schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Jan 2021, 12:55)
Es gibt zwei Paradoxien bezüglich USA und Trump, die ich zwar nach wie vor nicht kapiere, die mir aber inzwischen so oft von Experten erläutert wurden, dass ich sie wohl als Wahrheiten akzeptieren muss:
1. Die politischen Entwicklungen in den USA (wie auch übrigens in Brasilien) laufen im Kern auf eine Wohlstandsumverteilung von unten nach oben hinaus. Und dennoch wird Trump (wie auch Bolsonaro) gerade auch von Menschen mit unterdurchschnittlichen Einkommen gewählt. Ich kann mir das nur erklären mit dem Phänomen "abstiegsgefährdete Mittelschicht".]
Ja, da sind zum einen die Angehörigen der Wirtschaftselite, bei denen es selbsterklärend ist, was sie an Trump finden, ..der von dir erwähnte abstiegsgefährdete Mittelstand, und der noch weiter abgehängte Prekariatsbürger. Diesen Gruppen ist gemeinsam, dass sie im steigenden Ausmass Polarisation eher suchen als meiden. Vielleicht ist das der Schlüssel.
Im Rahmen einer Doku, in der es auch um den widersprüchlich grossen Anteil an Latinos und Schwarzen ging, die in einigen Staaten Trump wählten, und die ich mal zum Mittelstand zählen würde, war die Antwort überraschend einfach: weil er die Steuern senkt. Der Rest ist egal.
Dieses Anstreben von Polarisierung ist mE weltweit im Steigen und hat zu diversen politischen Verwerfungen geführt. Es ist klar, dass das Heilmittel dagegen ein erneutes Zusammenwachsen, den fairen und demokratischen Umgang miteinander beinhalten muss.
Und doch kann ich diesen Hang zum Auseinanderdriften bestens nachvollziehen. Weil die Unterschiede, die Realitäten, das Wertesysteme, in denen man sich bewegt, so weit von einander weg bewegen, die Grenzen überschreiten, dass ein Gefühl der Unvereinbarkeit, der Zerrüttung förmlich greifbar ist und die Geduld, der gute Wille, die es braucht, um einen wahrhaften Dialog zu führen, spürbar abnimmt.
2. Die evangelisch, lutherisch, reformiert, evangelikal geprägte Kultur. Und hier insbesondere die Prädestinationslehre. An sich sei es vorherbestimmt, ob jemand in den Himmel oder in die Hölle kommt. Die Gottesauserwähltheit ist mit keinen Mitteln zu erkaufen oder sonstwie zu verdienen. Und dennoch oder gerade deshalb seien Beweise der Gotteserwähltheit so wichtig. Und seien Kompromisse, Aushandlungen, Verständigungen so schlecht angesehen. Nur ein "Sieg" gilt als ein Beweis der Gottesauserwähltheit. Man muss auch keineswegs gottesfürchtig leben. Man kann Geschäfte machen und wenns beliebt anderen Frauen "in den Schritt fassen". Der Sieg ist der Beweis der Gottesauserwähltheit. Auch militärische Auseinandersetzung werden nicht geführt, um einen Zustand der Stabilität herbeizuführen, sondern um einen Sieg zu erringen.
Gegen den starken Glauben ist kein Kraut gewachsen und jegliches Argument, jeder Anspruch auf Nachvollziehbarkeit oder Konsistenz von Zusammenhängen und Folgerichtigkeiten nur Schall und Rauch in den Augen der Auserwählten. Auch das verkleinert den Diskussionspielraum ungemein.