Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

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Keoma
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Keoma »

Selina hat geschrieben:(19 May 2020, 14:18)

Hast du eine Quelle dafür, wo die Angaben widerlegt werden?
Frag doch mal die Frau Gebhardt, wo sie ihre Zahlen her hat.

Aber auch hier
https://www.welt.de/geschichte/zweiter- ... ungen.html
werden Zweifel ausgedrückt.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Keoma »

Elmar Brok hat geschrieben:(19 May 2020, 14:25)

Aber genau zu dieser Ungenauigkeit steht sie doch scheinbar, wenn man den Artikel durchliest. Sie gibt ja selber zu, dass es sich hierbei um eine Schätzung handelt. Den Aspekt, dass die Vergewaltigungszahlen der Alliierten kaum/nicht ermittelbar sind, ist doch ein Erkenntnisgewinn. Solange sie betont, dass ihre Zahlen kaum/keine wissenschaftliche Grundlage habe, sehe ich das Problem nicht so wirklich.
Von mir aus.
Aber halbgare Schätzungen haben meiner Ansicht nach nichts mit Wissenschaft zu tun.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Jessie hat geschrieben:(19 May 2020, 07:42)
Die These von @Dark Angel, nach der auch Kriegsgefangene wie aktive Soldaten zu betrachten seien, die wussten, dass sie in einem Krieg sterben könnten, scheint mir widerlegt.
Bitte die Aussagen nicht verdrehen! Es ging um Opfer und ich habe geschrieben, Opfer sind nur Angehörige der Zivilbevölkerung. Militärangehörige sind keine Opfer. Man kann nicht die Militärangehörigen der einen Kriegspartei, die in Gefangenschaft gerieten, verhungerten, zu Zwangsarbeit gezwungen oder ermordet wurden oder gefallen sind, als Opfer betrachten, die der anderen jedoch nicht. Das funktioniert nicht!
Entweder Militärangehörige sind (auch) Opfer, dann jedoch Militärangeörige aller Kriegsparteien oder sie sind keine Opfer, dann wiederum aller Kriegsparteien.
Also: gar nichts "scheint widerlegt"!
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Europa2050 hat geschrieben:(19 May 2020, 09:32)

Wie bei jedem Verbrechen gibt es auch hier zwei Sichten - die Tätersicht und die Opfersicht.

Die Tätersicht ist durch die bereits zitierte Himmler-Rede offensichtlich. Hier machen die Täter tatsächlich einen Unterschied zwischen „bedingungslos umbringen„ und „versklaven und unter größtmöglichen Verlusten ausbeuten“.
Was in der genannten Rede gut rauskommt ist aber das Grundübel - die Kollektivierung. Himmler selbst betont, dass es nicht um die individuelle Beziehung von Otto-Normaldeutschem zu Salomon-Normaljude geht, sondern um den Kampf zweier Kollektive, dem man sich unterzuordnen habe. (Und das war in Kambodscha, Srebrenica oder Ruanda nicht anders ...)

Mir ist hier - von (fast) allen Diskutanten - die Tätersicht zu überrepräsentiert. Das hat sicherlich seine Gründe, erstens sind die Deutschen die Täter und zweitens bietet eine Diskussion der Tätersicht als einziges eine Chance, Wiederholungen zu verhindern.

Im Sinne eines tieferen Verständnis ist es aber eben auch nötig, die Opfersicht einzunehmen.
Die des jüdischen Opfers, das wusste, nur aufgrund seiner Herkunft von einem allgegenwärtigen Feind für den Tod vorgesehen zu sein und in seiner Machtlosigkeit kein Entrinnen zu haben.
Aber auch die des osteuropäischen Opfers, in einer Arbeitskolonne unter ständigem Hunger in den Tod getrieben oder von einem launischen Wehrmachtsangehörigen exekutiert zu werden, weil es nicht laut genug HH gerufen hatte und in seiner Machtlosigkeit ebenfalls kein Entrinnen zu haben.

Beide haben im Moment ihrer Entrechtung und Ermordung wohl kaum einen Vergleich gezogen ...

Meiner Meinung gibt es hier keinen Vergleich, weil Leid nicht vergleichbar ist. Das eigene Leid ist immer das schlimmste. Und ja, diese Sicht halte ich nicht für unmoralisch.
Es gibt kein fremdes Leid" Konstantin Simonow (1981)
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(19 May 2020, 14:49)

Es gibt kein fremdes Leid" Konstantin Simonow (1981)
Verrückt, aber das war nach dem Kommentar von Europa2050 auch mein erster Gedanke. Simonow. "Es gibt kein fremdes Leid", "Man wird nicht als Soldat geboren", "Die Lebenden und die Toten"...
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(19 May 2020, 14:58)

Verrückt, aber das war nach dem Kommentar von Europa2050 auch mein erster Gedanke. Simonow. "Es gibt kein fremdes Leid", "Man wird nicht als Soldat geboren", "Die Lebenden und die Toten"...
Tja, sämtliche Bücher von Konstantin Simonow waren zur Regierungszeit Stalins verboten. Warum wohl?
Sie durften erst nach Stalins Tod verlegt werden.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(19 May 2020, 15:03)

Tja, sämtliche Bücher von Konstantin Simonow waren zur Regierungszeit Stalins verboten. Warum wohl?
Sie durften erst nach Stalins Tod verlegt werden.
Ich weiß. Nichtsdestrotrotz sind seine Beschreibungen als berühmtester Kriegsberichterstatter der Roten Armee unheimlich erschütternd. Ein prägender Literatur-Baustein in jungen Jahren. Simonow war übrigens in den 1970ern in Leipzig bei der Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche zu Gast, wo er zu den Dokfilm-Preisträgern gehörte. Beim Zuschauergespräch mit ihm im proppenvollen Uni-Raum war ich mit Freunden dabei. Hochinteressant. Angehörige sollen über Simonow gesagt haben, dass er sicher Anhänger von Gorbatschow geworden wäre, hätte der Schriftsteller da noch gelebt.

Sein Gedicht "Wart auf mich" wurde weltberühmt:

https://erinnerungsort.de/lied/wart-auf-mich/
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Setup »

Schwer zu ertragende Aufnahmen von Deutschen, die im Mai 1945 in Tschechien hingerichtet wurden. Entgegen der Behauptung im Clip wurde aber bis heute keine Dokumentation im ÖR daraus. Und es gibt noch viel mehr Material, nicht nur aus Tschechien.

[youtube][/youtube]

Unter Kriegen leidet immer die Zivilbevölkerung, es spielt überhaupt keine Rolle, welche Nationalität sie haben. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(19 May 2020, 15:36)

Ich weiß. Nichtsdestrotrotz sind seine Beschreibungen als berühmtester Kriegsberichterstatter der Roten Armee unheimlich erschütternd. Ein prägender Literatur-Baustein in jungen Jahren. Simonow war übrigens in den 1970ern in Leipzig bei der Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche zu Gast, wo er zu den Dokfilm-Preisträgern gehörte. Beim Zuschauergespräch mit ihm im proppenvollen Uni-Raum war ich mit Freunden dabei. Hochinteressant. Angehörige sollen über Simonow gesagt haben, dass er sicher Anhänger von Gorbatschow geworden wäre, hätte der Schriftsteller da noch gelebt.

Sein Gedicht "Wart auf mich" wurde weltberühmt:

https://erinnerungsort.de/lied/wart-auf-mich/
Seine Beschreibungen sind nicht nur erschüttern, sie beschreiben auch recht schonungslos die unmenschlichen "Zustände" innerhalb der Roten Armee - gerade in den ersten Kriegsmonaten. Truppenteile, die einem Kessel entkommen waren und versuchten, sich zu den eigenen Linien durchzuschlagen wurden als Feiglinge und Deserteure gebrandtmarkt, teilweise standrechtlich erschossen oder wie Oberst Barabanow in den Selbstmord getrieben und auch Sinzow entkommt nur mehr oder weniger zufällig der Erschießung als Deserteur, weil er von einem alten Kommunisten erkannt wird und die "Chance" erhält, sich als einfacher Soldat an der Front (vor Moskau) zu "bewähren". Ähnlich schonungslos schildert Simonow gulagähnlichen die Zustände und Lebensbedingungen in den evakuierten Rüstungsbetrieben.
Aus heutiger Sicht sind das regelrechte Verbrechen am eigenen Volk. Menschenleben zählten unter Stalin nicht und auch unter diesem Gesichtspunkt sind die hohen Verluste an Armeeangehörigen und Opfern unter der Zivilbevölkerung zu betrachten.

Ähnlich schonungslos, teilweise schonungsloser schildert er die Verhältnisse in "Kriegstagebücher" und "Tage und Nächte".
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(19 May 2020, 15:56)

Seine Beschreibungen sind nicht nur erschüttern, sie beschreiben auch recht schonungslos die unmenschlichen "Zustände" innerhalb der Roten Armee - gerade in den ersten Kriegsmonaten. Truppenteile, die einem Kessel entkommen waren und versuchten, sich zu den eigenen Linien durchzuschlagen wurden als Feiglinge und Deserteure gebrandtmarkt, teilweise standrechtlich erschossen oder wie Oberst Barabanow in den Selbstmord getrieben und auch Sinzow entkommt nur mehr oder weniger zufällig der Erschießung als Deserteur, weil er von einem alten Kommunisten erkannt wird und die "Chance" erhält, sich als einfacher Soldat an der Front (vor Moskau) zu "bewähren". Ähnlich schonungslos schildert Simonow gulagähnlichen die Zustände und Lebensbedingungen in den evakuierten Rüstungsbetrieben.
Aus heutiger Sicht sind das regelrechte Verbrechen am eigenen Volk. Menschenleben zählten unter Stalin nicht und auch unter diesem Gesichtspunkt sind die hohen Verluste an Armeeangehörigen und Opfern unter der Zivilbevölkerung zu betrachten.

Ähnlich schonungslos, teilweise schonungsloser schildert er die Verhältnisse in "Kriegstagebücher" und "Tage und Nächte".
Ja. Sein Hauptthema als Erzähler, Lyriker und Dramatiker war der Große Vaterländische Krieg gegen den Hitlerfaschismus. In seiner berühmten Romantrilogie „Die Lebenden und die Toten“ (1960) sind die Akteure Offiziere und Soldaten der Roten Armee, die im Krieg gegen die Wehrmacht stehen. Ja, und dort beschrieb er erstmals auch die Fehler der sowjetischen Führung um Stalin 1941, die zu einigen schlimmen Niederlagen gegen die angreifenden Deutschen führten. Was sich mir aber vor allem in jungen Jahren stark einprägte, das war die genaue und teils brutal detaillierte Beschreibung des Aggressionskrieges der Deutschen gegen die Sowjetunion, immer verbunden mit zutiefst bewegenden Einzelschicksalen, die wohl oft auch authentische Vorbilder hatten. Simonow befand sich ja oft direkt an vorderster Frontlinie. Und trotz aller Brutalität des Krieges behielt er immer in allen Beschreibungen, sogar gegenüber dem Feind, seine Menschlichkeit.
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Ammianus
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Ammianus »

Schonungslos beschreibt auch Theodor Plievier den Krieg auf beiden Seiten. Er emigrierte vor den Nazis in die Sowjetunion und überlebte dort wohl hauptsächlich, weil er kein Kommunist war. Seine Trilogie "Moskau", "Stalingrad" und "Berlin" beschreibt die Zeit vom Überfall im Juni 41 bis zum 17. Juni 1953 und damit auch die Installation des stalinistischen Regimes im Osten Deutschlands. "Stalingrad" enthält keinerlei Kritik an der Sowjetunion und wurde so auch 1945 in der sowjetischen Besatzungszone veröffentlich. 1947 verließ er diese. Wegen seiner mehr als deutlichen beiden andere Bände der Trilogie hassten die Kommunisten ihn und er wurde bis in die 80er Jahre zur Unperson. Dann allerdings veröffentlichten sie "Stalingrad" 1984 wieder mit einem Nachwort von Herrmann Kant. Darin darf man z.B. lesen:

"Der Mann ist lange tot, aber da er in der Literaturgeschichte lebt, darf in aller Sachlichkeit festgestellt werden, dass er nach seinem Frontwechsel 1947 und seinem Fortgang von Weimar nach München nur noch schlimme Machwerke geliefert hat. Selten hat sich politischer Absturz auch so deutlich als ein literarischer gezeigt."

Nun ja, der Mann ist noch nicht so lange tot und mit derartigen Äußerungen stellte er sich so ziemlich auf eine Stufe mit dem Ex-Nazi der für das Neue Deutschland 1976 die Begründung der Biermann-Ausbürgerung zusammenschmierte. Andersherum war eine Wiederauflage "Stalingrads" ohne derartige Absonderungen unter dem Unrechtsregime in der DDR nicht möglich.

Nachtrag:

Besonders "Moskau" und "Berlin" sind sehr lesenswert.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von PeterK »

Zunder hat geschrieben:(19 May 2020, 09:06)
Bei der Ermordung eines Großteils der polnischen Intelligenz ging es nicht um die Vernichtung eines Teils des polnischen Volkes, sondern um Ausschaltung der Eliten zum Zweck der Versklavung des polnischen Volkes.
Nein, sorry, das ist falsch. Bei der Ermordung eines Großteils der polnischen Intelligenz ging es um die Vernichtung eines Teils des polnischen Volkes zum Zweck der Versklavung des polnischen Volkes.

"Ausschaltung" muss man wohl als - hoffentlich unbeabsichtigten - Euphemismus werten.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Zunder »

PeterK hat geschrieben:(19 May 2020, 18:26)

Nein, sorry, das ist falsch. Bei der Ermordung eines Großteils der polnischen Intelligenz ging es um die Vernichtung eines Teils des polnischen Volkes zum Zweck der Versklavung des polnischen Volkes.

"Ausschaltung" muss man wohl als - hoffentlich unbeabsichtigten - Euphemismus werten.
Bei der Ermordung eines Großteils der polnischen Intelligenz ging es definitiv nicht um das Volk ("Gruppe als solche" bzw. "group as such"), sondern tatsächlich um die Eliten.

Das Geheimnis, wo ein Euphemismus bestehen soll, wenn ich schreibe, daß ein Großteil ermordet wurde, um die Eliten als Ganzes auszuschalten, darfst du gerne für dich behalten.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von PeterK »

Zunder hat geschrieben:(19 May 2020, 21:03)
Bei der Ermordung eines Großteils der polnischen Intelligenz ging es definitiv nicht um das Volk ("Gruppe als solche" bzw. "group as such"), sondern tatsächlich um die Eliten.

Das Geheimnis, wo ein Euphemismus bestehen soll, wenn ich schreibe, daß ein Großteil ermordet wurde, um die Eliten als Ganzes auszuschalten, darfst du gerne für dich behalten.
Du bist einem Übersetzungsfehler aufgesessen. ", as such:" bedeutet "so wie:" in Bezug auf die folgenden "acts" a) bis e). Im Text wird also nicht von einer "Gruppe als solche" gesprochen.

"Ausschalten" ist IMO als Beschreibung eines planmäßigen Massenmords ein Euphemismus.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Europa2050 »

Zunder hat geschrieben:(19 May 2020, 21:03)

Bei der Ermordung eines Großteils der polnischen Intelligenz ging es definitiv nicht um das Volk ("Gruppe als solche" bzw. "group as such"), sondern tatsächlich um die Eliten.

Das Geheimnis, wo ein Euphemismus bestehen soll, wenn ich schreibe, daß ein Großteil ermordet wurde, um die Eliten als Ganzes auszuschalten, darfst du gerne für dich behalten.
Was Du hier beschreibst gibt eher die Vorgehensweise der UdSSR (Katyn, Kurapaty) wieder (+ Umsiedlung der polnischstämmigen Bevölkerung nach Sibirien).

Die Deutschen gingen da einige Schritte weiter. Da war auch der Normalpole potentielles Mordopfer.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von PeterK »

Europa2050 hat geschrieben:(20 May 2020, 08:10)

Was Du hier beschreibst gibt eher die Vorgehensweise der UdSSR (Katyn, Kurapaty) wieder (+ Umsiedlung der polnischstämmigen Bevölkerung nach Sibirien).

Die Deutschen gingen da einige Schritte weiter. Da war auch der Normalpole potentielles Mordopfer.
Es gibt da diese Hitler-Rede (22.8.39, die Quelle ist IMO umstritten, wird aber immer wieder zitiert):
So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Zunder »

PeterK hat geschrieben:(20 May 2020, 07:09)

Du bist einem Übersetzungsfehler aufgesessen. ", as such:" bedeutet "so wie:" in Bezug auf die folgenden "acts" a) bis e). Im Text wird also nicht von einer "Gruppe als solche" gesprochen.

"Ausschalten" ist IMO als Beschreibung eines planmäßigen Massenmords ein Euphemismus.
"So wie" hieße auf Englisch "such as". Dort steht aber "as such". Das ist kein Versehen.

Mit Ausschalten habe ich nicht den Massenmord beschrieben, sondern die Ausschaltung der Eliten.

Den Massenmord an den Eliten findest du in der Aussage, daß ein Großteil der Intelligenz ermordet wurde.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von PeterK »

Zunder hat geschrieben:(20 May 2020, 10:33)
"So wie" hieße auf Englisch "such as". Dort steht aber "as such". Das ist kein Versehen.
Nope. Das Komma davor und den Doppelpunkt danach hast Du vermutlich überlesen. In der spanischen und französischen Version ist es korrekt mit "como tal:" und "comme tel:" übersetzt. Z.B. hier https://fr.wikipedia.org/wiki/Conventio ... 3%A9nocide
Mit Ausschalten habe ich nicht den Massenmord beschrieben, sondern die Ausschaltung der Eliten.
Ich halte solche Begriffe für unangebracht. Schau mal hier:

https://books.google.es/books?id=g1y0sE ... de&f=false

Da geht es um das Vokabular des Genozids. "A.B.-Aktion" und "Ausschaltung" sind auch dabei.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Quatschki »

Man muß auch bedenken, dass zusätzlich zu dem 0,65 Mio in Vorkriegspolen und Freistaat Danzig lebenden ethnischen Deutschen mehr als 3 Mio Polen gemäß "Deutscher Volksliste" eingedeutscht wurden
Nach dem Krieg galten diese Polen im kommunistischen Volkspolen als Volksverräter und Kollaborateure und teilten vielfach das Schicksal der vertriebenen Deutschen oder schlimmer. Obwohl sie nach dem deuschen Einmarsch nichts weiter getan hatten, als sich des deutschen Uropas zu erinnern (so wie die Spätaussiedler nach 1990), um die Lebenssituation ihrer Familien zu verbessern.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von TheManFromDownUnder »

Selina hat geschrieben:(19 May 2020, 13:59)

Da hast du recht. Allerdings ging es gerade im Post eines Users um die "russischen Vergewaltiger-Horden".

https://www.deutschlandfunk.de/zweiter- ... _id=318892

Warum nicht das Kind beim Namen nennen!

Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen und warum soll die Auarbeitung nur auf die deutsche Seite beschraenkt sein??

Die BBC spricht von der "Gewaltigung von Berlin"
Stalin's troops assaulted an uncounted number of women as they fought their way to the German capital, though this was rarely mentioned after the war in Germany - West or East - and is a taboo subject in Russia even today.
Erwaehnenswert ist, das bis heute dieses Kapitel ruhmreicher russischer Kriegsfuehrung tabu ist!

https://www.bbc.com/news/magazine-32529679

Ich empfehle diesen BBC Artikel zu lesen!
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Zunder »

PeterK hat geschrieben:(20 May 2020, 11:04)

Nope. Das Komma davor und den Doppelpunkt danach hast Du vermutlich überlesen. In der spanischen und französischen Version ist es korrekt mit "como tal:" und "comme tel:" übersetzt. Z.B. hier https://fr.wikipedia.org/wiki/Conventio ... 3%A9nocide


Ich halte solche Begriffe für unangebracht. Schau mal hier:

https://books.google.es/books?id=g1y0sE ... de&f=false

Da geht es um das Vokabular des Genozids. "A.B.-Aktion" und "Ausschaltung" sind auch dabei.
"Comme tel" bedeutet dasselbe wie "as such" - "als solche".
https://context.reverso.net/%C3%BCberse ... /comme+tel

Daß im Englischen und Französischen andere oder möglicherweise gar keine Kommaregeln gelten, ändert nichts an der Wortbedeutung.

Als Guido Buchwald im Finale 1990 Diego Maradona ausgeschaltet hat, hat er sich also an einem Genozid beteiligt. Wäre das auch geklärt.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(19 May 2020, 16:17)

Ja. Sein Hauptthema als Erzähler, Lyriker und Dramatiker war der Große Vaterländische Krieg gegen den Hitlerfaschismus. In seiner berühmten Romantrilogie „Die Lebenden und die Toten“ (1960) sind die Akteure Offiziere und Soldaten der Roten Armee, die im Krieg gegen die Wehrmacht stehen. Ja, und dort beschrieb er erstmals auch die Fehler der sowjetischen Führung um Stalin 1941, die zu einigen schlimmen Niederlagen gegen die angreifenden Deutschen führten. Was sich mir aber vor allem in jungen Jahren stark einprägte, das war die genaue und teils brutal detaillierte Beschreibung des Aggressionskrieges der Deutschen gegen die Sowjetunion, immer verbunden mit zutiefst bewegenden Einzelschicksalen, die wohl oft auch authentische Vorbilder hatten. Simonow befand sich ja oft direkt an vorderster Frontlinie. Und trotz aller Brutalität des Krieges behielt er immer in allen Beschreibungen, sogar gegenüber dem Feind, seine Menschlichkeit.
Naja - ich habe nicht nur Simonow gelesen, auch die Memoiren von Shukow, Rokossowski (einem Opfer der stalinischen "Säuberungsaktionen"), Bagramjan, Kusnetzow und Tschuikow. Ist zwar teilweise schon eine Weile her und einiges sehe ich heute unter einem etwas anderen Blickwinkel.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

TheManFromDownUnder hat geschrieben:(20 May 2020, 12:07)

Warum nicht das Kind beim Namen nennen!

Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen und warum soll die Auarbeitung nur auf die deutsche Seite beschraenkt sein??


Die BBC spricht von der "Gewaltigung von Berlin"



Erwaehnenswert ist, das bis heute dieses Kapitel ruhmreicher russischer Kriegsfuehrung tabu ist!

https://www.bbc.com/news/magazine-32529679

Ich empfehle diesen BBC Artikel zu lesen!
Genau das ist der Punkt. Mit der Aufarbeitung "eigener" Kriegsverbrechen hatten die Allierten lange - viel zu lange - ein Problem. Die durfte es nicht gegeben haben. Erst in den letzten Jahren werden solche Kriegsverbrechen überhaupt thematisiert, wird zugegeben, dass es diese auch auf allierter Seite gab bzw werden Handlungen als Kriegsverbrechen bezeichnet.
Es findet also ein Umdenken statt - insbesondere auch im Zusammenhang mit den Flächenbombardements.
Da gab es durchaus Kontroversen zwischen Briten und Amerikanern, was die Beteiligung betrifft.
Der Oberbefehlshaber der 8. USAAF-Luftflotte in Großbritanniern Gen. James Doolittle z.B. fürchtete um die "Ehre" der "Migthy Eigth" und brachte seine Bedenken und seine Ablehnung der Beteiligung an Flächenbombardements bei seinen Oberkommando zum Ausdruck - jedoch ohne Erfolg.
Bomberpilot Paul Tibbets hingegen erklärte nach seinem Bombenabwurf über Hiroshima vor der Presse "Im Krieg gibt es keine Moral".
Was bis vor Kurzem ebenso unerwähnt blieb, ist die Tatsache, dass es auch auch amerikanischer Seite (im Zusammenhang mit der Ardennenoffensive der Nazis) zu Erschießungen, ganzer Gruppen unbewaffneter deutscher Soldaten kam, die sich bereits ergeben hatten und offiziell als Kriegsgefangene galten.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von PeterK »

Zunder hat geschrieben:(20 May 2020, 12:49)

"Comme tel" bedeutet dasselbe wie "as such" - "als solche".
https://context.reverso.net/%C3%BCberse ... /comme+tel

Daß im Englischen und Französischen andere oder möglicherweise gar keine Kommaregeln gelten, ändert nichts an der Wortbedeutung..
Ich stehe nicht hintan zuzugeben, dass Du wohl recht hast :). Die Schlüsse, die Du daraus ziehst, halte ich allerdings für falsch.
Als Guido Buchwald im Finale 1990 Diego Maradona ausgeschaltet hat, hat er sich also an einem Genozid beteiligt. Wäre das auch geklärt.
Das ist nun wiederum albern. Es geht darum, "Ausschalten" als Euphemismus für Massenmord zu verwenden. Ich hoffe, Du willst hier nicht relativieren.
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conscience
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von conscience »

Die gesamte Tragweite der sowjetischen Soldateska wird erst dann begreiflich, wenn man sich klar macht, dass die massenhafte Vergewaltigung von Frauen nicht auf Deutsche beschränkt blieb und nicht erst an der Grenze des damaligen Großdeutschen Reiches ihren Anfang nahm, sondern schon in Ostpolen begann sich die Rote Armee so aufzuführen, wie die deutsche, nationalsozialistische, Propaganda immer behauptet hatte — nicht zuletzt haben an der Ostfront gerade deshalb viele deutsche Soldaten in aussichtsloser Lage weitergekämpft - aus Angst vor russischer Gefangenschaft und Befürchtungen über das Schicksal der eigenen Familie, einem unerbittlichen Feind gegenüberstehend, dessen entmenschlichtes Bild unablässig von Goebbels Propaganda-Maschine geschürt wurde, kostete diese Mengenlage der Roten Armee einen unnötigen Blutzoll.
TheManFromDownUnder hat geschrieben:(20 May 2020, 12:07)

Warum nicht das Kind beim Namen nennen!

Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen und warum soll die Auarbeitung nur auf die deutsche Seite beschraenkt sein??

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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Quatschki »

Es gab eben aus Gründen der sozialistischen Moral keine Truppenbordelle
und aus Gründen der sozialistischen Organisation keinen Heimaturlaub
und aus Gründen der sozialistischen Kultur keine Mittel, um die Gunst der Frauen und Mädchen in den besetzten Gebieten auf zivilisierte Weise zu werben
und aus Gründen der sozialistischen Armut keine Möglichkeit, sich selbige erkaufen zu können.
Waren arme Kerle, die Rotarmisten.
Und wenn es dann noch Nichtrussen waren, kam die Diskriminierung in der eigenen Truppe dazu
Kein Neger in der US-Army hätte mit den Asiaten in der Roten Armee tauschen wollen
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Selina
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Unvorstellbar, was die Menschen in Leningrad bei der Blockade durch die Wehrmacht erleben, erleiden und ertragen mussten:

Etwa 900 Tage währte die Blockade von Leningrad. Sie gilt als eines der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Mehr als eine Million Menschen starben zwischen 1941 und 1944 an Hunger, Kälte und Krankheiten sowie bei Granatbeschuss und den Kämpfen um die Stadt.

Die Gesamtzahl der militärischen und zivilen Verluste bei der Blockade Leningrads wird in einigen Quellen auf bis zu 1,5 Millionen Menschen beziffert. Der "Leningrader Kessel" konnte nur aus der Luft und im Winter über das Eis des Ladogasees versorgt werden. In der Stadt waren die Zustände grauenhaft, gerade im Winter 1941, als die Temperaturen auf minus 40 Grad fielen. Brennmaterial war knapp, aber noch schlimmer war der Hunger. Die Lebensmittelrationen bestanden teilweise nur aus 125 Gramm Brot. In ihrer Not kochten die Menschen Lederwaren aus und aßen die so gewonnene Gallerte. Sie aßen Katzen, Ratten und Blätter, kratzen Leim von den Tapeten, streckten Brot mit Sägemehl. Die sowjetischen Behörden registrieren im ersten Blockadewinter 1941/42 mehr als 1000 Fälle von Kannibalismus...

...In Deutschland wird der Opfer der NS-Diktatur am 27. Januar gedacht. In Russland wird an diesem Tag das Ende der Leningrader Blockade gefeiert. Bei der Befreiung lebten in der nach Revolutionsführer Lenin benannten Stadt nur noch 800.000 der einst 2,5 Millionen Einwohner.


https://www.sueddeutsche.de/politik/zwe ... -1.1872865
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von BlueMonday »

Erst mal müsste man beleuchten,was man unter einem "Kriegsverbrechen" überhaupt versteht. Es geht dabei offenbar um Vorgänge im Kontext eines Krieges, die aber über die die gewöhnlichen Kriegsmittel hinausgehen. Die Belagerung von Städten, Burgen, Verteidigungsstellungen usw. war nun lange Zeit ein ganz gewöhnliches Mittel der Kriegsführung, auch und gerade mit dem Ziel die Belagerten auszuhungern, zu dezimieren und so schlussendlich zur Aufgabe zu bringen. Das Kriegsverbrechen beginnt, wenn man trotz Kapitulation eine Belagerung aufrechterhält oder wenn man jemanden erschießt, der die weiße Fahne schwenkt, wenn man einen Kriegsgefangenen nicht verpflegt und verhungern lässt usw.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(20 May 2020, 18:29)

Unvorstellbar, was die Menschen in Leningrad bei der Blockade durch die Wehrmacht erleben, erleiden und ertragen mussten:

Etwa 900 Tage währte die Blockade von Leningrad. Sie gilt als eines der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Mehr als eine Million Menschen starben zwischen 1941 und 1944 an Hunger, Kälte und Krankheiten sowie bei Granatbeschuss und den Kämpfen um die Stadt.

Die Gesamtzahl der militärischen und zivilen Verluste bei der Blockade Leningrads wird in einigen Quellen auf bis zu 1,5 Millionen Menschen beziffert. Der "Leningrader Kessel" konnte nur aus der Luft und im Winter über das Eis des Ladogasees versorgt werden. In der Stadt waren die Zustände grauenhaft, gerade im Winter 1941, als die Temperaturen auf minus 40 Grad fielen. Brennmaterial war knapp, aber noch schlimmer war der Hunger. Die Lebensmittelrationen bestanden teilweise nur aus 125 Gramm Brot. In ihrer Not kochten die Menschen Lederwaren aus und aßen die so gewonnene Gallerte. Sie aßen Katzen, Ratten und Blätter, kratzen Leim von den Tapeten, streckten Brot mit Sägemehl. Die sowjetischen Behörden registrieren im ersten Blockadewinter 1941/42 mehr als 1000 Fälle von Kannibalismus...

...In Deutschland wird der Opfer der NS-Diktatur am 27. Januar gedacht. In Russland wird an diesem Tag das Ende der Leningrader Blockade gefeiert. Bei der Befreiung lebten in der nach Revolutionsführer Lenin benannten Stadt nur noch 800.000 der einst 2,5 Millionen Einwohner.


https://www.sueddeutsche.de/politik/zwe ... -1.1872865
Zum Thema passend und zugleich erschreckend:

"Truppen der deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten umschlossen in den Jahren 1941 bis 1944 die alte russische Hauptstadt und forcierten dabei den qualvollen Hungertod Hunderttausender. Trotzdem hat die lange Belagerung im kollektiven Bewusstsein der Deutschen noch keinen angemessenen Stellenwert gefunden. ...

Warum hat also dieses Ereignis, dessen Beginn sich demnächst zum 77. Mal jährt, keinen festen Platz in der deutschen Erinnerungskultur? Wieso gibt es kein jährlich wiederkehrendes offizielles Gedenken, keine die Ereignisse erinnernde Medienberichterstattung wie zu anderen Jahrestagen nationalsozialistischer Verbrechen, etwa dem Warschauer Aufstand? ...

In Westdeutschland war die Leningrader Blockade der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. In den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende stand hier die Erinnerung an das Leiden der Zivilbevölkerung in Deutschland und an die Schlacht um Stalingrad im Vordergrund. Im kollektiven Gedächtnis wurden also vor allem Ereignisse erinnert, bei denen Deutsche Opfer der Angriffe der Alliierten oder der Bedingungen an der Front waren. Verstärkt wurde diese Wahrnehmung dadurch, dass die Schlacht um Stalingrad bereits während des Krieges durch die nationalsozialistische Propaganda betont wurde, während die Leningrader Blockade nicht thematisiert wurde. Leningrad wurde in westdeutschen Schulbüchern zunächst vor allem als Wendepunkt im sogenannten Russlandfeldzug dargestellt. Kam es zu einer genaueren Beschreibung der Blockade der Stadt, wurde sie als legitimes Mittel in der Kriegsführung präsentiert und genauer auf die Situation der Soldaten im nördlichen Russland eingegangen, nicht jedoch die der Leningrader Zivilbevölkerung dargestellt. ...

Und dennoch: Wie Ulrike Jureit in der Podiumsdiskussion „Vergessen – Gegenwärtig“ anmerkte, wird die Leningrader Blockade in Deutschland bis heute nicht in den Schulbüchern für den Geschichtsunterricht behandelt. Die bewusste Auseinandersetzung der deutschen Öffentlichkeit mit der Blockade, als einem der größten Verbrechen der Nationalsozialisten in der damaligen Sowjetunion, ist noch jung. Zugleich sind die Einzelheiten dieses Ereignisses weitgehend noch nicht bekannt. ...
Quelle
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(20 May 2020, 19:13)

Zum Thema passend und zugleich erschreckend:

"Truppen der deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten umschlossen in den Jahren 1941 bis 1944 die alte russische Hauptstadt und forcierten dabei den qualvollen Hungertod Hunderttausender. Trotzdem hat die lange Belagerung im kollektiven Bewusstsein der Deutschen noch keinen angemessenen Stellenwert gefunden. ...

Warum hat also dieses Ereignis, dessen Beginn sich demnächst zum 77. Mal jährt, keinen festen Platz in der deutschen Erinnerungskultur? Wieso gibt es kein jährlich wiederkehrendes offizielles Gedenken, keine die Ereignisse erinnernde Medienberichterstattung wie zu anderen Jahrestagen nationalsozialistischer Verbrechen, etwa dem Warschauer Aufstand? ...

In Westdeutschland war die Leningrader Blockade der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. In den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende stand hier die Erinnerung an das Leiden der Zivilbevölkerung in Deutschland und an die Schlacht um Stalingrad im Vordergrund. Im kollektiven Gedächtnis wurden also vor allem Ereignisse erinnert, bei denen Deutsche Opfer der Angriffe der Alliierten oder der Bedingungen an der Front waren. Verstärkt wurde diese Wahrnehmung dadurch, dass die Schlacht um Stalingrad bereits während des Krieges durch die nationalsozialistische Propaganda betont wurde, während die Leningrader Blockade nicht thematisiert wurde. Leningrad wurde in westdeutschen Schulbüchern zunächst vor allem als Wendepunkt im sogenannten Russlandfeldzug dargestellt. Kam es zu einer genaueren Beschreibung der Blockade der Stadt, wurde sie als legitimes Mittel in der Kriegsführung präsentiert und genauer auf die Situation der Soldaten im nördlichen Russland eingegangen, nicht jedoch die der Leningrader Zivilbevölkerung dargestellt. ...

Und dennoch: Wie Ulrike Jureit in der Podiumsdiskussion „Vergessen – Gegenwärtig“ anmerkte, wird die Leningrader Blockade in Deutschland bis heute nicht in den Schulbüchern für den Geschichtsunterricht behandelt. Die bewusste Auseinandersetzung der deutschen Öffentlichkeit mit der Blockade, als einem der größten Verbrechen der Nationalsozialisten in der damaligen Sowjetunion, ist noch jung. Zugleich sind die Einzelheiten dieses Ereignisses weitgehend noch nicht bekannt. ...
Quelle
Ja. Erschreckend. Und sehr nachdenklich stimmend auch die Tatsache, dass die Bundesregierung erst im Jahr 2019 (!) beschloss, die noch lebenden Opfer der Blockade finanziell zu entschädigen. 2019!

Blockade Leningrads:
Bundesregierung kündigt Hilfen für sowjetische Kriegsopfer an

Während der Blockade des heutigen St. Petersburg durch die Wehrmacht vor 75 Jahren starben eine Million Menschen. Nun will die Bundesregierung Überlebende entschädigen.

75 Jahre nach dem Ende der Leningrader Blockade erinnert Deutschland an die Opfer der Belagerung während des Zweiten Weltkriegs. Die Bundesregierung will zum Jahrestag die noch lebenden Opfer sowie Projekte zur deutsch-russischen Verständigung mit rund zwölf Millionen Euro unterstützen.

Rund eine Million Menschen starben an Hunger und Krankheiten, als die Wehrmacht versuchte, die Bevölkerung des heutigen St. Petersburg systematisch auszuhungern. Die Heeresgruppe Nord der Wehrmacht und finnische Truppen hatten die Stadt ab 1941 eingekesselt. Die Blockade dauerte rund 900 Tage bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Januar 1944. Die Stadt konnte nur noch über den Ladogasee versorgt werden, die Wehrmacht bombardierte gezielt Lebensmittelspeicher.


https://www.zeit.de/politik/ausland/201 ... d-gedenken
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Der Historiker Jörg Ganzenmüller spricht im Zusammenhang mit der Leningrader Blockade durch die deutsche Wehrmacht von Völkermord:

60. Jahrestag: Ein stiller Völkermord

Vor 60 Jahren endete nach fast 900 Tagen die deutsche Blockade von St. Petersburg, dem damaligen Leningrad. Das Ziel der Wehrmacht war es allerdings nicht gewesen, die Stadt zu erobern, sondern die Einwohner zu vernichten. Eine Million Menschen fiel diesem Genozid zum Opfer.


https://www.zeit.de/2004/04/A-Belagerun ... ettansicht
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Quatschki »

Interessanterweise wurden die politisch Führer der Leningrader Parteiführung später als Verräter und Volksfeinde erschossen und ihre Namen aus den zeitgenössischen sowjetischen Geschichtsbüchern getilgt.
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Dark Angel
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(20 May 2020, 19:46)

Ja. Erschreckend. Und sehr nachdenklich stimmend auch die Tatsache, dass die Bundesregierung erst im Jahr 2019 (!) beschloss, die noch lebenden Opfer der Blockade finanziell zu entschädigen. 2019!

Blockade Leningrads:
Bundesregierung kündigt Hilfen für sowjetische Kriegsopfer an

Während der Blockade des heutigen St. Petersburg durch die Wehrmacht vor 75 Jahren starben eine Million Menschen. Nun will die Bundesregierung Überlebende entschädigen.

75 Jahre nach dem Ende der Leningrader Blockade erinnert Deutschland an die Opfer der Belagerung während des Zweiten Weltkriegs. Die Bundesregierung will zum Jahrestag die noch lebenden Opfer sowie Projekte zur deutsch-russischen Verständigung mit rund zwölf Millionen Euro unterstützen.

Rund eine Million Menschen starben an Hunger und Krankheiten, als die Wehrmacht versuchte, die Bevölkerung des heutigen St. Petersburg systematisch auszuhungern. Die Heeresgruppe Nord der Wehrmacht und finnische Truppen hatten die Stadt ab 1941 eingekesselt. Die Blockade dauerte rund 900 Tage bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Januar 1944. Die Stadt konnte nur noch über den Ladogasee versorgt werden, die Wehrmacht bombardierte gezielt Lebensmittelspeicher.


https://www.zeit.de/politik/ausland/201 ... d-gedenken
Geld - was besseres fällt unserer Regierung nicht ein. Als ob man mit Geld die Toten wieder zum Leben erwecken oder die erlittenen Traumata vergessen machen könnte.
Mit Geld kann man keine Verbrechen, kein erlittenes Leid ungeschehen machen, ebenso wenig mit einer zelebrierten "Erinnerungskultur" oder einem Schuldkult. Das alles bringt im Endeffekt gar nichts, wenn dem ganzen keine umfassende Aufarbeitung zugrunde liegt, wenn Worten keine Taten folgen.
Aufarbeitung bedeutet in diesem Zusammenhang jedoch (auch) eine Auseinandersetzung mit der zugrunde liegenden Ideologie, die die Verbrechen überhaupt erst ermöglichten. Eine solche Auseinandersetzung mit Ideologie beinhaltet allerdings, dass man sich vergegenwärtigt, was permanente Indoktrination - von klein auf - aus und mit Menschen macht, bedeutet dass man sich vergegenwärtigt, dass mittels dieser Ideologie in alle Lebensbereiche der Menschen eingedrungen, diese kontrolliert und Menschen mit dieser Propaganda und mit der Verbreitung von Angst (allgegenwärtiges Denunziantentum) manipuliert und "gefügig" gemacht wurden. Dies ist, bei aller Verurteilung der Naziverbrechen bisher nicht geschehen.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von H2O »

Dieser Gedankengang macht mich ratlos: Also, mit Geld, das man auch ganz gut für eigene Zwecke hätte verwenden können, und mit Gedenkveranstaltungen zu eigener Schuld, macht man keine Toten wieder lebendig. Wer wollte das Gegenteil behaupten?

Die Gehirnwäsche, die die Nazis ausüben konnten, war in 6 Jahren bis zum Kriegsbeginn sicher nicht abgeschlossen, sie reichte aber aus, um einen beispiellosen Raub- und Vernichtungskrieg ohne nennenswerte Gegenwehr der Mitbürger beginnen zu können und den Krieg nach anfänglichen Riesensiegen bis zur völligen Niederlage durchhalten zu können. In welcher Form hatte diese Gehirnwäsche denn stattgefunden, daß sie so wirksam sein konnte? Oder war es nicht vielleicht doch so, daß viele dieser Wahnsinnsvorstellungen, schon lange bevor die Nazis sich ihrer ohne jedes Unrechtsbewußsein bedienten, längst vorgeprägt waren?

Ich meine, nun müßten Ansätze und Vorschläge folgen, wie wir hier die geistige Vorbereitung von Kriegsverbrechen abarbeiten könnten. Die Toten werden auch dadurch nicht wieder lebendig; ob das die Nachkommen der Toten uns Heutigen gegenüber milder stimmen wird als Mittelzuweisungen in schlimmen Fällen der Gegenwart und öffentliche Reue... wer will das schon jetzt festlegen?
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Selina
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Die Überlebenden finanziell zu entschädigen oder, besser gesagt, zu unterstützen in ihrem oft sehr bescheidenen Leben, ist das Mindeste, was die Deutschen heute noch tun können. Das kommt nur viel zu spät. Die meisten Überlebenden der Nazi-Blockade sind inzwischen gestorben. Eine Schande, dass das erst heute passiert, etwas für die Entschädigung zu tun. Aber besser als nichts. Und nur nebenbei, Dark Angel, mit dem Wort "Schuldkult" sollte man vorsichtig sein. Stammt aus dem rechtsextremen Vokabular der geschichtsrevisionistischen AfD.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(20 May 2020, 23:05)

Die Überlebenden finanziell zu entschädigen oder, besser gesagt, zu unterstützen in ihrem oft sehr bescheidenen Leben, ist das Mindeste, was die Deutschen heute noch tun können. Das kommt nur viel zu spät. Die meisten Überlebenden der Nazi-Blockade sind inzwischen gestorben. Eine Schande, dass das erst heute passiert, etwas für die Entschädigung zu tun. Aber besser als nichts.
Überlebende finanziell entschädigen ...?
Wie viele Überlebende gibt es denn 75 Jahre nach Kriegsende noch und wie alt sind die?
Das mindeste was "die Deutschen" heute tun können, ist Verantwortung dafür zu tragen, dass derartige Verbrechen nie wieder begangen werden, dass Deutsche nie wieder an derartigen Verbrechen beteiligt sind.
Diese so genannte Entschädigung hat das Geschmäckle von freikaufen von dieser Verantwortung.
Selina hat geschrieben:(20 May 2020, 23:05)
Und nur nebenbei, Dark Angel, mit dem Wort "Schuldkult" sollte man vorsichtig sein. Stammt aus dem rechtsextremen Vokabular der geschichtsrevisionistischen AfD.
Wenn dein "... stammt aus ..." deine einziges Argument ist, tust du mir schrecklich leid!
Man kann "Schuld" sehr wohl kultivieren, sie zu einem Kult erheben - als etwas, was von Generation zu Generation vererbt wird, als "immerwährendes Vermächtnis", ohne wirkliche Aufarbeitung, ohne Lehren daraus zu ziehen und ohne Verantwortung zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass dergleichen nie wieder geschieht, nie wieder geschehen kann/darf.
Genau diese Aufareitung erfolgt nicht, es werden keine Lehren gezogen, es wird keine Verantwortung übernommen, sondern es wird nur "an Verbrechen - an Schuld - erinnert", an eine Schuld erinnert, die voran gegangene Generationen, durch ihr Handeln oder Nichthandeln, durch nicht wissen wollen, auf sich geladen haben und damit an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben.
Das mag noch funktionieren, weil immer noch einige wenige der Generation leben, die an den Verbrechen beteiligt waren, die sich ihrer Schuld aber nicht stellen, weil es immer noch Zeitzeugen gibt, weil 75 Jahre nach Ende dieser Gläuel eine relativ kurze Zeit sind.
Je mehr Zeit vergeht, um so weniger werden kommende Generationen bereit sein, "sich schuldig zu fühlen" bzw eine Schuld auf sich zu nehmen, mit der sie nichts zu tun haben.
Statt immer wieder auf eine Schuld hinzuweisen, sollte besonderes Augenmerk die Lehren gelegt werden, die aus dem Geschehenen zu ziehen sind und auf die Verantwortung, die sich aus diesen Lehren ergibt und genau das erfolgt m.M.n. viel zu wenig.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(21 May 2020, 13:40)

Überlebende finanziell entschädigen ...?
Wie viele Überlebende gibt es denn 75 Jahre nach Kriegsende noch und wie alt sind die?
Das mindeste was "die Deutschen" heute tun können, ist Verantwortung dafür zu tragen, dass derartige Verbrechen nie wieder begangen werden, dass Deutsche nie wieder an derartigen Verbrechen beteiligt sind.
Diese so genannte Entschädigung hat das Geschmäckle von freikaufen von dieser Verantwortung.


Wenn dein "... stammt aus ..." deine einziges Argument ist, tust du mir schrecklich leid!
Man kann "Schuld" sehr wohl kultivieren, sie zu einem Kult erheben - als etwas, was von Generation zu Generation vererbt wird, als "immerwährendes Vermächtnis", ohne wirkliche Aufarbeitung, ohne Lehren daraus zu ziehen und ohne Verantwortung zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass dergleichen nie wieder geschieht, nie wieder geschehen kann/darf.
Genau diese Aufareitung erfolgt nicht, es werden keine Lehren gezogen, es wird keine Verantwortung übernommen, sondern es wird nur "an Verbrechen - an Schuld - erinnert", an eine Schuld erinnert, die voran gegangene Generationen, durch ihr Handeln oder Nichthandeln, durch nicht wissen wollen, auf sich geladen haben und damit an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben.
Das mag noch funktionieren, weil immer noch einige wenige der Generation leben, die an den Verbrechen beteiligt waren, die sich ihrer Schuld aber nicht stellen, weil es immer noch Zeitzeugen gibt, weil 75 Jahre nach Ende dieser Gläuel eine relativ kurze Zeit sind.
Je mehr Zeit vergeht, um so weniger werden kommende Generationen bereit sein, "sich schuldig zu fühlen" bzw eine Schuld auf sich zu nehmen, mit der sie nichts zu tun haben.
Statt immer wieder auf eine Schuld hinzuweisen, sollte besonderes Augenmerk die Lehren gelegt werden, die aus dem Geschehenen zu ziehen sind und auf die Verantwortung, die sich aus diesen Lehren ergibt und genau das erfolgt m.M.n. viel zu wenig.
Ich hatte das deshalb so verknappt gesagt, was ich vom Begriff "Schuldkult" halte, weil wir diesen Aspekt hier schon dutzendfach besprochen haben. Also nochmal: Es geht bei den heutigen Generationen selbstverständlich nicht um Schuld, sondern immer um Verantwortung, dass sich so etwas nicht wiederholt. Schuld an den Naziverbrechen haben die allermeisten heutigen Menschen natürlich nicht auf sich geladen, wie auch? Sie haben ja zumeist noch nicht gelebt in dieser Zeit. Aber ob sie sich mit der finsteren Geschichte auch genau befassen, sie wirklich verstehen lernen und das verinnerlichen, was damals geschah, und ja, die richtigen Schlüsse daraus ziehen, das wird mit dem Begriff Verantwortung umschrieben. Zur Frage "Schuld - Verantwortung" hat vor Jahren auch Weizsäcker gute Worte gefunden.

Eine Ritualisierung dieser ganzen Aufarbeitung und ein bloßes immerwährendes leeres Bekenntnis "nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" abzugeben, wäre falsch. Da gebe ich dir recht. Ich habe jedoch den Eindruck, dass durchaus eine Mehrheit im Land die Verantwortung sieht und die richtigen Schlüsse für die Zukunft zieht. Das Argument, es werde ein "Schuldkult" betrieben, ist eine Erfindung derjenigen, die auch gerne von "Schlussstrich ziehen unter diesem düsteren Kapitel" reden oder von einer angeblich benötigten "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad". Gerade das wäre aber der falsche Weg. An diese von Deutschen verursachten Naziverbrechen muss immer wieder erinnert werden. Und es müssen immer wieder die Details vermittelt werden. Daher halte ich es zum Beispiel für ein absolutes No-Go, dass das Fach Geschichte an einigen Schulen nur noch fakultativ angeboten werden soll. Dennoch gehe ich mal davon aus, dass die allermeisten Eltern ihren Kindern sehr genau erzählen, was damals geschah und mit ihnen darüber reden, ihnen entsprechende Bücher und Filme empfehlen, Fragen beantworten. In meinem Umfeld ist das jedenfalls der Fall.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dampflok94 »

TheManFromDownUnder hat geschrieben:(20 May 2020, 12:07)

Warum nicht das Kind beim Namen nennen!

Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen und warum soll die Auarbeitung nur auf die deutsche Seite beschraenkt sein??

Die BBC spricht von der "Gewaltigung von Berlin"



Erwaehnenswert ist, das bis heute dieses Kapitel ruhmreicher russischer Kriegsfuehrung tabu ist!

https://www.bbc.com/news/magazine-32529679

Ich empfehle diesen BBC Artikel zu lesen!
Und Du bist jetzt der Tabubrecher? Oder wie darf man das verstehen?

Ich finde es immer witzig, wenn altbekannte Tatsachen plötzlich als Tabu dargestellt werden. Gab es Kriegsverbrechen an Deutschen? Ja natürlich! Darf und durfte darüber geredet werden? Ja natürlich!

Aber es gibt da halt Unterschiede sowohl was die Qualität als auch die Quantität angeht. Und das hat Folgen mit welcher Intensität man was betrachtet.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von TheManFromDownUnder »

Dampflok94 hat geschrieben:(24 May 2020, 10:08)

Und Du bist jetzt der Tabubrecher? Oder wie darf man das verstehen?

Ich finde es immer witzig, wenn altbekannte Tatsachen plötzlich als Tabu dargestellt werden. Gab es Kriegsverbrechen an Deutschen? Ja natürlich! Darf und durfte darüber geredet werden? Ja natürlich!

Aber es gibt da halt Unterschiede sowohl was die Qualität als auch die Quantität angeht. Und das hat Folgen mit welcher Intensität man was betrachtet.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dampflok94 »

TheManFromDownUnder hat geschrieben:(24 May 2020, 11:32)

Lass Dampf ab sonst platzt der Kessel :D
Keine Angst! Der ist solide gebaut. ;)

Aber sei doch mal ehrlich, wo siehst Du ein Tabu-Thema?
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(21 May 2020, 14:17)

Ich hatte das deshalb so verknappt gesagt, was ich vom Begriff "Schuldkult" halte, weil wir diesen Aspekt hier schon dutzendfach besprochen haben. Also nochmal: Es geht bei den heutigen Generationen selbstverständlich nicht um Schuld, sondern immer um Verantwortung, dass sich so etwas nicht wiederholt. Schuld an den Naziverbrechen haben die allermeisten heutigen Menschen natürlich nicht auf sich geladen, wie auch? Sie haben ja zumeist noch nicht gelebt in dieser Zeit. Aber ob sie sich mit der finsteren Geschichte auch genau befassen, sie wirklich verstehen lernen und das verinnerlichen, was damals geschah, und ja, die richtigen Schlüsse daraus ziehen, das wird mit dem Begriff Verantwortung umschrieben. Zur Frage "Schuld - Verantwortung" hat vor Jahren auch Weizsäcker gute Worte gefunden.

Eine Ritualisierung dieser ganzen Aufarbeitung und ein bloßes immerwährendes leeres Bekenntnis "nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" abzugeben, wäre falsch. Da gebe ich dir recht. Ich habe jedoch den Eindruck, dass durchaus eine Mehrheit im Land die Verantwortung sieht und die richtigen Schlüsse für die Zukunft zieht. Das Argument, es werde ein "Schuldkult" betrieben, ist eine Erfindung derjenigen, die auch gerne von "Schlussstrich ziehen unter diesem düsteren Kapitel" reden oder von einer angeblich benötigten "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad". Gerade das wäre aber der falsche Weg. An diese von Deutschen verursachten Naziverbrechen muss immer wieder erinnert werden. Und es müssen immer wieder die Details vermittelt werden. Daher halte ich es zum Beispiel für ein absolutes No-Go, dass das Fach Geschichte an einigen Schulen nur noch fakultativ angeboten werden soll. Dennoch gehe ich mal davon aus, dass die allermeisten Eltern ihren Kindern sehr genau erzählen, was damals geschah und mit ihnen darüber reden, ihnen entsprechende Bücher und Filme empfehlen, Fragen beantworten. In meinem Umfeld ist das jedenfalls der Fall.
Genau diesen Eindruck habe ich nicht!
Im Gegenteil, mein Eindruck ist viel mehr der, dass eben keine Verantwortung übernommen wird, weil eben keine Lehren aus der Geschichte gezogen werden und es deshalb bei leeren Lippenbekenntnissen bleibt.
Der Grund dafür ist, dass eben keine Aufarbeitung stattfindet, sondern immer nur "erinnert" wird.
Und genau das nenne ich "Schuldkult". Es wird an begangene Verbrechen erinnert, die frühere Generationen begangen haben und das spricht nur Emotionen an, erzeugt Entsetzen, führt aber nicht dazu Lehren aus den Ereignissen/aus der Geschichte zu ziehen und Verantwortung zu übernehmen, sondern nur zu Lippenbekenntnissen "das darf nie wieder geschehen".
Um Lehren aus der Geschichte zu ziehen und Verantwortung zu übernehmen, reichen Emotionen nicht, dazu bedarf es der Ratio und dafür wiederum braucht es Wissen - Wissen darüber, welche Ideologie dahinter steckt, wie und wann sich diese Ideologie entwickelte, auf welchen gesellschaftlichen Verhältnissen sie gedieh. Dazu muss man jedoch weiter zurück als zum Ende des WK1.
Es bedarf Wissen darüber wer (welcher Personenkreis) Hitlers Aufstieg und den der NSDAP überhaupt ermöglichte, welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse dies begünstigten u.v.m.

Und dazu reicht es eben nicht aus nur zu "erinnern", dazu bedarf es einiges mehr und dieses "mehr" vermisse ich.
Und nein, ich gehe nicht davon aus, dass "die allermeisten Eltern ihren Kindern sehr genau erzählen, was damals geschah und mit ihnen darüber reden, ihnen entsprechende Bücher und Filme empfehlen"
Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, zum einen, weil es die "allermeisten Eltern" gar nicht interessiert und zum anderen, weil den "allermeisten Eltern" genau dieses Hintergrundwissen fehlt, weil auch sie nur "das daran erinnern" kennen.
Bestes Beispiel ist doch wohl die nichtthematisierte Blockade von Leningrad.

Nein, es soll und darf kein Schlusstrich gezogen werden, aber es muss ein "erinnerungspolitisches Umdenken" erfolgen und zwar ein grundlegendes - weg vom (reinen) Ansprechen von Emotionen, hin zur rationalen Aufarbeitung und Vermittlung von Hintergrundwissen.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(24 May 2020, 18:32)

Genau diesen Eindruck habe ich nicht!
Im Gegenteil, mein Eindruck ist viel mehr der, dass eben keine Verantwortung übernommen wird, weil eben keine Lehren aus der Geschichte gezogen werden und es deshalb bei leeren Lippenbekenntnissen bleibt.
Der Grund dafür ist, dass eben keine Aufarbeitung stattfindet, sondern immer nur "erinnert" wird.
Und genau das nenne ich "Schuldkult". Es wird an begangene Verbrechen erinnert, die frühere Generationen begangen haben und das spricht nur Emotionen an, erzeugt Entsetzen, führt aber nicht dazu Lehren aus den Ereignissen/aus der Geschichte zu ziehen und Verantwortung zu übernehmen, sondern nur zu Lippenbekenntnissen "das darf nie wieder geschehen".
Um Lehren aus der Geschichte zu ziehen und Verantwortung zu übernehmen, reichen Emotionen nicht, dazu bedarf es der Ratio und dafür wiederum braucht es Wissen - Wissen darüber, welche Ideologie dahinter steckt, wie und wann sich diese Ideologie entwickelte, auf welchen gesellschaftlichen Verhältnissen sie gedieh. Dazu muss man jedoch weiter zurück als zum Ende des WK1.
Es bedarf Wissen darüber wer (welcher Personenkreis) Hitlers Aufstieg und den der NSDAP überhaupt ermöglichte, welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse dies begünstigten u.v.m.

Und dazu reicht es eben nicht aus nur zu "erinnern", dazu bedarf es einiges mehr und dieses "mehr" vermisse ich.
Und nein, ich gehe nicht davon aus, dass "die allermeisten Eltern ihren Kindern sehr genau erzählen, was damals geschah und mit ihnen darüber reden, ihnen entsprechende Bücher und Filme empfehlen"
Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, zum einen, weil es die "allermeisten Eltern" gar nicht interessiert und zum anderen, weil den "allermeisten Eltern" genau dieses Hintergrundwissen fehlt, weil auch sie nur "das daran erinnern" kennen.
Bestes Beispiel ist doch wohl die nichtthematisierte Blockade von Leningrad.

Nein, es soll und darf kein Schlusstrich gezogen werden, aber es muss ein "erinnerungspolitisches Umdenken" erfolgen und zwar ein grundlegendes - weg vom (reinen) Ansprechen von Emotionen, hin zur rationalen Aufarbeitung und Vermittlung von Hintergrundwissen.
Hintergrundwissen? Ja. Schuldkult? Nein. Das ist neurechte Terminologie, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Zitat:

Seit je dreht sich das Denken und Fühlen der Neuen Rechten um den sogenannten Schuldkult. Der Vorwurf lautet: Die Deutschen würden sich masochistisch in der NS-Schuld wälzen. Leute wie Björn Höcke verachten die Bundesrepublik dafür, dass sie auf eine negative Ursprungserzählung gegründet ist: Nie wieder Auschwitz! Und es stimmt ja: Statt an die siegreiche Schlacht bei Leuthen oder die Kaiserkrönung Karls des Großen am ersten Weihnachtsfeiertag im Jahr 800 zu erinnern, kennt der deutsche Staatskalender den 27. Januar als Gedenktag der Befreiung von Auschwitz.

Deutschland ist das erste Land, das sein Selbstverständnis nicht auf ruhmreiche Taten der Vergangenheit gründet, sondern auf ein reuevolles Schuldeingeständnis. Seit Gründung der Bundesrepublik werfen Rechtsradikale ihr deshalb vor, in Sack und Asche zu gehen. Aus ihrer Sicht haben Nationen ein Anrecht auf ein gutes Gewissen – selbst um den Preis, die geschichtliche Wahrheit zu beugen. Vor einem Jahr gab es einen Skandal um das Buch des Historikers Rolf Peter Sieferle, Finis Germania. Der blies in dasselbe Horn: Der "Auschwitz-Mythos" verdamme die Deutschen zu "absoluten Tätern".

Wollte Alexander Gauland mit seiner Bemerkung, "Hitler und die Nazis" seien nur ein "Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte", provozieren, um die AfD im Gespräch zu halten? Nein, das kam von Herzen. Beziehungsweise von jenem Ort der Psychomotorik, wo die Zwangsneurosen sitzen: Wer nämlich wirklich fixiert auf die deutsche Schuld ist, das sind die Rechten. Wie kindliche Narzissten ertragen sie kein gebrochenes Selbstbild. Das führt zu der Paradoxie, dass der Holocaust die Rechten mehr um den Schlaf zu bringen scheint als die geübten bundesrepublikanischen Vergangenheitsbewältiger, die doch einen Modus Vivendi zwischen Scham, Schreck und Weiterleben gefunden haben.

Wer sich dieses Jahr auf der Leipziger Buchmesse bei rechten Verlagen umschaute, um zu sehen, mit welchen frischen Reizwörtern sie sich stimulieren, durfte feststellen: Auch 70 Jahre nach dem Vernichtungskrieg im Osten geht es immer noch darum, die Wehrmacht reinzuwaschen.

Es ist offenbar unmöglich, in Deutschland eine Partei am rechten Rand zu platzieren, ohne auf die schiefe Ebene der Vergangenheitsrevision zu geraten.


https://www.zeit.de/2018/24/alexander-g ... populismus
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Elmar Brok
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Elmar Brok »

Selina hat geschrieben:(21 May 2020, 14:17)

Ich hatte das deshalb so verknappt gesagt, was ich vom Begriff "Schuldkult" halte, weil wir diesen Aspekt hier schon dutzendfach besprochen haben. Also nochmal: Es geht bei den heutigen Generationen selbstverständlich nicht um Schuld, sondern immer um Verantwortung, dass sich so etwas nicht wiederholt. Schuld an den Naziverbrechen haben die allermeisten heutigen Menschen natürlich nicht auf sich geladen, wie auch? Sie haben ja zumeist noch nicht gelebt in dieser Zeit. Aber ob sie sich mit der finsteren Geschichte auch genau befassen, sie wirklich verstehen lernen und das verinnerlichen, was damals geschah, und ja, die richtigen Schlüsse daraus ziehen, das wird mit dem Begriff Verantwortung umschrieben. Zur Frage "Schuld - Verantwortung" hat vor Jahren auch Weizsäcker gute Worte gefunden.

Eine Ritualisierung dieser ganzen Aufarbeitung und ein bloßes immerwährendes leeres Bekenntnis "nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" abzugeben, wäre falsch. Da gebe ich dir recht. Ich habe jedoch den Eindruck, dass durchaus eine Mehrheit im Land die Verantwortung sieht und die richtigen Schlüsse für die Zukunft zieht. Das Argument, es werde ein "Schuldkult" betrieben, ist eine Erfindung derjenigen, die auch gerne von "Schlussstrich ziehen unter diesem düsteren Kapitel" reden oder von einer angeblich benötigten "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad". Gerade das wäre aber der falsche Weg. An diese von Deutschen verursachten Naziverbrechen muss immer wieder erinnert werden. Und es müssen immer wieder die Details vermittelt werden. Daher halte ich es zum Beispiel für ein absolutes No-Go, dass das Fach Geschichte an einigen Schulen nur noch fakultativ angeboten werden soll. Dennoch gehe ich mal davon aus, dass die allermeisten Eltern ihren Kindern sehr genau erzählen, was damals geschah und mit ihnen darüber reden, ihnen entsprechende Bücher und Filme empfehlen, Fragen beantworten. In meinem Umfeld ist das jedenfalls der Fall.
Ich wäre vorsichtig damit von dem eigenen Umfeld auf die ganze Gesellschaft zu schließen. Oft ist man da dann doch nur in einer sehr speziellen Szene/Blase unterwegs. Ich finde es schwierig, eine allgemeine Aussage zum Umgang mit Holocaust und 2. Weltkrieg für die Gesellschaft zu treffen. Denn mein Eindruck ist, dass die Erinnerungskultur (obwohl sie aus meiner Sicht ganz klar keine Schuldkultur ist) häufig als Schuldkultur empfunden wird und das halte ich für extrem gefährlich. Denn eine empfundene Schuldkultur fühlt sich schnell wie ein persönlicher Angriff an und sorgt bei vielen Menschen für eine automatische Abwehrhaltung. Daraus folgt viel zu oft die Relativierung der begangenen Verbrechen. Der Holocaust sei ein normaler Völkermord, wie in viele andere Nationen begangen haben. Aber was ist denn mit den Sklaven? Die Kirche hat doch auch Millionen Menschen getötet usw. Sobald diese Menschen in ihrer Abwehrhaltung sind, halte ich es für sehr schwierig, sie zurückzugewinnen. Ich befürchte fast, dass ein allzu konfrontativer Umgang zwar theoretisch richtig und wünschenswert ist, aber im Ergebnis häufig das Gegenteil erreicht. Denn häufig neigt man dann doch eher dazu, etwas zu verneinen, anstatt sich selbstreflektiert und selbstkritisch damit auseinanderzusetzen. Das ist zumindest mein Eindruck

Kein verpflichtender Geschichtsunterricht ist schade und aus meiner Sicht ein großer Verlust. Allerdings kann man viele historische Themen in anderen Fächern unterbringen. Englisch, Deutsch andere Sprachen etc. Inwiefern dies dann aber eine qualitativ gute Vermittlung von Geschichte ist? Wobei auch der normale Geschichtsunterricht nachbesserbar ist. Ich befürchte, andere Fächer haben einfach eine größere Lobby. Bezogen auf Holocaust und 2. Weltkrieg muss/sollte die Vermittlung außerhalb der Schule nicht vernachlässigt werden. Vor allem auch nach der Schulzeit.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von schokoschendrezki »

Obwohl mir die Fakten eigentlich im Wesentlichen bekannt waren: Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Publikationen des Historikers Raul Hilberg und namentlich seines Hauptwerks "The Destruction of the European Jews" von 1954 kürzlich haben mich doch irgendwie etwas verwirrt zurückgelassen. Das, was der wichtigste Chronst der Shoah über die Vernichtung der Juden zusammengetragen hatte, wollte zunächst niemand publizieren. Und zwar weltweit niemand. Es erschien auf Englisch erst 1961 und auf Deutsch erst 1982. In beiden Fällen in einem linken Kleinverlag! Bei der Ablehnung spielten aber nicht so sehr Schuldkult, Verdrängung oder gar irgendwie antisemitische Affekte eine Rolle. Sondern zum Beispiel so etwas wie akademischer Neid aber vielleicht auch eine gewisse akademische Rückwärtsgewandtheit, Borniertheit und Trägheit. Insbesondere und maßgeblich beim Münchner Institut für Zeitgeschichte. Heute gilt es inzwischen als das Standardwerk zum Thema.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von imp »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 May 2020, 18:04)

Obwohl mir die Fakten eigentlich im Wesentlichen bekannt waren: Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Publikationen des Historikers Raul Hilberg und namentlich seines Hauptwerks "The Destruction of the European Jews" von 1954 kürzlich haben mich doch irgendwie etwas verwirrt zurückgelassen. Das, was der wichtigste Chronst der Shoah über die Vernichtung der Juden zusammengetragen hatte, wollte zunächst niemand publizieren. Und zwar weltweit niemand. Es erschien auf Englisch erst 1961 und auf Deutsch erst 1982. In beiden Fällen in einem linken Kleinverlag! Bei der Ablehnung spielten aber nicht so sehr Schuldkult, Verdrängung oder gar irgendwie antisemitische Affekte eine Rolle. Sondern zum Beispiel so etwas wie akademischer Neid aber vielleicht auch eine gewisse akademische Rückwärtsgewandtheit, Borniertheit und Trägheit. Insbesondere und maßgeblich beim Münchner Institut für Zeitgeschichte. Heute gilt es inzwischen als das Standardwerk zum Thema.
Die Erinnerung an die deutschen Verbrechen im 2. Weltkrieg ist nicht en vogue. Wer es mit der Rückschau ernst nimmt, bekommt schnell vorgeworfen, er wolle nur vom Antisemitismus heute ablenken. Wer die deutsche Selbstfeierei stört, bei der sich alle auf die Schulter klopfen für den vorbildlichen demokratischen Staat, aber kein einziges Wort für die maßgeblichen Besieger des deutschen Nationalsozialismus übrig hat, der gilt schnell als Nestbeschmutzer. Es ist gut, dass es dieses Buch gibt. Heute mehr als je zuvor.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von schokoschendrezki »

imp hat geschrieben:(25 May 2020, 18:12)

Die Erinnerung an die deutschen Verbrechen im 2. Weltkrieg ist nicht en vogue. Wer es mit der Rückschau ernst nimmt, bekommt schnell vorgeworfen, er wolle nur vom Antisemitismus heute ablenken. Wer die deutsche Selbstfeierei stört, bei der sich alle auf die Schulter klopfen für den vorbildlichen demokratischen Staat, aber kein einziges Wort für die maßgeblichen Besieger des deutschen Nationalsozialismus übrig hat, der gilt schnell als Nestbeschmutzer. Es ist gut, dass es dieses Buch gibt. Heute mehr als je zuvor.
Ich nehme dieses ganze Hilberg-Problem und den Streit um die Nichtveröffentlichung und die Rolle des IfZ München vor allem als eine Art grundsätzliche Fachrevisionsunwilligkeit wahr. Historiker wollen halt gemütlich eine lineare Anreihung von Zeitereignissen beschreiben. Und nicht auf Singularitäten eingehen. So wie Ökonomen eben auch die jüngsten Bankenkrisen mehr oder weniger erfolgreich weggedrückt haben.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von schokoschendrezki »

Eigentlich lichtet sich ja sozusagen der Pulverdampf der beiden Weltkriege. Einfach weil Zeitzeugen aussterben und die Ereignisse mehr und mehr historisiert werden. Und hinter diesem Pulverdampf tritt etwas anderes in Erscheinung: 2020 ist oder sollte in vielerlei Hinsicht das Jahr der Erinnerung an die westeuropäische Kolonialgeschichte sein. Es gibt zahlreiche Publikationen, Sendereiehen, Ausstellungseröffnungen. Briten, Niederländer, Belgier, Franzosen, Italiener, Spanier, Portugiesen und natürlich auch Deutsche werden sich langsam bewusst, dass ihr wirtschaftlicher Wohlstand und natürlich ihre angebliche oder tatsächliche kulturelle Überlegenheit zu nicht kleinen Teilen auf einem absolut brutalen Expansionsfeldzug beruht. Dass sie moderne Sklavenhaltung neu begründet haben. Man müsste wahrscheinlich einen extra Thread dazu aufmachen.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von Quatschki »

Wobei, obwohl das britische Imperium über die Ressourcen der halben Welt gebot, der Arbeiter in London, Liverpool oder Wales in bitterer Armut lebte.
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von oga »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 May 2020, 20:36)

Eigentlich lichtet sich ja sozusagen der Pulverdampf der beiden Weltkriege. Einfach weil Zeitzeugen aussterben und die Ereignisse mehr und mehr historisiert werden. Und hinter diesem Pulverdampf tritt etwas anderes in Erscheinung: 2020 ist oder sollte in vielerlei Hinsicht das Jahr der Erinnerung an die westeuropäische Kolonialgeschichte sein. Es gibt zahlreiche Publikationen, Sendereiehen, Ausstellungseröffnungen. Briten, Niederländer, Belgier, Franzosen, Italiener, Spanier, Portugiesen und natürlich auch Deutsche werden sich langsam bewusst, dass ihr wirtschaftlicher Wohlstand und natürlich ihre angebliche oder tatsächliche kulturelle Überlegenheit zu nicht kleinen Teilen auf einem absolut brutalen Expansionsfeldzug beruht. Dass sie moderne Sklavenhaltung neu begründet haben. Man müsste wahrscheinlich einen extra Thread dazu aufmachen.
Nicht so ganz.
Es ist natürlich eine sehr bequeme These für einige Leader der ehemaligen Kolonien die Armut ihrer Länder auf die Ausbeutung seitens der ehemaligen Kolonialmächte zu reduzieren. So ganz stimmt das aber nicht.
I guess I should warn you, if I turn out to be particularly clear, you've probably misunderstood what I've said.
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Re: Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(25 May 2020, 21:12)

Wobei, obwohl das britische Imperium über die Ressourcen der halben Welt gebot, der Arbeiter in London, Liverpool oder Wales in bitterer Armut lebte.
In der ganzen Welt war der Lebensstandard normaler Leute sehr gering. Erst die Industrie bringt allein ein besseres Leben. Viele vergessen das heute. Konsumkritik ist schal, wenn sie bloß Trost für den Armen sein soll.
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