aleph hat geschrieben:(11 Sep 2021, 11:54)
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Selbstverständlich gab es Regeln, bis hin zur Frage, wer wen heiraten darf. Die Aborigines in Australien hatten ein kompliziertes Heiratssystem. Es kann deshalb keine Anarchie geben, weil die Menschen aufeinander angewiesen sind in der Natur. Ein Robinson Crusoe kann allein in der Wildnis nur unter bestimmten Umständen erfolgreich sein. Ein Draufgänger wird sehr schnell isoliert.
Das ist vollkommen richtig. Menschen in einer vorstaatlichen, schriftlosen Gesellschaft sind immer "interessiert Handelnde". Das bedeutet, dass sie miteinander kooperieren, wenn es ihren Interessen dient und wenn sie den Kooperationspartner kennen und "leiden können". Es bedeutet aber auch, dass sie die Kooperation jederzeit einstellen können. Es gibt keine Gesetze, die sie zur Kooperation zwingen. Es gibt keine Instanz, die Missachtung von Kooperation kontrolliert, unterbindet oder gar ahndet. Genau betrachtet gibt es in schriftlosen Gesellschaften nicht mal die Möglichkeit, zu kontrollieren, ob ein Individuum überhaupt einer Gesellschaft angehört. Jedes Individuum kann jederzeit seine Sachen packen und woanders hin ziehen. Zum Beispiel das Heiratssystem der Aborigines in Australien hatte nur Geltung für die Menschen, die sich ihm freiwillig unterworfen haben. Niemand war gezwungen, sich diesem System zu unterwerfen. Und ich verwette mein letztes Hemd darauf, dass es Aboriginies gegeben hat, die sich dem System widersetzt haben oder ihm "ausgewichen" sind.
Der Knackpunkt ist das "interessierte Handeln". Da tut man Dinge, weil sie den eigenen Interessen dienen. Das ist in einer Gesellschaft mit institutionalisierten staatlichen Einrichtungen ganz anders. Nur ein Beispiel: Du musst Steuern zahlen. Ich wette, dass Du das nicht gern oder freiwillig aus eigenem Antrieb machst. Oder ein anderes Beispiel: Du gehst spazieren und einem anderen Passanten "gefällt" Dein Regenschirm. Er nimmt Dir den Schirm weg, weil er stärker ist als Du. In Deutschland gibt es eine Polizei, die den Schirmräuber ergreift. Es gibt Gesetze, die den Schirmraub für unrechtmäßig erklären. Es gibt Gerichte, die diese Unrechtmäßigkeit feststellen. Es gibt Haftanstalten, in denen der Schirmräuber untergebracht werden kann. Nichts davon gibt es in schriftlosen Stammesgesellschaften.
Ich habe nicht behauptet, dass es in Stammesgesellschaften keine Regeln gibt oder gab. Ich habe lediglich festgestellt, dass diese Regeln nur freiwillig eingehalten oder im Zweifel mit Gewalt durchgesetzt werden. Auch Regellosigkeit (Anarchie) wird da im Zweifel mit Gewalt verwirklicht. Deshalb ist in Stammesgesellschaften der Waffenbesitz "normal".
Wir gleiten aber vom Thema ab. Mit FDP hat das ja nun nichts mehr zu tun....