KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Moderator: Moderatoren Forum 7

Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:31)

Das ändert aber nichts an der Verantwortung des eigenen Handelns.
Im bloßen Diensttun nach Einberufung sehe ich kein Handeln, für das man sich persönlich verantworten müsste. Die Gründe hatte ich schon benannt.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Skeptiker hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:20)

:|
Da machst du es dir aber nun wirklich zu einfach. Du hast ganz offensichtlich absolut keinen Zugang zu dieser Zeit.
Ich habe zumindest in einem totalitären Staat gelebt. Nicht gleichzusetzen mit dem dritten Reich, aber deswegen bin ich jetzt nicht ahnungslos oder keinen Zugang zu diesen Zeiten oder Systemen.
Skeptiker hat geschrieben:An der Front wäre Selbstverstümmelung wie Feigheit vor dem Feind gewertet worden. Dein augenzwinkerndes Drücken vor der Aufgabe gab es damals nicht. Muss man das hier wirklich erklären? Ich bin erstaunt.

Hier für dich was zum lesen dazu:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wehrkraftzersetzung
Ich bin erstaunt, dass Du nicht zur Kenntnis nimmst, dass es sich um ein Beispiel handelte. Seinen Willen sich seiner Situation entziehen, hätte er schon viel einfacher zeigen können, wenn er einen Versetzungsantrag gestellt hätte.

Interessant ist übrigens, dass der Angeklagte beteuerte, nie auf Gefangene geschossen zu haben. Auf die Frage, ob er auf einen geschossen hätte, wenn einer geflüchtet wäre, meinte er, dass er dann mit Absicht daneben geschossen hätte. Er hätte sich schon irgendwie bei seinem Befehlshaber herausgeredet. Diese Aussage fand ich in dem Zusammenhang äußerst interessant. Er hatte scheinbar keine Angst, in diesen Zeiten einen Befehl nicht ordnungsgemäß auszuführen.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:36)

Im bloßen Diensttun nach Einberufung sehe ich kein Handeln, für das man sich persönlich verantworten müsste. Die Gründe hatte ich schon benannt.
Wenn der Dienst in der Ausübung von Straftaten besteht, schützt einen das nicht vor einer Bestrafung.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:43)

Wenn der Dienst in der Ausübung von Straftaten besteht, schützt einen das nicht vor einer Bestrafung.
Ich kann keine Straftat darin erkennen, seinen vorgeschriebenen Wachdienst auszuführen.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:47)

Ich kann keine Straftat darin erkennen, seinen vorgeschriebenen Wachdienst auszuführen.
Das ist mir schon bewusst. :| Aber genau das kann man anders sehen und wurde hier und vor Gericht schon mehrfach begründet. Würde man Deiner Logik folgen, wäre es auch keine Straftat, wenn in einem IS-Lager Soldaten ihre Gefangenen überwachen, die vorher gekippnet wurden, die mit der Zeit alle erschossen würden.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:51)

Das ist mir schon bewusst. :| Aber genau das kann man anders sehen und wurde hier und vor Gericht schon mehrfach begründet. Würde man Deiner Logik folgen, wäre es auch keine Straftat, wenn in einem IS-Lager Soldaten ihre Gefangenen überwachen, die vorher gekippnet wurden, die mit der Zeit alle erschossen würden.
Ich sehe zwar Unterschiede zwischen Deutschland und dem Kalifat, aber unter vergleichbaren Umständen: Welchen Verfolgungseifer soll ich haben, wenn ein zum Dienst gepresster minderjähriger Einheimischer Jahrzehnte später in einer Kartei auftaucht und alles, was man rausfindet, war, dass er selber niemanden erschossen hat? Soll ich da plötzlich überzeugt sein, er habe so viele leichte Wege gehabt, der Sache zu entkommen? Bei aller Distanz zu Daesh, das überzeugt mich nicht. Wenn, dann wäre unmittelbar nach der Eroberung des Lagers ein intensives Programm sinnvoll, diese jungen Leute wieder an das normale Leben und die weltweit güligen Normen und Maßstäbe heranzuführen. Sicherzustellen, dass sie keine Ambitionen haben, die Projekte ihrer ehemaligen Bosse weiterzuführen. Jahrzehnte später einen alten Mann behelligen? Nein, das bringt nichts.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Skeptiker

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:40)
Ich habe zumindest in einem totalitären Staat gelebt. Nicht gleichzusetzen mit dem dritten Reich, aber deswegen bin ich jetzt nicht ahnungslos oder keinen Zugang zu diesen Zeiten oder Systemen.
Naja, irgendwie habe ich nicht den Eindruck, um ehrlich zu sein.
Ich bin erstaunt, dass Du nicht zur Kenntnis nimmst, dass es sich um ein Beispiel handelte. Seinen Willen sich seiner Situation entziehen, hätte er schon viel einfacher zeigen können, wenn er einen Versetzungsantrag gestellt hätte.
Ja, du hast viele Ideen wie er sich dem Dienst hätte entziehen können. Leider haben die damaligen Verantwortlichen aber auch viele Ideen gehabt, wie sich ihr Fußvolk versuchen wird aus der Situation zu entfernen. Daher war alles das eben nicht einfach oder naheliegend, sondern mit Schwierigkeiten oder Risiken behaftet - solchen, die wohl keiner hier selber mal eingehen möchte.
Interessant ist übrigens, dass der Angeklagte beteuerte, nie auf Gefangene geschossen zu haben. Auf die Frage, ob er auf einen geschossen hätte, wenn einer geflüchtet wäre, meinte er, dass er dann mit Absicht daneben geschossen hätte. Er hätte sich schon irgendwie bei seinem Befehlshaber herausgeredet. Diese Aussage fand ich in dem Zusammenhang äußerst interessant. Er hatte scheinbar keine Angst, in diesen Zeiten einen Befehl nicht ordnungsgemäß auszuführen.
Das erinnert mich nun wirklich an die Interviews die hier geführt worden sind mit Wehrdienstverweigerern in den 90ern. Mein Gott, da muss er was sagen, was einerseits zeigt, dass er den Befehl nicht verweigert und andererseits den Menschen nicht tötet. Die Aussage ist reine Taktik.

Wenn er so gehandelt hätte, dann wäre es eine Frage der Glaubhaftigkeit gewesen ob er damit durchgekommen wäre. Hätte er offen den Befehl verweigert, dann wäre er offensichtlich erschossen worden (Zum Ende des Krieges schien das sehr schnell zu gehen).

Ich habe ja schon weiter oben geschrieben, er kann sagen was er will, es wird ihm sowieso negativ ausgelegt. Das ist wieder so ein Beispiel.
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 21375
Registriert: Di 24. Mär 2015, 18:30

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Vongole »

Skeptiker hat geschrieben:(10 Jul 2020, 19:05)

(..)

Ich habe ja schon weiter oben geschrieben, er kann sagen was er will, es wird ihm sowieso negativ ausgelegt. Das ist wieder so ein Beispiel.
Es gäbe sicherlich einen Satz, der ihm nicht negativ ausgelegt würde, vermutlich sogar Einfluss auf das Strafmaß hätte, nur fiel der bis jetzt nicht.
Statt dessen kam "Ich möchte vergessen und nicht weiter aufarbeiten" und "ich habe keine Schuld, ich habe nicht beigetragen" etc.pp
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Elmar Brok
Beiträge: 3159
Registriert: Fr 7. Feb 2020, 15:54

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

Skeptiker hat geschrieben:(10 Jul 2020, 15:13)

Im von Nicman verlinkten Artikel im Spiegel steht folgendes:

Hört sich nicht danach an, als hätte man beim Antritt des Wachdienstes im KZ, erst einmal eine gewerkschaftliche Rechtsbelehrung erhalten. Vielleicht gibt es mit 80jährigem Sicherheitsabstand auch einfach eine mutigere Sicht der Dinge, bei dem einen oder anderen. Wer weiß ...
Du kannst es nicht lassen, oder? Es geht einfach nicht anders :D

Genau das ist der Punkt, woran es in dieser Diskussion grundsätzlich hapert. Es wird mehr Zeit darin gesteckt, seine Meinung in diesem Forum zu vertreten, anstatt sich konkret mit dem Fall auseinanderzusetzen und sich anschließend daraus eine Meinung zu bilden.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Skeptiker hat geschrieben:(10 Jul 2020, 19:05)

Naja, irgendwie habe ich nicht den Eindruck, um ehrlich zu sein.

Ja, du hast viele Ideen wie er sich dem Dienst hätte entziehen können. Leider haben die damaligen Verantwortlichen aber auch viele Ideen gehabt, wie sich ihr Fußvolk versuchen wird aus der Situation zu entfernen. Daher war alles das eben nicht einfach oder naheliegend, sondern mit Schwierigkeiten oder Risiken behaftet - solchen, die wohl keiner hier selber mal eingehen möchte.

Das erinnert mich nun wirklich an die Interviews die hier geführt worden sind mit Wehrdienstverweigerern in den 90ern. Mein Gott, da muss er was sagen, was einerseits zeigt, dass er den Befehl nicht verweigert und andererseits den Menschen nicht tötet. Die Aussage ist reine Taktik.

Wenn er so gehandelt hätte, dann wäre es eine Frage der Glaubhaftigkeit gewesen ob er damit durchgekommen wäre. Hätte er offen den Befehl verweigert, dann wäre er offensichtlich erschossen worden (Zum Ende des Krieges schien das sehr schnell zu gehen).

Ich habe ja schon weiter oben geschrieben, er kann sagen was er will, es wird ihm sowieso negativ ausgelegt. Das ist wieder so ein Beispiel.
Das ist auch mein Eindruck von diesem Prozess. Wie leichtfertig hier manche diesen alten Menschen beschuldigen, das ist jedenfalls nicht mein Ansatz.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Skeptiker

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Elmar Brok hat geschrieben:(10 Jul 2020, 19:37)
Du kannst es nicht lassen, oder? Es geht einfach nicht anders :D
Naja, an der Stelle muss ich an das Zitat des amerikanischen Gesellschaftsphilosophen Bob Weiss denken. Das lautet "Ein bisschen Spaß muss sein - dann kommt der Rest von ganz allein ..." :x
Genau das ist der Punkt, woran es in dieser Diskussion grundsätzlich hapert. Es wird mehr Zeit darin gesteckt, seine Meinung in diesem Forum zu vertreten, anstatt sich konkret mit dem Fall auseinanderzusetzen und sich anschließend daraus eine Meinung zu bilden.
Es wird wohl gänzlich nicht zu verhindern sein, dass Menschen sich meinungsbehaftet in Diskussionsforen bewegen. Dabei sollte man eine gewisse grundsätzliche Offenheit nicht verlieren, aber ohne Meinung zu diskutieren, das ist wie ohne Antrieb auf dem Meer zu treiben. Macht auf Dauer keinen Spaß und es ist auch nicht gesagt, dass es irgendwo hinführt ...
Benutzeravatar
Maxxy01
Beiträge: 567
Registriert: Sa 27. Jun 2020, 08:13

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Maxxy01 »

Vongole hat geschrieben:(10 Jul 2020, 19:28)

Es gäbe sicherlich einen Satz, der ihm nicht negativ ausgelegt würde, vermutlich sogar Einfluss auf das Strafmaß hätte, nur fiel der bis jetzt nicht.
Statt dessen kam "Ich möchte vergessen und nicht weiter aufarbeiten" und "ich habe keine Schuld, ich habe nicht beigetragen" etc.pp
Er fühlt sich unterbewusst doch schuldig und will alles verdrängen. Vielleicht hatte er es fast geschafft. Aber dann hat man ihn vor Gericht gezerrt.
Benutzeravatar
Quatschki
Beiträge: 13178
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 09:14
Wohnort: Make Saxony great again

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Quatschki »

Maxxy01 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 20:38)

Er fühlt sich unterbewusst doch schuldig und will alles verdrängen. Vielleicht hatte er es fast geschafft. Aber dann hat man ihn vor Gericht gezerrt.
Also geht es in Wahrheit doch nur um Uropas Bekenntnis!
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
Benutzeravatar
BlueMonday
Beiträge: 3794
Registriert: Mo 14. Jan 2013, 17:13
user title: Waldgänger&Klimaoptimist

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von BlueMonday »

Mal davon abgesehen, dass für so eine Aufarbeitung ein staatliches Gericht der ungeeigneste Rahmen ist:

"Dem Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen vorgeworfen. Er soll durch seinen Wachdienst in dem Lager bei Danzig zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben." Q: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-0 ... e-zum-mord

Wieviele von den 5.230 Fällen wären denn nicht ermordet worden, wenn seine Wachstelle unbesetzt geblieben wäre? Eine (unmögliche?) Antwort darauf würde seinen Tatbeitrag beinhalten.

Weitaus sinnvoller wäre ein Gespräch oder mehrere Gespräche mit dem Mann, wenn er denn will. Dazu war ja viel Zeit. Mit der Gewaltkeule des Staates nun aber eine frühere Gewalt des Staates aufarbeiten wollen - einfach absurd. Das ist so als wenn der Club der Pyromanen über jemanden richtet, der praktisch nur dabei gestanden und von eben jenem Club hingestellt wurde als das Haus lichterloh abbrannte.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
Elmar Brok
Beiträge: 3159
Registriert: Fr 7. Feb 2020, 15:54

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

Skeptiker hat geschrieben:(10 Jul 2020, 20:32)

Naja, an der Stelle muss ich an das Zitat des amerikanischen Gesellschaftsphilosophen Bob Weiss denken. Das lautet "Ein bisschen Spaß muss sein - dann kommt der Rest von ganz allein ..." :x

Es wird wohl gänzlich nicht zu verhindern sein, dass Menschen sich meinungsbehaftet in Diskussionsforen bewegen. Dabei sollte man eine gewisse grundsätzliche Offenheit nicht verlieren, aber ohne Meinung zu diskutieren, das ist wie ohne Antrieb auf dem Meer zu treiben. Macht auf Dauer keinen Spaß und es ist auch nicht gesagt, dass es irgendwo hinführt ...
Dann erklär mir doch mal, wieso du immer wieder mit dem Narrativ der heutigen Helden, die heute Alles anders machen würden ankommst? Was bezweckst du damit? Ich habe nie gesagt, dass ich mich damals anders verhalten hätte. Dennoch wirfst du das mir zum x-mal an den Kopf. Lustig ist es sicherlich nicht, da du es ja scheinbar ernst meinst.

Es ist nie gesagt, dass eine Diskussion irgendwo hinführt. Es wäre aber schon hilfreich, wenn man sich einige Ausschnitte der Gerichtsverhandlung und Reaktionen darauf durchliest. Eine Offenheit sehe ich hier nicht. Ich sehe eine Position und ich sehe, dass die dazu völlig konträre Position aufgegriffen wird. Anschließend wird aneinander vorbei geredet. Vielmehr findet nicht statt. Ob das ein Erkenntnisgewinn in irgendeiner Hinsicht ist? Ich bezweifle es. Dieser konkrete Fall hat vermutlich einfach mit Bezug auf die Gerichtsverhandlung relativ wenig Diskussionsstoff.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Es befriedet vielleicht die Diskussion, wenn man einen Schritt zurück geht. Wenn sich die heutigen nicht mal sicher sein können, dass sie anders gehandelt hätten, auf welcher Grundlage urteilt man hier über einen damals Jugendlichen eigentlich? Offenbar gibt es einen Willen, unbedingt noch ein paar Uropas abzuurteilen, bevor sie durch die Tür gehen. Woher kommt der? Wozu soll das gut sein?
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Elmar Brok
Beiträge: 3159
Registriert: Fr 7. Feb 2020, 15:54

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:18)

Es befriedet vielleicht die Diskussion, wenn man einen Schritt zurück geht. Wenn sich die heutigen nicht mal sicher sein können, dass sie anders gehandelt hätten, auf welcher Grundlage urteilt man hier über einen damals Jugendlichen eigentlich? Offenbar gibt es einen Willen, unbedingt noch ein paar Uropas abzuurteilen, bevor sie durch die Tür gehen. Woher kommt der? Wozu soll das gut sein?
Wie sollte man darüber jemals sicher sein? Man war nie in der Situation ;) Das heißt aber auch nicht, dass ich damals nicht auch eine gewisse "Schuld" auf mich geladen hätte. Mein Wille ist es übrigens nicht, über ein paar Uropis abzuurteilen, die kaum/nichts gemacht haben!

Wir wissen doch momentan noch nichtmal, was er gemacht hat. Das ist das erste Problem. Wie du schon erwähntest geht es auch darum, auf dieses Thema eine gewisse Aufmerksamkeit zu richten. Einem Ankläger ging es um das "Beschuldigen", wenn ich mich richtig erinnere. Vielleicht wird auch auf ein Geständnis oder eine große entschuldigende Geste gehofft.
Skeptiker

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Skeptiker »

Elmar Brok hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:03)
Dann erklär mir doch mal, wieso du immer wieder mit dem Narrativ der heutigen Helden, die heute Alles anders machen würden ankommst? Was bezweckst du damit? Ich habe nie gesagt, dass ich mich damals anders verhalten hätte. Dennoch wirfst du das mir zum x-mal an den Kopf. Lustig ist es sicherlich nicht, da du es ja scheinbar ernst meinst.
Ich habe dir das in dem Fall nicht an den Kopf geworfen, weil du da garnicht gemeint warst. Ich bin hier auch mit anderen in der Diskussion.
Es ist nie gesagt, dass eine Diskussion irgendwo hinführt. Es wäre aber schon hilfreich, wenn man sich einige Ausschnitte der Gerichtsverhandlung und Reaktionen darauf durchliest. Eine Offenheit sehe ich hier nicht. Ich sehe eine Position und ich sehe, dass die dazu völlig konträre Position aufgegriffen wird. Anschließend wird aneinander vorbei geredet. Vielmehr findet nicht statt. Ob das ein Erkenntnisgewinn in irgendeiner Hinsicht ist? Ich bezweifle es. Dieser konkrete Fall hat vermutlich einfach mit Bezug auf die Gerichtsverhandlung relativ wenig Diskussionsstoff.
Nun, ich habe meine Meinung zu dem Thema. Die mag nicht viel Raum für Diskussion lassen - kann schon sein. Es gibt ja aber auch noch andere, die diesem Prozess offener gegenüberstehen. Mit denen könnte man sicherlich auch Details des Prozesses selber intensiver diskutieren.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 18:39)

Ich sehe zwar Unterschiede zwischen Deutschland und dem Kalifat, aber unter vergleichbaren Umständen: Welchen Verfolgungseifer soll ich haben, wenn ein zum Dienst gepresster minderjähriger Einheimischer Jahrzehnte später in einer Kartei auftaucht und alles, was man rausfindet, war, dass er selber niemanden erschossen hat? Soll ich da plötzlich überzeugt sein, er habe so viele leichte Wege gehabt, der Sache zu entkommen? Bei aller Distanz zu Daesh, das überzeugt mich nicht. Wenn, dann wäre unmittelbar nach der Eroberung des Lagers ein intensives Programm sinnvoll, diese jungen Leute wieder an das normale Leben und die weltweit güligen Normen und Maßstäbe heranzuführen. Sicherzustellen, dass sie keine Ambitionen haben, die Projekte ihrer ehemaligen Bosse weiterzuführen. Jahrzehnte später einen alten Mann behelligen? Nein, das bringt nichts.
Es gibt durchaus IS-Kämpfer, die unter Zwang aufgenommen wurden, oder sich denen angeschlossen haben, damit sie oder ihre Familien nicht verhungern. Wie will man deren Situation bewerten? Ich will mich auch nicht ständig wiederholen, meine Ansicht und meine Argumente dürften mittlerweile auch von Dir zur Kenntnis genommen worden sein.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Elmar Brok hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:23)

Wie sollte man darüber jemals sicher sein? Man war nie in der Situation ;) Das heißt aber auch nicht, dass ich damals nicht auch eine gewisse "Schuld" auf mich geladen hätte. Mein Wille ist es übrigens nicht, über ein paar Uropis abzuurteilen, die kaum/nichts gemacht haben!
Irgendwer muss diesen Willen aber haben, sonst würde man nicht in den Archiven nach dem erstbesten graben, von dem gilt:
Wir wissen doch momentan noch nichtmal, was er gemacht hat.
In einem normalen Vorgang sollte man kein Verfahren gegen jemanden anstreben unter diesen Umständen.
Einem Ankläger ging es um das "Beschuldigen", wenn ich mich richtig erinnere. Vielleicht wird auch auf ein Geständnis oder eine große entschuldigende Geste gehofft.
Meine Erfahrung ist, dass sich Menschen, die sich schuldig fühlen, irgendwann schon melden werden. Auf irgendwelchen Opas rumzutrampeln, in der Hoffnung, dass sie stellvertretend für die überwiegend vergangene Generation irgendwelche Gesten loslassen, um den eigentlichen Verantwortlichen, nämlich der Politik, so spät im Leben ein weiteres Mal die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen, nun, das amüsiert mich nicht gerade und ich will auch nicht behaupten, dass es dein Ansinnen ist. Für den zweiten Weltkrieg einzustehen, wird Deutschland auch in Zukunft nicht erspart bleiben und möglicherweise wird das weder billig noch besonders angenehm. Dieses müssen wir gemeinsam tragen und können es nicht den letzten paar Überlebenden von damals aufhalsen, indem man Menschen so lange drangsaliert, bis sie sich für irgendwelche Gesten hergeben. Um etwas zu gestehen, müsste man erstmal was gemacht haben und das zweitens auch so wissen. Ich habe zunehmend Zweifel an einem Rechtssystem, das derartige Prozesse führt. Ob das der Sinn der Sache war?
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:39)

Es gibt durchaus IS-Kämpfer, die unter Zwang aufgenommen wurden, oder sich denen angeschlossen haben, damit sie oder ihre Familien nicht verhungern. Wie will man deren Situation bewerten? Ich will mich auch nicht ständig wiederholen, meine Ansicht und meine Argumente dürften mittlerweile auch von Dir zur Kenntnis genommen worden sein.
Lass es gut sein. Wir werden nicht einig werden, das ist nicht so schlimm - im Gegensatz zum Daesh-Unwesen, das war schlimm. Es ist nicht mein Ansatz, Politik zu verstehen als beständiges Urteil über Leute, deren Lage ich nie erlebt habe und deren Probleme und Motive ich niemals verstehe. Es geht mir darum, Wiederholungen dieser Art zu vermeiden. Dafür sehe ich diesen Prozess eher abträglich. Hier offenbart sich ein Deutschland, vor dem mir graut.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Skeptiker hat geschrieben:(10 Jul 2020, 19:05)

Naja, irgendwie habe ich nicht den Eindruck, um ehrlich zu sein.
Wie immer Du meinst. :) Letztlich entscheide nicht ich oder Du über die juristische Aufarbeitung, sondern das Gericht, da scheint zumindest Einigkeit zu bestehen.
Skeptiker hat geschrieben: Ja, du hast viele Ideen wie er sich dem Dienst hätte entziehen können. Leider haben die damaligen Verantwortlichen aber auch viele Ideen gehabt, wie sich ihr Fußvolk versuchen wird aus der Situation zu entfernen. Daher war alles das eben nicht einfach oder naheliegend, sondern mit Schwierigkeiten oder Risiken behaftet - solchen, die wohl keiner hier selber mal eingehen möchte.
"Schwierigkeiten oder Risiken" ist für mich persönlich (und nur über meine Ansichten kann ich berichten) nicht ausreichend, um über alles hinwegzusehen. Ja, obwohl ich fast 50 Jahre später als er geboren wurde, maße ich mir eine eigene Meinung zu dem Thema an. Immer nur auf die damalige Umstände zu verweisen (die viele Millionen von Wehrmachtssoldaten auch erleiden mussten) ist mir persönlich zu wenig, um ihn moralisch zu rehabilitieren.
Skeptiker hat geschrieben: Wenn er so gehandelt hätte, dann wäre es eine Frage der Glaubhaftigkeit gewesen ob er damit durchgekommen wäre. Hätte er offen den Befehl verweigert, dann wäre er offensichtlich erschossen worden (Zum Ende des Krieges schien das sehr schnell zu gehen).
Aber schon erstaunlich, dass er sich diesen Spagat zutraute, aber nicht den Mut hatte nach Wegen zu suchen, vom KZ wegzukommen.
Skeptiker hat geschrieben:Ich habe ja schon weiter oben geschrieben, er kann sagen was er will, es wird ihm sowieso negativ ausgelegt. Das ist wieder so ein Beispiel.
Nee. Würde er wirklich Reue vor Gericht zeigen, würde ich es in Teilen anders sehen.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 19:46)

Wie leichtfertig hier manche diesen alten Menschen beschuldigen, das ist jedenfalls nicht mein Ansatz.
So wie man leichtfertig alte Menschen beschuldigen kann, kann man sie auch leichtfertig von einer Mitverantwortung freisprechen. Schade, dass Du diese Seite der Medaille nicht erkennst. :|
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:54)

So wie man leichtfertig alte Menschen beschuldigen kann, kann man sie auch leichtfertig von einer Mitverantwortung freisprechen. Schade, dass Du diese Seite der Medaille nicht erkennst. :|
Es gab früher mal im Strafrecht diesen verloren gegangenen Grundsatz des Zweifels. Auch so eine Errungenschaft, die meistens nicht schmeckte, aber inzwischen auch obsolet ist. Ein später Triumph der ganz falschen Seite, wenn das so bleibt.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

BlueMonday hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:01)

Mal davon abgesehen, dass für so eine Aufarbeitung ein staatliches Gericht der ungeeigneste Rahmen ist:

"Dem Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen vorgeworfen. Er soll durch seinen Wachdienst in dem Lager bei Danzig zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben." Q: https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-0 ... e-zum-mord

Wieviele von den 5.230 Fällen wären denn nicht ermordet worden, wenn seine Wachstelle unbesetzt geblieben wäre? Eine (unmögliche?) Antwort darauf würde seinen Tatbeitrag beinhalten.
Ich muss Dich enttäuschen, aber so definiert sich Beihilfe generell (und somit auch zu Mord) nicht.

"Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat."

https://dejure.org/gesetze/StGB/27.html

Es spielt keine Rolle, ob ohne ihn gleich viele oder weniger Morde stattgefunden hätten. Unterstützende Hilfe, um den Ablauf der Morde reibungsloser durchführen zu können, reicht schon aus. Ralf Wohlleben wurde im NSU-Prozess auch wegen Beihilfe verurteilt, obwohl es auch ohne ihn gegangen wäre.
BlueMonday hat geschrieben:Weitaus sinnvoller wäre ein Gespräch oder mehrere Gespräche mit dem Mann, wenn er denn will.
Die fanden auch statt, siehe Spiegel-Artikel.
BlueMonday hat geschrieben:Dazu war ja viel Zeit. Mit der Gewaltkeule des Staates nun aber eine frühere Gewalt des Staates aufarbeiten wollen - einfach absurd.
Sorry, aber was ist am Gewaltmonopol des Staates absurd?
BlueMonday hat geschrieben: Das ist so als wenn der Club der Pyromanen über jemanden richtet, der praktisch nur dabei gestanden und von eben jenem Club hingestellt wurde als das Haus lichterloh abbrannte.
Es gehört zum Rechtstaat dazu, über vergangene Handlungen des Staat nach juristischen Kriterien zu bewerten.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:18)

Es befriedet vielleicht die Diskussion, wenn man einen Schritt zurück geht. Wenn sich die heutigen nicht mal sicher sein können, dass sie anders gehandelt hätten, auf welcher Grundlage urteilt man hier über einen damals Jugendlichen eigentlich? Offenbar gibt es einen Willen, unbedingt noch ein paar Uropas abzuurteilen, bevor sie durch die Tür gehen. Woher kommt der? Wozu soll das gut sein?
Sorry imp, nix für ungut, aber darüber wurde schon mehrfach hier geschrieben. Du vermittelst gerade den Eindruck, als wenn Du die Aussagen der anderen User nicht mal zur Kenntnis nimmst.
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 21375
Registriert: Di 24. Mär 2015, 18:30

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Vongole »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:58)

Es gab früher mal im Strafrecht diesen verloren gegangenen Grundsatz des Zweifels. Auch so eine Errungenschaft, die meistens nicht schmeckte, aber inzwischen auch obsolet ist. Ein später Triumph der ganz falschen Seite, wenn das so bleibt.
Dieser Grundsatz steht noch immer, nur hat er in diesem Fall nichts mehr zu suchen. Dass Bruno D. als Wachmann im KZ gearbeitet hat, stimmt nämlich zweifellos.
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:14)

Sorry imp, nix für ungut, aber darüber wurde schon mehrfach hier geschrieben. Du vermittelst gerade den Eindruck, als wenn Du die Aussagen der anderen User nicht mal zur Kenntnis nimmst.
In der Tat habe ich in der Fülle der Beiträge dazu bisher keine brauchbare Antwort gefunden. Es bestärkt mich darin, diesem Treiben zunehmend eine Absage zu erteilen. Ich wünsche dir alles Beste.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:58)

Es gab früher mal im Strafrecht diesen verloren gegangenen Grundsatz des Zweifels. Auch so eine Errungenschaft, die meistens nicht schmeckte, aber inzwischen auch obsolet ist. Ein später Triumph der ganz falschen Seite, wenn das so bleibt.
Verstehe Dich nicht ganz. Du meinst im Zweifel für den Angeklagten? Dieser Grundsatz gilt immer noch: https://de.wikipedia.org/wiki/In_dubio_ ... chen_Recht
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:17)

In der Tat habe ich in der Fülle der Beiträge dazu bisher keine brauchbare Antwort gefunden. Es bestärkt mich darin, diesem Treiben zunehmend eine Absage zu erteilen. Ich wünsche dir alles Beste.
Sorry, noch mehr vorkauen, um Dich zufrieden zu stellen, wird vermutlich nicht viel Sinn machen. Du vermittelst den Eindruck, als wenn Du zur Erkenntnis getragen werden möchtest. An der Stelle werde ich aufhören, Deine Postings in diesem Thread zu lesen.
Elmar Brok
Beiträge: 3159
Registriert: Fr 7. Feb 2020, 15:54

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:45)

Irgendwer muss diesen Willen aber haben, sonst würde man nicht in den Archiven nach dem erstbesten graben, von dem gilt:



In einem normalen Vorgang sollte man kein Verfahren gegen jemanden anstreben unter diesen Umständen.



Meine Erfahrung ist, dass sich Menschen, die sich schuldig fühlen, irgendwann schon melden werden. Auf irgendwelchen Opas rumzutrampeln, in der Hoffnung, dass sie stellvertretend für die überwiegend vergangene Generation irgendwelche Gesten loslassen, um den eigentlichen Verantwortlichen, nämlich der Politik, so spät im Leben ein weiteres Mal die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen, nun, das amüsiert mich nicht gerade und ich will auch nicht behaupten, dass es dein Ansinnen ist. Für den zweiten Weltkrieg einzustehen, wird Deutschland auch in Zukunft nicht erspart bleiben und möglicherweise wird das weder billig noch besonders angenehm. Dieses müssen wir gemeinsam tragen und können es nicht den letzten paar Überlebenden von damals aufhalsen, indem man Menschen so lange drangsaliert, bis sie sich für irgendwelche Gesten hergeben. Um etwas zu gestehen, müsste man erstmal was gemacht haben und das zweitens auch so wissen. Ich habe zunehmend Zweifel an einem Rechtssystem, das derartige Prozesse führt. Ob das der Sinn der Sache war?
Ich habe nicht auf meine Gründe verwiesen, sondern auf Gründe, die ich mir vorstellen könnte, die bei Anderen eine Rolle gespielt haben könnten.

Ich finde dieses Zitat sehr wichtig, weil es eine Grundproblematik zeigt:
Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 21:54)

So wie man leichtfertig alte Menschen beschuldigen kann, kann man sie auch leichtfertig von einer Mitverantwortung freisprechen. Schade, dass Du diese Seite der Medaille nicht erkennst. :|
Es geht hier nicht um juristische Schuld, sondern um Verantwortung. Das ist ein klarer Unterschied und dass so schnell wie hier und woanders jede Verantwortung von diesem Mann gewiesen wurde, macht mir Sorgen. Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Ich hätte wohl mein Leben nicht riskiert. Aber ich denke heute (!), dass ich (solange mir nicht jede Handlung mit Waffengewalt aufgezwungen worden wäre) mich mit diesem Verhalten in gewisser Weise "schuldig" gemacht hätte oder zumindest ein kleines wenig mitverantwortlich. Ob ich das heute auch so sehen würde, wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, kannst du natürlich anzweifeln.

Jetzt aber zur Problematik. Dieser Prozess kann auf Viele unfair wirken. Auch mich beschlich so ein unwohles Gefühl beim Durchlesen eines Taz-Artikels über den Prozess. So wird es vermutlich vielen gegangen sein. Und auch wie hier werden Viele sehr schnell die Position eingenommen haben, wie arm der alte Mann doch sei und wie jung er noch gewesen sei oder dass sich heutige Wohlstandskinder nicht dazu Kritik äußern dürfte, weil sie selbst genauso gehandelt hätten usw. Soweit, so gut. Dann folgt aber ganz schnell der Schritt, die Verantwortung von den Deutschen wegzuschieben und die Verantwortung + Schuld bei einigen wenigen bekannten Nazis zu suchen. Die "Bösen" seien ja nur eine verschwindend geringe Minderheit gewesen. Ja eigentlich sie das deutsche Volk das größte Opfer der Nazis gewesen. Usw. Hinzu kommt, dass ich immer wieder höre und lese, dass der Holocaust ja eigentlich gar nicht so schlimm sei. Die christliche Kirche habe ja auch mehrere Millionen Menschen auf dem Gewissen, was ist eigentlich mit den Indianern. Es geht sogar soweit, dass der Holocaust nerve, andere Nationen hätten ja ähnliche Verbrechen begangen. Kombiniere ich nun diese beiden Bilder (Holocaust-Relativierung und Verantwortlichkeit auf einige wenige Nazis beschränkt) zusammen, ergibt sich ein gefährliches Bild, was ich sehr sehr kritisch sehe und was in meiner Wahrnehmung durchaus weit verbreitet ist. Viel weiter als nur unter Rechtsextremen.

Hier sehe ich den Prozess als einen möglichen Katalysator für die Verbreitung dieses Bildes. Jetzt bin ich aber nach dem Gysi-Zitat im Kampf gegen Links Thread etwas verwirrt. Darf ich diesen Prozess kritisieren, weil er dieses Bild fördert oder mache ich mich damit letztlich selber der Verantwortlichkeit/Schuld- und Holocaust-Relativierung schuldig? Ich bin gedanklich etwas verwirrt.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:19)

Verstehe Dich nicht ganz. Du meinst im Zweifel für den Angeklagten? Dieser Grundsatz gilt immer noch: https://de.wikipedia.org/wiki/In_dubio_ ... chen_Recht
Lass es gut sein. Jemanden erstmal anzuklagen, obwohl er nichts getan hat, und dann zu hoffen, dass er vielleicht irgendwelchen Müll gestehe, um endlich in Ruhe gelassen zu werden - das findet bitte ohne mich statt.
Elmar Brok hat geschrieben: Es geht hier nicht um juristische Schuld, sondern um Verantwortung.
In einem Gerichtsverfahren kann es nur um juristische Schuld gehen.
Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Ich hätte wohl mein Leben nicht riskiert. Aber ich denke heute (!), dass ich (solange mir nicht jede Handlung mit Waffengewalt aufgezwungen worden wäre) mich mit diesem Verhalten in gewisser Weise "schuldig" gemacht hätte oder zumindest ein kleines wenig mitverantwortlich. Ob ich das heute auch so sehen würde, wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, kannst du natürlich anzweifeln.
Ich habe nicht den Anlass, dir irgendetwas vorzuhalten. Ein Gerichtsverfahren ist der unpassendste Platz, um seine eigenen Zweifel an lange vergangenem Handeln zu wälzen, den man sich vorstellen kann. Ich würde dir niemals so eine Tortur antun wollen.
Dieser Prozess kann auf Viele unfair wirken. Auch mich beschlich so ein unwohles Gefühl beim Durchlesen eines Taz-Artikels über den Prozess. So wird es vermutlich vielen gegangen sein. Und auch wie hier werden Viele sehr schnell die Position eingenommen haben, wie arm der alte Mann doch sei und wie jung er noch gewesen sei oder dass sich heutige Wohlstandskinder nicht dazu Kritik äußern dürfte
Heutzutage darf man glücklicherweise vieles. Es geht aber nicht, darum, welche Fragen an die Alten man heute haben darf. Es stehen konkret erhebliche Haftstrafen im Raum, die die Lebenserwartung locker überschreiten, abgesehen von den Strapazen des Prozesses.
Dann folgt aber ganz schnell der Schritt, die Verantwortung von den Deutschen wegzuschieben und die Verantwortung + Schuld bei einigen wenigen bekannten Nazis zu suchen. Die "Bösen" seien ja nur eine verschwindend geringe Minderheit gewesen. Ja eigentlich sie das deutsche Volk das größte Opfer der Nazis gewesen.
Das ist nicht meine Position. Die überzeugten Nazis waren zu jeder Zeit ab den 30ern ein erheblicher Bestandteil des deutschen Volkes und waren auch nach 1945 noch lange eine wirksame Minderheit. Es kann in einem Gerichtsverfahren aber nicht darum gehen, endlich irgendwen zu belasten, weil gerade kein anderer mehr da ist.
Usw. Hinzu kommt, dass ich immer wieder höre und lese, dass der Holocaust ja eigentlich gar nicht so schlimm sei. Die christliche Kirche habe ja auch mehrere Millionen Menschen auf dem Gewissen, was ist eigentlich mit den Indianern.
Das ist wenig erbaulich. Es ging immerhin um die recht erfolgreiche Ausrottung eines Großteils der Juden in Europa.
Es geht sogar soweit, dass der Holocaust nerve, andere Nationen hätten ja ähnliche Verbrechen begangen. Kombiniere ich nun diese beiden Bilder (Holocaust-Relativierung und Verantwortlichkeit auf einige wenige Nazis beschränkt) zusammen, ergibt sich ein gefährliches Bild, was ich sehr sehr kritisch sehe und was in meiner Wahrnehmung durchaus weit verbreitet ist. Viel weiter als nur unter Rechtsextremen.
Der von langer Hand geplante industrielle Mord wird die Deutschen noch sehr lange "nerven" müssen, es geht gar nicht anders. Es ist kaum in Worte zu fassen. Ich habe zunehmend den Eindruck, dass hier an den letzten irgendwie greifbaren Zeitzeugen eine Ersatzhandlung stattfindet. Das wird nicht erfolgreich sein. Die ganze Sache ist zu ungeheuerlich, um ihr auf diese Weise zu entgehen.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Elmar Brok
Beiträge: 3159
Registriert: Fr 7. Feb 2020, 15:54

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:38)

Lass es gut sein. Jemanden erstmal anzuklagen, obwohl er nichts getan hat, und dann zu hoffen, dass er vielleicht irgendwelchen Müll gestehe, um endlich in Ruhe gelassen zu werden - das findet bitte ohne mich statt.


In einem Gerichtsverfahren kann es nur um juristische Schuld gehen.


Ich habe nicht den Anlass, dir irgendetwas vorzuhalten. Ein Gerichtsverfahren ist der unpassendste Platz, um seine eigenen Zweifel an lange vergangenem Handeln zu wälzen, den man sich vorstellen kann. Ich würde dir niemals so eine Tortur antun wollen.


Heutzutage darf man glücklicherweise vieles. Es geht aber nicht, darum, welche Fragen an die Alten man heute haben darf. Es stehen konkret erhebliche Haftstrafen im Raum, die die Lebenserwartung locker überschreiten, abgesehen von den Strapazen des Prozesses.


Das ist nicht meine Position. Die überzeugten Nazis waren zu jeder Zeit ab den 30ern ein erheblicher Bestandteil des deutschen Volkes und waren auch nach 1945 noch lange eine wirksame Minderheit. Es kann in einem Gerichtsverfahren aber nicht darum gehen, endlich irgendwen zu belasten, weil gerade kein anderer mehr da ist.


Das ist wenig erbaulich. Es ging immerhin um die recht erfolgreiche Ausrottung eines Großteils der Juden in Europa.


Der von langer Hand geplante industrielle Mord wird die Deutschen noch sehr lange "nerven" müssen, es geht gar nicht anders. Es ist kaum in Worte zu fassen. Ich habe zunehmend den Eindruck, dass hier an den letzten irgendwie greifbaren Zeitzeugen eine Ersatzhandlung stattfindet. Das wird nicht erfolgreich sein. Die ganze Sache ist zu ungeheuerlich, um ihr auf diese Weise zu entgehen.
Vielleicht nochmal zwei Klarstellungen. Ich werfe dir nicht vor, ein solches Bild zu haben! Ich beziehe mich nicht nur auf die juristische Ebene. Ich beziehe mich vor allem auf Verantwortlichkeit und Schuld außerhalb einer juristisches Ebene! Da reden wir dann vielleicht etwas aneinander vorbei.

Ich habe den Eindruck, dass ein allzu konfrontativer Umgang mit dem Holocaust, viele Menschen überfordert und sie sich persönlich angegriffen fühlen und dadurch eine fatale Gegenposition einnehmen. Aber ist vielleicht ein anderes Thema ;)
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Elmar Brok hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:55)

Vielleicht nochmal zwei Klarstellungen. Ich werfe dir nicht vor, ein solches Bild zu haben! Ich beziehe mich nicht nur auf die juristische Ebene. Ich beziehe mich vor allem auf Verantwortlichkeit und Schuld außerhalb einer juristisches Ebene! Da reden wir dann vielleicht etwas aneinander vorbei.

Ich habe den Eindruck, dass ein allzu konfrontativer Umgang mit dem Holocaust, viele Menschen überfordert und sie sich persönlich angegriffen fühlen und dadurch eine fatale Gegenposition einnehmen. Aber ist vielleicht ein anderes Thema ;)
Jemanden ganz konkret an seinem Lebensende für Dinge zu belangen, die er objektiv kaum abwenden konnte - das wird mancher wohl persönlich nehmen. Dass die Deutschen damals das gemacht haben, ermöglicht haben, zu Teilen auch so wollten, das steht außer Frage. Das wird man auch nicht wieder los. Umso mehr befremdet mich der ganze Vorgang, der derart aufgeladen wird, dass vor lauter Hoffnung auf irgendwelche Bekenntnisse völlig verschwindet: Da geht es um ein Strafurteil über einen - zur Zeit noch - lebenden Menschen. Außerhalb der juristischen Ebene und bezogen auf organisierten Willen ist die Sache doch ganz klar. Wenn es aber individuell um Menschen geht, habe ich gelernt, lieber vorsichtig zu sein.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Elmar Brok hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:22)

Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Ich hätte wohl mein Leben nicht riskiert. Aber ich denke heute (!), dass ich (solange mir nicht jede Handlung mit Waffengewalt aufgezwungen worden wäre) mich mit diesem Verhalten in gewisser Weise "schuldig" gemacht hätte oder zumindest ein kleines wenig mitverantwortlich. Ob ich das heute auch so sehen würde, wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, kannst du natürlich anzweifeln.
Ich kann auch nicht zu 100% wissen, wie ich mich verhalten hätte, weil es letztendlich eine fiktive Frage ist. Aber im Sinne der Geschichte kann ich nur hoffen, dass mein Umfeld mich von der Mitverantwortung nicht freigesprochen hätte. Denn wenn man Scheiße baut, sollte man das auch klar so benennen können und dürfen und nicht drumrumreden. Gerade im Sinne einer offenen Meinungsgesellschaft sollte auch ein offener Disput über vergangene Taten möglich sein (natürlich nach besten Wissen und Gewissen).
Elmar Brok
Beiträge: 3159
Registriert: Fr 7. Feb 2020, 15:54

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Elmar Brok »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 23:04)

Jemanden ganz konkret an seinem Lebensende für Dinge zu belangen, die er objektiv kaum abwenden konnte - das wird mancher wohl persönlich nehmen. Dass die Deutschen damals das gemacht haben, ermöglicht haben, zu Teilen auch so wollten, das steht außer Frage. Das wird man auch nicht wieder los. Umso mehr befremdet mich der ganze Vorgang, der derart aufgeladen wird, dass vor lauter Hoffnung auf irgendwelche Bekenntnisse völlig verschwindet: Da geht es um ein Strafurteil über einen - zur Zeit noch - lebenden Menschen. Außerhalb der juristischen Ebene und bezogen auf organisierten Willen ist die Sache doch ganz klar. Wenn es aber individuell um Menschen geht, habe ich gelernt, lieber vorsichtig zu sein.
Da stehen wir doch gar nicht soweit auseinander. Wir fokussieren uns halt nur auf verschiedene Probleme. Du auf den juristischen und öffentlichen Umgang mit einem alten Mann und ich mich auf die Relativierei der Verantwortung.
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Elmar Brok hat geschrieben:(10 Jul 2020, 23:57)

Da stehen wir doch gar nicht soweit auseinander. Wir fokussieren uns halt nur auf verschiedene Probleme. Du auf den juristischen und öffentlichen Umgang mit einem alten Mann und ich mich auf die Relativierei der Verantwortung.
Ich würde nicht sagen, dass mir Relativierung der Verantwortung egal wäre oder Schlussfolgerungen für die Politik heute. Unter dem Strich erhoffen sich manche vielleicht von dem Prozess einen Paukenschlag, irgendwelche Bekenntnisse stellvertretend für andere. Das kann so ein Prozess aber nicht leisten. Ich denke nicht, dass wir so weit auseinander liegen müssen.
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Benutzeravatar
Chajm
Beiträge: 2623
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 13:27
Wohnort: Tel Aviv

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Chajm »

Ich kann mich nicht erinnern, dass anlaesslich des Prozesses gegen Demjanjuk hier im Forum eine aehnliche Aufregung herrschte.
"Am 12. Mai 2011 verhängte das Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Dabei konnte Demjanjuk keine konkrete Tat individuell zugeschrieben werden, aber das Gericht betrachtete bereits seinen Dienst in Sobibor 1943 als ausreichend für eine Verurteilung, da Demjanjuk dort „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewesen sei."
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Demjanjuk
Und als man den sog. Buchhalter von Auschwitz Oskar Groening vor Gericht stellte und wegen des gleichen Tatbestandes wie bei Demjanjuk und jetzt bei Bruno B. verurteilte, da war es hier auch recht ruhig.
Und wenn Herr B. ausgesagt hat, dass er von seinem Wachturm aus die Gaskammer sah und Schreie und Poltern hoerte, das dann nach ein paar Minuten vorbei war, dann wird ihm wohl auch mit seinen 17 oder 18 Jahren klar gewesen sein, dass dies mit Sicherheit keine Freuden-Schreie der vergasten Juden waren.
Auch wenn er anderes behauptet.
https://www.welt.de/regionales/hamburg/ ... ammer.html
"Where no counsel is, the people fall, but in the multitude of counselors there is safety."
Benutzeravatar
Calvadorius
Beiträge: 687
Registriert: So 22. Apr 2012, 23:36

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Calvadorius »

Die Anzahl der der noch lebenden Täter nimmt altersbedingt ab.
Auch derer mit Einfluß...

Ja, man darf den deutschen Strafverfolgungsbehörden durchaus vorwerfen, sich über all die vielen Jahrzehnte zuwenig um die Ermittlungen gegen die Täter aus dem 3. Reich bemüht zu haben.
Da mögen Etliche ihren Einfluß geltend gemacht haben.

Und nein: das ist keine VT.

Und ja, auch heute noch müssen solche Täter strafrechtlich belangt werden.
Wie auch in zunehmendem Maße die Relativierer und Verharmloser.
Leben ist eine sexuell übertragbare Krankheit, die in jedem Fall tödlich endet.
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Chajm hat geschrieben:(11 Jul 2020, 00:25)

Ich kann mich nicht erinnern, dass anlaesslich des Prozesses gegen Demjanjuk hier im Forum eine aehnliche Aufregung herrschte.
"Am 12. Mai 2011 verhängte das Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Dabei konnte Demjanjuk keine konkrete Tat individuell zugeschrieben werden, aber das Gericht betrachtete bereits seinen Dienst in Sobibor 1943 als ausreichend für eine Verurteilung, da Demjanjuk dort „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewesen sei."
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Demjanjuk
Und als man den sog. Buchhalter von Auschwitz Oskar Groening vor Gericht stellte und wegen des gleichen Tatbestandes wie bei Demjanjuk und jetzt bei Bruno B. verurteilte, da war es hier auch recht ruhig.
Und wenn Herr B. ausgesagt hat, dass er von seinem Wachturm aus die Gaskammer sah und Schreie und Poltern hoerte, das dann nach ein paar Minuten vorbei war, dann wird ihm wohl auch mit seinen 17 oder 18 Jahren klar gewesen sein, dass dies mit Sicherheit keine Freuden-Schreie der vergasten Juden waren.
Auch wenn er anderes behauptet.
https://www.welt.de/regionales/hamburg/ ... ammer.html
Das sind gute Fragen, warum es gerade jetzt emotional hoch her geht und vorher in ähnlichen Fällen kaum. Selbst kann ich mir das nicht erklären, zumal dieser Thread schon über Monate geruht hatte. Das können eigentlich nur diejenigen erklären, die so starke Fürbitte für den Angeklagten geleistet haben.
Benutzeravatar
Keoma
Beiträge: 18417
Registriert: Mi 25. Jun 2008, 13:27
user title: Drum Legend
Wohnort: Österreich

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Keoma »

Sören74 hat geschrieben:(11 Jul 2020, 16:25)

Das sind gute Fragen, warum es gerade jetzt emotional hoch her geht und vorher in ähnlichen Fällen kaum. Selbst kann ich mir das nicht erklären, zumal dieser Thread schon über Monate geruht hatte. Das können eigentlich nur diejenigen erklären, die so starke Fürbitte für den Angeklagten geleistet haben.
Zur Aufregung in einem Forum gehören zwei.
Das sind in diesem Fall jene, die eine Ahnung vom 3. Reich haben und die Anderen.
Und eine starke Fürbitte habe ich hier nicht erkennen können.
Der Gescheitere gibt nach!
Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.

Marie von Ebner-Eschenbach
Sören74

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Sören74 »

Keoma hat geschrieben:(11 Jul 2020, 16:40)

Zur Aufregung in einem Forum gehören zwei.
Das sind in diesem Fall jene, die eine Ahnung vom 3. Reich haben und die Anderen.
Und eine starke Fürbitte habe ich hier nicht erkennen können.
Naja, die direkte und indirekte Bitte, die Anklage quasi fallen zu lassen, ist in meinen Augen schon eine starke Fürbitte. Was kann sich ein Angeklagter mehr wünschen, als wenn ein Verfahren eingestellt wird und man als freier Mann den Gerichtssaal verlässt.

Leider fand ich persönlich waren die Diskussionen über die Zeit des 3.Reiches recht oberflächlich. Es wurden zwar Aspekte genannt, u.a. dass es eben harte Zeiten waren und man schon wegen Kleinigkeiten im Schnellverfahren hingerichtet wurde. Trotzdem wenn es dann um die Frage ging, welche Möglichkeiten man hatte, nicht Dienst in einem KZ zu tun, schweiften die Diskussionen ins persönliche ab und gaben inhaltlich nicht mehr viel her. Meine Wahrnehmung.
Benutzeravatar
NicMan
Vorstand
Beiträge: 5930
Registriert: Fr 23. Sep 2016, 12:27
user title: Statistiker und Epistemologe

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von NicMan »

Was ich an solchen Threads meistens recht merkwürdig finde, ist das selektive Straf- und Schuldverständnis einiger Diskutanten. Ich habe nichts gegen konsequente Haltungen in die eine oder andere Richtung. Aber es fällt doch auf, dass oft jene, die in einem Fall Mitgefühl und Rücksichtsnahme einfordern, in einem anderen Fall die "volle Härte" des Rechtsstaates verlangen.
"In God we trust, all others bring data." –William Edwards Deming (1900-1993)
Benutzeravatar
Europa2050
Beiträge: 9850
Registriert: Di 4. Mär 2014, 08:38
user title: Kein Platz für Nationalismus

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Europa2050 »

NicMan hat geschrieben:(11 Jul 2020, 17:47)

Was ich an solchen Threads meistens recht merkwürdig finde, ist das selektive Straf- und Schuldverständnis einiger Diskutanten. Ich habe nichts gegen konsequente Haltungen in die eine oder andere Richtung. Aber es fällt doch auf, dass oft jene, die in einem Fall Mitgefühl und Rücksichtsnahme einfordern, in einem anderen Fall die "volle Härte" des Rechtsstaates verlangen.
Meinst Du die jenigen, die

-die Option Emigration zur Vermeidung persönlicher Schuld im dritten Reich für nicht einforderbar halten,

- aber schlimmste Motive bei Menschen voraussetzen, die sich genau dieses bei Assad und den islamistischen Halsabschneidern trauen?
Почему, Россия? (Warum, Russland?)
Benutzeravatar
NicMan
Vorstand
Beiträge: 5930
Registriert: Fr 23. Sep 2016, 12:27
user title: Statistiker und Epistemologe

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von NicMan »

Europa2050 hat geschrieben:(11 Jul 2020, 17:52)

Meinst Du die jenigen, die

-die Option Emigration zur Vermeidung persönlicher Schuld im dritten Reich für nicht einforderbar halten,

- aber schlimmste Motive bei Menschen voraussetzen, die sich genau dieses bei Assad und den islamistischen Halsabschneidern trauen?
Das wäre ein denkbares Beispiel. Hier würde ich mir Konsequenz wünschen: Wer in beiden Fällen für radikale Bestrafung oder eben die besondere Berücksichtigung der Umstände plädiert, ist zumindest ehrlich. Denen kaufe ich ihre Haltung auch ab. Leider scheint das Bedürfnis nach Strafe oder Mitleid bei manchen Menschen von der ideologischen Art des Verbrechens sowie der Herkunft abzuhängen. Und das stößt mir sehr auf.
"In God we trust, all others bring data." –William Edwards Deming (1900-1993)
Benutzeravatar
Vongole
Moderator
Beiträge: 21375
Registriert: Di 24. Mär 2015, 18:30

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Vongole »

NicMan hat geschrieben:(11 Jul 2020, 17:57)

Das wäre ein denkbares Beispiel. Hier würde ich mir Konsequenz wünschen: Wer in beiden Fällen für radikale Bestrafung oder eben die besondere Berücksichtigung der Umstände plädiert, ist zumindest ehrlich. Denen kaufe ich ihre Haltung auch ab. Leider scheint das Bedürfnis nach Strafe oder Mitleid bei manchen Menschen von der ideologischen Art des Verbrechens sowie der Herkunft abzuhängen. Und das stößt mir sehr auf.
Ich habe hier vor einigen Tagen mal die Frage in den Raum gestellt, wie es mit der Verteidigungsbereitschaft einiger aussähe, handelte es sich bei dem Täter um einen alten Mann mit Migrationshintergrund,
der als 17jähriger Beihilfe zum Mord an einer deutschen Frau geleistet hat. Eine Antwort steht immer noch aus.

Was mir ebenfalls sehr aufstößt, ist die Bereitwilligkeit, Täter aus der Nazizeit zu exkulpieren, weil das eben andere Zeiten und Widerspruch oder Verweigerung gefährlich waren.
Da frag ich mich nämlich, wie es einer erklecklichen Zahl Deutscher gelang, sich wenigsten einen Rest Anstand zu bewahren.
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
Benutzeravatar
conscience
Beiträge: 4331
Registriert: Sa 4. Jun 2016, 13:56
user title: von Radikalinski

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von conscience »

Der eigentliche Skandal ist der, das jahrzehntelang nichts geschehen ist;
es sind von den Täter ca. 200.000 schätzungsweise 10% rechtlich belangt worden.

Jetzt gehen die Täter auf die 100 zu.

Der Rechtsstaat stößt an seine Grenzen.

Aber jeder Fall muss separat entschieden werden, ob ein Verfahren durchführbar ist oder nicht.
Benutzeravatar
Quatschki
Beiträge: 13178
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 09:14
Wohnort: Make Saxony great again

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von Quatschki »

imp hat geschrieben:(10 Jul 2020, 17:18)

Am Ende wurde für jeden raus versetzten auch einer rein versetzt.
Vielleicht war er ja der Ersatzmann?
Im August 1944 trat er seinen Dienst an.
Die Sowjets stießen gegen die ostpreußische Grenze vor.
Im Juli war Lublin-Majdanek befreit worden und alle Wachleute, die noch in der Umgebung dieses Lagers aufgegriffen wurden, wurden entweder gleich massakriert oder dem NKWD zwecks "scharfer Vernehmung" zugeführt.
Da wird sich irgendein altgedienter KZ-Wachmann in Stutthof gedacht haben: "Mensch, ich muß hier weg, ich lass mich versetzen!". Und als Ersatz kam der jugendliche Rekrut Bruno D., der noch an den Endsieg glaubte und froh war, endlich auch mit ran zu dürfen.
Er konnte damals nicht ahnen, dass 30 Jahre später Leute geboren werden würden, die ihm dafür mal als Richter und Staatsanwälte ans Leder wollen.

Währenddessen diente ein ebensoalter Hitlerjunge in Bayern erst als Luftwaffenhelfer, später in der Wehrmacht, dann wurde er Bischof, Kardinal und dann Papst und jetzt ist er Altpapst.
Dessen Meinung zum Thema würde mich mal interessieren. Moralisch, nicht juristisch.
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
Benutzeravatar
BlueMonday
Beiträge: 3794
Registriert: Mo 14. Jan 2013, 17:13
user title: Waldgänger&Klimaoptimist

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von BlueMonday »

Sören74 hat geschrieben:(10 Jul 2020, 22:11)

Ich muss Dich enttäuschen, aber so definiert sich Beihilfe generell (und somit auch zu Mord) nicht.

"Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat."

https://dejure.org/gesetze/StGB/27.html
Ja und? "Hilfe" muss ja irgendeine nennenswerte Substanz haben, sonst ist sie keine Hilfe oder Unterstützung, sondern eine wirkungslose Belanglosigkeit. Wie soll ohne Wirkung oder wenigstens Absicht einer Wirkung, irgendeine "Schuld" zustande kommen? Da bliebe ja nur noch eine unschöne Gesinnungshuberei über.
Angenommen der Mann wäre nicht Wachmann, sondern Koch in diesem Lager in gewesen. Da wäre ja sein tatsächlicher wirksamer Beitrag weitaus mehr von Belang gewesen. Denn unverpflegtes Personal ist wohl kaum einsatz- und handlungsfähig.
Hätte man sich nun den Koch gegriffen, dann hätte der wahrscheinlich gesagt: "Ich habe ja nur gekocht". Und der Wachmann hat halt nur gewacht. Anders gesagt: Damit das Ganze nicht in völlige Beliebigkeit und Willkür abgleitet, muss man schon einen signifkanten, tatsächlichen Tatbeitrag nachweisen. Und das ist schwierig, wie gesagt.
Es spielt keine Rolle, ob ohne ihn gleich viele oder weniger Morde stattgefunden hätten. Unterstützende Hilfe, um den Ablauf der Morde reibungsloser durchführen zu können, reicht schon aus. Ralf Wohlleben wurde im NSU-Prozess auch wegen Beihilfe verurteilt, obwohl es auch ohne ihn gegangen wäre.
Unsinn. Wohlfahrt hat einen gehaltvollen Beitrag geleistet, etwa finanzieller Natur, hat also bewusst mitbewirkt, was geschehen ist. Ohne sein Wirken wäre wahrscheinlich nicht dasselbe geschehen, und darin liegt seine Schuld.
Sorry, aber was ist am Gewaltmonopol des Staates absurd?
Willst du ernsthaft mit so einem umfangreichen Thema diesen Thread sprengen?

Es gehört zum Rechtstaat dazu, über vergangene Handlungen des Staat nach juristischen Kriterien zu bewerten.
Der Wachmann ist ja nun nicht "der Staat".
Es herrscht auch der juristische Grundsatz vor, dass man nur nach jeweils zum Tatzeitpunkt herrschender Lage jemanden beurteilt. Also gerade nicht mit heutigen "juristischen Kriterien" Vergangenes.
Das Dritte Reich und mit ihm seine ganze verkommene Justiz bestand nun gerade darin, das Recht dermaßen zu beugen, dass es dem Staat in totaler Weise in die Hände spielte. Und eben in jenem politischen Klima hat dieser Mann seinen Dienst versehen. Wenn er eine Schuld trägt, dann ist sie minmal. Seine Schuld bestand allenfalls darin, dass er kein Held war, dass er ein angepasstes Rädchen im Getriebe war. Solche schuldigen Menschen kann ich dir heute in großer Zahl präsentieren.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
Benutzeravatar
imp
Beiträge: 16690
Registriert: Fr 14. Jul 2017, 20:37
user title: Freiheit ist unser Ideal.

Re: KZ Prozess - Wachmann angeklagt

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(11 Jul 2020, 21:46)

Vielleicht war er ja der Ersatzmann?
Im August 1944 trat er seinen Dienst an.
Die Sowjets stießen gegen die ostpreußische Grenze vor.
Im Juli war Lublin-Majdanek befreit worden und alle Wachleute, die noch in der Umgebung dieses Lagers aufgegriffen wurden, wurden entweder gleich massakriert oder dem NKWD zwecks "scharfer Vernehmung" zugeführt.
Da wird sich irgendein altgedienter KZ-Wachmann in Stutthof gedacht haben: "Mensch, ich muß hier weg, ich lass mich versetzen!". Und als Ersatz kam der jugendliche Rekrut Bruno D., der noch an den Endsieg glaubte und froh war, endlich auch mit ran zu dürfen.
Er konnte damals nicht ahnen, dass 30 Jahre später Leute geboren werden würden, die ihm dafür mal als Richter und Staatsanwälte ans Leder wollen.

Währenddessen diente ein ebensoalter Hitlerjunge in Bayern erst als Luftwaffenhelfer, später in der Wehrmacht, dann wurde er Bischof, Kardinal und dann Papst und jetzt ist er Altpapst.
Dessen Meinung zum Thema würde mich mal interessieren. Moralisch, nicht juristisch.
So genau wird man das kaum wissen. Ist man als Luftwaffenhelfer dem Himmel so nah, dass man damit zum Stellvertreter Gottes auf Erden werden kann oder ist das eine tätige Mithilfe bei der Verübung schlimmster Verbrechen?
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
Antworten