Nun, Volt hat schon auch eine Menge an Vorschlägen zu bieten, wie die EU in der aktuellen Form reformiert werden sollte, angefangen vom Gesetzesinitiativrecht des Parlaments über Reform des Wahlrechts bis hin Besetzung und Rolle der Kommission.Orbiter1 hat geschrieben:(26 Jul 2020, 21:00)
Das stimmt. Aber wer wählt eine Partei die zwar einen Zielzustand beschreiben kann aber keine Antwort darauf hat wie der Weg dahin aussieht?
Das alles führt allerdings innerhalb der existierenden EU nicht geradewegs zum Zielzustand, das ist richtig. Jemand, der diesen Weg in Einzelmaßnahmen zerlegen und aufzeigen könnte, hätte vermutlich den Nobelpreis verdient. Trotzdem ist es richtig, eine Vision zu formulieren, wenn man von dieser überzeugt ist. Geschichte lässt sich selten in allen Einzelschritten prognostizieren. Ein denkbares Szenario wäre für mich, dass es irgendwann - siehe auch nächster Kommentar - in Europa weit überwiegend gewählte Parlamente und Regierungen gibt, die von der weiteren Integration überzeugt sind, dabei befeuert von globalen Herausforderungen (wie Klima), die ein dauerhaft koordiniertes Handeln erzwingen, und gemeinsam und koordiniert die Verträge von Lissabon kündigen und etwas neues aufsetzen. Mit denen, die dann dabei sein wollen.
Ob diese drei Krisen ohne EU besser gemeistert worden wären, wage ich sehr zu bezweifeln. Die Bewertung der Rolle der EU ist allerdings in der Tat, der allgemeinen Stimmung geschuldet, regelmäßig negativ. Wir haben seit knapp 10 Jahren weltweit eine Nationalismuswelle, die sich natürlich auch in zahlreichen Regierungsbesetzungen widerspiegelt. Das wird sich irgendwann auch wieder ändern, und die Menschen werden irgendwann auch wieder anders wählen, und die Stimmung wird irgendwann wieder eine andere sein. Und somit auch die Bewertung des Nutzens der europäischen Integration. Das kann ich natürlich nicht beweisen.
Da habe ich meine Zweifel. In den letzten 12 Jahren gab es drei große weltweite Krisen. Und die EU hat dabei nicht gut ausgesehen. Die Finanzkrise hat die Südeuropäer entfremdet. Die Flüchtlingskrise hat die Osteuropäer entfremdet. Und die Corona-Krise wird die EU im besten Fall hochverschuldet zurücklassen. Kann aber auch schlechter ausgehen. Wie man auf eine absehbare Klimakrise reagieren wird bleibt abzuwarten. Die Polen wurden jedenfalls vom Ziel der Klimaneutralität bis 2050 befreit. Was wäre wenn sich Russland wieder seinen alten Einflussbereich in Osteuropa zurückholen will? Werden denen die Flüchtlingsankunftstaaten Griechenland, Italien, Malta und Spanien solidarisch zur Seite stehen nachdem sie selbst in der Not von den Osteuropäern im Stich gelassen wurden?
Ich bin da nach der Entwicklung der EU in den letzten 20 Jahren extrem skeptisch. Absehbar neue, problembehaftete Mitglieder wie die Westbalkanstaaten, die neben Armut und Korruption auch starke nationalistische Parteien sowie jahrhundertealte ungelöste Konflikte mit einbringen, machen mich nicht optimistischer.
Das scheint mir ein Mißverständnis, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie haben für Volt einen ziemlich hohen Stellenwert, weswegen es umfangreiche eigene Kapitel dazu im Programm gibt (außerhalb des EU-Blocks). Auf europäischer Ebene werden diverse Vorschläge zur Verbesserung des Verfahrens der Europäischen Bürgerinitiativen gemacht, auch werden Bürgerversammlungen vorgeschlagen. Das Thema wird im Bundestagswahlprogramm 2021 vielleicht auch noch weiter ausgearbeitet werden, die Partei gibt es noch nicht ganz so lange wie die Union oder SPD.Orbiter1 hat geschrieben:(27 Jul 2020, 08:01)
Apropos Referendum, da hat VOLT dazugelernt. Das Wort taucht im Grundsatzprogramm nirgends auf. So basisdemokratisch soll es dann auch wieder nicht sein.
Da interpretieren Sie meines Erachtens zu viel hinein. Ich denke, dass damit nur gemeint ist, dass gewählte Vertreter der Bürger, wie eben in einer repräsentativen Demokratie üblich, die Verfassung ausarbeiten. Das können und müssen, neben den auf europäischer Ebene gewählten Repräsentanten, selbstverständlich auch Abgeordnete und/oder Regierungsvertreter der Nationalstaaten sein. Die gewählten Repräsentanten müssen die Verfassung dann natürlich auch beschließen, was nicht ausschließt, zusätzlich dazu Referenden durchzuführen.
Zu oft ging der Ansatz in den letzten Jahrzehnten bei wichtigen Abstimmungen (z. B. EU-Verfassung) in die Hose. Allerdings fällt man bei der EU-Verfassung nun gleich ins andere Extrem.
"Schließlich unterstützt Volt ausdrücklich die Ausarbeitung und Verabschiedung einer Europäischen Verfassung durch Vertreter*innen der europäischen Bürger*innen, die die bestehenden EU-Verträge ersetzt und die Grundrechte und -pflichten der Bürger*innen sowie die institutionellen Vereinbarungen der EU regelt."
Bitte was? Ausarbeitung und Verabschiedung (= Ratifizierung?) durch Vertreter der europäischen Bürger? Kein Referendum, aber selbst der einzelne Mitgliedstaat spielt da offenbar keine Rolle mehr. Das machen die in Brüssel schon alles selber. So läuft das typischerweise bei einem Elitenprojekt.
Fänden Sie es denn in Deutschland richtig, wenn die Stimme eines Saarländers bei der Bundestagswahl drei- oder viermal mehr zählte, als die eines NRW-Einwohners? So ist das in Deutschland jedenfalls nicht. Der Einfluß des Saarlands, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, wird über den Bundesrat sichergestellt. Und dort (!) hat das Saarland nach Art 51 GG gemessen an der Bevölkerungszahl mehr Sitze, als NRW. Der Rat ist der richtige Ort, den Einfluß kleiner Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Aber nicht das Bundesparlament.
Das Grundprinzip 1 Bürger, 1 Stimme bei der Wahl des Europaparlaments sehe ich auch sehr kritisch. Kleinstaaten, und davon gibt es in der EU bekanntlich eine ganze Reihe, haben nichts mehr zu melden und werden zu bedeutungslosen Anhängseln.