Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

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Fliege
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Maikel hat geschrieben:(28 Mar 2021, 11:12)

Interview dazu mit Bernd Lucke, mit interessanten Details:
https://www.cicero.de/innenpolitik/euro ... bertolpeln
(Ich hoffe, es verschwindet nicht hinter Bezahlschranke)

Darin u.a.: "Ein Land, das sowieso überlegt, aus der EU auszutreten, hätte schnell einen triftigen finanziellen Anreiz, das zu tun. Denn es könnte sich schlagartig aller Verpflichtungen, diese EU-Schulden zu tilgen, entziehen. Natürlich zu Lasten der verbleibenden Mitgliedsstaaten."
Ohnehin erwarte ich einen weiteren Zerfall der EU und zwar nicht nur durch Austritt von Ländern im Norden wie Polen.

Einerseits würde sich Polen, wie Lucke anmerkt, beträchtliche laufende Ausgaben für marode EU-Südländer sparen. Zudem könnte Polen ohne EU-Gängeleien stark von der missratenen deutschen Energiewandlerei profitieren, denn Deutschland wird polnischen Kohlestrom zunehmend benötigen, den Polen gern zu liefern bereits sein dürfte. (Dazu braucht Polen einen weiterhin guten Draht in die USA zur Gewährleistung militärischer Sicherheit gegen Russland.)

Andererseits sehe ich Verwerfungen aus Frankreich auf die EU zukommmen. Macrons Islampolitik ("Radikale Islamisten erobern Problemviertel"), gepaart mit seiner Coronapolitik ("Immer weniger Franzosen halten Emmanuel Macron für einen fähigen Präsidenten"), könnte Marine le Pen in Jahresfrist ins Präsidentenamt bringen: "Vor der Präsidentenwahl 2022 – Marine Le Pen überholt Präsident Macron". Schon im letzten Präsentschaftswahlkampf versprach le Pen den Franzosen ein "Referendum über EU-Austritt".

Und so befürchte ich: Die EU zerplatzt und für Deutschland verwirklichen sich die enormen EU-Haftungsrisiken.
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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H2O
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Fliege hat geschrieben:(28 Mar 2021, 12:55)
...
... Die EU zerplatzt und für Deutschland verwirklichen sich die enormen EU-Haftungsrisiken.
Horrorgemälde... fehlt nur noch der Weltuntergang. Ich würde mir für einen solchen völligen Zusammenbruch derzeit überhaupt kein Ausstiegsszenarium Deutschlands überlegen, sondern die Zuversicht äußern, daß es nie und nimmer zu diesem Wahnsinn kommt. Wenn der Wahnsinn sich ernsthaft ankündigt, dann bleibt noch Zeit genug, mit den Partnern in der EU einen Weg in die Zukunft zu überlegen.
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Fliege
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

H2O hat geschrieben:(28 Mar 2021, 18:22)

Horrorgemälde... fehlt nur noch der Weltuntergang. Ich würde mir für einen solchen völligen Zusammenbruch derzeit überhaupt kein Ausstiegsszenarium Deutschlands überlegen, sondern die Zuversicht äußern, daß es nie und nimmer zu diesem Wahnsinn kommt. Wenn der Wahnsinn sich ernsthaft ankündigt, dann bleibt noch Zeit genug, mit den Partnern in der EU einen Weg in die Zukunft zu überlegen.
Falls sich auch Polen und Frankreich von der EU wegorientieren sollten, sehe ich nicht mehr viel Spielraum, um "mit den Partnern in der EU einen Weg in die Zukunft zu überlegen" -- außer man möchte die deutsch-italienische Achse reaktivieren.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Vongole »

Fliege hat geschrieben:(28 Mar 2021, 19:37)

Falls sich auch Polen und Frankreich von der EU wegorientieren sollten, sehe ich nicht mehr viel Spielraum, um "mit den Partnern in der EU einen Weg in die Zukunft zu überlegen" -- außer man möchte die deutsch-italienische Achse reaktivieren.
Weder Polen noch Frankreich werden das tun. Die Polen sind immer noch europafreundlich, auch aus Angst vor Putin, und Le Pen würde mit einem Referendum krachend scheitern.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Vongole hat geschrieben:(28 Mar 2021, 19:43)

Weder Polen noch Frankreich werden das tun. Die Polen sind immer noch europafreundlich, auch aus Angst vor Putin, und Le Pen würde mit einem Referendum krachend scheitern.
Für Polen kann ich das bestätigen. Jede Umfrage hat bisher eine Zustimmung zur EU in der Größenordnung 85% der Befragten ergeben.

In Frankreich wurden bisher sämtliche Europathemen zum Abstrafen handelnder französischer Politiker mißbraucht. Aber ich will nicht ausschließen, daß die französische Rechte mit solchen Tricks wie in GB eine Wut schürt, die den relativen Bedeutungsverlust Frankreichs auf die EU zurück führt... man sich also auch wie GB gern als Weltmacht mit ständigem Sitz im Weltsicherheitsrat sieht.

Als Folge davon käme wohl viel mehr zum Einsturz als "nur" die EU; die gewachsene Zweisamkeit Deutschland Frankreich wäre dann wohl auch dahin... in der EU, in der Verteidigung, in der Verflechtung großer Industriekomplexe.

Kurzum: Mit diesem Weltuntergangsszenarium befasse ich mich erst dann, wenn es sich ernsthaft abzeichnet. Derzeit halte ich das Szenarium für einen Wahnsinn und ein Hirngespinst.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Das Verfahren dürfte die Einführung der EU-Corona-Anleihen um Monate verzögern:
Eurotopics 30. März 2021 Karlsruhe stoppt Corona-Hilfspaket, Europa staunt
https://www.eurotopics.net/de/258749/ka ... opa-staunt
Financial Times
„Das Gericht hat in den vergangenen 20 Jahren das Wahlrecht und den Grundsatz der staatlichen Haushaltssouveränität - zwei unveränderbare Grundsätze der deutschen Verfassung - extrem interpretiert. Gleichzeitig hat es anderen Elementen der Verfassung, bei denen es um die Übertragung von Befugnissen an die EU zum Zwecke der EU-Integration geht, wenig Bedeutung geschenkt."
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Wähler hat geschrieben:(30 Mar 2021, 16:10)

Das Verfahren dürfte die Einführung der EU-Corona-Anleihen um Monate verzögern:
Eurotopics 30. März 2021 Karlsruhe stoppt Corona-Hilfspaket, Europa staunt
https://www.eurotopics.net/de/258749/ka ... opa-staunt
Financial Times
„Das Gericht hat in den vergangenen 20 Jahren das Wahlrecht und den Grundsatz der staatlichen Haushaltssouveränität - zwei unveränderbare Grundsätze der deutschen Verfassung - extrem interpretiert. Gleichzeitig hat es anderen Elementen der Verfassung, bei denen es um die Übertragung von Befugnissen an die EU zum Zwecke der EU-Integration geht, wenig Bedeutung geschenkt."
Es ist aus rechtsstaatlicher Perspektive zu begrüßen, dass verbotene EU-Gemeinschaftshaftung (Sinn: "Eigentlich ist so etwas ja verboten durch die Maastrichter Verträge") zunächst, wie du sagst, "verzögert" und letztlich, wie ich hoffe, gar nicht zustande kommt. Ohne verbotene EU-Gemeinschaftshaftung braucht der deutsche Bundestag auch nicht GG-widrig sein Budgetrecht verraten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Maikel »

Wähler hat geschrieben:(30 Mar 2021, 16:10)

Das Verfahren dürfte die Einführung der EU-Corona-Anleihen um Monate verzögern:
Eurotopics 30. März 2021 Karlsruhe stoppt Corona-Hilfspaket, Europa staunt
Das es dagegen eine Klage beim BVG geben würde, war ja zu erwarten gewesen. Warum haben Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat deren Entscheidung denn so lange "verzögert"?
Innerhalb der GroKo gab es doch wohl keine Zweifel an der Entscheidung, man hätte also schon viel früher zustimmen können. Dann hätte das BVG in Ruhe darüber verhandeln können.

Ich vermute in der späten Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat eine Strategie, damit jetzt "von allen Seiten" Druck auf das BVG ausgeübt wird.
Zuletzt geändert von Maikel am Mi 31. Mär 2021, 08:35, insgesamt 1-mal geändert.
Die menschliche Sprache ist einzigartig, aber nicht eindeutig.
Jeder Versuch, sich mitzuteilen, kann nur mit dem Wohlwollen der anderen gelingen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von H2O »

Wir sollten die deutschen Befindlichkeiten nicht zu hoch aufhängen. In Polen streiten sich Regierung und Opposition um die Zustimmung zur Wiederaufbauhilfe (genauer: Um die förderungswürdigen Vorhaben, die damit finanziert werden sollen). Kommen beide Seiten nicht zu einem gemeinsamen Beschluß, dann ist das EU-Paket gescheitert... kann das BVG entscheiden, was immer es möchte.

Die Sorgenkinder Griechenland und Italien planen schon mit den Geldern, die sie sich aus dem Hilfsfonds erhoffen.

Ungarn und Polen soll die unentschiedene Lage angeblich auf Dauer Recht sein. So lange hat die EU keine Möglichkeit, diese Vertragsbrüchigen finanziell über Gelder aus dem EU-Haushalt unter Druck zu setzen.

Das berichtete der DLF in seinem Nachtprogramm 2021-03-31.
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King Kong 2006
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von King Kong 2006 »

Die EU ist da kaum signifikant reformierbar. Deshalb wäre eine Kern-EU wettbewerbsfähiger. "Dracon" (Draghi und Macron) womöglich nach Merkel das neue Führungsduo?
Wettbewerb der Systeme

No time for Losers

Eine Kolumne von Henrik Müller

China führt, die USA ziehen nach, Europa ist noch gar nicht losgelaufen: Andere Wirtschaftsräume sind längst dabei, den Corona-Einbruch aufzuholen, doch Europa durchleidet den nächsten Shutdown.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/unter ... 27fecfa81b
Mit etwas Pech wird die EU zu einer Melkuh wie die arabischen Staaten der arabischen Halbinsel. Gut, um Business zu machen, aber sonst bitte Mund halten, sonst gibts Ärger. Der EU fehlt neben der Struktur anders als den USA oder China auch der Wille zur Macht.
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
Wissen stellt eine Barriere dar, die einen daran hindert, etwas in Erfahrung zu bringen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von schokoschendrezki »

King Kong 2006 hat geschrieben:(06 Apr 2021, 09:54)

Die EU ist da kaum signifikant reformierbar. Deshalb wäre eine Kern-EU wettbewerbsfähiger. "Dracon" (Draghi und Macron) womöglich nach Merkel das neue Führungsduo?



Mit etwas Pech wird die EU zu einer Melkuh wie die arabischen Staaten der arabischen Halbinsel. Gut, um Business zu machen, aber sonst bitte Mund halten, sonst gibts Ärger. Der EU fehlt neben der Struktur anders als den USA oder China auch der Wille zur Macht.
Die EU ist auch tatsächlich eine Melkkuh. Mit zwei wichtigen Zitzen, wenn man es so ausdrücken will. Der gemeinsamen Agrarpolitik und dem entsprechenden Agrarhaushalt. Und dem Infrastrukturfond. Was da aus dem größeren Posten, dem Agrarhaushalt "herausgemolken" wird, bleibt in der politischen Diskussion häufig irgendwie unter der Sichtlinie. Bei den Infrastrukturhilfen siehts schon anders aus. Es gibt jüngere Berichte darüber, dass gerade in den letzten zwei Jahren die Abzweigung von EU-Geldern für die Orbán-Klicke nahezu epidemische Ausmaße angenommen hat. Es handelt sich bei dieser Klicke um Familienmitglieder (Tochter, Vater) und die engsten Fidesz-Freunde. Die sogenannten "Unberührbaren". Vater und Tochter etwa betreiben eine Baufirma. Es wurden erst jüngst Berichte darüber publik, dass die Tocher ein großes Touristikhotel am Neusiedler See direkt an der Grenze zum österreichischen Burgenland baut. Dass einerseits aufgrund solcher Aktivitäten die Region möglicherweise ihren Weltkulturerbestatus verliert. Dass aber andererseits der Ausbau solcher touristischen Zentren, wenn sie denn die entsprechenden Auflagen erfüllen, und das tun sie, rein formal durchaus den Förderkriterien der EU entsprechen. Es kommt nur niemand anders an die Aufträge heran außer die "Unberührbaren".

Jetzt muss man allerdings folgendes beachten: Für die zweistellige Anzahl von "Unberührbaren" sind die EU-Infrastrukturgelder eine gewaltige Summe. Im Vergleich zur ganzen Volkswirtschaft aber keineswegs. Die Baufirma von Orbáns Vater im ostungarischen Debrecen steht in überhaupt keinem Verhältnis zum großen BMW-Werk das dort seit 2020 errichtet wird. Diese unterschiedlichen Größenverhältnisse muss man im Hinterkopf behalten, wenn man die politische Entwicklung im Auge behalten will. Für das politische Klima ist die Korruption verheerend. Es kommt noch hinzu, dass bei dieser gelenkten Auftragsvergabe der FIDESZ-treue ländliche Raum bevorzugt wird und damit ein System von Unterstütztern aufgebaut wird. Das wirtschaftliche und das INvestitionsklima wird davon nur sehr marginal beeinflusst.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von King Kong 2006 »

Martin Weber fordert, daß die EU sich auf die harte Realität da draussen besser vorbereiten müsse.
Nachdem Recep Tayyip Erdoğan Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch düpierte, hat nun Europapolitiker Manfred Weber die Situation kommentiert: Die EU-Außenpolitik müsse sich besser auf die harten Realitäten vorbereiten.
Michel wird kritisiert, weil er bei dem öffentlichen Auftritt die Vorgaben der Sitzordnung mitgemacht und sich nicht für eine Gleichbehandlung von der Leyens eingesetzt hatte. Von der Leyen hat nach Angaben aus der EU-Kommission Michel inzwischen deutlich gemacht, dass sie eine solche Situation nie wieder zulassen werde. Michel hat Bedauern ausgedrückt.

Der Zwischenfall in Ankara lasse an Michels Eignung für sein Amt als Ratspräsident zweifeln, sagte der Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan der dpa. »Michel ist für mich tatsächlich auf Probe. Er hat sich außenpolitisch vor den Karren von Erdogan spannen lassen.

https://www.spiegel.de/politik/ausland/ ... e2d60ecc06
Nach dem katastrophalen Erscheinungsbild der EU bei Nordstream 2, den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Iran nachzukommen, bei denen die Unfähigkeit Eigenständig neben großen Mächten handeln zu können eindrucksvoll demonstriert wurde, oder der Unfähigkeit nicht mal geschlossenen in Istanbul auftreten zu können, halte ich das eher für einen frommen Wunsch von Weber.

Die EU kann niemand ernst nehmen.

Da müssen viele Hausarbeiten gemacht werden. Sie kann weder ihre Interessen verteidigen noch nicht mal eine Sitzordnung hinbekommen. :s
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Ein erster Hauch von gemeinsamer Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene seit langer Zeit:
SZ 27. April 2021 Berlin und Paris beschließen Zukunftspakt
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.5277969
"Scholz und Le Maire gelten als Erfinder des Wiederaufbaufonds, er steht für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Europapolitik...
Das Bundeskabinett hatte am Vormittag den deutschen Reformplan beschlossen, der im Wesentlichen die im Konjunkturpaket im vergangenen Juni beschlossenen Klimaschutz- und Digitalisierungsmaßnahmen umfasst...
Frankreich und Deutschland wollen sich zudem um die Entwicklung der Wasserstofftechnologie, Batteriezellen, künstliche Intelligenz und Clouds kümmern."
Zuletzt geändert von Wähler am Do 29. Apr 2021, 05:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Wähler hat geschrieben:(28 Apr 2021, 07:45)

Ein erster Hauch von gemeinsamer Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene:
SZ 27. April 2021 Berlin und Paris beschließen Zukunftspakt
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.5277969
"Scholz und Le Maire gelten als Erfinder des Wiederaufbaufonds, er steht für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Europapolitik...
Das Bundeskabinett hatte am Vormittag den deutschen Reformplan beschlossen, der im Wesentlichen die im Konjunkturpaket im vergangenen Juni beschlossenen Klimaschutz- und Digitalisierungsmaßnahmen umfasst...
Frankreich und Deutschland wollen sich zudem um die Entwicklung der Wasserstofftechnologie, Batteriezellen, künstliche Intelligenz und Clouds kümmern."
Ich begrüße sehr, was da gerade vereinbart wurde. Aber das ist kein "erster Hauch". Die Vereinigung Europas hat mit der Montanunion begonnen. Das war eine sehr umfassende Vereinbarung zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik im Bereich Kohle und Stahl. Auch geschlossen zwischen Deutschland und Frankreich. Die Achse Paris-Berlin war immer der "Motor" der europäischen Vereinigung. Meiner Ansicht nach sollte man diese Achse unbedingt noch bis Warschau verlängern, aber das ist ja aktuell mit den PIS-Pissern nicht machbar. Aber egal, anderes Thema...

Die Vereinbarung, die da gerade geschlossen wurde, ist meiner Einschätzung nach ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Deutschland und Frankreich nähern sich immer weiter aneinander an. Das muss auch so sein. Ich persönlich hoffe, dass diese Annäherung noch weiter Fahrt aufnimmt, wenn endlich diese paralysierte GroKo-Regierung abgedankt hat.

Wir müssen uns natürlich damit abfinden, dass mit solchen Vereinbarungen quasi "heimlich" und "mittelbar" eine Vergemeinschaftung von Schulden eingeführt wird. Das galt in der EU immer als "Nogo". Ich selbst habe damit kein großes Problem. Das wäre nur sowas wie der deutsche Länderfinanzausgleich übertragen auf die europäische Ebene. Und anders wird es letztlich auch nicht gehen. Natürlich nicht von heute auf morgen. Das wird noch Jahrzehnte dauern. Aber es ist richtig, dass Deutschland und Frankreich jetzt einen weiteren Schritt in diese Richtung machen. Mögen die "Anderen" folgen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Wähler hat geschrieben:(28 Apr 2021, 07:45)

Ein erster Hauch von gemeinsamer Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene
Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik gibt es auf EU-Ebene seit Jahrzehnten. Hier soll ohne jegliche Legitimation eine gemeinsame Finanzpolitik und eine Schuldenunion eingeführt werden. Dazu wird ein Passus im EU-Vertrag mißbraucht der bei einer Naturkatastrophe oder einem Notfall Unterstützung durch andere Staaten möglich macht, wobei von der Pandemie ja alle Staaten betroffen sind. Es geht aber gar nicht um Unterstützung im Notfall sondern um die Finanzierung ganz gewöhnlicher Infrastukturprojekte z. B. im Bereich Digitalisierung oder Erneuerbare Energien. Das es sich nicht um Unterstützung im Notfall handelt ist schon daran erkennbar dass die Gelder über einen Zeitraum von 5 Jahren ausgegeben werden. Was hat der Bau von Photovoltaikanlagen in Spanien im Jahr 2026 mit der Pandemie 2020/21 zu tun? Absolut gar nichts!

Man kann nur hoffen dass das Bundesverfassungsgericht diesen exzessiven Mißbrauch der EU-Gesetze noch rechtzeitig stoppt. Andernfalls wird die Unterstützung im Notfall massiv ausgebaut. Irgendein Staat ist immer in Not. Italien wird dieses Jahr bei der Staatsverschuldung die Marke von 160% des BIP überschreiten. Da werden natürlich Idioten außerhalb Italiens gesucht die diese Schulden bezahlen, ansonsten müsste man gegen die exzessive Steuerhinterziehung im Inland vorgehen. Und das wird definitiv nicht passieren. Idioten im Ausland zu finden ist erheblich einfacher. Deutschland hat sich bereits zum größten Idioten erklärt und verschenkt beim sogenannten EU-Wiederaufbaufonds im ersten Schritt 130 Mrd € ans Ausland. Wehe bei den kommenden Wahlkampfveranstaltungen wagt es ein Politiker ein Projekt im Inland als nicht finanzierbar zu bezeichnen. Die werden allesamt niedergebrüllt bis sie sich verpissen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(28 Apr 2021, 07:45)
Ein erster Hauch von gemeinsamer Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene seit langer Zeit:
SZ 27. April 2021 Berlin und Paris beschließen Zukunftspakt
https://www.sueddeutsche.de/politik/eu- ... -1.5277969
"Scholz und Le Maire gelten als Erfinder des Wiederaufbaufonds, er steht für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Europapolitik...
Das Bundeskabinett hatte am Vormittag den deutschen Reformplan beschlossen, der im Wesentlichen die im Konjunkturpaket im vergangenen Juni beschlossenen Klimaschutz- und Digitalisierungsmaßnahmen umfasst...
Frankreich und Deutschland wollen sich zudem um die Entwicklung der Wasserstofftechnologie, Batteriezellen, künstliche Intelligenz und Clouds kümmern."
Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 06:08)
Es geht aber gar nicht um Unterstützung im Notfall sondern um die Finanzierung ganz gewöhnlicher Infrastukturprojekte z. B. im Bereich Digitalisierung oder Erneuerbare Energien. Das es sich nicht um Unterstützung im Notfall handelt ist schon daran erkennbar dass die Gelder über einen Zeitraum von 5 Jahren ausgegeben werden. Was hat der Bau von Photovoltaikanlagen in Spanien im Jahr 2026 mit der Pandemie 2020/21 zu tun? Absolut gar nichts!
Warum soll die EU keine gemeinsamen Infrastrukturprojekte finanzieren? Das tut sie doch durch ihren Haushalt schon lange. Ein Fortschritt ist doch, dass Frankreich und Deutschland die Modernisierung ihrer Wirtschaften gemeinsam koordinieren wollen. Das haben die deutschen Kleinstaaten im 19. Jahrhundert genauso getan. Die oben genannten Infrastrukturprojekte sind sinnvoll und können einen wichtigen Teil zu mehr Wirtschaftswachstum beitragen. Die USA und China machen zur Zeit genau dasselbe.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Wähler hat geschrieben:(29 Apr 2021, 06:33)

Warum soll die EU keine gemeinsamen Infrastrukturprojekte finanzieren? Das tut sie doch durch ihren Haushalt schon lange.
Der gewöhnliche EU-Haushalt ist durch die EU-Verträge legitimiert. Bei den 750 Mrd € Schulden der EU-Kommission für den sogenannten EU-Wiederaufbaufonds ist das nicht der Fall (s.o.). Wenn die Schuldenunion tatsächlich gewünscht ist, muss es einen Lissabon-Nachfolgevertrag geben in dem das geregelt wird. Das wird aber niemals passieren, deswegen mißbraucht man nun eine Ausnahmeregelung die nur für einen Notfall gedacht war, um die Schuldenunion durch die Hintertür einzuführen.
Ein Fortschritt ist doch, dass Frankreich und Deutschland die Modernisierung ihrer Wirtschaften gemeinsam koordinieren wollen.
Deutschland und Frankreich können dazu Vorschläge machen, die Genehmigung oder Ablehnung der entsprechenden Projekte erfolgt durch die EU-Kommission.
Das haben die deutschen Kleinstaaten im 19. Jahrhundert genauso getan. Die oben genannten Infrastrukturprojekte sind sinnvoll und können einen wichtigen Teil zu mehr Wirtschaftswachstum beitragen. Die USA und China machen zur Zeit genau dasselbe.
Die USA und China finanzieren aber ausschließlich ihre eigenen Infrastukturprojekte und nicht die anderer Staaten.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 07:04)

Der gewöhnliche EU-Haushalt ist durch die EU-Verträge legitimiert. Bei den 750 Mrd € Schulden der EU-Kommission für den sogenannten EU-Wiederaufbaufonds ist das nicht der Fall (s.o.). Wenn die Schuldenunion tatsächlich gewünscht ist, muss es einen Lissabon-Nachfolgevertrag geben in dem das geregelt wird. Das wird aber niemals passieren, deswegen mißbraucht man nun eine Ausnahmeregelung die nur für einen Notfall gedacht war, um die Schuldenunion durch die Hintertür einzuführen.Deutschland und Frankreich können dazu Vorschläge machen, die Genehmigung oder Ablehnung der entsprechenden Projekte erfolgt durch die EU-Kommission. Die USA und China finanzieren aber ausschließlich ihre eigenen Infrastukturprojekte und nicht die anderer Staaten.
Die Aufnahme gemeinsamer Schulden durch die EU ist in der Tat neu. Die Maßnahme ist aber durch die EU-Verträge gedeckt und überdies sinnvoll. Deshalb haben auch alle Staaten zugestimmt. Ob mögliche weitergehende Maßnahmen "niemals" erfolgen werden, wird sich zeigen. Ich behaupte: Es wird die irgendwann geben.

Was Deutschland und Frankreich jetzt vereinbart haben oder noch vereinbaren, geht die EU-Kommission übrigens einen Dreck an. Darüber entscheiden Deutschland und Frankreich ganz allein.

Was China und die USA betrifft: China ist ein zentral gesteuerter Staat. Da wird in Peking entschieden, wohin welche Gelder fließen. Und die USA bestehen aus 50 Bundesstaaten. Dort gibt es ganz selbstverständlich eine "Schuldenunion".
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Kohlhaas hat geschrieben:(29 Apr 2021, 13:26)

Die Aufnahme gemeinsamer Schulden durch die EU ist in der Tat neu. Die Maßnahme ist aber durch die EU-Verträge gedeckt und überdies sinnvoll.
Dann zitieren sie doch mal die Stelle im EU-Vertrag mit der die Einführung einer Schuldenunion gedeckt sein soll.
Deshalb haben auch alle Staaten zugestimmt. Ob mögliche weitergehende Maßnahmen "niemals" erfolgen werden, wird sich zeigen. Ich behaupte: Es wird die irgendwann geben.
Über die Zukunft der EU sollte schon längst eine Entscheidung getroffen worden sein, passiert ist gar nichts.
Was Deutschland und Frankreich jetzt vereinbart haben oder noch vereinbaren, geht die EU-Kommission übrigens einen Dreck an. Darüber entscheiden Deutschland und Frankreich ganz allein.
Was Deutschland und Frankreich gemeinsam vorgestellt haben sind die Pläne für die Verwendung des Geldes aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Und diese Pläne müssen erst von der EU-Kommission abgesegnet werden, bevor das Geld fließt.

"Die Vorgaben sind klar: 37 Prozent des Geldes müssen jeweils in Klimaschutzmaßnahmen, 20 Prozent für den digitalen Umbau und der Rest für Reformen der Sozialsysteme oder in die öffentliche Gesundheitsversorgung investiert werden. .... Für genehmigte Anträge soll zunächst eine Vorfinanzierung von 13 Prozent der Projektsumme ausgezahlt werden. Die weiteren Mittel fließen danach in Tranchen, wobei die Kommission die Umsetzung der Vorhaben in Zwischenschritten überprüfen will. Die Gelder sollen stärker kontrolliert werden als die bisherigen EU-Mittel." Quelle: https://www.dw.com/de/was-macht-der-cor ... a-56503206

So wie es aussieht erfüllt Deutschland die Anforderungen der EU-Kommission derzeit nicht.

"Statt einer schon lange angemahnten Rentenreform verweist die Bundesregierung in ihrem Wiederaufbauplan beispielsweise lediglich auf eine „digitale Rentenübersicht“, damit die Menschen einen besseren Überblick über ihre oft dürftige Altersvorsorge behalten. ... EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte eine genaue Prüfung an, ob die Aufbaupläne aller EU-Staaten den gemeinsamen hohen Ansprüchen genügen. „Wir wissen genau, wohin wir wollen“, sagte von der Leyen in Brüssel. Dass die Kommission Deutschland noch einmal auffordert, den Reformteil nachzubessern, ist nicht zu erwarten. In Brüssel weiß man, dass für echte Reformen in einem Wahljahr kein Platz ist." Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article2 ... ormen.html
Was China und die USA betrifft: China ist ein zentral gesteuerter Staat. Da wird in Peking entschieden, wohin welche Gelder fließen. Und die USA bestehen aus 50 Bundesstaaten. Dort gibt es ganz selbstverständlich eine "Schuldenunion".
Die EU besteht aber nicht aus 27 Bundesstaaten mit der eine Schuldenunion zu rechtfertigen wäre. Das EU-Vertragskonstrukt ist was gänzlich anderes. Was hier läuft ist der exzessive Missbrauch der EU-Verträge. Mit allen möglichen vertraglichen Winkelzügen versucht man zu verbergen was gemäß den EU-Verträgen nicht erlaubt ist. Die Haftung für die Schulden anderer EU-Staaten.

"Und es stellt de facto den Eintritt in eine Schulden- und Transfergemeinschaft dar. Denn die Mitgliedstaaten haften über ihre künftigen Beiträge zum Haushalt der Europäischen Union gemeinschaftlich für die Schulden des Fonds. Fällt einer von ihnen aus, müssen die übrigen Staaten gemäß ihrem Anteil am EU-Haushalt einspringen. Für Deutschland liegt dieser Anteil am Haftungsrisiko bei 24 Prozent. Da sind sie nun quasi, die Eurobonds, die Deutschland nie wollte. Die Grundsätze von Eigenverantwortung und Alleinhaftung, wie sie die Verträge von Maastricht mit der sogenannten „No-bail-out“-Regel vorsahen, sind mit dem Wiederaufbaufonds Geschichte." Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article2 ... union.html

Nachdem das Bundesverfassungsgericht heute das Klimagesetz einkassiert hat gibt es zumindest noch Hoffnung dass sie auch den EU-Wiederaufbaufonds nicht durchwinken.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(29 Apr 2021, 06:33)
Warum soll die EU keine gemeinsamen Infrastrukturprojekte finanzieren? Das tut sie doch durch ihren Haushalt schon lange. Ein Fortschritt ist doch, dass Frankreich und Deutschland die Modernisierung ihrer Wirtschaften gemeinsam koordinieren wollen. Das haben die deutschen Kleinstaaten im 19. Jahrhundert genauso getan. Die oben genannten Infrastrukturprojekte sind sinnvoll und können einen wichtigen Teil zu mehr Wirtschaftswachstum beitragen. Die USA und China machen zur Zeit genau dasselbe.
Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 07:04)
Wenn die Schuldenunion tatsächlich gewünscht ist, muss es einen Lissabon-Nachfolgevertrag geben in dem das geregelt wird.
Die USA und China finanzieren aber ausschließlich ihre eigenen Infrastukturprojekte und nicht die anderer Staaten.
Eine Vertragslösung für eine begrenzte Verschuldung der EU-Institutionen ist sicherlich notwendig. In den USA gibt es diese bereits. Die EU als Zwitter bedarf einer koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik, um mit den USA und China im Wettbewerb der Systeme mithalten zu können.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Wähler hat geschrieben:(29 Apr 2021, 14:55)

Eine Vertragslösung für eine begrenzte Verschuldung der EU-Institutionen ist sicherlich notwendig. In den USA gibt es diese bereits. Die EU als Zwitter bedarf einer koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik, um mit den USA und China im Wettbewerb der Systeme mithalten zu können.
Warum soll für eine Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik eine Verschuldung der EU-Institutionen notwendig sein? Damit der Abstimmungsaufwand für Projekte noch größer und langwieriger wird? Wohin das führt hat man bei der verheerenden Impfstoffbeschaffung gesehen. Nein Danke, mehr davon ist das Letzte was die EU braucht.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(29 Apr 2021, 14:55)
Eine Vertragslösung für eine begrenzte Verschuldung der EU-Institutionen ist sicherlich notwendig. In den USA gibt es diese bereits. Die EU als Zwitter bedarf einer koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik, um mit den USA und China im Wettbewerb der Systeme mithalten zu können.
Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 15:17)
Warum soll für eine Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik eine Verschuldung der EU-Institutionen notwendig sein? Damit der Abstimmungsaufwand für Projekte noch größer und langwieriger wird? Wohin das führt hat man bei der verheerenden Impfstoffbeschaffung gesehen. Nein Danke, mehr davon ist das Letzte was die EU braucht.
Eine Vertragslösung für eine gemeinsame Verschuldung kann nicht nur die Anwendungsfälle, Katastrophen oder strategische Investitionen, begrenzen, sondern auch die Höhe. In den USA muss immer das Parlament für eine Ausweitung der Verschuldungshöhe zustimmen. Manche Länder könnten an einer Koordinierung überhaupt nicht teilnehmen, wenn sie sich national nicht weiter verschulden können. In einem Katastrophenfall wäre dass für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum keine gute Lösung.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Wähler hat geschrieben:(29 Apr 2021, 15:23)

Eine Vertragslösung für eine gemeinsame Verschuldung kann nicht nur die Anwendungsfälle, Katastrophen oder strategische Investitionen, begrenzen, sondern auch die Höhe. In den USA muss immer das Parlament für eine Ausweitung der Verschuldungshöhe zustimmen.
Dafür gibt es auch gute Gründe oder favorisieren sie Lösungen die eine unbegrenzte Verschuldung ermöglichen?
Manche Länder könnten an einer Koordinierung überhaupt nicht teilnehmen, wenn sie sich national nicht weiter verschulden können.
Eine Überschuldung einzelner EU-Staaten kann es doch nach der letzten Schuldenkrise in Europa gar nicht mehr geben. Bei einer zu hohen Schuldenlast muss der Haushalt von der EU-Kommission genehmigt werden und bei Verstößen gibt es Sanktionen. Schauen sie doch mal in Wikipedia unter "Sixpack" nach. Und jetzt ist ihre Lösung des Problems nicht eine Senkung der Staatsschulden sondern weitere Schulden, aber diesmal durch die EU-Kommission? Das wäre wirklich zum Totlachen wenn es nicht so traurig wäre. Aus der Finanzkrise hat man offenbar Null gelernt.
In einem Katastrophenfall wäre dass für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum keine gute Lösung.
In einem Katastrophenfall bei dem alle Mitgliedstaaten betroffen sind, muss jeder selbst zusehen wie er damit fertig wird.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 14:40)

Dann zitieren sie doch mal die Stelle im EU-Vertrag mit der die Einführung einer Schuldenunion gedeckt sein soll.
Warum sollte ich? Du selbst hast die Rechtsgrundlage doch schon genannt. Dass Du sie für nicht hinreichend hältst, ist ein anderes Thema.
Über die Zukunft der EU sollte schon längst eine Entscheidung getroffen worden sein, passiert ist gar nichts.
Unsinn. Über die Zukunft der EU wird am laufenden Band neu entschieden. Da werden ständig neue Verträge geschlossen und den alten hinzugefügt.
Was Deutschland und Frankreich gemeinsam vorgestellt haben sind die Pläne für die Verwendung des Geldes aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Und diese Pläne müssen erst von der EU-Kommission abgesegnet werden, bevor das Geld fließt.
Deutschland und Frankreich haben gar nicht über den Wiederaufbaufonds entschieden. Der ist auf europäischer Ebene verabschiedet worden. Lies einfach mal den Link. Die EU-Institutionen haben längst entschieden. Deutschland und Frankreich haben nationale Reformpläne besprochen. Das dürfen sie, ohne dass die EU-Kommission auch nur ansatzweise das Recht hätte, diese zu genehmigen oder abzulehnen. Willst Du darauf hinaus, dass Deutschland und Frankreich keinen Verstoß gegen europäische Grundwerte vereinbaren dürfen? Das versteht sich von selbst. Wo soll ich was anderes behauptet haben?
Die EU besteht aber nicht aus 27 Bundesstaaten mit der eine Schuldenunion zu rechtfertigen wäre. Das EU-Vertragskonstrukt ist was gänzlich anderes. Was hier läuft ist der exzessive Missbrauch der EU-Verträge. Mit allen möglichen vertraglichen Winkelzügen versucht man zu verbergen was gemäß den EU-Verträgen nicht erlaubt ist. Die Haftung für die Schulden anderer EU-Staaten.
Es steht Dir frei, das ganz übel zu finden. Aber wie Du selbst geschrieben hast, ist das durch die geltenden EU-Verträge gedeckt. Das passt Dir nicht? Armer Kerl! Im Übrigen können die geltenden EU-Verträge geändert werden. Meiner Prognose nach werden sie irgendwann so geändert, dass gemeinsame Schulden möglich werden. Gefällt Dir nicht? Du hast mein Mitgefühl. Im Übrigen hattest Du das Beispiel USA in die Diskussion geworfen. Da musst Du nun einfach damit leben, dass die 50 US-Bundesstaaten eine "Schuldenunion" bilden. In der EU ist das noch nicht so. Aber es wird so kommen.
"Und es stellt de facto den Eintritt in eine Schulden- und Transfergemeinschaft dar. Denn die Mitgliedstaaten haften über ihre künftigen Beiträge zum Haushalt der Europäischen Union gemeinschaftlich für die Schulden des Fonds. Fällt einer von ihnen aus, müssen die übrigen Staaten gemäß ihrem Anteil am EU-Haushalt einspringen. Für Deutschland liegt dieser Anteil am Haftungsrisiko bei 24 Prozent. Da sind sie nun quasi, die Eurobonds, die Deutschland nie wollte. Die Grundsätze von Eigenverantwortung und Alleinhaftung, wie sie die Verträge von Maastricht mit der sogenannten „No-bail-out“-Regel vorsahen, sind mit dem Wiederaufbaufonds Geschichte." Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article2 ... union.html
Ganz genau. Die Beobachtung ist korrekt. Und? Wo ist das Problem? Die EU-Verträge lassen das zu. Wäre es anders, hätten doch wohl nicht alle Mitgliedsländer dafür gestimmt. Unabhängig davon ist es auch noch sinnvoll, jetzt so zu handeln.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht heute das Klimagesetz einkassiert hat gibt es zumindest noch Hoffnung dass sie auch den EU-Wiederaufbaufonds nicht durchwinken.
Du hast die "Hoffnung", dass das Verfassungsgericht die Solidarität unter EU-Ländern für unzulässig erklärt??? Das Klimagesetz hat damit überhaupt nichts zu tun. Mach Dich erstmal schlau, was in dem Urteil drin steht.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 16:04)In einem Katastrophenfall bei dem alle Mitgliedstaaten betroffen sind, muss jeder selbst zusehen wie er damit fertig wird.
Genau hier liegt Dein Denkfehler. Warum sollte man überhaupt eine Gemeinschaft oder eine Union bilden, wenn man dann in einem Notfall jeden Beteiligten sich selbst überlassen will? Du hast das Prinzip der Europäischen Union nicht verstanden. Ich jedenfalls finde es gut, dass (um nur ein Beispiel zu nennen!) Deutschland Corona-Patienten aus Portugal "übernommen" hat, weil dort die Intensivstationen voll waren. Natürlich hätte man damals den Portugiesen sagen können, dass sie selbst zusehen sollen, wie sie mit dem Problem fertig werden. So funktioniert aber eine Gemeinschaft nicht.

Lies Deine von mir zitierte Aussage nochmal in aller Ruhe durch und denk darüber nach. Was Du geschrieben hast, war mehr als nur ein bisschen zynisch.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Kohlhaas hat geschrieben:(29 Apr 2021, 17:04)

Genau hier liegt Dein Denkfehler. Warum sollte man überhaupt eine Gemeinschaft oder eine Union bilden, wenn man dann in einem Notfall jeden Beteiligten sich selbst überlassen will? Du hast das Prinzip der Europäischen Union nicht verstanden. Ich jedenfalls finde es gut, dass (um nur ein Beispiel zu nennen!) Deutschland Corona-Patienten aus Portugal "übernommen" hat, weil dort die Intensivstationen voll waren. Natürlich hätte man damals den Portugiesen sagen können, dass sie selbst zusehen sollen, wie sie mit dem Problem fertig werden. So funktioniert aber eine Gemeinschaft nicht.
Das ist auch tatsächlich eine Unterstützung im Notfall. Die befürworte ich aus vollstem Herzen. Und so verstehe ich auch Solidarität unter den EU-Staaten. Aber was hat es mit einer Unterstützung im aktuellen Pandemie-Notfall zu tun wenn man Portugal im Jahr 2026 das Geld für den Bau von Photovoltaikanlagen schenkt? Wie groß ist denn überhaupt dieser Notfall, wenn nahezu alle EU-Staaten nur das geschenkte Geld wollen und auf den Kreditteil des Wiederaufbaufonds verzichten, weil sie keinen Bock darauf haben dass die EU-Kommission die finanzierten Projekte genehmigt und überwacht. Lieber nehmen sie einen erheblich höheren Zinssatz in Kauf und finanzieren damit die Projekte, die ihnen sinnvoll erscheinen und sei es nur um die Wiederwahl zu sichern.

Wirklich lustig ist der Sonderbericht des Bundesrechnungshof zum EU-Wiederaufbaufonds.

"Faktisch handelt es sich um eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung – eine Zäsur. Für den Bundeshaushalt birgt das erhebliche Risiken ...

Für die Kredite, die aus dem EU-Haushalt getilgt werden sollen, gibt es keinen verbindlichen Tilgungsplan. Deutschland wird voraussichtlich 65 Milliarden Euro mehr zahlen, als es selbst Zuschüsse bekommt. Klar ist bislang nur, dass die Kredite im Zeitraum 2028 bis 2058 über den EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Offen ist aber, welcher Anteil dann auf welchen Mitgliedstaat entfällt. Diese Frage soll Gegenstand zukünftiger Verhandlungen sein. ...

Die EU sichert die Schulden des Wiederaufbaufonds mit ihrem Haushalt ab. Um die Bonität zu gewährleisten, wird die sogenannte „Eigenmittelobergrenze“ erhöht. Das führt zu einem enormen Garantievolumen von mindestens 4 000 Milliarden Euro: fünfmal höher als das Volumen des Wiederaufbaufonds selbst. ... Dieser Spielraum könnte Begehrlichkeiten wecken, Spekulationen über eine Verstetigung der Verschuldung befeuern und dazu verleiten, den Tilgungsbeginn hinauszuzögern. ...

Die Praxis zeigt: In Krisenzeiten auf EU-Ebene eingeführte Instrumente verstetigen sich regelmäßig. So hat der ESM beispielsweise die zuvor eingerichteten temporären Rettungsschirme mittlerweile dauerhaft abgelöst. Dabei wird häufig ausgeblendet, dass die Kosten und Risiken in der jeweiligen Krise, nicht aber auf Dauer gerechtfertigt sind. ...

Die Fiskalregeln begrenzen die nationalen Defizite und Schuldenstände. Sie gelten jedoch nicht für EU-Schulden. Die Mitgliedstaaten könnten sich also auf EU-Ebene theoretisch unbegrenzt verschulden und sich diese Mittel dann als Zuschüsse selbst zuweisen. Die enorme Übersicherung des Fonds setzt dazu bedenkliche Anreize. ...

Daher sollten die Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds mit Reformauflagen verknüpft werden, die auf den Abbau eben dieser strukturellen Defizite abzielen und die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten stärken. Gelingt dies nicht, könnte dies langfristig die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion gefährden." Quelle: https://www.bundesrechnungshof.de/de/pr ... ung-werden

Bundestag und Bundesrat haben auf die Ratschläge des Bundesrechnungshofs geschissen. Mit dem EU-Wiederaufbaufonds werden die Menschen, insbesondere in den Nettozahlerländern, im ganz großen Stil hinters Licht geführt.

Und die Naivlinge des Bundesverfassungsgerichts tun so als ob es sich um eine einmalige Unterstützung im Notfall handeln würde.

"Darin wird die Europäische Kommission – ausschließlich zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie – ermächtigt, im Namen der Europäischen Union an den Kapitalmärkten Mittel bis zu einem Betrag von 750 Milliarden Euro zu Preisen von 2018 aufzunehmen." Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 1-029.html

Verarschung in Perfektion nenn ich sowas! Passt zur Kasperle-EU mit den Kasperle-Verträgen an die sich die Mitglieder halten oder auch nicht, wie es gerade passt. No-Bailout-Klausel - passt nicht. Solidarität in der Flüchtlingskrise - darauf scheißen die Osteuropäer. Rechtsstaatlichkeit - darauf scheißen Polen und Ungarn. Usw, usw, usw.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Wähler hat geschrieben:(29 Apr 2021, 15:23)
Eine Vertragslösung für eine gemeinsame Verschuldung kann nicht nur die Anwendungsfälle, Katastrophen oder strategische Investitionen, begrenzen, sondern auch die Höhe. In den USA muss immer das Parlament für eine Ausweitung der Verschuldungshöhe zustimmen. Manche Länder könnten an einer Koordinierung überhaupt nicht teilnehmen, wenn sie sich national nicht weiter verschulden können. In einem Katastrophenfall wäre dass für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum keine gute Lösung.
Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 16:04)
Dafür gibt es auch gute Gründe oder favorisieren sie Lösungen die eine unbegrenzte Verschuldung ermöglichen? Eine Überschuldung einzelner EU-Staaten kann es doch nach der letzten Schuldenkrise in Europa gar nicht mehr geben. Bei einer zu hohen Schuldenlast muss der Haushalt von der EU-Kommission genehmigt werden und bei Verstößen gibt es Sanktionen. Schauen sie doch mal in Wikipedia unter "Sixpack" nach. Und jetzt ist ihre Lösung des Problems nicht eine Senkung der Staatsschulden sondern weitere Schulden, aber diesmal durch die EU-Kommission? Das wäre wirklich zum Totlachen wenn es nicht so traurig wäre. Aus der Finanzkrise hat man offenbar Null gelernt. In einem Katastrophenfall bei dem alle Mitgliedstaaten betroffen sind, muss jeder selbst zusehen wie er damit fertig wird.
Beim ESM gibt es auch eine Haftungsobergrenze für Deutschland. Die Regeln für das Sixpack können um gemeinsame Investitionen ergänzt werden. Während der Coronakrise wurde auch die Schuldenbremse in Deutschland außer Kraft gesetzt. Früher gab es eine goldene Regel in der deutschen Finanzpolitik, die Investitionen in Bezug auf die Verschuldung eine besondere Rolle eingeräumt hat.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Orbiter1 hat geschrieben:(29 Apr 2021, 20:16)

Das ist auch tatsächlich eine Unterstützung im Notfall. Die befürworte ich aus vollstem Herzen. Und so verstehe ich auch Solidarität unter den EU-Staaten. Aber was hat es mit einer Unterstützung im aktuellen Pandemie-Notfall zu tun wenn man Portugal im Jahr 2026 das Geld für den Bau von Photovoltaikanlagen schenkt? Wie groß ist denn überhaupt dieser Notfall, wenn nahezu alle EU-Staaten nur das geschenkte Geld wollen und auf den Kreditteil des Wiederaufbaufonds verzichten, weil sie keinen Bock darauf haben dass die EU-Kommission die finanzierten Projekte genehmigt und überwacht. Lieber nehmen sie einen erheblich höheren Zinssatz in Kauf und finanzieren damit die Projekte, die ihnen sinnvoll erscheinen und sei es nur um die Wiederwahl zu sichern.

Wirklich lustig ist der Sonderbericht des Bundesrechnungshof zum EU-Wiederaufbaufonds.

"Faktisch handelt es sich um eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung – eine Zäsur. Für den Bundeshaushalt birgt das erhebliche Risiken ...
Um was für einen Notfall es sich handelt, kann man an der aktuellen Neuverschuldung des Bundes sehen. Kaum jemand kann sich erinnern, dass die Bundesrepublik seit ihrer Gründung jemals so hohe Kosten tragen und so rasant Schulden machen musste. Die Folgen dieser Pandemie werden auch 2026 noch nicht überwunden sein. Was wir jetzt ausgeben müssen, werden wir auch 2026 noch nicht zurückgezahlt haben. Dabei ist Deutschland noch am ehesten in der Lage, diese Sache zu stemmen. Würde Deutschland jetzt Deiner Empfehlung folgen und den anderen EU-Mitgliedern sagen "Seht mal selbst zu, wie ihr damit fertigwerdet...", dann bräuchten wir keine EU mehr. Das wäre auch für Deutschland ganz übel, denn wenn die anderen EU-Mitglieder reihenweise bankrott gehen, hätte Deutschland niemanden mehr, der all die schönen Exportgüter bezahlen kann, die wir hier produzieren.

Außerdem überwacht die EU sehr wohl, was mit den gemeinsam aufgenommenen Schulden in den Empfängerländern gemacht wird. Da ist inzwischen sogar ein Rechtsstaats-Vorbehalt festgelegt worden.

Was der Rechnungshof schreibt, ist durchaus richtig. Ja, das ist eine Vergemeinschaftung von Schulden. Ja, das birgt Risiken für den Bundeshaushalt. Der Rechnungshof betrachtet aber eben nur diesen Bundeshaushalt. Er betrachtet nicht die volkswirtschaftlichen Risiken für unsere Wirtschaft. Kann er nicht, weil er da keinen Einblick hat. Der Bundeshaushalt speist sich aber nunmal aus den Steuern, die Bürger und Unternehmen zahlen können, weil sie durch ihre Tätigkeit Geld verdienen. Und sie verdienen kein Geld mehr, wenn es keine Kunden mehr gibt, die unsere Produkte kaufen können. Die EU ist kein Projekt zur "Alimentierung" von gierigen Faulenzern. Von der EU profitiert kein Land mehr als Deutschland. Würden wir die Anderen kaltlächelnd sich selbst überlassen, würden wir genau den Ast absägen, auf dem wir so komfortabel sitzen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wähler »

Auf nationaler Ebene in Deutschland geht es meist um den Mindestlohn und Lohngerechtigkeit:
Euractiv 4. Mai 2021 EU-Sozialgipfel in Porto
https://www.euractiv.de/section/soziale ... nn-keiner/
"Die portugiesische Regierung, die noch bis zum 30. Juni den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat, plant tatsächlich, einige konkrete Ziele zu setzen, die bis 2030 erreicht werden sollen...
Dieser Aktionsplan sieht diverse Maßnahmen vor, wie beispielsweise die Sicherstellung einer Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent in der Europäischen Union, die Teilnahme von mindestens 60 Prozent der Erwachsenen an einer Weiterbildung pro Jahr oder die Reduzierung der Zahl der von sozialer Ausgrenzung oder Armut bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen Menschen, darunter fünf Millionen Kinder."
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Re: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Misterfritz »

odiug hat geschrieben:(05 May 2021, 09:34)

Na ja ... deswegen brauchen wir eine neue Regierung ... am besten mit einer Grünen Kanzlerin und einem guten Koalitionsvertrag.
Was die EU Partner betrifft: Koalitionen der Willigen.
Scheiß auf Orban und Kaczyński.
Am besten mit Klagen vor dem EUGH.
Ist zwar a weng OT:
Die Klagen werden Orban & Co nicht beeindrucken, aber Geldentzug schon ;)
Das Salz in der Suppe des Lebens ist nicht Selbstdisziplin, sondern kontrollierte Unvernunft ;)
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Re: Quo Vadis, Europa und EU?

Beitrag von relativ »

Misterfritz hat geschrieben:(05 May 2021, 09:36)

Ist zwar a weng OT:
Die Klagen werden Orban & Co nicht beeindrucken, aber Geldentzug schon ;)
Ja wenn alle Willigen an einem Strang ziehen, aber wieviele Willige sind es denn wirklich. Wir haben doch 2015/2016 gesehen wie viele Länder die Uneinigkeit genutzt haben, um sich einfach geschmeidig wegzuducken und uns die , sorry für das Wort "Drecksarbeit" alleine machen zu lassen.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
odiug

Re: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von odiug »

Misterfritz hat geschrieben:(05 May 2021, 09:36)

Ist zwar a weng OT:
Die Klagen werden Orban & Co nicht beeindrucken, aber Geldentzug schon ;)
Die Klagen werden ja Konsequenzen haben, sofern der EUGH den Klagen recht gibt.
Und ich schätze eh, dass man früher oder später nicht darum herum kommt, den östlichen EU Mitgliedern die Pistole auf die Brust zu setzten: Entweder ihr haltet euch an die Vorgaben der EU, oder aber ihr macht euer Ding alleine.
Was jetzt nicht heissen soll, dass eine deutsche Regierung hier Vorgaben machen soll, an die sich alle gefälligst zu halten haben.
Ich verstehe schon, warum man gerade in den östlichen EU Staaten auf Fragen der nationalen Souveränität anders schaut, als in den westlichen EU Mitgliedern ... außerdem hoffe ich, dass auch in Ungarn die Wähler mal die Schnauze voll haben, von diesem korrupten Orban Clan.
Orban und seine Spießgesellen führen sich auf wie der Remmo Clan in Berlin ... nur dass die in Ungarn halt im Regierungspalast sitzen.
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Re: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von relativ »

odiug hat geschrieben:(05 May 2021, 09:51)

Die Klagen werden ja Konsequenzen haben, sofern der EUGH den Klagen recht gibt.
Und ich schätze eh, dass man früher oder später nicht darum herum kommt, den östlichen EU Mitgliedern die Pistole auf die Brust zu setzten: Entweder ihr haltet euch an die Vorgaben der EU, oder aber ihr macht euer Ding alleine.
Was jetzt nicht heissen soll, dass eine deutsche Regierung hier Vorgaben machen soll, an die sich alle gefälligst zu halten haben.
Ich verstehe schon, warum man gerade in den östlichen EU Staaten auf Fragen der nationalen Souveränität anders schaut, als in den westlichen EU Mitgliedern ... außerdem hoffe ich, dass auch in Ungarn die Wähler mal die Schnauze voll haben, von diesem korrupten Orban Clan.
Orban und seine Spießgesellen führen sich auf wie der Remmo Clan in Berlin ... nur dass die in Ungarn halt im Regierungspalast sitzen.
Das Problem mit den EU Mitgliedern aus den früheren Ostblock wird uns noch ne ganze Zeit begleiten. Es ist ja nicht nur Orban und Ungarn, sondern auch Polen und Tschechien. Da wachsen ja im Schatten von Orban und Co politisch undemokratische Netze die auch in Zukunft ein Problem seien werden. Solange die Kohle der EU fließst und die weiter Geldmittel für ihre undemokratische Legitimation bekommen wird sich da m.M. wenig ändern. Es sei denn die Bevölkerung die den Mist erkennt und etwas ändern möchte , wählt die auch mal ab, solange dies noch möglich ist.
Da man diese Länder nicht rausschmeißen kann, wäre eine mögliche Notbremsen (worst case) Strategie selber auszutreten und damit die EU quasi aufzulösen, um eine neue EU zu gründen. Damit entstünden natürlich neue Blöcke, sehr, sehr schlecht.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
odiug

Re: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von odiug »

relativ hat geschrieben:(05 May 2021, 10:05)

Das Problem mit den EU Mitgliedern aus den früheren Ostblock wird uns noch ne ganze Zeit begleiten. Es ist ja nicht nur Orban und Ungarn, sondern auch Polen und Tschechien. Da wachsen ja im Schatten von Orban und Co politisch undemokratische Netze die auch in Zukunft ein Problem seien werden. Solange die Kohle der EU fließst und die weiter Geldmittel für ihre undemokratische Legitimation bekommen wird sich da m.M. wenig ändern. Es sei denn die Bevölkerung die den Mist erkennt und etwas ändern möchte , wählt die auch mal ab, solange dies noch möglich ist.
Da man diese Länder nicht rausschmeißen kann, wäre eine mögliche Notbremsen (worst case) Strategie selber auszutreten und damit die EU quasi aufzulösen, um eine neue EU zu gründen. Damit entstünden natürlich neue Blöcke, sehr, sehr schlecht.
Nun malen wir den Teufel mal nicht an die Wand.
Nicht alle Ungarn heißen Orban, nicht alle Italiener Sallini, alle Franzosen Le Pen und nicht alle Deutschen heißen Höcke.
Da gibt es auch fähige Leute, mit denen man arbeiten kann und die Unfähigen kann man auch mal rechts stehen lassen und einfach weiter gehen.
Junkers machte da ja mal einen guten Anfang :D
Was Orban, da gibt es auch einige Fragen in Tschechien, bezüglich der Verwendung von EU Subventionen betrifft, in den USA gibt es ein nettes Sprichwort: What goes around comes around.
Das gilt auch für Typen wie Orban.
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Re: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von relativ »

odiug hat geschrieben:(05 May 2021, 14:13)

Nun malen wir den Teufel mal nicht an die Wand.
Nicht alle Ungarn heißen Orban, nicht alle Italiener Sallini, alle Franzosen Le Pen und nicht alle Deutschen heißen Höcke.
war auch nie meine behauptung , im gegenteil ich hoffe ja noch darauf, daß die paar die zu einem politischen Umschwung in diesen Ländern noch fehlen, bald zur vernunft kommen und diese Knallköppe mit abwählen.
Da gibt es auch fähige Leute, mit denen man arbeiten kann und die Unfähigen kann man auch mal rechts stehen lassen und einfach weiter gehen.
Klar gibt es die, aber zur Zeit sind die nicht im Fokus , oder laufen mom. sehr unter den öffentlichen Radar, weil eben auch die Presse nicht mehr so frei dort ist.
Junkers machte da ja mal einen guten Anfang :D
Was Orban, da gibt es auch einige Fragen in Tschechien, bezüglich der Verwendung von EU Subventionen betrifft, in den USA gibt es ein nettes Sprichwort: What goes around comes around.
Das gilt auch für Typen wie Orban.
Man kann es nur hoffen, daß Typen wie Orban für ihr unwürdiges Verhalten irgendwann mal die Quittung bekommen
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Kohlhaas hat geschrieben:(30 Apr 2021, 13:21)

Um was für einen Notfall es sich handelt, kann man an der aktuellen Neuverschuldung des Bundes sehen. Kaum jemand kann sich erinnern, dass die Bundesrepublik seit ihrer Gründung jemals so hohe Kosten tragen und so rasant Schulden machen musste. Die Folgen dieser Pandemie werden auch 2026 noch nicht überwunden sein. Was wir jetzt ausgeben müssen, werden wir auch 2026 noch nicht zurückgezahlt haben. Dabei ist Deutschland noch am ehesten in der Lage, diese Sache zu stemmen. Würde Deutschland jetzt Deiner Empfehlung folgen und den anderen EU-Mitgliedern sagen "Seht mal selbst zu, wie ihr damit fertigwerdet...", dann bräuchten wir keine EU mehr. Das wäre auch für Deutschland ganz übel, denn wenn die anderen EU-Mitglieder reihenweise bankrott gehen, hätte Deutschland niemanden mehr, der all die schönen Exportgüter bezahlen kann, die wir hier produzieren.
Mit der Argumentation müssten wir auch China und den USA Geld schenken, damit die weiter die schönen deutschen Exportgüter bezahlen können. Insbesondere die USA sind mittlerweile bis zur Halskrause verschuldet. Wieviel sollte Deutschland denen schenken? 25 Mrd € oder besser 30 Mrd €?
Außerdem überwacht die EU sehr wohl, was mit den gemeinsam aufgenommenen Schulden in den Empfängerländern gemacht wird. Da ist inzwischen sogar ein Rechtsstaats-Vorbehalt festgelegt worden.
Deswegen besteht ja auch nur Interesse am geschenkten Geld und nicht am Kreditteil des Wiederaufbaufonds.
Was der Rechnungshof schreibt, ist durchaus richtig. Ja, das ist eine Vergemeinschaftung von Schulden. Ja, das birgt Risiken für den Bundeshaushalt. Der Rechnungshof betrachtet aber eben nur diesen Bundeshaushalt. Er betrachtet nicht die volkswirtschaftlichen Risiken für unsere Wirtschaft. Kann er nicht, weil er da keinen Einblick hat. Der Bundeshaushalt speist sich aber nunmal aus den Steuern, die Bürger und Unternehmen zahlen können, weil sie durch ihre Tätigkeit Geld verdienen. Und sie verdienen kein Geld mehr, wenn es keine Kunden mehr gibt, die unsere Produkte kaufen können. Die EU ist kein Projekt zur "Alimentierung" von gierigen Faulenzern.
Aber genau darauf läuft es doch hinaus. Italien beispielsweise wird seit 20 Jahren von der EU-Kommission, aber auch von anderen Institutionen, gebetsmühlenartig erklärt dass es Reformen durchführen muss, um wieder auf die Beine zu kommen. Arbeitsmarktreformen, Verwaltungsreformen (insbesondere Finanzverwaltung), Justizreformen, ... Die werden von Italien auch seit 20 Jahren versprochen, aber umgesetzt werden sie nicht. Selbstverständlich auch jetzt nicht. Wozu auch, man hat ja jetzt eine dauerhafte Geldquelle gefunden. Die stark angestiegen Schuldenstände, die bei den üblichen Verdächtigen und ohne Reformen auch nicht mehr sinken werden, lassen sich auch in 20 bis 30 Jahren noch mit der Pandemie 2020/21 begründen. Solange kann die EU-Kommission dann auch noch weitere Notfallunterstützung leisten. Und dank der bereits eingerichteten Eigenmittelobergrenze hat man ja nicht nur 750 Mrd € sondern 4.000 Mrd € zur Verfügung (s.o.). Damit ist die immer größere Dauerschuldenunion und de facto die Zukunft der EU, die aber von keinem EU-Bürger legitimiert wurde, geschaffen.
Von der EU profitiert kein Land mehr als Deutschland. Würden wir die Anderen kaltlächelnd sich selbst überlassen, würden wir genau den Ast absägen, auf dem wir so komfortabel sitzen.
Die Rechnung wie sehr Deutschland bei der Schuldenunion-EU profitiert möchte ich mal sehen.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Orbiter1 »

Heute startet die Alibiveranstaltung "Konferenz zur Zukunft Europas" bei der die Bürger ihre entsprechenden Ideen und Wünsche einbringen sollen. Mit Müh und Not hat man es in letzter Sekunde geschafft dass über die Ergebnisse nicht in den Hinterzimmern entschieden wird. Deswegen wird aber absehbar auch nichts dabei rauskommen.

"Erst am Freitagmorgen wurde man sich einig. «Auf völlig transparente Weise», also nicht über die Hinterzimmer von Brüssel, soll über die Schlussfolgerungen der Konferenz abgestimmt werden, twitterte erleichtert der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. ... Sollten auch die europäischen Verträge angetastet werden? Bei strukturellen Reformen wäre das unvermeidbar. Bei den meisten Mitgliedstaaten ist die Lust, neue komplizierte Verhandlungen zu führen, jedoch wenig ausgeprägt. Wie sehr solche Reformen an die Substanz gehen, wissen die Europäer seit den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden vor 16 Jahren. ... Angesichts der mangelnden Unterstützung aus den europäischen Hauptstädten droht die Zukunftskonferenz vor allem viel heisse Luft zu produzieren. Dass es aber auch Brüssel nicht sonderlich ernst nimmt mit der Bürgerbeteiligung, zeigen die reichlich diskreten Vorbereitungen in den Mitgliedstaaten: Gerade einmal 7184 von 450 Millionen EU-Bürgern, schreibt das Nachrichtenportal «Politico», äusserten sich bisher auf den einschlägigen digitalen Plattformen." Quelle: https://www.nzz.ch/amp/international/eu ... ld.1624093

Das flexibelste Vertragswerk aller Zeiten, die bestehenden EU-Verträge, werden also weiter so verbogen wie es einer Clique von Leuten gerade passt. Und an die Inhalte hält man sich, oder auch nicht, denn negative Konsequenzen muss man bei Fehlverhalten kaum fürchten. Die EU-Bürger bleiben selbstverständlich weiter außen vor und haben bei der Zukunft Europas nichts zu melden. Eine Abstimmung der EU-Bürger über die Zukunft der EU kommt schon gar nicht in Frage.
Kohlhaas
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Orbiter1 hat geschrieben:(09 May 2021, 06:44)

Mit der Argumentation müssten wir auch China und den USA Geld schenken, damit die weiter die schönen deutschen Exportgüter bezahlen können. Insbesondere die USA sind mittlerweile bis zur Halskrause verschuldet. Wieviel sollte Deutschland denen schenken? 25 Mrd € oder besser 30 Mrd €?
Es ist ein Unterschied, ob man über EU-Mitglieder und Teilnehmer am gemeinsamen Binnenmarkt oder über Drittländer wie China und USA redet.
Deswegen besteht ja auch nur Interesse am geschenkten Geld und nicht am Kreditteil des Wiederaufbaufonds.
Aber genau darauf läuft es doch hinaus. Italien beispielsweise wird seit 20 Jahren von der EU-Kommission, aber auch von anderen Institutionen, gebetsmühlenartig erklärt dass es Reformen durchführen muss, um wieder auf die Beine zu kommen.
Italien ist (Stand: 2019) der viertgrößte Nettozahler in der EU gewesen.

[/quote]Damit ist die immer größere Dauerschuldenunion und de facto die Zukunft der EU, die aber von keinem EU-Bürger legitimiert wurde, geschaffen. Die Rechnung wie sehr Deutschland bei der Schuldenunion-EU profitiert möchte ich mal sehen.[/quote]
Ob es zu einer dauerhaften Schuldenunion kommen wird, ist keineswegs klar. Ich hätte da wenig dagegen. Das hinge davon ab, wie die Sache ausgestaltet wird. Zwischen den deutschen Bundesländern gibt es das ja auch und wird im Grundsatz nicht hinterfragt.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wormser »

Mark Rutte sagte, Ungarn habe in der EU nichts mehr zu suchen und die EU müsse Ungarn in die Knie zwingen. Kriegerische Rhetorik der übelsten Sorten. Wer solche "Freunde" hat braucht keine Feinde mehr.

https://www.welt.de/politik/ausland/art ... uchen.html
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Wormser hat geschrieben:(24 Jun 2021, 23:26)

Mark Rutte sagte, Ungarn habe in der EU nichts mehr zu suchen und die EU müsse Ungarn in die Knie zwingen. Kriegerische Rhetorik der übelsten Sorten. Wer solche "Freunde" hat braucht keine Feinde mehr.

https://www.welt.de/politik/ausland/art ... uchen.html
Die Briten freuen sich auf Gesellschaft; und ich wäre froh, die Deutschen würden sich hinzu gesellen. um eine Nord-EWG zu gründen, die die Prioritäten aufs Wesentliche lenkt: wirtschaftliche Prosperität und finanzielle Stabilität.
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von discipula »

Fliege hat geschrieben:(25 Jun 2021, 00:14)

Die Briten freuen sich auf Gesellschaft; und ich wäre froh, die Deutschen würden sich hinzu gesellen. um eine Nord-EWG zu gründen, die die Prioritäten aufs Wesentliche lenkt: wirtschaftliche Prosperität und finanzielle Stabilität.
ich zweifle, dass es zwischen regelverliebten Deutschen und individualistischen Briten leicht ist, Effizienz zu generieren.... die Mentalitäten sind doch sehr unterschiedlich.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Alexyessin »

Wormser hat geschrieben:(24 Jun 2021, 23:26)

Mark Rutte sagte, Ungarn habe in der EU nichts mehr zu suchen und die EU müsse Ungarn in die Knie zwingen. Kriegerische Rhetorik der übelsten Sorten. Wer solche "Freunde" hat braucht keine Feinde mehr.

https://www.welt.de/politik/ausland/art ... uchen.html
Es scheint, als würde nicht nur die Deutschen mit dieser Gesetzgebung hadern.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Jeder liest was anderes aus dem Weltartikel. Für mich benennt der niederländische Regierungschef sein Unbehagen über die ungarische Regierung hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit den gemeinsamen Werten der EU und den notwendigen Weg der gegangen werden muss, um das EU-Land Ungarn wieder dahin zurück zu führen. Nun da hat halt Orban in Zukunft langsam weniger EU-Gelder die er an seine Clique vorbei am ungarischen Volk verteilen kann.

Aber ich fand den Hinweis eines Betroffenen am wichtigsten:

"Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel hat der ungarischen Regierung beim EU-Gipfel vorgeworfen, keine Ahnung von Homosexualität zu haben. Wenn irgendjemand glaube, dass jemand wegen einer Werbung, eines Buches oder eines Films schwul geworden sei, verstehe er das Leben nicht, sagte der mit einem Mann verheiratete Bettel. Zu akzeptieren, dass man schwul sei, sei einer der schwersten Wege, die eine schwule Person zu gehen habe.

Bettel sagte weiter, es sei schlimm, zu glauben, dass nicht über Homosexualität geredet werden sollte – und das Thema dann auch noch mit Pädophilie zu vermischen. Er werde beim Gipfel sagen, dass dies nicht gehe."

Davon handeln die europäischen Werte die aber auch unsere Rechtsknaller nie verstehen werden.
Aber das Wort in die Knie zwingen verstehen sie und deshalb hat der Niederländer diese zu Recht gewählt. :cool:
Wormser
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Wormser »

Haegar hat geschrieben:(25 Jun 2021, 10:25)
Für mich benennt der niederländische Regierungschef sein Unbehagen über die ungarische Regierung hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit den gemeinsamen Werten der EU und den notwendigen Weg der gegangen werden muss, um das EU-Land Ungarn wieder dahin zurück zu führen.
Die "gemeinsamen Werte der EU"? Welche sollen das sein?

Im EU-Parlament wurde gestern mit Mehrheit der Matic-Report beschlossen, der Abtreibung zu einem Grundrecht erklärt und die Gewissensfreiheit von Ärzten in Frage stellt.

Sind das Werte der EU? In Polen und Ungarn werden solche "Werte" nicht geteilt. Dort werden Kinder geschützt und nicht umgebracht oder mit Homosexuellen-Propaganda drangsaliert.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Kohlhaas »

Wormser hat geschrieben:(25 Jun 2021, 15:09)

Die "gemeinsamen Werte der EU"? Welche sollen das sein?

Im EU-Parlament wurde gestern mit Mehrheit der Matic-Report beschlossen, der Abtreibung zu einem Grundrecht erklärt und die Gewissensfreiheit von Ärzten in Frage stellt.

Sind das Werte der EU? In Polen und Ungarn werden solche "Werte" nicht geteilt. Dort werden Kinder geschützt und nicht umgebracht oder mit Homosexuellen-Propaganda drangsaliert.
Die gemeinsamen Werte der EU sind in den EU-Verträgen definiert. Dazu zählen unter anderem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die allgemeinen Menschenrechte. Dass Ungarn sich inzwischen mit einer kaum noch überschaubaren Zahl von Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert sieht, deutet nicht darauf hin, dass ausgerechnet Ungarn qualifiziert ist, dieses EU-Werte angemessen auszulegen.

Beim Thema Abtreibung geht es auch nicht um die Gewissensfreiheit der Ärzte. Es geht um die Freiheit der Frauen. Wäre die Gewissensfreiheit der Ärzte das entscheidende Kriterium, müsste man über das Thema gar nicht mehr reden. Es gibt nämlich genügend Ärzte, die es mit ihrem Gewissen sehr wohl vereinbaren können, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Die Abtreibungsgegner wollen genau jenen Ärzten die Gewissensfreiheit absprechen. In Deutschland ist diese Debatte über Jahrzehnte geführt worden und heute zum Glück abgeschlossen.

Zu der Aussage, dass überall außerhalb Ungarns und Polens Kinder mit "Homosexuellen-Propaganda drangsaliert" würden, sage ich nichts. Die Wortwahl allein spricht für sich selbst.
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Haegar »

Wormser hat geschrieben:Die "gemeinsamen Werte der EU"? Welche sollen das sein?
Einmal Suchmaschine anmachen und folgende Antwort gefunden: Die Grundwerte der Europäischen Union sind in Art. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) verankert. Sie sind: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte.

Wormser hat geschrieben:Im EU-Parlament wurde gestern mit Mehrheit der Matic-Report beschlossen, der Abtreibung zu einem Grundrecht erklärt und die Gewissensfreiheit von Ärzten in Frage stellt.
Schon gelesen was da beschlossen wurde ?

"35. fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre nationalen Rechtsvorschriften über Abtreibung zu überprüfen und sie mit den internationalen Menschenrechtsstandards und den bewährten regionalen Verfahren in Einklang zu bringen, indem sichergestellt wird, dass eine Abtreibung auf Antrag in der frühen Schwangerschaft und darüber hinaus, wenn die Gesundheit oder das Leben der schwangeren Person gefährdet ist, rechtmäßig ist; weist darauf hin, dass ein absolutes Verbot von medizinisch betreuten Abtreibungen oder die Verweigerung der Betreuung eines Schwangerschaftsabbruchs eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt ist, und fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, bewährte Praktiken in der Gesundheitsversorgung zu fördern, indem sie verfügbare Dienste im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit mit Überweisungssystemen für jede benötigte Gesundheitsversorgung auf höheren Ebenen einrichten;
36. erkennt an, dass sich einzelne Ärzte aus persönlichen Gründen auf eine Gewissensklausel berufen können; betont jedoch, dass eine Gewissensklausel für Einzelpersonen nicht das Recht eines Patienten auf vollständigen Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Gesundheitsdienstleistungen beeinträchtigen darf; fordert die Mitgliedstaaten und Gesundheitsdienstleister auf, solche Umstände im Hinblick auf die geografischen Aspekte bei der Erbringung ihrer Gesundheitsdienstleistungen zu berücksichtigen;"

Hier sind die Fakten nachzulesen: https://www.europarl.europa.eu/meps/de/ ... es/reports

Liest sich anders als Deine seltsame Einsatzbehauptung. :D
Wormser hat geschrieben:Sind das Werte der EU? In Polen und Ungarn werden solche "Werte" nicht geteilt. Dort werden Kinder geschützt und nicht umgebracht oder mit Homosexuellen-Propaganda drangsaliert.
Ja, das sind die Werte der EU.
Ja, offenbar teilen Menschen in der ungarischen und polnischen Regierung diese Werte nicht. Dort werden Frauen nicht geschützt, sondern umgebracht um es überspitzt mit Deinen Worten zu sagen.

Und jetzt erklär mal was Du mit einer "Homosexuellen-Propaganda" die Kinder "drangsaliert" denn meinst ?
:cool:
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

discipula hat geschrieben:(25 Jun 2021, 08:55)

ich zweifle, dass es zwischen regelverliebten Deutschen und individualistischen Briten leicht ist, Effizienz zu generieren.... die Mentalitäten sind doch sehr unterschiedlich.
Die Briten sind nicht wegen der deutschen Tüchtigkeit ausgetreten, sondern wegen des deutschen Moralismus.
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Vongole »

Fliege hat geschrieben:(25 Jun 2021, 17:13)

Die Briten sind nicht wegen der deutschen Tüchtigkeit ausgetreten, sondern wegen des deutschen Moralismus.
Ja, dieses Gerücht hält sich hartnäckig in bestimmten Kreisen.
Oder besser gesagt, es wird hartnäckig kolportiert.
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Fliege »

Vongole hat geschrieben:(25 Jun 2021, 17:27)

Ja, dieses Gerücht hält sich hartnäckig in bestimmten Kreisen.
Oder besser gesagt, es wird hartnäckig kolportiert.
Und wie schätzt du den Sachlage ein: Warum sind die Briten ausgetreten?
"Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen." – "Da der Mensch toll werden kann, so sehe ich nicht ein, warum es ein Weltsystem nicht auch werden kann" (Georg Christoph Lichtenberg).
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Re: Sammelstrang: Quo vadis, Europa und EU?

Beitrag von Vongole »

Fliege hat geschrieben:(25 Jun 2021, 17:59)

Und wie schätzt du den Sachlage ein: Warum sind die Briten ausgetreten?
Weil man ihnen in einer Lügenkampagne versprach, dass nach dem Brexit alles besser werden würde.
Und leider fielen 52% der Briten darauf rein.
Am Yisrael Chai

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