Beitragvon Atue001 » Di 15. Dez 2020, 23:35
Zum einen ist es längst nicht so, dass die Exekutive in Deutschland völlig frei und willkürlich agieren kann. Es gibt Notstandsgesetze und es gibt das Infektionsschutzgesetz und wahrscheinlich noch einige mehr, die der Exekutive gewisse Freiräume im Handeln einräumen - Freiräume aber, die zumindest bei Beschlussfassung des Gesetzes ja auch von der Legislative für ganz bestimmte Notfallsituationen vorgesehen wurden.
Trotzdem kann man die Frage berechtigterweise stellen, ob das, was heute dann in einer konkreten Ausnahmesituation passiert, so tatsächlich gut geregelt ist.
Die Mehrheit des Parlamentes verspürt aber offensichtlich nicht all zu viel Lust, hier zu umfassend mit der Gesetzgebungskeule zu kommen. Tatsächlich hätte man ja bis heute schon eine ganze Reihe an Gesetzesinitiativen im Parlament platzieren können - das ist aber eher nicht erfolgt.
Das liegt sicherlich auch daran, dass Legislative und Exekutive in Deutschland gar nicht so lupenrein getrennt agieren, wie man das vielleicht nach der reinen Lehre hätte organisieren können. Tatsächlich kann sich die Regierung ziemlich gut darauf verlassen, dass ihr mit ihren Maßnahmen auch eine entsprechende Mehrheit im Parlament zur Seite steht - und umgekehrt informiert die Exekutive auch immer wieder das Parlament über geplante Maßnahmen, und oft genug werden entsprechende Ideen schon im Vorfeld auch in den einzelnen Fraktionen diskutiert und bewertet, und diese Bewertungen fließen dann wieder ein in die konkreten Maßnahmen der Exekutive.
Dass dies nicht bis in alle Ewigkeit so funktioniert, hat die Judikative deutlich gemacht. Maßnahmen der Regierung müssen begründet und auch zeitlich befristet werden. Und wenn eine Maßnahme nicht begründet genug ist, oder deren Begründung nicht trägt, dann haben auch die Gerichte vermehrt so entschieden, dass Maßnahmen auch wieder zurückgenommen werden mussten.
In der Folge wächst der Druck, Maßnahmen doch lieber mit einem Gesetz zu untermauern - denn dann ist es nicht mehr so leicht, vor der Judikative gegen dieses vorzugehen, die Hürden liegen dann schon etwas höher.
Umgekehrt ist es nicht so leicht, ein Gesetz zu beschließen, denn faktisch muss dieses in Deutschland in diesem Bereich Mehrheiten sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat finden - was einen doch umfangreichen Konsens auch quer über viele Parteien erforderlich macht.
Krisen verlangen auch mal nach schnellen Entscheidungen. Die sind möglich - und dann kann auch mal die Exekutive alleine agieren. Je normaler ein Geschehen aber wird, und je länger eine Krise dauert, desto mehr kommt das Parlament wieder ins Spiel. Als Opposition wird man immer recht früh einfordern, dass das Parlament ins Spiel kommen muss - als Regierung wird man sich etwas mehr Zeit lassen und auch etwas mehr Zeit lassen können.
Alles in allem scheint mir das ganze doch ein recht ausgewogenes Gesamtkonstrukt im Spiel der Kräfte zu sein. Dass jetzt in Deutschland was gänzlich aus dem Ruder läuft, kann ich bisher nicht erkennen. Dass man umgekehrt aber auch vieles kritisch betrachten kann, ist sicherlich dennoch richtig - und genau um diese beiden Betrachtungswinkel auf die Realität immer wieder zu schärfen - genau dafür haben wir Parlamente, Wahlen, Regierungen und auch die Gerichte.
Passt.