Sören74 hat geschrieben:(06 Jan 2022, 12:26)
Für Putin mag das zutreffen. China hat aber nicht an nationaler Größe verloren, sondern entwickelt sich zu einer Supermacht, wirtschaftlich, wie auch militärisch. Das muss einen persönlich überhaupt nicht gefallen, aber die Entwicklung dahin ist eindeutig.
China hat eine großartige Vergangenheit, war aber spätestens in Zeiten des Kolonialismus ein Spielball der europäischen Mächte, ist zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken, wurde von Russland und Japan angegriffen, teilweise besetzt und zerrissen... Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Bürgerkrieg das Land weiter ruiniert und als Wüste hinterlassen. Noch in den 1980er Jahren war China zwar groß, aber bettelarm. Erst Maos Nachfolger Deng Xiaoping leitete in seiner Regierungszeit (1979 bis 1997) mit seiner Politik der wirtschaftlichen Öffnung eine Trendwende ein. Und erst damit begann der "Aufstieg" des Landes zu dem China, das wir heute vor uns haben.
Genau das ist das Narrativ, mit dem Xi Jinping den Menschen gegenübertritt: Er wolle nach den Demütigungen der Vergangenheit (die es tatsächlich gegeben hat!) das Land wieder unabhängig und stark machen und ihm zu der ihm gebührenden Größe zurück verhelfen. Xi tut dies sogar viel energischer und mit weitaus größerem Erfolg als Putin, denn er kann darauf verweisen, dass der Wohlstand im Land tatsächlich erheblich zugenommen hat und dass China heute tatsächlich eine ernst zu nehmende und von der Welt ernst genommene Macht geworden ist. Damit bedient Xi die Grundhaltung der Menschen in China, dass sie die Erben einer großen Hochkultur sind und heute wieder als solche wahrgenommen werden wollen. Die Chinesen sind wieder stolz auf China. Nicht auf die KP, sondern auf China. Xi Jinping verbindet den Stolz auf China mit dem Herrschaftsanspruch der KP.
Putin kann all das nicht. Er kann nicht auf eine so herausragende historische Bedeutung Russlands verweisen, er hat Russland nicht zu einer weltweit respektierten Macht aufbauen können und er betreibt eine Wirtschaftspolitik, die nur den mit ihm verbundenen mafiösen Oligarchen nutzt, die Masse der Bevölkerung aber in die Armut treibt. Russlands Größe beschwört er eigentlich immer nur, wenn er öffentlich den Untergang der Sowjetunion beweint oder mit riesigen Paraden den Sieg im "Großen vaterländischen Krieg" feiern lässt.
Ich habe nie bestritten, dass China sowohl ökonomisch als auch militärisch zu einer Weltmacht geworden ist. Mir missfällt das im Grunde nichtmal. Wenn man mit dieser Weltmacht vernünftig, friedlich und auf Augenhöhe umgehen kann, ist das völlig in Ordnung. Kann mal leider nicht. Aber darum ging es mir nicht. Ich habe nur darauf verwiesen, dass Putin und in noch stärkerem Maße Xi Jinping den Nationalstolz der Menschen nutzbar machen, um innere Repressionen zu rechtfertigen.