Ich fasse die Punkte wieder zusammen in einen Beitrag.
1.
Sehe ich anders, wie schon dargestellt, scheint die Regierung, Opposition und auch der Großteil der Bevölkerung gerade auf dieser jetzigen Linie zu sein. Präsident Zeman ist weitestgehend alleine mit seiner Ansicht und auch nicht befugt hier die Regierungspolitik zu beeinflussen. Die Sichtweise, das sich alles wieder ändern wird, eventuell nach der nächsten Wahl, ist derzeit nicht wahrscheinlich.
Polen:
Trotzdem unterstellst Du die Bundesregierung würde hier bewusst gegen Polen arbeiten. Dem habe ich widersprochen. Das es Meinungsverschiedenheiten gibt, ist dafür kein ausreichender Hinweis bzw. zu allgemein (zumal die Regierung offiziell ja immer betont hat, dass Nordstream 2 sie nichts angeht). Es gibt auch Meinungsverschiedenheiten mit bspw. Frankreich, trotzdem würde ich nicht sagen das die außenpolitischen Beziehungen schlecht sind.
Polen kann trotzdem Energiehub werden, schlussendlich wird das kostengünstigere bzw. der versorgungssichere Anbieter gewählt. Deutschland könnte hier ebenfalls Gas über Balticpipe beziehen, kommt ganz auf die Verhandlungen an und schlussendlich ist es egal woher das Gas kommt, die Anlagen die das Gas verwerten sind da nicht wählerisch. Konkurrenz ist also nur für Balticpipe ein Problem, nicht für Nordstream 1 u. 2? Man sollte sich schon entscheiden. Es gibt also zwei Anbieter aber du weißt schon im Vorfeld wer schlussendlich Hauptversorger wird? Für den Verbraucher ist Konkurrenz nur von Vorteil und das ist auch im Sinne der EU-Normen (daher auch das unbundling). Auch der Bundesregierung wird es nicht missfallen, dass es mehrere Anbieter gibt und schlussendlich der bessere den Zuschlag erhält (weil eben schlussendlich die beste Lösung auch für die deutschen Gasverbraucher).
2.
Laut Vertrag ist der „unmittelbare“ Erwerb durch die EZB verboten. Wenn Du (oder wer auch sonst) der Meinung bist, dass es sich um Staatsfinanzierung handelt, ist es trotzdem nicht der Fall, dass hier die Juristen „etwas daraus gemacht“ haben. Sie wurden durch die Kläger aufgefordert den Sachverhalt zu prüfen und laut Wortlaut ist es nun mal korrekt. Es steht schlicht genau so -und nicht etwa anders- in den Regelungen zu den Befugnissen der EZB. Wenn dann muss man hier den Vertrag kritisieren und nicht die Juristen, die den Wortlaut prüfen und feststellen, dass die Anleihekäufe nicht gegen die Regeln verstoßen. Aus welchem Grund sollte man jetzt eine Ausnahme für Nordstream machen? Man würde dann tatsächlich irgendwas „hinbiegen“ und nicht nur eine herbei fantasierte Biegung durchführen. Aus welchem Grund sollte man das tun? Natürlich nicht zu Russlands Gunsten… nein, wie oben schon erwähnt dient bspw. das unbundling den Verbraucherinteressen der EU-Bürger. Ein natürliches Monopol soll zumindest etwas aufgebrochen werden, aber nein es soll ein Monopol bestehen bleiben, einzig im Interesse der europäischen/deutschen Verbraucher. Erzähl das bitte jemand anderen, deine Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Es sei denn du bist der Pressesprecher von Gazprom.
3.
Es sieht eher so aus als würden diverse EU-Staaten diversifizieren. Südosteuropa und Gazprom? Anfang des Jahres lauteten die Meldungen soweit ich weiß eher, dass es das Ende des Gazprom-Monopols in Südosteuropa bedeutet (Kroatisches LNG-Terminal was theoretisch den kroatischen Bedarf fast alleine decken kann, Bulgarien bezieht Gas aus Aserbaidschan). Bis jetzt wird bspw. Ungarn noch immer durch den Ukraine-Transit versorgt (und hat die Möglichkeit eben auch über Kroatien beliefert zu werden).
https://www.dw.com/de/gazprom-verliert- ... a-56159742
Natürlich braucht man Versorgung, aber Russland ist nicht der einzige Anbieter. Das ist eher zum Nachteil für Russland, aber positiv für die Verbraucher. Schlussendlich ist der Gasmarkt in Südosteuropa auch eher klein. Bedeutender scheint mir die Versorgung Italiens über Aserbaidschan zu sein. Aber für Italien gut, dass es Auswahl gibt.
4.
Was hat jetzt die Fregatte Bayern mit dem Thema zu tun? Die hat in einem umstrittenen Hafen gehalten, weil sie versorgt werden musste. Hätte man anders regeln können. Aber wie gesagt, geht es sicher nicht vornehmlich um Werte. Es geht hier um feindliche Handlungen und anhand derer man z.B. Nordstream 2 auf den Prüfstand stellen muss. Wie man sich öffentlich gegenseitig rhetorisch belegt ist zumindest vordergründig nicht entscheidend. Aber langfristig ist das ein Problem! Zur Zeit konnte man vor allem auch in den letzten Jahren noch trotz dieser öffentlichen, diplomatischen Verfehlungen weiter kooperieren. Nur hat es auch nach Abschluss von Nordstream 2 (also vertraglich) keine Entspannung gegeben und im Gegenteil, bestimmte Vorfälle traten erst danach auf (Angriff auf den Bundestag wurde erst viel später öffentlich, Skripal 2018, Tiergarten 2019, Vorfälle in Tschechien, Untersuchungen zu MH17 sind abgeschlossen, Anklage wurde erhoben, Beendigung des Petersburger Dialogs). Das ist alles öffentlich bekannt und nimmt auch einer zukünftigen Bundesregierung Handlungsspielraum. Wenn im Herbst das Kammergericht Berlin zum Einen den mutmaßlichen Auftragsmörder verurteilt (was meiner Meinung nach sehr wahrscheinlich ist, er wurde auf frischer Tat ertappt und auf der Flucht festgenommen) und die Beteiligung des russischen Staates bejaht, welche Möglichkeit hat dann die Bundesregierung? Kann man nach nichts weniger als Staatsterrorismus (und den gab es eben nicht nur in Deutschland, auch in Tschechien oder Großbritannien), noch an Projekten wie Nordstream 2 festhalten?
Militär:
Zunächst scheint die EU eher darauf bedacht zu sein, die eigenen Streitkräfte zu optimieren. Eine Kooperation mit Russland sehe ich nicht. Die meisten EU-Staaten sind auch Nato-Mitglieder, die Nato übt die Verteidigung des Bündnisgebietes unter anderem gegen russische Aggression. Russland im Gegenzug auch, wo siehst Du da Potential für Zusammenarbeit? Ich sehe hier keinerlei Bestrebungen weder seitens Russlands noch der EU oder auch nur einzelner EU-Staaten. Gibt es da Entwicklungen die mir nicht bekannt sind oder wie leiten sich Deine Vermutungen her?
5.
Die Frage ist, wie sich das zukünftig entwickeln wird. Konflikte und ernsthafte Störungen der Beziehungen haben i.d.R. einen Vorlauf. Das ist auch bei zwischenmenschlichen Beziehungen so. Handgreiflichkeiten beginnen fast immer verbal. Natürlich will ich nicht sagen, das ähnliches bevor steht. Aber so ein Verhalten steht eben auch nicht für Entspannung und Ausgangspunkt sind hier die russischen Verfehlungen, z.B. die schon beispiellose Peinlichkeit in der Sache mit dem Russlanddeutschen Mädchen „Lisa“… Lawrow fiel hier wie folgt auf: Keine Ahnung, aber viel Meinung! Der Kreml und seine Protagonisten fällt sicherlich vermehrt durch Inkompetenz auf, die in einem Fall wie bspw. „Lisa“ eher belustigend ist. Aber es gibt eben auch viele andere Vorfälle die weit weniger lustig sind. Die Bundesregierung war hier in der Vergangenheit erstaunlich unempfänglich für all das und an Pragmatismus interessiert, fraglich wie lange noch bzw. ob das nicht schon Vergangenheit ist. Du (und anscheinend auch der Kreml) haben die Zeichen der Zeit hier nicht erkannt. Steter Tropfen höhlt den Stein… rote Linien wurden überschritten und wenn sich nicht bald und dauerhaft eine Änderung des russischen Verhaltens abzeichnet, werden die außenpolitischen Beziehungen eher schlechter als besser werden (und ja, dann ist es fraglich ob zukünftig Kooperationen stattfinden werden… auch Nordstream wird hinterfragt). Wenn Du meinst das das im russischen Interesse ist, sei dir das unbenommen. Ich denke es ist nicht so.
Versorgungssicherheit durch ein Land wie Russland das schon den Gashahn zugedreht hat und auch die Gasversorgung als politisches Druckmittel offenkundig einsetzt? Wo soll da die Versorgungssicherheit sein? Die gibt es nur wenn man Alternativen hat… und die hat man und wird man zukünftig noch verstärkt haben. Daher ist es auch nur in unser aller Interesse zu diversifizieren (was zum Glück ja geschieht).
Nordstream 2 hat sich schon amortisiert, obwohl es noch keine Erträge gebracht hat. Ist das ein schlechter Witz den ich nicht verstehe? Die Kalkulation würde ich gerne mal sehen, will auch mal herzhaft lachen. Was aber echt total lustig ist, wenn man sich die Frage stellt, ob ein rein privatwirtschaftlich agierendes Unternehmen, das sagen wir mal in der Förderung und dem Verkauf von Erdgas engagiert ist, ein Projekt wir Nordstream 2 durchgeführt hätte. Gewinnorientierte Unternehmen wären erstmal bestrebt die bestehenden Leitungen maximal auszunutzen, um erstmal deren Gewinn zu maximieren, anstelle eine weitere Reduzierung der Auslastung einzelner Röhren durch den Bau einer weiteren Leitung zu erreichen (noch dazu mittels hoher Baukosten, weil unter Wasser). Sollte durch Nordstream 2 nur wenig Gas fließen oder aufgrund von Diversifizierung generell die Menge auch der anderen Leitungen sinken, ist das dann betriebswirtschaftlich ein ganz veritables Eigentor (per Fallrückzieher, (Eigen-)Tor des Jahres… mindestens).
Weil China ein weltweites Stromnetz anstrebt, ist der sichere Weg von Waren auf dem Land wichtig? Warum sollte die EU den Aufbau eines weltweiten Stromnetzes betreiben und in Konkurrenz zu China treten (zumal der Erfolg nicht absehbar ist und das im Grunde auch in einer riesigen Geldverbrennung enden kann)? In Europa würde das in erster Linie privatwirtschaftliche Unternehmen betreffen und EU Unternehmen generieren schon jetzt überall auf der Welt Aufträge, das können sie auch unabhängig von der EU machen. Bisher ist es nicht das Hauptziel der EU durch weltweite Infrastrukturprojekte vermeintliche Macht zu erhalten. Europas Macht ist der kaufkräftige Binnenmarkt und eigentlich auch nicht das Problem der EU wie die Waren hierher kommen.
Wenn es irgendwann zu dem Punkt kommt, das der Warenverkehr zwischen EU und Russland eingestellt wird (was ich persönlich nicht hoffe), ist Russlands Bedeutung für die Seidenstraße aus Sicht Chinas nahezu Null. Entscheidend ist der europäische Markt und genau den will China beliefern. Auch so schon ist der Warenweg über Land nicht der Entscheidende. Der Suezkanal ist seit seiner Entstehung eine internationale Zone und freie Durchfahrt gewährt. Weder China, USA, Großbritannien noch die EU haben ein Interesse an einer Blockade. Die freie Durchfahrt ist auch durch Spannungen und Konflikte im Nahen Osten nicht grundlegend gefährdet, zumindest würden Beeinträchtigung durch eine ganze Reihe Staaten nicht so einfach hingenommen werden.
6a.
Ja, man kann der Eurasischen Wirtschaftsunion nur viel Erfolg wünschen. Wie schon gesagt, Kooperation ist immer von Vorteil. Wenn das Potential aufgrund eines Freihandelsabkommens mit Vietnam sehr groß ist, wie ist dann das Potential erst mit Freihandelsabkommen mit bspw. den USA oder der EU? Ein Freihandelsabkommen mit Vietnam ist auch für die eurasische Wirtschaftsunion eher von geringem Nutzen. China, Japan, Indien etc. sind eher die Größen im asiatischen Raum (im europäischen Raum natürlich die EU). Außerdem lässt sich erst hinterher sagen wie profitabel ein Freihandelsabkommen schlussendlich ist. Wenn dann tatsächlich wenig Handel stattfindet, weil die einen die Produkte der anderen vielleicht nicht unbedingt brauchen, ist es zwar schön aber ohne nennenswerte Effekte.
6b. und c.
Es ging nicht um langfristige Entwicklung sondern um trotzige Reaktionen die man schlussendlich selbst herauf beschwört hat. Langfristig möchte Russland seine wirtschaftliche Bedeutung erhöhen, wenn man den Zielen die Putin regelmäßig verkündet, glauben schenken kann. Aber vermutlich weißt du es besser als Putin selbst.
Für das Ziel die wirtschaftliche Bedeutung Russlands zu erhöhen, wären deutlich höhere Wachstumsraten notwendig. Wenn man jemanden einholen möchte der vor einem liegt, muss man schneller wachsen.