Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

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schokoschendrezki
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Kölner1302 hat geschrieben:(23 Nov 2019, 10:48)

Wir Westeuropäer sind zu saturiert, d.h. zu bequem, zu weltfremd und zu gut erzogen um uns vorstellen zu können, wie es mit der EU weitergeht, wenn wir alles laufen lassen.
Das Vetorecht der EU-Mitglieder verhindert jede Kursänderung in einer sich verändernden Welt. Die USA sind kein zuverlässiger NATO Verbündeter mehr. Die Türkei auch nicht. Die Türkei ist der an stärksten hochgerüstete Staat der NATO, die US der Finanzier. Übrig bleibt ein uneiniges Europa, mit labilen Demokratien, schwach gerüstet. Nebenan Afrika, dessen Bevölkerung explosiv zunimmt, und Krisenregionen, wie der Nähe und mittlere Osten, der Balkan, die Ukraine.
Nicht auszuschließen dass die Nordatlantische Zivilisation sich einer ähnlichen Entwicklung gegenübersieht wie dazumal das römische Reich vor der Teilung. Bekanntlich hielt das weströmische Reich dann dem Druck nicht mehr lange stand und ging 100 Jahre später unter . Westeuropa hält sich ohne Nordamerika auch nicht.
Es sei denn es bildet einen neuen stabilen Bundesstaat und nutzt seine jetzt noch vorhandenen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, um eine neue stabile Supermacht zu bilden.
Das ist ganz sicher eine viel zu "kultur"-zentrierte Sicht. Tatsächlich stehen Interesssen hinter den aktuellen Entwicklungen und nicht "Erziehungen". Wir kennen sie nur nicht genau genug. Oder wir müssen überhaupt erst mal akzeptieren, dass es längst nicht ausreicht, sich irgendeiner "Seite", einer "Kultur" zugehörig zu fühlen. Sondern dass man ganz genau die Vor- und Nachteile politischer Entscheidungen für die jeweiligen Seiten zu analysieren hat, wenn man wissen will, wohin es läuft.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kölner1302 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Dec 2019, 20:22)

Das ist ganz sicher eine viel zu "kultur"-zentrierte Sicht. Tatsächlich stehen Interesssen hinter den aktuellen Entwicklungen und nicht "Erziehungen". Wir kennen sie nur nicht genau genug. Oder wir müssen überhaupt erst mal akzeptieren, dass es längst nicht ausreicht, sich irgendeiner "Seite", einer "Kultur" zugehörig zu fühlen. Sondern dass man ganz genau die Vor- und Nachteile politischer Entscheidungen für die jeweiligen Seiten zu analysieren hat, wenn man wissen will, wohin es läuft.
Dem kann ich in gewissem Umfang zustimmen. Wahrscheinlich ist beides richtig.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

SZ 4. Dezember 2019 "Macrons Äußerungen sind überwiegend nicht hilfreich"
https://www.sueddeutsche.de/politik/nat ... -1.4709111
"Ich glaube nicht, dass das ein tragfähiger Vorschlag (deutsch-französische Brigade als Kampfverband zur Krisenreaktion), solange Deutschland nicht mehr Appetit zeigt, sich militärisch zu engagieren. Ich würde sagen, die EU kann einen Anteil haben, aber auch andere Koalitionen europäischer Staaten, vor allem wenn Großbritannien absehbar die EU verlassen will. Ich denke, dass Frankreich eine enge Partnerschaft Europas mit dem Vereinigten Königreich im Sicherheitsbereich bewahren will."
Die Bundesregierung und Frau Merkel glänzen durch Ideenlosigkeit.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Macron gilt als eine Art Wunderkind. Und tatsächlich. Er formuliert seine Sätze unglaublich geschickt und klug. Dem NATO-Generalsekretär sagte er jüngst (natürlich) nicht etwa, dass er die Absicht habe, ein engeres Bündnis mit Russland einzugehen. Sondern (sinngemäß): "Hat sich die Sicherheit Europas dadurch verbessert, dass es keinen DIalog mit Russland gibt?"

...

Ähm :p

...
Alle Achtung!

Die Wahrheit ist natürlich eine andere. Im Gegenteil: Die Sicherheit Europas hat sich verschlechtert. U.a. weil Russland genau dies wollte!

Die Dealmaker der mächtigen Staaten heute können ziemlich frei schalten und walten. Weil sie jeweils einen großen Teil der jeweiligen Bevölkerung hinter sich wissen. Aus dieser großen Bredouille kommt man nur heraus, wenn es wieder en vogue wird, die Politik in seinem eigenen Land, überhaupt sein eigenes Land kritisch zu sehen und nicht zu bejubeln.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von naddy »

schokoschendrezki hat geschrieben:(04 Dec 2019, 10:05)

Die Dealmaker der mächtigen Staaten heute können ziemlich frei schalten und walten. Weil sie jeweils einen großen Teil der jeweiligen Bevölkerung hinter sich wissen. Aus dieser großen Bredouille kommt man nur heraus, wenn es wieder en vogue wird, die Politik in seinem eigenen Land, überhaupt sein eigenes Land kritisch zu sehen und nicht zu bejubeln.
Und da sind die Deutschen in ihrem unendlichen Bemühen der Welt zu beweisen, dass wir im Herzen doch eigentlich "die Guten" sind, selbstverständlich für die Vorreiter-Rolle prädestiniert. Und die "America-/Russia-/Polen-/China-Great-again-Maker" anderswo werden sich ins Fäustchen lachen. Die "Linke Backe - Rechte Backe"-Empfehlung der Bibel ist zwar ein hehres moralisches Prinzip, hat sich in der Praxis allerdings leider bisher nicht bewährt. So lange nicht auch die Anderen bereit sind, ihr "eigenes Land kritisch zu sehen" eignet sich diese Empfehlung wohl nur, um sich als Märtyrer zu profilieren.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Wähler hat geschrieben:(04 Dec 2019, 09:13)

SZ 4. Dezember 2019 "Macrons Äußerungen sind überwiegend nicht hilfreich"
https://www.sueddeutsche.de/politik/nat ... -1.4709111
"Ich glaube nicht, dass das ein tragfähiger Vorschlag (deutsch-französische Brigade als Kampfverband zur Krisenreaktion), solange Deutschland nicht mehr Appetit zeigt, sich militärisch zu engagieren. Ich würde sagen, die EU kann einen Anteil haben, aber auch andere Koalitionen europäischer Staaten, vor allem wenn Großbritannien absehbar die EU verlassen will. Ich denke, dass Frankreich eine enge Partnerschaft Europas mit dem Vereinigten Königreich im Sicherheitsbereich bewahren will."
Die Bundesregierung und Frau Merkel glänzen durch Ideenlosigkeit.
Wenn ich mir unsere deutschen Interessen betrachte, nämlich in einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn möglichst viel gemeinsamen Wohlstand zu schaffen, dann ist es aus meiner Sicht die beste Idee, bei solchen Herausforderungen durch tiefes Schweigen auf zu fallen. Nach den gemachten Erfahrungen sehr großer Kriege ist es uns Deutschen nur schwer zu verkaufen, andere als wirtschaftliche Interessen zu verteidigen. Im Vorfeld eigener Bedrohung wird Präsident Macron keinen der bekannteren deutschen Politiker dafür gewinnen können, irgendwo los zu schlagen, um von vornherein klare Verhältnisse zu schaffen.

Im Rahmen der NATO, der UNO kann sich unser Land schlecht verweigern; bei groben Verletzungen der Menschenrechte wie im ehemaligen Jugoslawien oder zuletzt in Irak/Syrien versucht unsere Politik, sich mit Augenmaß ein zu bringen. In Mali hat sich die Bundesrepublik einbinden lassen, weil Frankreich nach den IS-Angriffen in Paris und Nizza sich auf die Nester des Terrors stürzen wollte. Und dabei hat auch Deutschland eine Rolle übernommen, eine Art Nachbarschaftshilfe, sowohl in Irak als auch in Mali.

Ich empfinde es als wohltuend, daß unser Land nicht jede Gelegenheit beim Schopf ergreift, wo andere mit Waffengewalt bessere Verhältnisse schaffen wollen.

Natürlich ist es auch unverantwortlich, wie die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes abgewertet wurde. Erstaunlich der Schneckengang, nun wieder zu einer respektablen Wehrhaftigkeit zu gelangen. Sie aber zu schaffen, um mit Frankreich als Impulsgeber Ordnung auf dieser Welt herstellen zu wollen, das wäre ebenso unverantwortlich. Besser also, unsere politische Führung hüllt sich nach solchen Aufrufen des französischen Präsidenten in Schweigen... und arbeitet beharrlich an der Verbesserung unserer Wehrhaftigkeit, falls die wirklich auf die Probe gestellt werden sollte. Was Gott verhüten möge!
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(04 Dec 2019, 09:13)
SZ 4. Dezember 2019 "Macrons Äußerungen sind überwiegend nicht hilfreich"
https://www.sueddeutsche.de/politik/nat ... -1.4709111
"Ich glaube nicht, dass das ein tragfähiger Vorschlag (deutsch-französische Brigade als Kampfverband zur Krisenreaktion), solange Deutschland nicht mehr Appetit zeigt, sich militärisch zu engagieren. Ich würde sagen, die EU kann einen Anteil haben, aber auch andere Koalitionen europäischer Staaten, vor allem wenn Großbritannien absehbar die EU verlassen will. Ich denke, dass Frankreich eine enge Partnerschaft Europas mit dem Vereinigten Königreich im Sicherheitsbereich bewahren will."
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H2O hat geschrieben:(04 Dec 2019, 20:50)
Im Rahmen der NATO, der UNO kann sich unser Land schlecht verweigern; bei groben Verletzungen der Menschenrechte wie im ehemaligen Jugoslawien oder zuletzt in Irak/Syrien versucht unsere Politik, sich mit Augenmaß ein zu bringen. In Mali hat sich die Bundesrepublik einbinden lassen, weil Frankreich nach den IS-Angriffen in Paris und Nizza sich auf die Nester des Terrors stürzen wollte. Und dabei hat auch Deutschland eine Rolle übernommen, eine Art Nachbarschaftshilfe, sowohl in Irak als auch in Mali.
AKK hat mehr Mut bewiesen, indem sie für den nordsyrischen Grenzstreifen eine UN-Sicherheitszone vorgeschlagen hat. Da ist Deutschland zum ersten Mal in der internationalen Sicherheitspolitik proaktiv geworden. Genau das erwarten die Franzosen zu Recht von uns. Wir können uns nicht immer hinter unserer Geschichte verstecken.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Wähler hat geschrieben:(05 Dec 2019, 05:50)

AKK hat mehr Mut bewiesen, indem sie für den nordsyrischen Grenzstreifen eine UN-Sicherheitszone vorgeschlagen hat. Da ist Deutschland zum ersten Mal in der internationalen Sicherheitspolitik proaktiv geworden. Genau das erwarten die Franzosen zu Recht von uns. Wir können uns nicht immer hinter unserer Geschichte verstecken.
Das wäre ein UNO-Projekt; da wäre D beteiligt um Rahmen UNO. Das ist aber nichts Neues. Neu wäre D & F ziehen los und räumen die Sahelzone auf oder machten im Jemen "Klar Schiff", was inzwischen längst ein UNO-Projekt hätte sein müssen. Aber spannende Bilder von halbverhungerten Kindern und Müttern rühren dort wohl niemanden mehr.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Frank_Stein hat geschrieben:(andernorts; 05 Dec 2019, 18:27)
Australien hat das Problem gelöst. Das kann Europa auch.
Es fehlt der politische Wille.
Macron, Salvini, Kurz, Orban traue ich eine australische Lösung zu, sobald Deutschland seine destruktive Politik einstellt und endlich seine Verantwortung für die EU, für Europa und die Zukunft dieses Kontinentes erkennt und annimmt.
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Frank_Stein »

Fliege hat geschrieben:(05 Dec 2019, 23:15)

Macron, Salvini, Kurz, Orban traue ich eine australische Lösung zu, sobald Deutschland seine destruktive Politik einstellt und endlich seine Verantwortung für die EU, für Europa und die Zukunft dieses Kontinentes erkennt und annimmt.

Ich glaube, dass die Engländer auch dabei wären, aber die haben lieber direkt die Zugbrücke hochgezogen.

Ansonsten sind da noch Polen, Tschechien, Slowaken und die Griechen wären sicherlich auch nicht traurig, wenn sie nicht mehr der Zielhafen für "Flüchtlinge" aus der Türkei wären.

Es ist tatsächlich vor allem Deutschland, das hier blockiert. Ob es an der Demografie liegt?
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Frank_Stein hat geschrieben:(05 Dec 2019, 23:18)
Ich glaube, dass die Engländer auch dabei wären, aber die haben lieber direkt die Zugbrücke hochgezogen.

Ansonsten sind da noch Polen, Tschechien, Slowaken und die Griechen wären sicherlich auch nicht traurig, wenn sie nicht mehr der Zielhafen für "Flüchtlinge" aus der Türkei wären.

Es ist tatsächlich vor allem Deutschland, das hier blockiert. Ob es an der Demografie liegt?
Die Briten haben ein Gespür dafür, wann Naivität gefährlich wird ("An appeaser is one who feeds a crocodile, hoping it will eat him last", nach Winston Churchill). Was die Deutschen anlangt, möchte ich auch nach 14 Jahren die Hoffnung noch nicht aufgeben.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Frank_Stein hat geschrieben:(05 Dec 2019, 23:18)

Ich glaube, dass die Engländer auch dabei wären, aber die haben lieber direkt die Zugbrücke hochgezogen.

Ansonsten sind da noch Polen, Tschechien, Slowaken und die Griechen wären sicherlich auch nicht traurig, wenn sie nicht mehr der Zielhafen für "Flüchtlinge" aus der Türkei wären.

Es ist tatsächlich vor allem Deutschland, das hier blockiert. Ob es an der Demografie liegt?
Sehr richtig. Es liegt aber nicht an der Demografie, sondern an der gegenwärtigen Regierung. Vielleicht liegt es an unüberbrückbaren Differenzen in der Groko (gerade die SPD blockiert ja reflexartig alles, was im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik eigentlich getan werden müsste), vielleicht auch an der "Sozialisierung" der Kanzlerin Merkel, die ja in einem Land aufgewachsen ist, in dem der "europäische Gedanke" nie gedacht worden ist und nie gedacht werden durfte.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

naddy hat geschrieben:(04 Dec 2019, 16:00)

Und da sind die Deutschen in ihrem unendlichen Bemühen der Welt zu beweisen, dass wir im Herzen doch eigentlich "die Guten" sind, selbstverständlich für die Vorreiter-Rolle prädestiniert. Und die "America-/Russia-/Polen-/China-Great-again-Maker" anderswo werden sich ins Fäustchen lachen. Die "Linke Backe - Rechte Backe"-Empfehlung der Bibel ist zwar ein hehres moralisches Prinzip, hat sich in der Praxis allerdings leider bisher nicht bewährt. So lange nicht auch die Anderen bereit sind, ihr "eigenes Land kritisch zu sehen" eignet sich diese Empfehlung wohl nur, um sich als Märtyrer zu profilieren.
Diese Interpretation interpretiert die Empfehlung einer kritischen Haltung zum eigenen Land so, als könne eine solche kritische Haltung zum eigenen Land nur unter der Voraussetzung einer unkritischen Haltung zum eigenen Land eingenommen werden. Klingt irgendwie widersprüchlich! Wenn ich mein Land oder die Regierung meines Landes oder die Mehrheitsgesellschaft meines Landes kritisiere, habe ich nicht im allermindesten das Gefühl, mir selbst eine Ohrfeige zu geben. Das würde so etwas wie eine "Identität" zwischen mir und meinem Land voraussetzen. DIe gibt es aber nicht.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von naddy »

schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Dec 2019, 09:37)

Diese Interpretation interpretiert die Empfehlung einer kritischen Haltung zum eigenen Land so, als könne eine solche kritische Haltung zum eigenen Land nur unter der Voraussetzung einer unkritischen Haltung zum eigenen Land eingenommen werden. Klingt irgendwie widersprüchlich!
Stimmt. Genau deshalb habe ich das auch nicht gesagt.
Wenn ich mein Land oder die Regierung meines Landes oder die Mehrheitsgesellschaft meines Landes kritisiere, habe ich nicht im allermindesten das Gefühl, mir selbst eine Ohrfeige zu geben. Das würde so etwas wie eine "Identität" zwischen mir und meinem Land voraussetzen. DIe gibt es aber nicht.
Der Sinn meiner Interpretation ergibt sich aus dem Kontext. Du schriebst:
schokoschendrezki hat geschrieben:Die Dealmaker der mächtigen Staaten heute können ziemlich frei schalten und walten. Weil sie jeweils einen großen Teil der jeweiligen Bevölkerung hinter sich wissen. Aus dieser großen Bredouille kommt man nur heraus, wenn es wieder en vogue wird, die Politik in seinem eigenen Land, überhaupt sein eigenes Land kritisch zu sehen und nicht zu bejubeln.
Das ist natürlich eine sehr pauschale Aussage, entsprechend meine Antwort. Wer auch immer mit "Dealmaker" gemeint sein soll, so lange Nationalstaaten gegeneinander konkurrieren - beispielsweise um Investoren - ist der im Nachteil, der besonders kritisch mit "seinem Land" umgeht. Diese Aussage ist keine Wertung, sondern die schlichte Feststellung einer logischen Konsequenz.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

naddy hat geschrieben:(20 Dec 2019, 12:34)

Stimmt. Genau deshalb habe ich das auch nicht gesagt.


Der Sinn meiner Interpretation ergibt sich aus dem Kontext. Du schriebst:

Das ist natürlich eine sehr pauschale Aussage, entsprechend meine Antwort. Wer auch immer mit "Dealmaker" gemeint sein soll, so lange Nationalstaaten gegeneinander konkurrieren - beispielsweise um Investoren - ist der im Nachteil, der besonders kritisch mit "seinem Land" umgeht. Diese Aussage ist keine Wertung, sondern die schlichte Feststellung einer logischen Konsequenz.
Da muss man wohl konkrete Beispiele nennen. Möglichst zum Thema, also Europa und EU.

Nach wie vor ist es im EU-Staat Kroatien verpönt oder zumindest nicht als förderwürdig angesehen, beim Gedenken an die Opfer der Jugoslawien-Kriege an Angehörige anderer Nationen zu denken als an die Kroatiens. Das zeigte sich besonders deutlich bei den aktuellen Gedenkfeiern in Vukovar.

Man muss gegen den wiederauferstandenen Nationenwahnsinn auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens (und nicht nur dort!) aufstehen. Dem jeweils eigenen Land eine ganz unpatriotische Ohrfeige erteilen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Politico 23. Dezember 2019 What Macron plans for Europe
https://www.politico.eu/article/emmanue ... ope-plans/
"Macron’s own priorities for Europe: fighting climate change and achieving carbon neutrality; introducing a European minimum wage and eurozone-wide unemployment benefits scheme; boosting the EU’s capabilities on defense; and coming up with a credible policy of security, asylum and migration."
Es bleibt weiterhin unklar, welche Europapolitik die jetzige vierte Regierung Merkel für 2020 anstrebt.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Wähler hat geschrieben:(31 Dec 2019, 10:23)

Politico 23. Dezember 2019 What Macron plans for Europe
https://www.politico.eu/article/emmanue ... ope-plans/
"Macron’s own priorities for Europe: fighting climate change and achieving carbon neutrality; introducing a European minimum wage and eurozone-wide unemployment benefits scheme; boosting the EU’s capabilities on defense; and coming up with a credible policy of security, asylum and migration."
Es bleibt weiterhin unklar, welche Europapolitik die jetzige vierte Regierung Merkel für 2020 anstrebt.
Wie es aussieht, gibt es keine deutsche Europapolitik, solange die große Koalition regiert. Union und SPD haben da in zentralen Fragen sehr unterschiedliche Positionen und können sich nur auf einen sehr kleinen gemeinsamen Nenner einigen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Kohlhaas hat geschrieben:(31 Dec 2019, 13:19)

Wie es aussieht, gibt es keine deutsche Europapolitik, solange die große Koalition regiert. Union und SPD haben da in zentralen Fragen sehr unterschiedliche Positionen und können sich nur auf einen sehr kleinen gemeinsamen Nenner einigen.
Ich hatte eher in Erinnerung dass man beim GroKo-Koalitionsvertrag dem Thema Europa breiten Raum eingeräumt hat. Ging der nicht sogar mit dem Thema Europa los?
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Orbiter1 hat geschrieben:(31 Dec 2019, 16:28)

Ich hatte eher in Erinnerung dass man beim GroKo-Koalitionsvertrag dem Thema Europa breiten Raum eingeräumt hat. Ging der nicht sogar mit dem Thema Europa los?
Europa wird immer als ganz wichtig genannt. In Sonntagsreden. Zustandegebracht hat die Groko in der Hinsicht aber nichts. Macron wartet ja heute noch auf eine Berliner Antwort zu seinen Reformvorschlägen. Was Verteidigungs- und Sicherheitspolitik angeht, gibt es in Deutschland nichtmal Ansätze einer gemeinsamen Linie. Außenpolitik läuft unter Maas auch sehr "geräuschlos".
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

SZ 10. April 2019 Visionen für Europas Zukunft
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.4393426
"Daneben gibt es eine Reihe weiterer Modelle für Europas Zukunft. Einige fordern "mehr Europa", das heißt zusätzliche Macht für die Brüsseler Institutionen, andere wollen im Kern den Status quo erhalten, wieder andere plädieren für ein Europa, in dem die nationalen Regierungen mehr Einfluss haben. Wir stellen einige Ideen vor:"
Möge sich jeder ein Szenario aussuchen, oder dem Zufall der Geschichte ihren Lauf lassen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Wähler hat geschrieben:(01 Jan 2020, 11:17)

SZ 10. April 2019 Visionen für Europas Zukunft
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.4393426
"Daneben gibt es eine Reihe weiterer Modelle für Europas Zukunft. Einige fordern "mehr Europa", das heißt zusätzliche Macht für die Brüsseler Institutionen, andere wollen im Kern den Status quo erhalten, wieder andere plädieren für ein Europa, in dem die nationalen Regierungen mehr Einfluss haben. Wir stellen einige Ideen vor:"
Möge sich jeder ein Szenario aussuchen, oder dem Zufall der Geschichte ihren Lauf lassen.
Genau da liegt das Problem: Es gibt unterschiedliche Szenarien und keinen Ansatz zu einem Konsens. Vor allem gibt es solche Konsensansätze nicht zwischen Deutschland und Frankreich. Und diese beiden waren von Beginn an der "Motor" des europäischen Einigungsprozesses. Dabei scheint es mir so zu sein, dass Frankreich (Macron) immer wieder Vorschläge in die Diskussion wirft. Und aus Berlin kommt dazu: NICHTS!

Im Moment blockiert Deutschland die Entwicklung Europas, egal in welche Richtung sie laufen soll. Ich persönlich mache die Groko dafür verantwortlich.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(31 Dec 2019, 16:28)

Ich hatte eher in Erinnerung dass man beim GroKo-Koalitionsvertrag dem Thema Europa breiten Raum eingeräumt hat. Ging der nicht sogar mit dem Thema Europa los?
Richtig. Kapitel I lautet: "Ein neuer Aufbruch für Europa".

Dort steht zwar tatsächlich allerhand Sonntagsredenzeug ... aber nicht nur. Nur einmal ein Beispiel:
Wir unterstützen eine gerechte Besteuerung großer Konzerne, gerade auch der Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon.
(Seite 7).

Das ist durchaus konkret, geht aber eher in Richtung der dänischen linksliberalen Politikerin und Wettbewerbskommissarin Vestager als in Richtung einer "Antwort an Macron" (auch wenn der sich für Vestager einsetzt).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Worauf aus meiner Sicht der Groko-Vertrag viel zu wenig eingeht, ist die GAP, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Da ist nur nebulös von der Notwendigkeit einer "Neujustierung" die Rede. Dabei verschlingt die GAP mit 35 Prozent des EU-Haushalts ebensoviel Geld wie die Regionalfonds.

Die neuen Mitglieder vor allem Südosteuropas könnten eigentlich u.a. so etwas wie der Garten Europas sein. Von den klimatischen Verhältnissen und der geographischen Bedingungen her ideal geeignet für Tomaten, Gurken, Aprikosen usw. usf. Und zwar biologisch angebaut. Was bewirkt die GAP aber? Agrarproduzenten in Südosteuropa gehen systematisch den Bach herunter. Zum Beispiel, weil Rentenfonds Agrarflächen aufkaufen. Vor allem aber, weil die GAP-Subventionen erst ab einer bestimmten Betriebsgröße fließen. Die Bauern in Kroatien, Rumänien, Bulgarien bauen nix mehr an. Die regionalen Wochenmärkte schließen. Genetisch manipulierte Kunsttomaten aus Holland, die nicht nur nicht schmecken sondern auch viel billiger sind, werden in den neu errichteten Lidl-Supermärkten verkauft. Die Landbevölkerung wandert aus. Niemandem sollte man es verdenken, wenn ihm bei diesem Irrsinn die Lust an "mehr Europa" vergeht.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

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schokoschendrezki hat geschrieben:(06 Jan 2020, 09:48)
Worauf aus meiner Sicht der Groko-Vertrag viel zu wenig eingeht, ist die GAP, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Da ist nur nebulös von der Notwendigkeit einer "Neujustierung" die Rede. Dabei verschlingt die GAP mit 35 Prozent des EU-Haushalts ebensoviel Geld wie die Regionalfonds.
Da hilft nur, grüne Parteien in der ganzen EU stärker zu wählen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten können durchaus auch gesetzgeberische nationale Spielräume nutzen.
Kompetenzabgrenzung gemäß Lissabon-Vertrag:
https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_v ... abgrenzung
" Bei ausschließlichen Kompetenzen (Art. 3 Abs. 1 lit. a–e, Abs. 2 AEUV) der Union ist nur die EU zuständig. Hierzu zählen insbesondere Handelspolitik und Zollunion.
Im Fall der geteilten Zuständigkeit (Art. 4 AEUV) ist die EU zuständig, die Mitgliedstaaten können jedoch Gesetze erlassen, soweit die Union dies nicht selbst tut. Dies umfasst unter anderem die Bereiche Binnenmarkt, Agrarpolitik, Energiepolitik, Verkehrspolitik, Umweltpolitik und Verbraucherschutz.
Bei einer unterstützenden Zuständigkeit (Art. 6 AEUV) kann die EU Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützen, koordinieren oder ergänzen, aber nicht selbst gesetzgeberisch tätig werden. Dies gilt unter anderem in den Bereichen Gesundheitspolitik, Industriepolitik, Bildungspolitik und Katastrophenschutz.
Zusätzlich genannt werden im Vertragstext (Art. 5 AEUV) die intergouvernementalen Bereiche Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik sowie in Art. 21 bis 46 EUV die Außen- und Sicherheitspolitik, in denen die EU Leitlinien festlegen kann, jedoch nur durch einstimmigen Beschluss der Mitgliedstaaten im Ministerrat."
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

Wähler hat geschrieben:(08 Jan 2020, 16:30)

Da hilft nur, grüne Parteien in der ganzen EU stärker zu wählen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten können durchaus auch gesetzgeberische nationale Spielräume nutzen.
Ich kenne das unter dem Stichwort "Subsidiarität". Auf Subsidiarität in der EU-Politik hat sich auch die gerade vereidigte - äh "ausgelobte" - neue schwarz-grüne Regierung in Österreich geeinigt. Nur: Gegen künstlich verbilligte Agrarprodukte im internationalen Handel helfen keine nationalen Gesetze. Es sei denn, man rückt gänzlich vom Prinzip der Marktwirtschaft ab. Da kommen auch die Agrarwirtschaften in den afrikanischen Ländern nicht gegen an.

Ich habe übrigens am Wochenende über Agrarministerin Klöckner gestaunt, die vor der beginnenden Agrarmesse die Handelsketten und Supermärkte kritisierte. Sind die es nicht, die die Fäden der Agrar-Preispolitik in der Hand haben? Die Leute mit billigen Agrarprodukten locken, damit die auch alle anderen angebotenen Schnäppchen kaufen? Und die Agrarproduzenten zur Billigproduktion zwingen? Und zur Inanspruchnahme von EU-Subventionen? Diese Abwärtsspirale muss irgendwann ein Ende haben.

Ein Teil des Insektenrückgangs hat damit zu tun, dass Mistkäfer und ähnliche Verwerter an den Arznei- und Futterdüngemittel-Rückständen im Kuhmist zugrunde gehen. Das Fleisch dürfen wir aber essen. Hauptsache viel und billig.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Nach dem BREXIT-Gerödele endlich einmal wieder etwas Konstruktives für die Weiterentwicklung der EU!

Die frisch angetretene EU-Kommission hat sich einen Umbau der EU und damit auch der EU-Verträge vorgenommen. Frau Dubravka Suidca, eine der Vizepräsidentinnen der van-der-Leyen-EU-Kommission hat angekündigt, die "Neugründung" der EU, wie sie Präsident Macron angeregt hatte, endlich in die Tat um zu setzen. Dazu will man 6 Bürgerkommissionen zu 200 ausgewählten Europäern zeitlich versetzt beraten lassen. Frau von-der-Leyen will außerdem die ganz große Bürgerbeteiligung mit online-Plattformen gestalten.

Als erste Lösungsideen wird an Parteilisten quer durch die Mitgliedsstaaten gedacht, und an Wahlkämpfe für das EU-Parlament, wonach dem Wahlsieger oder der Siegerkoalition das Zugriffsrecht auf Funktionen der EU-Kommission zusteht. Mein Eindruck: Dann wird man wohl das nationale Gleichgewicht auf dieser Ebene aushandeln müssen.

Weiterhin ist beabsichtigt, die Einstimmigkeit des EU-Ministerrats durch eine Mehrheitsentscheidung ab zu lösen, die dann für alle Partner in gleicher Weise an zu wenden ist.

Die Zuständigkeiten von EU-Kommission, EU-Ministerrat und EU-Parlament standen nicht auf diesem Zettel... sind also noch offen zur Ausgestaltung der EU.

Die Fachabteilungen der EU-Kommission (Zusammensetzung?) werden aus den diskutierten Vorschlägen in 2-Jahresfrist einen neuen EU-Vertrag erarbeiten, der dann den EU-Bürgern zur Abstimmung und Bewertung vorgelegt werden soll. Die Uhr der Bearbeitungsfrist beginnt ab 9. Mai 2020 zu ticken; also am 70. Jahrestag der Gründung der ersten Ansätze einer europäischen Gemeinschaft geht es los.

Wir Europäer können und dürfen uns auf eine spannende Zeit der Mitwirkung an der Neugestaltung der EU freuen. Unser Sozialsystem, unsere innere und äußere Sicherheit, unsere regionale und überregionale Zusammenarbeit für bessere Infrastrukturen und Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben, unser zugehöriges Staatsbürgerverständnis... und, und, und....

Ich freue mich darauf, und ich möchte nach Kräften daran mitwirken. Ich bin gespannt, wie das Problem der vielen Europäischen Sprachen in den online-Foren gelöst werden wird... Für die vorgeschlagenen Bürgerversammlungen der jeweils 200 Teilnehmer wird man sicher den Sprachendienst des EU-Parlaments einsetzen können... aber für 500 Mio Europäer mit erwünschter hoher Bürgerbeteiligung darf man schon neugierig sein.

Haben Sie, liebe Benutzer unseres Forums, Vorschläge, wie diese sprachliche Verständigung auf Bürgerebene gestaltet werden kann?
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Hört sich gut an. Mal sehen, ob die einschlägig bekannten widerborstigen Mitgliedsstaaten da mitmachen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Kohlhaas hat geschrieben:(16 Jan 2020, 13:23)

Hört sich gut an. Mal sehen, ob die einschlägig bekannten widerborstigen Mitgliedsstaaten da mitmachen.
An den Gesprächen werden sie sich schon beteiligen... immerhin sind erst einmal keine maßgeblichen Regierungsvertreter eingeladen. Jedenfalls verstehe ich Bürgerversammlungen und online-Plattformen so. Und dann wird man sehen, was sich die Menschen wünschen. Ich erwarte neuen Schwung in Richtung der Föderation europäischer Staaten. Wer sich dann der "Neugründung" verschließt, tut das ja auch sehr bewußt... und so kommt die EU dem anfänglichen Ziel der europäischen Einigung hoffentlich einige Schritte näher.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Maikel »

H2O hat geschrieben:(16 Jan 2020, 10:54)
Weiterhin ist beabsichtigt, die Einstimmigkeit des EU-Ministerrats durch eine Mehrheitsentscheidung ab zu lösen, die dann für alle Partner in gleicher Weise an zu wenden ist.
Mit solchen Mehrheitsentscheidungen ist die EU doch schon bisher gescheitert (z.B. Flüchtlingsverteilung).
Die betroffenen Länder werden sich also mit Händen und Füßen dagegen zu wehren wissen.
Die Fachabteilungen der EU-Kommission (Zusammensetzung?) werden aus den diskutierten Vorschlägen in 2-Jahresfrist einen neuen EU-Vertrag erarbeiten, der dann den EU-Bürgern zur Abstimmung und Bewertung vorgelegt werden soll.
Soll es tatsächlich eine bindende Abstimmung dazu unter allen EU-Bürgern geben?
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Maikel hat geschrieben:(16 Jan 2020, 14:04)

Mit solchen Mehrheitsentscheidungen ist die EU doch schon bisher gescheitert (z.B. Flüchtlingsverteilung).
Die betroffenen Länder werden sich also mit Händen und Füßen dagegen zu wehren wissen.
Bisher war die Weigerung ja auch vergleichsweise leicht zu begründen. Da hatten Staaten Verträge geschlossen, und Staaten bestanden auf ihrer Freiheit in Angelegenheiten, die sie selbst verpflichteten. Künftig dürfte der Widerstand schwieriger zu begründen sein, weil die EU sich auf einen Volkswillen berufen kann. Das EU-Parlament und die EU-Kommission rücken damit nähere an den Wähler heran als bisher. Kann also durchaus sein, daß es im Vorfeld der "Neugründung" tüchtig Krach gibt, vielleicht Drohungen mit -EXIT. Aber da müssen wir Europäer durch.
Soll es tatsächlich eine bindende Abstimmung dazu unter allen EU-Bürgern geben?
Na ja, wünschen würde ich mir das schon; dann wäre das Band zwischen den EU-Bürgern und den EU-Institutionen noch sehr viel enger. Lassen wir uns überraschen, wie der Hase läuft!
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

H2O hat geschrieben:(16 Jan 2020, 13:48)

An den Gesprächen werden sie sich schon beteiligen... immerhin sind erst einmal keine maßgeblichen Regierungsvertreter eingeladen. Jedenfalls verstehe ich Bürgerversammlungen und online-Plattformen so. Und dann wird man sehen, was sich die Menschen wünschen. Ich erwarte neuen Schwung in Richtung der Föderation europäischer Staaten. Wer sich dann der "Neugründung" verschließt, tut das ja auch sehr bewußt... und so kommt die EU dem anfänglichen Ziel der europäischen Einigung hoffentlich einige Schritte näher.
Ja, sicher, an der Willensbildung werden sie schon teilnehmen. Wenn es dann allerdings im Nachgang an die Änderung der EU-Verträge geht.... Dann kommt der Moment, da der Elefant das Wasser lässt. Meiner Einschätzung nach wird es notwendig sein, die Verträge so zu ändern, dass nicht mehr alle dann noch 27 zustimmen müssen. Es wird aber genauso notwendig sein, dass nicht mehr alle mitmachen müssen. 27 Nationen mit zum Teil so unterschiedlichen Interessen sind halt nicht leicht unter einen Hut zu bringen.

Aus meiner Sicht wäre folgende Konstruktion denkbar:

Es gibt eine "Basis-Mitgliedschaft" in der Union. Freizügigkeit (Reise- und Niederlassungsfreiheit), freier Warenverkehr im Inneren, gleiche Regeln für den Außenhandel, die dann auch gemeinsam vertreten werden, Agrarpolitik... etc.

Darüber hinaus steht es jedem Mitgliedsland frei, weitere "Angebote" zusätzlich dazu zu "buchen". Innere Sicherheit, äußere Sicherheit, einheitliche Tarif-Standards, Angleichung von Schul- und Hochschulausbildung..... etc.

An dieses System müsste dann allerdings der EU-Haushalt angepasst werden. Eine Verteilung von Geld nach dem Gießkannenprinzip kann es dann nicht mehr geben. Dann kann nur noch ein bestimmter Anteil des EU-Haushalts im Rahmen der "Basis-Mitgliedschaft" verteilt werden. Der Rest muss in die "Zusatzleistungen" fließen. Alternativ wäre noch denkbar, dass der Zahlungsaufwand aller Mitgliedsländer pauschal gesenkt wird und "Zusatzleistungen" dann entsprechend der Zahlungsfähigkeit der jeweiligen Länder dazu "gebucht" werden können. Ich vermute mal, dass die Frage dieser Geldflüsse die EU-Reform prägen werden. ;-)

Dass die Reform kommen muss, halte ich für unausweichlich.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Maikel »

H2O hat geschrieben:(16 Jan 2020, 16:40)Na ja, wünschen würde ich mir das schon; dann wäre das Band zwischen den EU-Bürgern und den EU-Institutionen noch sehr viel enger.
Sicher? Das wirst du wohl nur für den Fall wünschen, daß dieser neue EU-Vertrag in dem Referendum von den EU-Bürgern auch angenommen wird.

Bisher sind EU-Themen bei Referenden in einzelnen Staaten doch regelmäßig durchgefallen.
Deshalb ja auch der Lissabon-Vertrag, ohne Referenden, und nicht die geplante und ausgearbeitete EU-Verfassung.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Kohlhaas hat geschrieben:(16 Jan 2020, 17:49)

Ja, sicher, an der Willensbildung werden sie schon teilnehmen. Wenn es dann allerdings im Nachgang an die Änderung der EU-Verträge geht.... Dann kommt der Moment, da der Elefant das Wasser lässt. Meiner Einschätzung nach wird es notwendig sein, die Verträge so zu ändern, dass nicht mehr alle dann noch 27 zustimmen müssen. Es wird aber genauso notwendig sein, dass nicht mehr alle mitmachen müssen. 27 Nationen mit zum Teil so unterschiedlichen Interessen sind halt nicht leicht unter einen Hut zu bringen.

Aus meiner Sicht wäre folgende Konstruktion denkbar:

Es gibt eine "Basis-Mitgliedschaft" in der Union. Freizügigkeit (Reise- und Niederlassungsfreiheit), freier Warenverkehr im Inneren, gleiche Regeln für den Außenhandel, die dann auch gemeinsam vertreten werden, Agrarpolitik... etc.

Darüber hinaus steht es jedem Mitgliedsland frei, weitere "Angebote" zusätzlich dazu zu "buchen". Innere Sicherheit, äußere Sicherheit, einheitliche Tarif-Standards, Angleichung von Schul- und Hochschulausbildung..... etc.

An dieses System müsste dann allerdings der EU-Haushalt angepasst werden. Eine Verteilung von Geld nach dem Gießkannenprinzip kann es dann nicht mehr geben. Dann kann nur noch ein bestimmter Anteil des EU-Haushalts im Rahmen der "Basis-Mitgliedschaft" verteilt werden. Der Rest muss in die "Zusatzleistungen" fließen. Alternativ wäre noch denkbar, dass der Zahlungsaufwand aller Mitgliedsländer pauschal gesenkt wird und "Zusatzleistungen" dann entsprechend der Zahlungsfähigkeit der jeweiligen Länder dazu "gebucht" werden können. Ich vermute mal, dass die Frage dieser Geldflüsse die EU-Reform prägen werden. ;-)

Dass die Reform kommen muss, halte ich für unausweichlich.
Vielleicht geht es wirklich nicht anders!

Wie wir aus dem BREXIT-Theater gelernt haben, ist der gemeinsame Binnenmarkt das dicke Pfund der EU. Das wäre dann so, wie man das mit Norwegen und der Schweiz hält. Teilnahme ja, Kostenbeteiligung an den Marktkontrollen ja, aber Stimmrechte zu weiter gehenden Entwicklungen der Kern-EU nein. Die Stimmrechte sind dem Kern vorbehalten, der sich zu stetig weiter gehender Übertragung von Hoheitsrechten auf die Kerngemeinschaft verständigt hat; vielleicht schmeckt das Konzept auch den Briten wieder!

Ziele der Kerngemeinschaft: gemeinsame Währung, Harmonisierung der Wirtschaft, fairer Finanzausgleich für die gemeinsame Entwicklung der Sozialstaatlichkeit, gemeinsame innere und äußere Sicherheit und Außenpolitik, gemeinsame EU-Staatsbürgerschaft, gemeinsame Außengrenze mit Zoll- und Grenzkontrollen. Nicht alles sofort, sondern nach einem gemeinsamen "Fahrplan".

Meine Hoffnung: Mit einem wirtschaftlich und politisch erfolgreichen Kern werden zunehmend Mitglieder im Binnenmarkt bestrebt sein, auch Mitglieder der Kerngemeinschaft zu sein... aber nur zu deren Bedingungen und Zielsetzungen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Maikel hat geschrieben:(16 Jan 2020, 18:18)

Sicher? Das wirst du wohl nur für den Fall wünschen, daß dieser neue EU-Vertrag in dem Referendum von den EU-Bürgern auch angenommen wird.

Bisher sind EU-Themen bei Referenden in einzelnen Staaten doch regelmäßig durchgefallen.
Deshalb ja auch der Lissabon-Vertrag, ohne Referenden, und nicht die geplante und ausgearbeitete EU-Verfassung.
Das alles wird man erst einschätzen können, wenn die europäischen Bürgergespräche stattgefunden haben. Die Lage danach ist nicht vergleichbar mit dem alten Vorgehen der Staaten, wo nationalen Regierungen "Denkzettel" verpaßt werden sollten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(16 Jan 2020, 13:48)

An den Gesprächen werden sie sich schon beteiligen... immerhin sind erst einmal keine maßgeblichen Regierungsvertreter eingeladen. Jedenfalls verstehe ich Bürgerversammlungen und online-Plattformen so. Und dann wird man sehen, was sich die Menschen wünschen. Ich erwarte neuen Schwung in Richtung der Föderation europäischer Staaten. Wer sich dann der "Neugründung" verschließt, tut das ja auch sehr bewußt... und so kommt die EU dem anfänglichen Ziel der europäischen Einigung hoffentlich einige Schritte näher.
Was ist denn aus den 5 Szenarien zur Zukunft Europas der alten EU-Kommission geworden? Wurde das alles stillschweigend beerdigt und die neue EU-Komission versucht mal einen Ansatz von unten? Was immer da rauskommt, am Ende müsste auf Basis der bisherigen Procedere entschieden werden ob man andere Procedere zulässt. Z. B. würde mich extrem wundern wenn sich der Ministerrat die Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen aus der Hand nehmen lässt, egal wieviele Bürger das fordern. Heute waren laut Umfragen fast zwei Drittel der Bundesbürger beim Thema Organspende für die Lösung von Hrn Spahn, das hat die Bundestagsabgeordneten aber nicht interessiert, die haben sich für die andere Lösung entschieden.

Diese ganzen Bottom-Up-Ansätze bringen gar nichts. Da machen sowieso nur ein paar engagierte Leute mit, die aber in den seltensten Fällen den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentieren. Und entscheidet tatsächlich mal das Volk, z. B. durch ein Referendum, werden von interessierter Seite Kampagnen gefahren deren Inhalte mit der Realität nichts zu tun haben (s. BREXIT). Aus meiner Sicht wäre es sinnvoller das bisherige Procedere auch für einen neuen EU-Vertrag beizubehalten. Mit einer Ausnahme. Für die Verhandlungen über einen neuen EU-Vertrag muss es ein Enddatum geben. Wird man sich bis zum Enddatum nicht einig darf ab diesem Zeitpunkt kein einziger Cent mehr auf EU-Ebene fließen bis eine gemeinsame Lösung vorliegt. Das erhöht die Kompromissbereitschaft erheblich.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

@ Orbiter1:

Seit es in der EU grundsätzlichen Widerstand gibt, konnte man auf Staatsebene wenig bewegen. Ich finde den ursprünglich auf Präsident Macron zurück gehenden "Bürgerdialog" gar nicht so schlecht, mit dem er das europäische Projekt wieder beleben will. Wie man den Bürgerdialog zusammentrommelt... wird man sehen müssen. Man sollte annehmen, daß sich in fünf Staffeln jeweils 200 Leute treffen, denen das europäische Projekt eine Herzenssache ist.

Man sollte also diesem Ansatz "von unten" eine Chance geben. Wenn er mißlingt, dann wissen wir wenigstens, daß das europäische Projekt auch auf diese Weise nicht vom Fleck kommt, daß wir Europäer keine staatenähnliche Gemeinschaft erreichen möchten.

Das wäre der Versuch, die Gemeinschaft insgesamt über die neue Ziellinie zu führen.

Der nächste Versuch wäre dann, diesen Weg mit dazu gewillten Partnern gehen zu wollen. Dieser Ansatz geht auf Präsident Hollande zurück. Also weitere Integrationsschritte nur mit dieser Gruppe zu gehen, in der allein die Errungenschaften der EU wirksam bleiben. Ansonsten eine Gemeinschaft und ein Markt mit den Rechten und Pflichten, wie sie Norwegen für sinnvoll hält. Auch das könnte nach einer in allen Mitgliedsstaaten durchgeführten Volksabstimmung über die neue EU-Verfassung abhängig vom Abstimmungsergebnis eingeleitet werden.

Ohne die sichere Zustimmung der EU-Bürger ist die europäische Einigung schon auf derzeitiger Höhe nicht zu halten. Wachsender Verdruß über die Ziellosigkeit der EU wird sie sprengen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

SZ 16. Januar 2020 Europäische Union:Reformkonferenz mit Bürgern
https://www.sueddeutsche.de/politik/eur ... -1.4759342
"Die Resolution, die von Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen sowie Grünen und Linken unterstützt wurde, fordert mehr als eine Reform des Wahlsystems. Die Bürger sollen über Klimakrise, europäische Werte, Grundrechte und Grundfreiheiten oder Sicherheit und die Rolle der EU in der Welt diskutieren und Vorschläge machen; auch Vertragsänderungen werden nicht ausgeschlossen."
Der Lissabon-Vertrag bleibt weiterhin die Arbeitsgrundlage der EU. Der Dialog mit den Bürgern wird hoffentlich die öffentliche Meinungsbildung in der EU stärken.
Zeitungstexte bei Genios mit Bibliotheksausweis kostenlos: https://www.wiso-net.de/login?targetUrl=%2Fdosearch (Zugang auch bundesweit)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Wähler hat geschrieben:(17 Jan 2020, 16:43)

Der Lissabon-Vertrag bleibt weiterhin die Arbeitsgrundlage der EU. Der Dialog mit den Bürgern wird hoffentlich die öffentliche Meinungsbildung in der EU stärken.
Die EU weiß doch seit Jahrzehnten durch regelmäßige Umfragen welche Themen den EU-Bürgern auf den Nägeln brennen und was sie sich von der EU wünschen. Die EU-Parlamentarier und der Ministerrat sollten gefälligst mal ihren Job machen und umsetzen was gefordert wurde. Stattdessen wird der Ball an die Bürger zurückgespielt und die Verantwortung abgetreten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(17 Jan 2020, 17:24)

Die EU weiß doch seit Jahrzehnten durch regelmäßige Umfragen welche Themen den EU-Bürgern auf den Nägeln brennen und was sie sich von der EU wünschen. Die EU-Parlamentarier und der Ministerrat sollten gefälligst mal ihren Job machen und umsetzen was gefordert wurde. Stattdessen wird der Ball an die Bürger zurückgespielt und die Verantwortung abgetreten.
Sie würden mir mein Leben erleichtern, wenn Sie mir darlegten, was 500 Mio EU-Bürger sich von der EU wünschen! Was ich mir ersehne, das ist mir klar. Was sich meine Freunde (Polen, Griechenland, Türkei (!), Italien, Frankreich, Belgien, Großbritannien) erhoffen, wohl ebenso, wenn die mir nicht nach dem Munde reden. Ich finde es gut, wenn die nun alle offen bekennen sollen, wie sich die EU weiter entwickeln soll.

Dann haben die handelnden Politiker Staat für Staat ein klares Bekenntnis vor Augen, dem sie sich kaum verweigern könnten. Denn die Menschen werden sie ja fragen, weshalb sie sich dem Wunsch verweigern, und weshalb sie diesen Gedanken aus den Bürgergesprächen heraus gehalten haben... wenn er dort nicht behandelt wurde.

Bisherige Einwände gegen die Entwicklung der EU wurden überwiegend mit dem viel zu undemokratischen Entstehen von Beschlüssen begründet. Nun versucht es die EU-Kommission einmal mit Bürgergesprächen à la Macron, und das ist jetzt auch nicht richtig? Ich brauche jetzt mein Beißholz! ;)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(17 Jan 2020, 16:43)
SZ 16. Januar 2020 Europäische Union:Reformkonferenz mit Bürgern
https://www.sueddeutsche.de/politik/eur ... -1.4759342
"Die Resolution, die von Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen sowie Grünen und Linken unterstützt wurde, fordert mehr als eine Reform des Wahlsystems. Die Bürger sollen über Klimakrise, europäische Werte, Grundrechte und Grundfreiheiten oder Sicherheit und die Rolle der EU in der Welt diskutieren und Vorschläge machen; auch Vertragsänderungen werden nicht ausgeschlossen."
Der Lissabon-Vertrag bleibt weiterhin die Arbeitsgrundlage der EU. Der Dialog mit den Bürgern wird hoffentlich die öffentliche Meinungsbildung in der EU stärken.
Orbiter1 hat geschrieben:(17 Jan 2020, 17:24)
Die EU weiß doch seit Jahrzehnten durch regelmäßige Umfragen welche Themen den EU-Bürgern auf den Nägeln brennen und was sie sich von der EU wünschen. Die EU-Parlamentarier und der Ministerrat sollten gefälligst mal ihren Job machen und umsetzen was gefordert wurde. Stattdessen wird der Ball an die Bürger zurückgespielt und die Verantwortung abgetreten.
Was brennt denn den EU-Bürgern durchschnittlich auf den Nägeln? Wer hat da welche Umfragen national oder EU-weit gemacht?
Siehe zum Beispiel: Umfrage in Deutschland: Bearbeitung von Politikfeldern auf europäischer oder nationaler Ebene 2019
https://de.statista.com/statistik/daten ... ler-ebene/
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Wähler hat geschrieben:(18 Jan 2020, 06:50)

Was brennt denn den EU-Bürgern durchschnittlich auf den Nägeln? Wer hat da welche Umfragen national oder EU-weit gemacht?
Die Informationen was den EU-Bürgern, beginnend mit dem Jahr 1973, auf den Nägeln brennt finden sie im "Eurobarometer" der EU.

"Die Meinungsumfragen erstrecken sich auf ein weites Themenspektrum, wobei die Schwerpunkte darauf liegen, wie die Bürger das Handeln der EU wahrnehmen, was sie diesbezüglich erwarten und welche wichtigen Herausforderungen sie für die Union sehen. In den Umfragen werden außerdem die Haltung der Bürger zur EU und zum Europäischen Parlament ausführlich erfragt und die Ansichten der Öffentlichkeit bezüglich der Wahlen zum Europäischen Parlament genau beobachtet. Da die Umfragen bereits seit geraumer Zeit durchgeführt werden, eröffnet sich durch die Auswertung ihrer Ergebnisse ein umfassender Einblick in die Trends und Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Meinung zu EU-Themen, und zwar sowohl national als auch sozial und demographisch aufgeschlüsselt." Quelle: https://www.europarl.europa.eu/at-your- ... obarometer

Alleine die aktuelle Ausgabe der sozio-demografischen Trends ist eine gezippte PDF-Datei die 146 MB groß ist. Und das ist nur ein Ausschnitt der Umfragen. Da kommt man dann z. B. zu der Erkenntnis das der Kampf gegen den Klimawandel in 19 EU-Staaten gar nicht die höchste Priorität der Bürger hat. Da sind andere Themen wie z. B. die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die illegale Migration oder der Schutz der Außengrenzen wichtiger.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(18 Jan 2020, 06:50)
Was brennt denn den EU-Bürgern durchschnittlich auf den Nägeln? Wer hat da welche Umfragen national oder EU-weit gemacht?
Siehe zum Beispiel: Umfrage in Deutschland: Bearbeitung von Politikfeldern auf europäischer oder nationaler Ebene 2019
https://de.statista.com/statistik/daten ... ler-ebene/
Orbiter1 hat geschrieben:(18 Jan 2020, 08:56)
Quelle: https://www.europarl.europa.eu/at-your- ... obarometer
Da kommt man dann z. B. zu der Erkenntnis das der Kampf gegen den Klimawandel in 19 EU-Staaten gar nicht die höchste Priorität der Bürger hat. Da sind andere Themen wie z. B. die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die illegale Migration oder der Schutz der Außengrenzen wichtiger.
Die Umfragen wurden anscheinend pro Land durchgeführt. Woraus geht denn der EU-weite Durchschnitt hervor? Es geht doch gerade um eine gemeinsame EU-weite öffentliche Meinung.
Siehe zum Beispiel:
Welt 27. November 2019 Eine Mehrheit der Europäer unterstützt den Kurs von Ursula von der Leyen. Sie sorgen sich aber vor einem drohenden sozialen Abstieg
https://www.welt.de/print/welt_kompakt/ ... ngste.html
"Tatsächlich haben die Umweltthemen seit Ende vergangenen Jahres eine beeindruckende Karriere gemacht, sagt Studienleiterin Isabell Hoffmann von der Bertelsmann Stiftung. „Sehr lange hatte die Migrationspolitik für die EU-Bürger höchste Priorität“, sagt Hoffmann."
Hier die originale Studie:
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ ... wartungen/
Bertelsmann-Stiftung 2019: Die neue Europäische Kommission, ihre Ziele und die öffentliche Meinung in Europa
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fil ... tungen.pdf
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Transparency International hat seinen Korruptionsindex aktualisiert und erwartungsgemäß sind alle 6 Westbalkanstaaten die in die EU wollen weiter zurückgefallen. Inzwischen sind die folgenden afrikanischen Staaten an denen vorbeigezogen: Lesotho, Burkina Faso, Benin, Ghana, Marokko, Tunesien, Südafrika, Senegal, Sao Tome und Principe, Mauritius, Namibia, Ruanda, Kap Verde, Botswana, Seychellen. Und die folgenden afrikanischen Staaten haben nur noch Serbien vor sich, werden sie aber voraussichtlich nächstes Jahr schaffen: Gambia, Äthiopien und Tansania.

Hoffentlich bleibt Frankreich weiter standhaft und hält uns diese korrupten, nationalistischen nicht veränderungswilligen Westbalkanstaaten vom Hals. Der Fehler mit den Osteuropastaaten, die noch lange nicht reif für den Beitritt waren, darf sich nicht wiederholen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Diese Schlußfolgerung ziehe ich nicht. Vielmehr sehe ich die EU und die EU-Kommission in der Pflicht, jedes vertretbare Mittel anzuwenden, mit dem Korruption in Mitgliedsländern der EU geahndet werden kann... und es auch mit aller Härte ein zu setzen. Beitrittsbewerbern muß klar gemacht werden, daß sie keine Chance haben, wenn sie vor Beitrittsverhandlungen nicht verläßlich einige Jahre erträgliche Korruptionsindizes nachweisen können. Korruption ist in der Tat ein Thema der EU!
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(24 Jan 2020, 00:05)

Diese Schlußfolgerung ziehe ich nicht. Vielmehr sehe ich die EU und die EU-Kommission in der Pflicht, jedes vertretbare Mittel anzuwenden, mit dem Korruption in Mitgliedsländern der EU geahndet werden kann... und es auch mit aller Härte ein zu setzen. Beitrittsbewerbern muß klar gemacht werden, daß sie keine Chance haben, wenn sie vor Beitrittsverhandlungen nicht verläßlich einige Jahre erträgliche Korruptionsindizes nachweisen können. Korruption ist in der Tat ein Thema der EU!
Sie haben ja echt Humor. Dass es beim Thema Korruptionsbekämpfung massive Fortschritte geben muss wurde diesen Staaten vor 5 bis 10 Jahren bei den Anträgen zur EU-Mitgliedschaft mitgeteilt. Passiert ist das Gegenteil und es gab Rückschritte. Das gleiche gilt übrigens für Rumänien. Rumänien wurde 2007 in die EU aufgenommen, erfüllt aber laut EU-Kommission (Bericht vom Oktober 2019) bis heute nicht die Beitrittskriterien in den Bereichen Justizwesen und Korruptionsbekämpfung. Der Bedarf an Mitgliedstaaten dieser Art ist also bereits gedeckt. Da werden keine weiteren sechs benötigt. Die sollten sich Russland, China oder der Türkei anschließen. Da passen sie besser dazu.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Orbiter1 hat geschrieben:(23 Jan 2020, 23:31)
Hoffentlich bleibt Frankreich weiter standhaft und hält uns diese korrupten, nationalistischen nicht veränderungswilligen Westbalkanstaaten vom Hals. Der Fehler mit den Osteuropastaaten, die noch lange nicht reif für den Beitritt waren, darf sich nicht wiederholen.
Ich bin froh, dass Polen, Tschechien und Slowakei sowie Ungarn zur EU gehören. Auf Rumänien und Bulgarien hätte man womöglich verzichten wollen, doch in Rumänien leben Deutschstämmige und Bulgarien stellt mit Griechenland den EU-Grenzzaun gegen die Türkei. Insofern ist doch alles im Lot. (Die restlichen Staaten Ex-Jugoslawiens können noch eine Weile in der Sandwich-Lage verbleiben, bis in der EU bessere Zeiten angebrochen sind.)
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(24 Jan 2020, 00:41)

Sie haben ja echt Humor. Dass es beim Thema Korruptionsbekämpfung massive Fortschritte geben muss wurde diesen Staaten vor 5 bis 10 Jahren bei den Anträgen zur EU-Mitgliedschaft mitgeteilt. Passiert ist das Gegenteil und es gab Rückschritte. Das gleiche gilt übrigens für Rumänien. Rumänien wurde 2007 in die EU aufgenommen, erfüllt aber laut EU-Kommission (Bericht vom Oktober 2019) bis heute nicht die Beitrittskriterien in den Bereichen Justizwesen und Korruptionsbekämpfung. Der Bedarf an Mitgliedstaaten dieser Art ist also bereits gedeckt. Da werden keine weiteren sechs benötigt. Die sollten sich Russland, China oder der Türkei anschließen. Da passen sie besser dazu.
Nein, da habe ich nicht die Spur von "Humor". Die EU muß diesen Kampf aufnehmen, weil sie ansonsten einen Krankheitsherd züchtet, der auch bisher davor verschonte Partner erfassen dürfte. Verträge sind nicht nach Belieben eines Teilnehmers abwandelbar.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

SZ 29. Januar 2020 EU:Wer ergänzt Deutschland und Frankreich?
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.4773330
"Vestager schätzt, dass sich eine neue Dynamik entwickeln werde, "bei der vielleicht nicht ein Land, sondern sich ändernde Gruppen von Staaten" die Rolle des Antreibers übernehmen. Je nach Thema könne sich die Gruppe unterscheiden, aber es werde immer "diesen Drang geben, eine dritte Position zu schaffen", weil es sonst schwer würde für Deutschland und Frankreich, sich zu einigen.
Durch den Brexit verlässt auch jenes Land die EU, das sich bisher am klarsten für Freihandel eingesetzt und den in Frankreich und Südeuropa verbreiteten Neigungen zum Protektionismus widersetzt hatte. Die Niederlande versuchen seit knapp zwei Jahren, diese Position durch das informelle Netzwerk "Neue Hanse" zu vertreten und kooperieren vor allem in Finanzfragen mit Irland, Finnland, Schweden, Dänemark und den baltischen Staaten.
Auch militärisch wird die EU noch schwächer: Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betont, werden vom 1. Februar an 80 Prozent der Nato-Militärausgaben von Nicht-EU-Mitgliedern übernommen."

Hauptsache, es entsteht überhaupt eine konstruktive Dynamik.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Wähler hat geschrieben:(29 Jan 2020, 16:17)

SZ 29. Januar 2020 EU:Wer ergänzt Deutschland und Frankreich?
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.4773330
"Vestager schätzt, dass sich eine neue Dynamik entwickeln werde, "bei der vielleicht nicht ein Land, sondern sich ändernde Gruppen von Staaten" die Rolle des Antreibers übernehmen. Je nach Thema könne sich die Gruppe unterscheiden, aber es werde immer "diesen Drang geben, eine dritte Position zu schaffen", weil es sonst schwer würde für Deutschland und Frankreich, sich zu einigen.
Durch den Brexit verlässt auch jenes Land die EU, das sich bisher am klarsten für Freihandel eingesetzt und den in Frankreich und Südeuropa verbreiteten Neigungen zum Protektionismus widersetzt hatte. Die Niederlande versuchen seit knapp zwei Jahren, diese Position durch das informelle Netzwerk "Neue Hanse" zu vertreten und kooperieren vor allem in Finanzfragen mit Irland, Finnland, Schweden, Dänemark und den baltischen Staaten.
Auch militärisch wird die EU noch schwächer: Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betont, werden vom 1. Februar an 80 Prozent der Nato-Militärausgaben von Nicht-EU-Mitgliedern übernommen."

Hauptsache, es entsteht überhaupt eine konstruktive Dynamik.
Was Finke und Kolb dort schreiben, ist die eine Sicht der Dinge. Es gibt auch eine andere Sichtweise: Es war immer wieder Großbritannien, das sich einer weitergehenden Integration der EU-Staaten widersetzt und gemeinsame Initiativen zum Teil sogar blockiert hat, insbesondere im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. So gesehen schwächt es die EU nicht militärisch, wenn GB jetzt ausscheidet. GB hat sich in dieser Hinsicht ohnehin nie an "EU-Linien" gehalten, sondern lieber aus nationalen Gründen mit den USA kooperiert. Nebenbei: So furchtbar groß ist der militärische Beitrag, den London zur Nato geleistet hat, jetzt auch nicht. "Britannia rule the waves..." ist schon lange eine nostalgische Erinnerung.

Wenn Großbritannien am Freitag um 24 Uhr die EU verlässt, dann sind damit am Samstag um 0 Uhr auch einige "Bremsen" verschwunden. Dann muss die EU sich neu sortieren. Dann ist auch eine Partei weniger im Rennen, die Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Berlin in ihrem Sinne "steuern" konnte. Jetzt müssen sich Paris und Berlin neu zusammenraufen. Vielleicht funktioniert das ja besser, wenn die Störer in London nicht mehr dazwischenfunken können...

Da sehe ich aber nicht das eigentliche Problem im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich. Dieses eigentliche Problem wird in dem SZ-Text auch angesprochen: „Die deutschen Minister können wegen dauernder Uneinigkeit in der Koalition in Brüssel nur selten klare Positionen vertreten.“ Das zentrale Problem liegt nicht in Paris. Es liegt in Berlin. Schon seit Jahren.

In diesem „innereuropäischen Konflikt“ können andere Nationen vielleicht sogar besser vermitteln als GB das in der Vergangenheit tun wollte. An erster Stelle fällt mir da Italien ein. Italien hat ähnlich viele Einwohner wie GB, ist auch gut industrialisiert... Dann Spanien. Nicht viel „kleiner“. Dann noch Polen.

Der Abgang der Briten wird die EU meiner Meinung nach nicht schwächen.
Slava Ukraini
Liberty
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Liberty »

Wann werden wir eigentlich mal eine grundlegende Demokratisierung der EU erleben?

Die EU-Parlamentswahlen sind eine Farce, das Parlament sowieso der Umgang mit den Ergebnissen in den Hinterzimmern der Regierungschefs danach auch.

Ohne eine grosse Demokratiereform dürfte die EU kaum je an Attraktivität gewinnen.
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