustande kommen, gelegentlich widerspreche ich dir. Aber nicht immer.
Zum hiesigen Thema Syrien kann ich dir versichern, dass meine starke Abneigung gegenüber Assad nicht aus einer anti-iranischen oder pro-zionistischen Denkweise herrührt. Vielmehr geht es mir um die Begeisterung und Elan des arabischen Frühlings, welche durch die Revolten in Tunesien und Ägypten ausgelöst wurde. Ich symphatisiere sehr stark mit dieser Bewegung und identifiziere damit das Streben nach einer pluralistischen Demokratie, welche sich in erster Linie von den vorherigen "diktatorischen Demokratien" abgrenzt und zu einem Mehrparteiensystem führt an der Islamisten, Liberale, Linke und eventuell die Revolutionsjugend vertreten sind. Dieser Pluralismus sorgt dann für die Abwahl der Herrschenden, für die Durchsetzung dessen was man heutzutage "Good Governance" nennt (Bekämpfung von Korruption, echte Rechtsstaatlichkeit usw.) und die Inklusion und Mäßigung aller politischen Lager von Liberalen bis hin zu Salafisten. Ein Ende der post-kolonialen Phase und eine Normalisierung im politischen Sektor welcher den politischen Stillstand der letzten Jahrzehnte beendet. Aus diesem Grunde habe ich übrigens auch eine vergleichsweise positive Meinung über Morsi und die Muslimbruderschaft, welche zwar die Gesellschaft islamisieren, gleichzeitig aber auch für Good Governance, Anerkennung von Pluralismus und Integration in ein Demokratisches System stehen. Gudrun Krämer sprach von der neuen Mitte. (
http://de.qantara.de/Die-islamische-Dem ... index.html) Darum stört mich an der neuen Verfassung in Ägypten auch weniger Artikel 2 oder 219 sondern Teile von Artikel 10 und 11 und einige andere, welche autoritäres Verhalten ermöglichen und auch weiterhin der Armee große Freiräume lassen. (siehe:
hier)
Ich hatte vor wenigen Monaten auch mal eine "Bilanz" geschrieben, wie weit man meines Erachtens bei diesen zwei zentralen Punkten "plurale Demokratie"/"echtes republikanisches System" und "Good Governance" gekommen ist. (
klick mich) Darin inbegriffen ist natürlich noch nicht die aktuelle Krise in Ägypten um die neue Verfassung, zu der ich mich ja auch mehrfach detailliert geäußert habe. (
hier z.B.)
Assad hingegen hat diese pluralistische Demokratie verhindert als er die Protestbewegung in Daraa und anderen Städten von seiner republikanischen Garde angeführt von Maher al Assad 2011 zusammen schießen ließ. Er steht einem diktatorischen Staat vor dessen Geheimdienste Syrien fest im Griff hatten und jede politische Diskussion, von einer kurzen Phase der Diskussion nach der Machtübernahme Assads dem so genannten Damaszener Frühling abgesehen, in die gewünschten Bahnen lenkte - im Sinne einer geduldeten Opposition - bzw. unterdrückte oder vertrieb.
Aus meiner Sicht unterscheidet sich Assad von Mubarak und Ben Ali nur unwesentlich bzw. nur insofern, dass er noch grausamer ist, noch weniger Freiräume für echten Pluralismus zuließ und zulässt und als Nachfolger seines Vaters als Präsident noch stärker für Anti-Demokratische Tendenzen steht.
Meine Meinung war von Anfang an, dass Assad gehen muss um eine pluralistisches System in Syrien zu ermöglichen. Dazu hat er mit der brutalen Antwort auf Demonstrationen, der Belagerung, Verschleppung und schließlich Folterung und Ermordung der aufständigen Bevölkerung eine Menge Wut und Aufruhr ausgelöst, dass ich selbst dem militanten Aufstand gegen ihn einiges abgewinnen kann. Auch gegen Islamisten habe ich wie oben bereits gesehen, dabei grundsätzlich erstmal nichts.
Wenngleich ich natürlich einsehe, dass das mit dem pluralistischen System in Syrien wohl nicht so einfach werden wird. Zum Einen die Narben und Zerstörungen welche aktuell während des Bürgerkriegs angerichtet werden, dazu die ohnehin problematische Bevölkerungsstruktur Syriens mit den vielen Gegensätzen der verschiedenen Religionsgemeinschaften, der Gegensatz Stadt/Land, die Existenz von bewaffneten Millizen pro- sowie anti-Assad sowie natürlich die Interessen ausländischer Mächte. Die Art und Weise wie es in Syrien läuft ist eine große Tragödie, die ich durch die Berichterstattung unmittelbar erlebe. (siehe
hier)
Ein zurück zum alten System darf es allerdings nicht geben. Assad muss weg. Die geopolitischen Interessen Irans oder anderer Mächte sind dabei für mich persönlich völlig unerheblich.
Wie du siehst spielen deine Kategorien, welche die Welt in eine anti-zionistisches/islamisches Lager und ein pro-Zionistisches/pro-westliches Lager einteilen für mich keine Rolle. Meine Intention beim Thema Syrien ist die Symphatie mit den Forderungen des arabischen Frühlings, wie ich ihn verstehe. Für mehr Pluralismus im Sinne der Partizipation aller politischen Kräfte im demokratischen Prozess, für mehr Good Governance im Sinne von Rechtsstaatlichkeit, weniger Korruption und ein Ende der Herrschaft durch Sicherheitsdienste.
Das Assad diesen arabischen Frühling mittels seines Militärs, insbesondere seiner Elitetruppen, hat niedermetzeln lassen macht ihn zu einer Person die gestürzt werden muss.
Dieser Beitrag ist sehr gut.