Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

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Ist das politische System der Vereinigten Staaten ein Vorbild für Deutschland und Europa?

Umfrage endete am So 1. Aug 2021, 11:22

Ja, denn das politische System der Vereinigten Staaten ist unserem deutschen in vielerlei Hinsicht überlegen
1
11%
Nein, denn das politische System der Vereinigten Staaten ist unserem deutschen in vielerlei Hinsicht unterlegen
2
22%
Nein, denn Amerika und Deutschland sind zu unterschiedlich - was für das eine Land gut ist, muss es nicht für das andere sein
3
33%
Manchmal ja, manchmal nein - insgesamt sind die politischen Systeme der Vereinigten Staaten und Deutschlands qualitativ vergleichbar und man kann voneinander in beiden Richtungen lernen
3
33%
 
Insgesamt abgegebene Stimmen: 9
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Julian
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Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Julian »

Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika ist die älteste in Schriftform gebrachte Verfassung, die bis auf den heutigen Tag in Kraft ist. Ihre ursprünglich nur sieben Artikel wurden, seit sie 1789 in Kraft getreten waren, mehrfach ergänzt, insbesondere durch den Katalog der Grundrechte, also die zehn Artikel umfassende Bill of Rights im Jahre 1791.

Ich finde, dass sich die Verfassung der Vereinigten Staaten durch mehrere Vorzüge auszeichnet, die sie auch weit über unsere eigene deutsche Verfassung hinausheben. Dazu gehört vor allem aber das Prinzip der checks and balances. Die ganze Verfassung ist darauf ausgelegt, möglichst wenig Macht in die Hände einer Person zu geben. Überhaupt spricht aus der Verfassung ein großes Misstrauen gegen jedwede Regierung; die Republik wird als ein Unterfangen der selbstbewussten Bürger gesehen, die ihre eigenen Rechte gegen jede Form der Bevormundung und Unterdrückung sichern wollen.

Im Grundgesetz dagegen und auch in der politischen Praxis der Bundesrepublik Deutschland ist die Gewaltenteilung meines Erachtens nach nur mangelhaft ausgeführt. Der Text ist komplex und überladen im Vergleich zur amerikanischen Verfassung.

Als Vorteile der amerikanischen Verfassung und darüber hinaus des amerikanischen politischen Systems sehe ich:
- Checks and Balances mit klarer Abgrenzung der einzelnen Institutionen voneinander
- Kürze und Einfachheit des Textes der Verfassung und damit Konzentration auf das Wesentliche
- Bewährung über deutlich mehr als zwei Jahrhunderte
- kompetitiver Föderalismus mit klarer Aufgabenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (statt verschränkter Machtbeziehungen)
- Prototyp der liberalen Verfassung, die den Bürger an die erste Stelle setzt und den Staat nur als Vehikel zur Sicherung seiner Rechte sieht
- Mehrheitswahlrecht als das Urprinzip der demokratischen Abstimmung, damit Gebundenheit der Abgeordneten primär an einen Wahlkreis und seine Bürger, und nicht an Parteien

Gerade momentan sieht man, wie stark diese Verfassung ist. Egal, wie man zu Trump und seiner Politik steht: Man erkennt, wie sehr der Präsident den Prinzipien der Verfassung unterworfen ist. Er kann nicht machen, was er möchte, sondern muss mit Gegenwind aus dem Kongress oder vom Obersten Gericht rechnen.

In Deutschland dagegen sind Exekutive und Legislative quasi identisch, da die eine aus der anderen mehrheitlich hervorgeht, und die Justiz ist nicht wirklich unabhängig, da die Richter des Bundesverfassungsgerichtes nach parteipolitischen Loyalitäten ausgewählt werden und nur eine kurze Amtszeit haben. Auch die Macht der Parteien ist in Deutschland sehr groß und lässt viele Prozesse, die in der Verfassung vorgesehen sind, nur noch als Farce erscheinen, da sie zuvor in den Hinterzimmern der Parteien ausgekungelt wurden. Als einer der unwürdigsten Prozesse ist sicher - ausgerechnet! - die Wahl des Bundespräsidenten zu sehen, der im wesentlichen ein Präsident der Parteien, nicht aber der Bürger ist. Die Unübersichtlichkeit und Intransparenz wird weiter gesteigert durch die hinzukommende europäische Ebene, in der Parallelstrukturen ausgebildet sind, deren Macht und Kompetenz nur schlecht gegenüber den nationalen Strukturen abgegrenzt sind.

Nun haben die amerikanische Verfassung und die politische Realität in den Vereinigten Staaten sicher auch ihre Nachteile. Meiner Meinung nach überwiegen aber die Vorteile, und in vielerlei Hinsicht haben sie Europa als Vorbild gedient und sollten es auch weiterhin tun.
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Adam Smith
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Adam Smith »

Julian hat geschrieben:(02 Aug 2019, 11:22)

Als Vorteile der amerikanischen Verfassung und darüber hinaus des amerikanischen politischen Systems sehe ich:
- Checks and Balances mit klarer Abgrenzung der einzelnen Institutionen voneinander
- Kürze und Einfachheit des Textes der Verfassung und damit Konzentration auf das Wesentliche
- Bewährung über deutlich mehr als zwei Jahrhunderte
- kompetitiver Föderalismus mit klarer Aufgabenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (statt verschränkter Machtbeziehungen)
- Prototyp der liberalen Verfassung, die den Bürger an die erste Stelle setzt und den Staat nur als Vehikel zur Sicherung seiner Rechte sieht
- Mehrheitswahlrecht als das Urprinzip der demokratischen Abstimmung, damit Gebundenheit der Abgeordneten primär an einen Wahlkreis und seine Bürger, und nicht an Parteien

Gerade momentan sieht man, wie stark diese Verfassung ist. Egal, wie man zu Trump und seiner Politik steht: Man erkennt, wie sehr der Präsident den Prinzipien der Verfassung unterworfen ist. Er kann nicht machen, was er möchte, sondern muss mit Gegenwind aus dem Kongress oder vom Obersten Gericht rechnen.
Das Haushaltsrecht liegt beim Kongress. Das schwächt natürlich den Präsidenten. Die deutsche Verfassung oder unser politisches System ist jetzt aber nicht (wesentlich) schwächer.

Der Unterschied liegt historisch darin, dass es in den USA keinen König gibt. Aus dem Grund ist der Präsident dann quasi eine Art Ersatzkaiser. In Großbritannien gibt es ja noch eine Monarchie. Aus dem Grund gibt es hier dann eine parlamentarische Demokratie oder parlamentarische Monarchie.

https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinigt ... und_Irland

https://de.wikipedia.org/wiki/Präsident ... ungssystem

Beide Systeme sind in etwa gleich gut. Deutschland hat es aber geschafft mit der Weimarer Verfassung ein katastrophales parlamentarisches System zu entwerfen. Es handelt sich hierbei um ein semipräsidentielles Regierungssystem.

https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik

Das Problem war, dass der Reichskanzler Deutschland regierte, aber der Reichspräsident dieses auch konnte, wenn der Reichskanzler dazu nicht mehr in der Lage war. Russland hat z.B. laut Wikipedia zwar auch ein semipräsidentielles Regierungssystem, nur regiert hier Putin als richtiger Präsident ohne einen starken Kongress. Der Ministerpräsident hat quasi keine Macht. Also ganz anders als bei der Weimarer Verfassung. Hier sollte ja der Reichskanzler Deutschland regieren. Aus dem Grund ist das russische System deutlich robuster. Wobei ohne Kongress. Und das lässt dann einen Missbrauch zu.

Hier mal die Weimarer Verfassung:
(1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.
(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.
(3) Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstages außer Kraft zu setzen.
(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstages außer Kraft zu setzen.
(5) Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
https://de.wikipedia.org/wiki/Notverordnung

Der Ausnahmezustand war laut dieser Verfassung der Normalzustand, wenn die Situation halt so war. Problematisch war, dass der Ausnahmezustand die gesamte Verfassung betraf. Also quasi wie eine Notstandsgestzgebung, wenn es eine Katastrophe gibt. Nur war das hier als noch als Normalfall gemeint. Und dann noch alles über den Präsidenten, der quasi der parlamentarischen Demokratie direkt widersprochen hat.

https://de.wikipedia.org/wiki/Notstandsgesetzgebung

Das Präsidentielle Regierungssystem hat meines Erachtens im Prinzip keinen richtigen Vorteil. Den Vorteil gibt es, weil die USA einen Präsidenten haben, weil die Weimarer Verfassung eine einzige Katstrophe war, weil die Menschen einen König haben wollen, weil Präsident besser klingt als Kanzler.

Das System der USA ist aber schon richtig gut.
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
lili
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von lili »

Einerseits finde ich das System dort unflexibel....Da es außer den Republikanern und den Demokraten keine andere Partei wirklich schafft. Anderseits finde ich es gut, dass die Amtszeit begrenzt wird.
Wer einen Beruf ergreift, ist verloren.

Henry David Thoreau
Liberty
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Liberty »

lili hat geschrieben:(02 Aug 2019, 16:57)
Da es außer den Republikanern und den Demokraten keine andere Partei wirklich schafft.
In den USA spielen Parteien eine untergeordnete Rolle. Alle Abgeordneten sind persönlich direkt vom Volk gewählt. Jeder Bewerber muss sich in basisdemokratischen Abstimmungen durchgesetzen.

Das macht die Parlamentarier deutlich unabhängiger von den Parteien und auch von der Regierung, stehen dafür umso mehr unter Kontrolle ihrer Wähler. Eine Legislaturperiode im Repräsentantenhaus dauert nur 2 Jahre. Dann müssen sich alle Abgeordneten schon wieder den Bürgern ihres Wahlkreises stellen.

Kurz gesagt haben die Bürger in den USA deutlich häufiger und deutlich besser die Möglichkeit direkten Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen und die Parlamente können aufgrund der grösseren Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von den Parteien deutlich bessere Kontrolle der Regierung ausüben als es z.B. in Deutschland der Fall ist.
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Liberty »

Julian hat geschrieben:(02 Aug 2019, 11:22)
- kompetitiver Föderalismus mit klarer Aufgabenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (statt verschränkter Machtbeziehungen)
Als negativen Aspekt würde ich die Rolle des Supreme Courts sehen. Es kommt leider immer wieder vor, dass demokratische Entscheidungen und gerade auch der Föderalismus von ein paar Richtern des Supreme Court einfach ausgehebelt werden können. Einige Richter verstehen sich eher als Politiker und fühlen sich ideologisch dem politischen Lager verpflichtet, das sie einmal ins Amt gebracht hat.
lili
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von lili »

Liberty hat geschrieben:(02 Aug 2019, 18:18)

In den USA spielen Parteien eine untergeordnete Rolle. Alle Abgeordneten sind persönlich direkt vom Volk gewählt. Jeder Bewerber muss sich in basisdemokratischen Abstimmungen durchgesetzen.

Das macht die Parlamentarier deutlich unabhängiger von den Parteien und auch von der Regierung, stehen dafür umso mehr unter Kontrolle ihrer Wähler. Eine Legislaturperiode im Repräsentantenhaus dauert nur 2 Jahre. Dann müssen sich alle Abgeordneten schon wieder den Bürgern ihres Wahlkreises stellen.

Kurz gesagt haben die Bürger in den USA deutlich häufiger und deutlich besser die Möglichkeit direkten Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen und die Parlamente können aufgrund der grösseren Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von den Parteien deutlich bessere Kontrolle der Regierung ausüben als es z.B. in Deutschland der Fall ist.

Ja das stimmt. Ich meine damit, dass immer nur einer von den Demokraten oder Republikaner antritt. Darauf will ich hinaus. Na gut in Deutschland ist es ähnlich mit der CDU oder SPD.
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Adam Smith »

Liberty hat geschrieben:(02 Aug 2019, 18:18)

In den USA spielen Parteien eine untergeordnete Rolle. Alle Abgeordneten sind persönlich direkt vom Volk gewählt. Jeder Bewerber muss sich in basisdemokratischen Abstimmungen durchgesetzen.

Das macht die Parlamentarier deutlich unabhängiger von den Parteien und auch von der Regierung, stehen dafür umso mehr unter Kontrolle ihrer Wähler. Eine Legislaturperiode im Repräsentantenhaus dauert nur 2 Jahre. Dann müssen sich alle Abgeordneten schon wieder den Bürgern ihres Wahlkreises stellen.
Trump ist demnach unabhängig von den Republikanern? Ansonsten ist die Behauptung Unsinn.
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Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Liberty »

Adam Smith hat geschrieben:(02 Aug 2019, 19:00)
Trump ist demnach unabhängig von den Republikanern?
Wäre es nah dem Establishment der Partei gegangen, wäre Trump niemals Präsidentschaftskandidat der Republikaner geworden. Er hatte nur den Rückhalt der Basis.
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Julian
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Julian »

lili hat geschrieben:(02 Aug 2019, 16:57)

Einerseits finde ich das System dort unflexibel....Da es außer den Republikanern und den Demokraten keine andere Partei wirklich schafft. Anderseits finde ich es gut, dass die Amtszeit begrenzt wird.
Historisch gesehen hat es unterschiedliche Parteien in den Vereinigten Staaten gegeben. Es waren nicht immer die Republikaner gegen die Demokraten.

Auch haben sich die politischen Haltungen innerhalb der Parteien über die Jahrzehnte vollkommen verändert. Wofür die Demokraten heute stehen, hat nichts bis wenig zu tun, wofür vor allem die Südstaatendemokraten bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts standen.

Natürlich favorisiert das Mehrheitswahlrecht eher ein Zweiparteiensystem als dies ein Verhältniswahlrecht täte. Kleinere Strömungen müssen dann eben den Weg über die großen Parteien gehen, statt jedes Mal eine neue Partei zu gründen. So hat beispielsweise der Populismus seinen Weg in die Republikaner gefunden, während dieser in vielen europäischen Staaten eher in kleineren Parteien abgebildet ist.
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Julian
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Julian »

Liberty hat geschrieben:(02 Aug 2019, 18:18)

In den USA spielen Parteien eine untergeordnete Rolle. Alle Abgeordneten sind persönlich direkt vom Volk gewählt. Jeder Bewerber muss sich in basisdemokratischen Abstimmungen durchgesetzen.

Das macht die Parlamentarier deutlich unabhängiger von den Parteien und auch von der Regierung, stehen dafür umso mehr unter Kontrolle ihrer Wähler. Eine Legislaturperiode im Repräsentantenhaus dauert nur 2 Jahre. Dann müssen sich alle Abgeordneten schon wieder den Bürgern ihres Wahlkreises stellen.

Kurz gesagt haben die Bürger in den USA deutlich häufiger und deutlich besser die Möglichkeit direkten Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen und die Parlamente können aufgrund der grösseren Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von den Parteien deutlich bessere Kontrolle der Regierung ausüben als es z.B. in Deutschland der Fall ist.
In der Tat sind amerikanische Parteien nicht mit deutschen Parteien vergleichbar. Es sind eher Vereine, die sich im Hinblick auf Wahlen organisieren, sonst aber eher locker zusammenhalten und keiner vorgegebenen Ideologie folgen.

Über die Primaries hat auch die Parteibasis einen sehr viel größeren Einfluss auf die Bestimmung der Kandidaten, während in Deutschland ja eine Vorauswahl der Kandidaten über Parteidelegierte stattfindet. Allerdings kann man auch in Deutschland beobachten, dass man immer mehr dazu neigt, auch die Parteibasis in personelle Fragen einzubeziehen.
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von lili »

Julian hat geschrieben:(04 Aug 2019, 10:38)

Historisch gesehen hat es unterschiedliche Parteien in den Vereinigten Staaten gegeben. Es waren nicht immer die Republikaner gegen die Demokraten.

Auch haben sich die politischen Haltungen innerhalb der Parteien über die Jahrzehnte vollkommen verändert. Wofür die Demokraten heute stehen, hat nichts bis wenig zu tun, wofür vor allem die Südstaatendemokraten bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts standen.

Natürlich favorisiert das Mehrheitswahlrecht eher ein Zweiparteiensystem als dies ein Verhältniswahlrecht täte. Kleinere Strömungen müssen dann eben den Weg über die großen Parteien gehen, statt jedes Mal eine neue Partei zu gründen. So hat beispielsweise der Populismus seinen Weg in die Republikaner gefunden, während dieser in vielen europäischen Staaten eher in kleineren Parteien abgebildet ist.


Ich meinte den aktuellen Zustand. Es gibt ja noch die Green Party und die Libertarian Party...Die haben meistens ja gar keine Chance. Bei uns sind ja noch wenigstens einige im Bundestag.
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Julian
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Julian »

Liberty hat geschrieben:(02 Aug 2019, 18:23)

Als negativen Aspekt würde ich die Rolle des Supreme Courts sehen. Es kommt leider immer wieder vor, dass demokratische Entscheidungen und gerade auch der Föderalismus von ein paar Richtern des Supreme Court einfach ausgehebelt werden können. Einige Richter verstehen sich eher als Politiker und fühlen sich ideologisch dem politischen Lager verpflichtet, das sie einmal ins Amt gebracht hat.
Der Supreme Court ist in der Tat sehr mächtig - die Frage ist: Ist das wirklich ein Nachteil? Es kommt damit ein starkes republikanisches, rechtsstaatliches, überzeitliches Element ins Spiel. Demokratie besteht eben nicht nur aus momentanen Mehrheitsentscheidungen des Wählers.

Im Vergleich zur deutschen Gerichtsstruktur fällt auf, dass das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten die Funktionen mehrerer deutscher Gerichte, etwa von Funktionen des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichtes, vereint.

Auch sind die Richter auf Lebenszeit gewählt. So sitzt Clarence Thomas seit 28 Jahren im Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg seit 26 Jahren.

Das gibt den Richtern erstens eine große Unabhängigkeit, denn sie müssen sich nicht beliebt machen wegen einer Wiederwahl, und sie müssen sich nicht Gedanken darüber machen, was sie nach ihrer Amtszeit machen wollen.

Auch bedeutet das zweitens, dass ein amerikanischer Präsident, der ja maximal zwei Amtszeiten von zweimal vier Jahren bekleiden kann, nur eine begrenzte Möglichkeit hat, die Richter zu bestimmen. Im Supreme Court sitzen gegenwärtig je zwei Richter, die von Trump, Obama, Bush jun. und Clinton ernannt wurden, und einer, der von Bush sen. ernannt wurde.

Der Präsident nominiert die Richter zwar, aber sie müssen auch durch den Senat bestätigt werden. Da der Präsident und der Senat unterschiedliche Gewalten repräsentieren und weitgehend unabhängig voneinander sind, beschränkt dieser Entscheidungsweg auch den Einfluss des Präsidenten.

Deutsche Verfassungsrichter haben zwar finanziell ausgesorgt, sie sind aber häufig zu jung, um sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Das mag sie in ihren Urteilen beeinflussen in dem Sinne, dass sie sich nicht Möglichkeiten für später verbauen möchten.

Alle deutschen Verfassungsrichter wurden im übrigen auch unter Merkel ernannt, d.h. das Bundesverfassungsgericht folgt eher dem momentanen Zeitgeist und ist eher politischen Machtspielchen unterworfen als der Supreme Court. Dass ein Parteipolitiker und Vertrauter der Kanzlerin wie Stephan Harbarth mir nichts, dir nichts Präsident des Gerichtes wird, wäre in Amerika undenkbar. In Deutschland wird das alles geschluckt, weil die anderen Parteien eben in einem Kuhhandel darauf setzen, ihre eigenen, ideologisch gefestigten Kandidaten durchzubringen.
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Julian
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

Beitrag von Julian »

Adam Smith hat geschrieben:(02 Aug 2019, 16:38)
[...]
Hier mal die Weimarer Verfassung:



https://de.wikipedia.org/wiki/Notverordnung

Der Ausnahmezustand war laut dieser Verfassung der Normalzustand, wenn die Situation halt so war. Problematisch war, dass der Ausnahmezustand die gesamte Verfassung betraf. Also quasi wie eine Notstandsgestzgebung, wenn es eine Katastrophe gibt. Nur war das hier als noch als Normalfall gemeint. Und dann noch alles über den Präsidenten, der quasi der parlamentarischen Demokratie direkt widersprochen hat.

https://de.wikipedia.org/wiki/Notstandsgesetzgebung
Ich habe mich oft gefragt, ob die Weimarer Verfassung tatsächlich so schlecht war, wie sie allgemein hin, vor allem im Schulunterricht, dargestellt wird. Eine Verfassung lebt eben von Voraussetzungen, die sie nicht selbst erschaffen kann. Gehen Sie mit der besten Verfassung der Welt nach Somalia, und Sie werden scheitern.

So war Deutschland damals eben nicht reif für ein demokratisches System, nicht zuletzt, weil die Demokratie untrennbar mit der Niederlage und mit Versailles in Verbindung gebracht wurde. Hätte sich das deutsche System ohne die Zäsur des Ersten Weltkrieges organisch aus dem Kaiserreich weiter entwickelt, hätte sich in Deutschland, so glaube ich, innerhalb weniger Jahrzehnte auch eine Demokratie durchgesetzt. Nicht im Sinne einer Revolution, sondern im Sinne einer allmählichen Reform. Der Hass, die Verzweiflung und die Angst, die die Demokratie der Weimarer Republik verhindert, kamen durch den Ersten Weltkrieg und die Oktoberrevolution, die ohne den Weltkrieg wohl auch nicht so passiert wäre.

Notstandsgesetzgebungen gibt es wohl in jeder Verfassung, und sie können sicher auch missbraucht werden. Meiner Meinung nach war das nicht das entscheidende Problem der Weimarer Republik, sondern vielmehr die Tatsache, dass immer weniger Bürger es jenem System zutrauten, die Probleme zu lösen.
Adam Smith hat geschrieben:(02 Aug 2019, 16:38)
Das Präsidentielle Regierungssystem hat meines Erachtens im Prinzip keinen richtigen Vorteil. Den Vorteil gibt es, weil die USA einen Präsidenten haben, weil die Weimarer Verfassung eine einzige Katstrophe war, weil die Menschen einen König haben wollen, weil Präsident besser klingt als Kanzler.

Das System der USA ist aber schon richtig gut.
Der Vorteil liegt meines Erachtens darin, dass das Prinzip der Gewaltenteilung optimal umgesetzt ist. Exekutive (Präsident), Legislative (Kongress) und Judikative (Oberstes Gericht, Supreme Court of the United States) sind sauber voneinander getrennt und jede Gewalt verfügt über eine große Legitimation. Die Legislative ist dabei noch aufgetrennt auf Senat und Repräsentantenhaus, die zwei echte, gleichrangige Kammern darstellen.

In Deutschland übt der Kanzler teilweise unbeschränkte Macht aus. Da er vom Parlament gewählt wird, hat er dort automatisch eine Mehrheit. Damit sind Exekutive und Legislative häufig identisch: Die Kanzlerin gibt den Weg vor, die Jasager im Parlament folgen ihr. Falls sie ungehorsam sind, wird über die Fraktionen Druck ausgeübt, und dann gibt es nächstes Mal vielleicht keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr. Die Parteien nehmen in Deutschland ja schon große Teile der Wahl vorweg, und tun dies, gerade im Falle der großen Parteien, mit Prozentzahlen, die dem real existierenden Sozialismus zur Ehre gereichen würden.

Auch das Bundesverfassungsgericht ist nicht unabhängig, sondern wird wesentlich von den Parteien, die gerade die Macht haben, ausgekungelt. So konnte Merkel (Exekutive) ihren engen Vertrauten, einen ehemaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU (Legislative) als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes (Judikative) installieren und kann nun auf Urteile in ihrem Sinne hoffen.
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Re: Das politische System der Vereinigten Staaten: Ein Vorbild?

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Julian hat geschrieben:(04 Aug 2019, 11:02)
Demokratie besteht eben nicht nur aus momentanen Mehrheitsentscheidungen des Wählers.
Wenn 5 Richter das Gericht dazu benutzen um durch die Hintertür eine politische Agenda durchzusetzen, für die es im Volk keine demokratischen Mehrheiten gibt, dann finde ich das sehr problematisch.

Der Supreme Court hebelt dabei auch regelmässig den Föderalismus aus, etwa beim Thema Abtreibung, Homo-"Ehe" usw. Da sind es immer die linken Richter, die darauf aus sind.

Es ist doch auch kein Zufall, dass die Demokraten immer linke Richter ernennen und die Republikaner konservative Richter. Die Besetzung von Richterstellen am SCOTUS ist auch regelmässig grosses Thema in Wahlkämpfen. Es wird relativ offen damit Wahlkampf gemacht, dass man Richter einsetzen wird, die dann politisch im Sinn der entsprechenden Richtung entscheiden würde.
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