KZ Prozess - Wachmann angeklagt

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Quatschki
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Quatschki »

So ein Greis wird jeden Tag beten, dass er nicht durch Demenz oder Schlaganfall zum hilflosen Stück Fleisch wird. Denn das ist wirklich die Hölle.
Alles andere ist in diesem Alter nicht mehr als eine Belästigung oder vielleicht auch Abwechslung.

Man muß sich vorstellen:
Von den Eingezogenen der Jahrgänge 1925,1926,1927 sind über 30% gefallen.
Jedes Klassenfoto bei den Jungs: gefallen, gefallen, gefallen.
Jeder Angehörige dieser Jahrgänge, der den Krieg unversehrt überlebt hat, hat dies einer Reihe von Zufällen und Fügungen zu verdanken, die jeweils auch anders hätten ausgehen können.
Niemand von uns ist jemals in einer vergleichbaren Situation gewesen.
Skeptiker

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Vongole hat geschrieben:(22 Oct 2019, 00:39)

Ich verlinke hier mal einen älteren Artikel aus der WELT, der vielleicht eine Frage beantwortet:

Zur Frage, ob der Angeklagte den Befehl oder den Einsatz hätte verweigern können:

Doch schon bald nach Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die alle Ermittlungen wegen NS-Verfahren koordinierte, wurde diese Annahme wissenschaftlich überprüft. Eindeutiges Ergebnis: Es gab damals und gibt bis heute keinen einzigen nachweisbaren Fall, in dem einem SS-Mann, der einen Mordbefehl verweigert hatte, selbst Gefahr für Leib und Leben drohte.
Im Gegenteil konnte durch zahlreiche Zeugenaussagen, aber auch durch Dokumente belegt werden, dass Befehlshaber von Mordeinheiten wie dem Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 wiederholt ihren Männer freistellten, sich an Mordaktionen nicht zu beteiligen. Wer sich so entschied, wurde nachweislich nicht bestraft.

https://www.welt.de/geschichte/zweiter- ... -Wahl.html

Was für den direkten Mordbefehl gilt, gilt garantiert auf für den Wachmann auf dem Turm.
Der Artikel befasst sich auch mit der Frage, ob man zu SS gezwungen wurde oder ihr freiwillig beitrat. Ich persönlich habe Zweifel an der Aussage des Angeklagten, der immerhin ein sehr hohes Alter erreicht hat.
So schwer kann der Herzfehler nicht gewesen sein.
Man kann sicher einiges von dem was er behauptet hat in Frage stellen. Das zu beleuchten wird die Aufgabe der Historiker sein. Ich gehe durchaus davon aus, dass er mehr wusste und mehr selber dazu beigetragen hat dort zu sein, als er heute darstellen möchte. Das so zu verkaufen ist halt sein Recht.

Man sollte aber auch sehen, dass er keinen direkten Mordbefehl ausgeführt hat (z.B. Erschiessung), sondern seine Rolle durch den Wachdienst in der Beihilfe zum Mord lag. Für mich ist es sehr schwer einzuschätzen, wie jemand, der ersteinmal an diese Stelle beordert wurde, sich ohne (für ihn so wahrgenommene) Gefahr sein eigenes Leben, dem Dienst hätte verweigern können. Mir erscheint das für einen direkten Mordbefehl "einfacher" als für eine Dienstverpflichtung die zur Beihilfe gerät.

Dass er so alt geworden ist, mag ein Indikator dafür sein, dass sein Herzfehler nicht so gravierend gewesen sein mag - ich kann das nicht beurteilen. Ich denke aber man sollte vorsichtig sein, jemandem sein langes Leben zum Vorwurf auslegen. Aber ich lese diese Aussage auf der Sacheebene und gebe Dir Recht.
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McKnee
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von McKnee »

Wer will jemandem einen "Herzfehler" zum Vorwurf machen, mit dem man einen Marschbefehl an eine Front verhindern kann?

Hätte er ihn gebraucht, um eine bevorzugte Stelle in einem KZ zu bekommen, wäre das durchaus anders. Ansonsten ist er für die Schuldfrage oder seine Glaubwürdigkeit eher unerheblich.
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Es ist mir egal, ob es ein Albert-Einstein-Zitat ist ...

.....er wusste es :D
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Tom Bombadil »

Vongole hat geschrieben:(21 Oct 2019, 23:39)

Von Resozialisierung ohne Verhandlung, Strafe und einem Leben in Freiheit kann wohl kaum die Rede sein. Alt werden ist kein Verdienst.
Resozialisierung bedeutet doch, dass ein ehemals Straffälliger nicht wieder straffällig wird, einen Arbeitsplatz findet und somit ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft wird. Oder nicht?
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Quatschki
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Quatschki »

imp hat geschrieben:(06 Jul 2020, 21:10)

Das Empören kann man sich bieten lassen, das ist nun mal das Recht aller und tut weiter nichts. Der Eifer geht heutzutage aber manchmal etwas weiter. Da möchte mancher schnell mal den Meinungsträger fertig machen, wegschicken oder, ja, absaufen lassen. Das behagt mir nicht so. Das ist eben der Sound unserer Zeit.

Wenn jetzt im Stutthof-Prozess ein Greis auf der Anklagebank steht, der konkret weder wen ermordet hat, noch irgendwas befohlen und auch nichts hätte verhindern können, aber eben dabei war und zufällig noch lebt, folgt das sicher einer gewissen Logik und ist für Überlebende und Hinterbliebene sicher wichtig. Es hat für mich trotzdem einen Hauch von Ersatzhandlung. Ob man damit wirklich das gewünschte Zeichen setzt?
Ein 17jähriger wird zur Bewachung von Gefangenen eingesetzt, die später umgebracht werden. Diesen Einsatz des damaligen Jugendlichen als unverjährbare Beihilfe zum Mord und als Kriegsverbrechen zu bewerten, ist doch ziemlich bemerkenswert.
Denn Kriegsverbrechertribunale sollen ja eigentlich die Verantwortlichen verfolgen und keine Kindersoldaten.
In den Konflikten der Gegenwart ist man ja eher geneigt, solche Jugendliche als verblendete und traumatisierte Kriegs-Mißbrauchte anzusehen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Skeptiker hat geschrieben: Wie ist soetwas einzuschätzen?
Er hätte eine Versetzung beantragen sollen. Das hat er offenbar nicht getan. Was darauf schließen lässt, dass ihm Massenmord an Unschuldigen wenigstens gleichgültig war.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 09:51)

Er hätte eine Versetzung beantragen sollen. Das hat er offenbar nicht getan. Was darauf schließen lässt, dass ihm Massenmord an Unschuldigen wenigstens gleichgültig war.
eine Versetzung an die Ostfront wäre ihm sicher bewilligt worden.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Keoma hat geschrieben:(07 Jul 2020, 09:52)

eine Versetzung an die Ostfront wäre ihm sicher bewilligt worden.
Aber wollte wohl nicht kämpfen, sondern lieber ein feiger Helfer von Mördern sein.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 09:55)

Aber wollte wohl nicht kämpfen, sondern lieber ein feiger Helfer von Mördern sein.
Er wollte wohl nicht sterben, der Schurke.

Ich will keine Mittäter entschuldigen, aber manche machen es sich ein wenig zu einfach.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Keoma hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:01)
Er wollte wohl nicht sterben, der Schurke.
Jeder muss sterben. Auf dem Schlachtfeld wäre er als Held gestorben. Jetzt stirbt er mit der Schuld, ein gut funktionierendes Rädchen in einer Massenmord-Maschinerie gewesen zu sein.
Keoma hat geschrieben: Ich will keine Mittäter entschuldigen, aber manche machen es sich ein wenig zu einfach.
Er hat es sich so einfach gemacht, weil ihm die Opfer mindestens egal waren, zu deren Tod er beigetragen hat.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von NicMan »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:07)

Jeder muss sterben. Auf dem Schlachtfeld wäre er als Held gestorben. Jetzt stirbt er mit der Schuld, ein gut funktionierendes Rädchen in einer Massenmord-Maschinerie gewesen zu sein.


Er hat es sich so einfach gemacht, weil ihm die Opfer mindestens egal waren, zu deren Tod er beigetragen hat.
Als Soldat an der Ostfront kann man je nach Umständen ähnlich verheerend gewirkt haben, wie als Soldat in einem Konzentrationslager. Es war schließlich ein Vernichtungskrieg im Osten. Vielleicht wäre er da in der Betrachtung der Zeitgenossen als Held gestorben, die Geschichte jedoch hätte differenzierter geurteilt.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:16)

Um mich geht es hier nicht.
Stimmt.
Sondern um Beiträge von jemandem, der über jemand anders den Stabe brechen will.
Schon was vom ersten Stein werfen gehört?

Heute, am PC, lässt sich leicht Widerstandskämpfer spielen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

NicMan hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:11)

Als Soldat an der Ostfront kann man je nach Umständen ähnlich verheerend gewirkt haben, wie als Soldat in einem Konzentrationslager. Es war schließlich ein Vernichtungskrieg im Osten. Vielleicht wäre er da in der Betrachtung der Zeitgenossen als Held gestorben, die Geschichte jedoch hätte differenzierter geurteilt.
Was er aber vorher nicht hätte ahnen können.

Der normale Frontsoldat wurde eher selten zu Massenerschießungen eingeteilt, außer wenn mal Personalmangel war. Normalerweise taten das ideologisch geschulte SS-Leute, die der Überzeugung waren, dass auch jüdische Frauen und Kinder getötet werden müssen, um das deutsche Volk zu schützen. Manchmal mordeten auch Polizeieinheiten, aber denen wurde erzählt dass sie "Partisanen" hinrichten.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von DogStar »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:07)
Er hat es sich so einfach gemacht, weil ihm die Opfer mindestens egal waren, zu deren Tod er beigetragen hat.
Und das kannst du nach fast 80 Jahren aus dem sicheren Sessel vorm PC beurteilen?
Oder hat er dir das persönlich erzählt.
[Edit Mod. Sören74]
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

Ein (noch nicht zu Ende gedachter) Gedanke: Angesichts dessen, dass in der BRD viele Täter jahrzentelang ungestraft leben und zum Teil auch Karriere machen konnten. Ist es wirklich sinnvoll einen Menschen, der damals 17 Jahre alt war und (mein Wissenstand zumindest) keine aktive, fördernde Rolle der Tötungsmaschinerie innehatte, jetzt zu verurteilen? Oder ist man dies den Opfern und Überlebenden schuldig?

Viel dürfte auf die konkreten Umstände ankommen. Da bin ich nicht im Bilde.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Keoma hat geschrieben: Heute, am PC, lässt sich leicht Widerstandskämpfer spielen.
Ein Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hätte ganz anders gehandelt. Der hätte versucht, den KZ-Betrieb zu sabotieren, Gefangenen zur Flucht verholfen, Informationen an die Alliierten weitergeleitet, usw.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

DogStar hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:24)

Und das kannst du nach fast 80 Jahren aus dem sicheren Sessel vorm PC beurteilen?
Das kannst du auch. Und auch der Richter kann das.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Elmar Brok hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:28)

Ein (noch nicht zu Ende gedachter) Gedanke: Angesichts dessen, dass in der BRD viele Täter jahrzentelang ungestraft leben und zum Teil auch Karriere machen konnten. Ist es wirklich sinnvoll einen Menschen, der damals 17 Jahre alt war und (mein Wissenstand zumindest) keine aktive, fördernde Rolle der Tötungsmaschinerie innehatte, jetzt zu verurteilen? Oder ist man dies den Opfern und Überlebenden schuldig?

Viel dürfte auf die konkreten Umstände ankommen. Da bin ich nicht im Bilde.
Nun, die Welt hat sich bei der Verfolgung von Naziverbrechern nicht gerade mit Ruhm bekleckert, übrigens auch in Bezug auf Japan.
Zu einem Zeitpunkt, zu dem kaum noch Überlebende existieren, auf Jimmy zu machen, halte ich für absolut heuchlerisch.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:29)

Ein Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hätte ganz anders gehandelt. Der hätte versucht, den KZ-Betrieb zu sabotieren, Gefangenen zur Flucht verholfen, Informationen an die Alliierten weitergeleitet, usw.
Du hättest vermutlich den Krieg ganz alleine gewonnen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Keoma hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:33)

Du hättest vermutlich den Krieg ganz alleine gewonnen.
Nochmals: es geht hier nicht um mich.
Aber du hingegen scheinst ein goßes Herz für alte Nazis zu haben.
Zuletzt geändert von Maxxy01 am Di 7. Jul 2020, 10:38, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

Keoma hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:33)

Nun, die Welt hat sich bei der Verfolgung von Naziverbrechern nicht gerade mit Ruhm bekleckert, übrigens auch in Bezug auf Japan.
Zu einem Zeitpunkt, zu dem kaum noch Überlebende existieren, auf Jimmy zu machen, halte ich für absolut heuchlerisch.
Du meinst den Umgang Japans mit der eigenen Vergangenheit?

Das ist eben die Frage, was bringen die Verurteilungen heute noch. Wie werden sie von Opfern und Hinterbliebenen wahrgenommen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:37)

Nochmals: es geht hier nicht um mich.
Irgendwie schon auch.
Der Gescheitere gibt nach!
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von DogStar »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:30)

Das kannst du auch. Und auch der Richter kann das.
Nein, ich kann die Gefühle und Beweggründe eines jungen Menschen vor 80 Jahren, zu einer Zeit, deren Härten wir uns nicht ausmalen können, nicht nachvollziehen und somit auch nicht beurteilen. Ob ihm das damals egal war, weiß er allein.
Das völlig unabhängig von der Frage seiner Schuld und einer gerechten Strafe.
Zuletzt geändert von DogStar am Di 7. Jul 2020, 10:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Elmar Brok hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:37)

Du meinst den Umgang Japans mit der eigenen Vergangenheit?

Das ist eben die Frage, was bringen die Verurteilungen heute noch. Wie werden sie von Opfern und Hinterbliebenen wahrgenommen.
Das habe ich eigentlich nicht gemeint, sondern die Strafverfolgung nach dem Krieg.

Ob eine Verurteilung nach so langer Zeit etwas "bringt"?
Natürlich zweifelhaft, sage ich ja.
Man hätte in den 50er und 60er Jahren ein wenig eifriger sein können.
Genug echte Täter sind ungeschoren davon gekommen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 09:51)
Er hätte eine Versetzung beantragen sollen. Das hat er offenbar nicht getan. Was darauf schließen lässt, dass ihm Massenmord an Unschuldigen wenigstens gleichgültig war.
Ich kann mich nur eingeschränkt in die damalige Zeit hineinversetzen, aber es sollte damals eigentlich als "großes Los" gesehen worden sein, dass man "nur" irgendwo Lagerwache schieben musste.

Ja, er hätte sich natürlich aus heutiger Perspektive viele Gedanken dazu machen müssen, was er da unterstützt. Realistisch betrachtet, war er aber weder in dem Alter, noch in der dazu passenden Sozialisation, um solche Gedanken zu haben. Damals hat man entweder schlicht seine eigene Haut versucht zu retten wie es geht, oder man war überzeugt von der Sache. Eine humanistische Ausbildung mit feingeistiger Abwägung der Menschenrechtsfragen, haben die Jugendlichen da nicht genossen.

Man kann sich sehr detailiert über die Schuldfrage in einem solchen Fall unterhalten. Allerdings sollte man aufpassen sich mit 80 jähriger Distanz aus einer vollkommenen Sicherheit heraus moralisch Menschen gegenüber zu erhöhen, die in einer anderen Welt lebten und unter erheblichen Zwängen standen. Kein Mensch begibt sich unnötig in Gefahr für das eigene Leben. Die Not, die du als solche erkennst, wurde damals nicht notwendigerweise als solche wahrgenommen, weil das Sterben allgegenwärtig war.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

DogStar hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:39)
Nein, ich kann die Gefühle und Beweggründe eines Menschen vor 80 Jahren, zu einer Zeit, deren Härten wir uns nicht ausmalen können, nicht nachvollziehen und somit auch nicht beurteilen.
Du kannst es daran erkennen, was er unternommen hat, um nicht mehr in einem Vernichtungslager Dienst zu tun.
Und er hat offenbar nichts unternommen.

Daraus lässt sich zwar nicht schließen, dass der mit dem Massenmord einverstanden war, aber schon dass er es toleriert hat, ansonsten hätte er um Verstzung ersucht. Und das nicht nur einmal.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Billie Holiday »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:37)

Nochmals: es geht hier nicht um mich.
Aber du hingegen scheinst ein goßes Herz für alte Nazis zu haben.
Man muß kein großes Herz für alte Nazis haben um zu wissen, dass wir heute im 21. Jh warm, weich, sicher und unangetastet leben und null Erfahrung haben mit den gesellschaftlichen und politischen Zwängen von damals.

Ein jugendlicher IS-Halsabschneider erfährt doch auch jedes Verständnis, die Zwänge und der Einfluß dürften vergleichbar sein.

Am besten den Ball flachhalten und sich nicht als potentiellen ersten Widerstandskämpfer aufspielen, wofür es keinerlei Beweise gibt außer eine große Klappe. Es gab schon perfide Mittel, Jugendliche zu beeinflussen. Die Freiheiten, die wir heute genießen dürfen, gab es nicht. Auch die Erziehung der Kinder war eine andere....auf Gehorsam und Drill, fürs Vaterland. Aber spiel ruhig weiterhin den Helden. :cool:
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Skeptiker hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:41)
Ich kann mich nur eingeschränkt in die damalige Zeit hineinversetzen, aber es sollte damals eigentlich als "großes Los" gesehen worden sein, dass man "nur" irgendwo Lagerwache schieben musste.
Die Nazis hatten auch reine Arbeits-KZs, wo Leute eingesperrt waren, die irgendwie auffällig wurden. Diese wurden erstmal für 1/2 Jahr inhaftiert und kamen wieder raus, wenn sie als gebessert galten. Ansonsten gab es 1/2 Jahr Nachschlag.

Als Wachmann in einem solchen Lager konnte man durchaus etwas dafür tun, dass es die Gefangenen nicht ganz so schwer hatten.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von DogStar »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:45)

Du kannst es daran erkennen, was er unternommen hat, um nicht mehr in einem Vernichtungslager Dienst zu tun.
Und er hat offenbar nichts unternommen.

Daraus lässt sich zwar nicht schließen, dass der mit dem Massenmord einverstanden war, aber schon dass er es toleriert hat, ansonsten hätte er um Verstzung ersucht. Und das nicht nur einmal.
Wie gesagt - weder weiß ich, was er damals unternommen hat noch kenne ich Beweggründe oder Zwänge, die ihn Wachmann sein ließen. Auch weiß ich nichts über seine Möglichkeiten, diese Arbeit niederzulegen sowie mögliche Folgen. Wenn du da gesicherte Informationen hast - bitte teilen!
Vorm PC den Helden zu geben ... naja ... was soll man dazu sagen ...
Zuletzt geändert von DogStar am Di 7. Jul 2020, 10:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:48)

Man muß kein großes Herz für alte Nazis haben um zu wissen, dass wir heute im 21. Jh warm, weich, sicher und unangetastet leben und null Erfahrung haben mit den gesellschaftlichen und politischen Zwängen von damals.

Ein jugendlicher IS-Halsabschneider erfährt doch auch jedes Verständnis, die Zwänge und der Einfluß dürften vergleichbar sein.

Am besten den Ball flachhalten und sich nicht als potentiellen ersten Widerstandskämpfer aufspielen, wofür es keinerlei Beweise gibt außer eine große Klappe. Es gab schon perfide Mittel, Jugendliche zu beeinflussen. Die Freiheiten, die wir heute genießen dürfen, gab es nicht. Auch die Erziehung der Kinder war eine andere....auf Gehorsam und Drill, fürs Vaterland. Aber spiel ruhig weiterhin den Helden. :cool:
Vergiss es, entweder soll das Provokation sein oder er hat null Ahnung von der Materie.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Billie Holiday hat geschrieben: Am besten den Ball flachhalten und sich nicht als potentiellen ersten Widerstandskämpfer aufspielen ...
Um Versetzung zu bitten ist kein Widerstandskampf.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

DogStar hat geschrieben: Wie gesagt - weder weiß ich, was er damals unternommen hat noch kenne ich Beweggründe oder Zwänge, die ihn Wachmann sein ließen.
Darum muss sich das Gericht kümmen, denn das Motiv des Täters und die Tatumstände sind entscheidend für eine Urteilsfindung.
Gleichgültigkeit bezüglich des Tods der Opfer kann man bestimmt als Vorsatz werten.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Billie Holiday »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:54)

Um Versetzung zu bitten ist kein Widerstandskampf.
„Ach, Sie wollen sich versetzen lassen? Interessant. Und was machen Ihre Eltern so? Und die Schwester arbeitet wo?
Sie wissen, dass Ihre Haltung negativ aufgefasst werden kann? Sind Sie denn bereit, die Konsequenzen zu tragen? Ihre Familie wird nicht begeistert sein.“
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:48)

Man muß kein großes Herz für alte Nazis haben um zu wissen, dass wir heute im 21. Jh warm, weich, sicher und unangetastet leben und null Erfahrung haben mit den gesellschaftlichen und politischen Zwängen von damals.

Ein jugendlicher IS-Halsabschneider erfährt doch auch jedes Verständnis, die Zwänge und der Einfluß dürften vergleichbar sein.

Am besten den Ball flachhalten und sich nicht als potentiellen ersten Widerstandskämpfer aufspielen, wofür es keinerlei Beweise gibt außer eine große Klappe. Es gab schon perfide Mittel, Jugendliche zu beeinflussen. Die Freiheiten, die wir heute genießen dürfen, gab es nicht. Auch die Erziehung der Kinder war eine andere....auf Gehorsam und Drill, fürs Vaterland. Aber spiel ruhig weiterhin den Helden. :cool:
Wir können es aber rekonstruieren. Wir können bestimmte Thesen/Mythen anhand von Quellen widerlegen und somit auch ein gewisse Bild davon bekommen, wie die gesellschaftlichen und politischen Zwänge damals waren. Es lässt sich so ein relativ differenziertes Bild rekonstruieren. Das lässt sich aber eben nicht in wenigen Sätzen wiedergeben, wird aber im Prozess sicherlich eine Rolle spielen. Denn wenn man diese Argumentation weiterführt, könnte man dasselbe über einen Mord sagen, der vor 20 Jahren stattfand.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:59)

„Ach, Sie wollen sich versetzen lassen? Interessant. Und was machen Ihre Eltern so? Und die Schwester arbeitet wo?
Sie wissen, dass Ihre Haltung negativ aufgefasst werden kann? Sind Sie denn bereit, die Konsequenzen zu tragen? Ihre Familie wird nicht begeistert sein.“
Ja, das hätte passieren können. Aber idR. waren die Nazis weniger unmenschlich zu ihren eigenen Leuten, als zu ihren Opfern. Als Begründung für die Versetzung sollte man auch besser nicht angegeben, dass man nicht erträgt dass Unschuldige zu Tode kommen. Sondern irgendwas anderes.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:51)
Die Nazis hatten auch reine Arbeits-KZs, wo Leute eingesperrt waren, die irgendwie auffällig wurden. Diese wurden erstmal für 1/2 Jahr inhaftiert und kamen wieder raus, wenn sie als gebessert galten. Ansonsten gab es 1/2 Jahr Nachschlag.

Als Wachmann in einem solchen Lager konnte man durchaus etwas dafür tun, dass es die Gefangenen nicht ganz so schwer hatten.
Also gesetzt den Fall, der Wachmann hätte von solchen Lagern gewusst, wie hätte er es machen sollen dahin zu kommen?

Ich stelle mir gerade die Szene vor, als er bei seinem Hauptmann vorspricht:
"Ach Hauptmann Müller, das sagt mir hier nicht so zu. Ich möchte mich nicht schuldig machen an der Ermordung anderer Menschen. Hätten sie da nicht noch eine Stelle für mich frei in einem Umerziehungslager? Vielleicht irgendwas in Südfrankreich, ich mag es gerne etwas wärmer ..." :rolleyes:

Schiebst du in einem solchen Lager Wache, dann ist dir auch klar, dass du Dinge gesehen hast, von denen man nicht möchte, dass du sie weiter verbreitest. Ich gehe also davon aus, dass Fluktuation da nicht gerne gesehen wurde. Ganz sicher sollte man nicht davon ausgehen, dass die SS-Führung so eine Art Arbeitsvermittlung war.
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Keoma
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:03)

Ja, das hätte passieren können. Aber idR. waren die Nazis weniger unmenschlich zu ihren eigenen Leuten, als zu ihren Opfern. Als Begründung für die Versetzung sollte man auch besser nicht angegeben, dass man nicht erträgt dass Unschuldige zu Tode kommen. Sondern irgendwas anderes.
Etwa, gerne an der Ostfront fallen wollen?
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imp
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Re: Antisemitismus

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(07 Jul 2020, 09:10)

Ein 17jähriger wird zur Bewachung von Gefangenen eingesetzt, die später umgebracht werden. Diesen Einsatz des damaligen Jugendlichen als unverjährbare Beihilfe zum Mord und als Kriegsverbrechen zu bewerten, ist doch ziemlich bemerkenswert.
Denn Kriegsverbrechertribunale sollen ja eigentlich die Verantwortlichen verfolgen und keine Kindersoldaten.
In den Konflikten der Gegenwart ist man ja eher geneigt, solche Jugendliche als verblendete und traumatisierte Kriegs-Mißbrauchte anzusehen.
Ich möchte da nicht leichtfertig urteilen. Sicher haben auch die, die jetzt auf ein Urteil drängen, ihre Gründe. Es sieht mir aber sehr danach aus, dass man einfach auf den letzten Drücker noch drankriegen möchte, wen auch immer man noch greifen kann. Im Fall Demjanjuk vor ein paar Jahren wurde einfach festgelegt, er hätte unter Todesgefahr versuchen müssen zu fliehen. Das sagt sich Jahrzehnte später recht einfach. Demjanjuk saß auch schon wegen eines Fehlurteils jahrelang in der Todeszelle. Nach seiner deutschen Verurteilung verstarb er in der laufenden Revision, saß vor dem Prozess noch mal lange in deutscher Untersuchungshaft. Der aktuelle Fall ist etwas anders gelagert - ein Deutscher, Minderjähriger. Er hätte wohl sich straffrei versetzen lassen können, dann wäre die Schuld bei einem anderen gelandet, so wird argumentiert. Was für die Opfer nun auch keinen Vorteil gebracht hätte. Der Grundsatz, keinerlei konkrete Schuld und Handlung mehr nachweisen zu wollen, zeigt klar, wie weit hier das Recht im Nachhinein dahin entwickelt wird, möglichst irgendwen noch zu verurteilen.

Es ist eben ein schwieriges Thema. Man kann immer wieder darauf verweisen, wie schlimm die deutschen Verbrechen insgesamt waren, wie rechtsstaatlich und aufwändig und "fair" alles ablaufe - im Gegensatz zur Praxis in der NS-Zeit, die ja nun bei aller Kritik unvergleichlich dazu war.

Ich tu mich schwer, wie du ansprichst, aktuelle Gräueltaten zu dem NS-Lagerunwesen irgendwie ins Verhältnis setzen zu wollen. Bei allem heutigen Verfolgungseifer in Sachen Besiegte der Balkankriege, wo die Zeitnähe gegeben ist, wo konkrete Beweise sich zuordnen lassen und das Medienmaterial erheblich ist, wird man die Verfolgung noch letzter Glieder in der Kette, die minderjährig sich wahrscheinlich kaum zu helfen wussten, eher nicht erleben. Viel relevanter und bleibend ist die Auseinandersetzung damit, wie die Bundesrepublik, die frühe wie die spätere, jahrzehntelang mit denen umgegangen ist, die tatsächlich in irgendeiner Form das Geschehen beeinflussen konnten. Sich dieser Geschichte zu stellen, ist aber unpopulär. Da verschwindet die schön saubere Distanz, da gibt es keine Stunde null und die klare Trennung in die Täterzeit und ein blütenreines Danach. Das betrifft dann auch das Handeln solcher Politiker, die bis heute hoch im Kurs stehen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Billie Holiday »

Elmar Brok hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:02)

Wir können es aber rekonstruieren. Wir können bestimmte Thesen/Mythen anhand von Quellen widerlegen und somit auch ein gewisse Bild davon bekommen, wie die gesellschaftlichen und politischen Zwänge damals waren. Es lässt sich so ein relativ differenziertes Bild rekonstruieren. Das lässt sich aber eben nicht in wenigen Sätzen wiedergeben, wird aber im Prozess sicherlich eine Rolle spielen. Denn wenn man diese Argumentation weiterführt, könnte man dasselbe über einen Mord sagen, der vor 20 Jahren stattfand.
Ja, wir können uns ein Bild davon machen. Und da wir heute alles und gegen jeden prozessieren, verweigern, kritisieren und benennen können, können wir mit Fug und Recht von uns behaupten, vor 80 Jahren alles besser gemacht zu haben, aber leider hat das Schicksal uns ins 21. Jh gebracht. Schade schade, mit uns wäre alles anders verlaufen.
Der heutige 17jährige kann nichts außer aufs Handy starren und der soll damals den Schneid gehabt haben, sich gegen den Nazi Apparat zu wehren - im Alleingang. :D

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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Billie Holiday »

Maxxy01 hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:14)

Bist du so dumm, oder tust du nur so?
Was verbindet dich denn mit alten Nazis, dass du den Kerl hier verteidigst?
Er verteidigt den Kerl nicht. Aber er zieht ihn nicht ins 21. Jh und beurteilt ihn aus heutiger Sicht.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:15)

Deine Vehemenz wurde jedenfalls damals gut gebraucht. :)
Vehemenz ist immer gut. Wären die Deutschen vehement gewesen, hätten es die Nazis viel schwerer gehabt.

Der Holocaust war unter anderem so leicht möglich, weil viele einfach weggeschaut haben. Fast jeder kannte Familien die einfach verschwunden sind, oder hat Deportationen mit eigenen Augen gesehen. Aber die 80 Millionen Duckmäuser taten gar nichts und warteten bloß auf bessere Zeiten.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:14)

Ja, wir können uns ein Bild davon machen. Und da wir heute alles und gegen jeden prozessieren, verweigern, kritisieren und benennen können, können wir mit Fug und Recht von uns behaupten, vor 80 Jahren alles besser gemacht zu haben, aber leider hat das Schicksal uns ins 21. Jh gebracht. Schade schade, mit uns wäre alles anders verlaufen.
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Tut mir Leid, aber wir können uns eben ein Bild davon machen, wie es war oder wie es gewesen sein könnte. Genauso wie wir uns auch aus heutiger Sicht ein Urteil bilden können.

Warum du jetzt zum pauschalen Schlag gegen junge Menschen (auch mich?) ausholst, ergibt sich mir nicht. Deine Aussagen stehen nicht im Zusammenhang mit dem von mir Geschriebenen. Ich habe nie behauptet, ich hätte mich besser oder anders verhalten. Daher erschließt sich mir weder dein Inhalt noch dein Tonfall.
Zuletzt geändert von Elmar Brok am Di 7. Jul 2020, 11:26, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Quatschki »

Er war in dem Zeitraum ein Jugendlicher, den der deutsche Staat, nach heutigem Maßstab völkerrechtswidrig, zum Militärdienst herangezogen hat. Mit 17 durfte man damals weder Zigaretten noch Schnaps kaufen. Oder Kinofilme besuchen, wo das Paar sich am Ende küsst!
Warum hätte er in Frage stellen sollen, was sein gesamtes Umfeld, seine Lehrer, Ausbilder und Vorgesetzten für richtig halten? Die Frage, ob die eigene Seite zu den "Guten" oder zu den "Bösen" gehört, war zu absurd, um sie überhaupt zu stellen. Man war in der Überzeugung erzogen worden, "Krieger des Lichts" zu sein im Schicksalskampf gegen die Mächte der Finsternis.
Aus den Büchern und Filmen über jene Zeit wissen wir, dass es den Jugendlichen darauf ankam, sich des Vertrauens ihrer Lehrer und Vorgesetzten würdig zu erweisen. Und kein Feigling zu sein.
Selbst nach dem Krieg war die "Reeducation" ein längerer Vermittlungs- und Erkenntnisprozess.
Skeptiker

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:14)
Ja, wir können uns ein Bild davon machen. Und da wir heute alles und gegen jeden prozessieren, verweigern, kritisieren und benennen können, können wir mit Fug und Recht von uns behaupten, vor 80 Jahren alles besser gemacht zu haben, aber leider hat das Schicksal uns ins 21. Jh gebracht. Schade schade, mit uns wäre alles anders verlaufen.
Der heutige 17jährige kann nichts außer aufs Handy starren und der soll damals den Schneid gehabt haben, sich gegen den Nazi Apparat zu wehren - im Alleingang. :D

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Ja, Helden überall.

Das Problem dabei ist die Doppelmoral. Wenn man der Meinung ist, dass der Mensch ein Geschöpf der Einflüsse seiner Umgebung ist, dann muss das eben auch für potentielle Täter der Vergangenheit gelten. Es ist doch kein Zufall, dass die Jugend damals fanatisch hinter Hitler gestanden hat - die wurden so erzogen. Genauso werden die Kinder heute streng antirassistisch erzogen - was natürlich auch gut und richtig ist (nach heutigem Empfinden, hinter dem ich aber auch stehe). Wenn also damals die Jugend fanatisch nach Krieg gerufen hat und heute die Jugend ebenso fanatisch die aktuell zeitgeistliche Moral einfordert, dann schlicht deshalb, weil sie so geformt wurden. Wieviel persönliche Schuld trägt also der Geformte an seiner Form?

Sicher gab es damals auch schon Moralvorstellungen, die Massenmord außerhalb jeglicher Legitimation gestellt haben. Allerdings gab es nicht das positiv umworbene Bild des antifaschistischen Widerstandskämpfers in der Sozialisation der damaligen Täter. Es mag also ein paar starke Charaktere gegeben haben, die sich dem Morden verweigert haben - dokumentiert sind Fälle, die meisten sicherlich stark religiös motiviert - aber wie immer funktioniert die große Masse wie erwartet.

Wenn ich jemandem zutrau damals schon dagegen gewesen zu sein und dafür auch Risiken für Leib und Leben eingegangen zu sein, dann würde ich da eher die meinungsstarken Charaktere sehen. Eher diejenigen, die ein starkes humanistisches oder religiöses Fundament besitzen, auf dem eine Moral fußt, die mit dem Verbrechertum der Nazis unvereinbar ist. Unter den Mitläufern darf man keine Widerstandskämpfer erwarten. Die machen das was ihnen gesagt wird, notfalls nach Androhung von Konsequenzen. Die meisten Handyhelden würde ich eben in diese Kategorie einstufen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Quatschki hat geschrieben: Selbst nach dem Krieg war die "Reeducation" ein längerer Vermittlungs- und Erkenntnisprozess.
Der aber leider nicht bei jedem gewirkt hat.

Die "DDR" hatte keine Re-Education. Dort wurde der Nazismus einfach verboten. Was zur Folge hatte, dass nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in der DDR überall Neonazis wie Pilze aus dem Boden schossen.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Skeptiker hat geschrieben: Wenn ich jemandem zutrau damals schon dagegen gewesen zu sein und dafür auch Risiken für Leib und Leben eingegangen zu sein, dann würde ich da eher die meinungsstarken Charaktere sehen. Eher diejenigen, die ein starkes humanistisches oder religiöses Fundament besitzen, auf dem eine Moral fußt, die mit dem Verbrechertum der Nazis unvereinbar ist.
Zum Beispiel die Zeugen Jehovas, die den Kriegsdienst verweigert haben und dafür Scharenweise in den Tod gingen.

Rudolf Höß, damals Kommandant von Auschwitz, hat die Standhaftigkeit dieser Leute sehr bewundert.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Da gerade einige Meldungen eingingen, ich aber gerade keine Zeit zum schauen habe, mal eine temporäre Sperre.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Der Thread ist wieder freigegeben. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn die weitere Diskussion ohne Beiträge auskommt, die auf persönlicher Ebene laufen und abwertend sind.
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Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Tom Bombadil »

Elmar Brok hat geschrieben:(07 Jul 2020, 10:28)

Ein (noch nicht zu Ende gedachter) Gedanke: Angesichts dessen, dass in der BRD viele Täter jahrzentelang ungestraft leben und zum Teil auch Karriere machen konnten.
Das war in der DDR auch nicht anders.
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
Thomas Jefferson
---
Diffamierer der Linken.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Billie Holiday hat geschrieben:(07 Jul 2020, 11:14)

Ja, wir können uns ein Bild davon machen. Und da wir heute alles und gegen jeden prozessieren, verweigern, kritisieren und benennen können, können wir mit Fug und Recht von uns behaupten, vor 80 Jahren alles besser gemacht zu haben, aber leider hat das Schicksal uns ins 21. Jh gebracht. Schade schade, mit uns wäre alles anders verlaufen.
Die Frage danach, ob wir vor 80 Jahren anders gehandelt hätten, kann aber kein Argument für die Straffreiheit dieser Handlungen sein. Schon vor 80 Jahren waren es Verbrechen, die an den Menschen begangen wurden.
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