Nationalstaat vs. Föderalismus

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Sören74

Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

Hallo, ich weiß nicht, ob es eine ähnliche Diskussion hier schon gab. Mir fällt auf, dass sehr viele EU-Kritiker der Ansicht sind, dass ein Nationalstaat besser die Probleme lösen kann bzw. Brüssel den Ländern wieder mehr Rechte einräumen sollte.

Nur verstehe ich nicht, warum nicht gefordert wird, dass man den Regionen und Bundesländern mehr Rechte und Geld einräumt. In dem wieder aufwachsenden Nationalismus in Europa sehe ich nicht nur eine Gefahr für das Projekt Europa, sondern auch für die Regionen. Über Föderalismus wird kaum noch gesprochen, was wirklich schade ist. Gerade in den Ländern, wo es zudem starke regionale Unabhängigkeitsbestrebungen gibt wie in Großbritannien oder Spanien findet man kaum ausgeprägte föderale Strukturen. Schottland hat zwar beispielsweise ein eigenes Parlament, aber keinen eigenen Haushalt und können entsprechend kaum eigene Politik machen.

Egal wie man zu der EU steht, aber ein Zurück zu mehr Nationalstaat unter Lasten des regionalen Föderalismus halte ich für schlecht.
Gen_Y
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Gen_Y »

Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Optionen:

1.) Ein Zurück zu den Nationalstaaten ohne EU mit eigener Währung (Vorbild England). Handelswährung ECU.
2.) Eine EU der Regionen, aber nicht nach US-Vorbild, denn das wäre wiederum der EU-Superstaat. Vielmehr müssten die Regionen (Katalonien, Flandern, Bayern, Südtirol, Wallonien, etc.) Finanz- und Militärhoheit bekommen. Außerdem müssten diese Regionen individuelle Sozial- und Außenpolitik betreiben dürfen. Der Vorteil der EU bestünde dann im zollfreien Binnenmarkt. Außerdem natürlich Reise- und Beschäftigungsfreiheit. Angst vor dem "bösen" Russen und vor China müsste keiner haben, da die NATO ja weiterhin bestünde. Und welche Fahne auf dem Soldatenarm klebt, ist dann eigentlich wurscht.

So wie es nun ist, kann es auf keinen Fall weitergehen. Hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa. Italien, GR, Spanien und F können nur durch 0-Zins-Politik vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Die Folge davon ist die Vernichtung von Privatvermögen. Regierungsbildungen, selbst in Landtagen, werden immer schwieriger, da die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet. Die starken Regionen ohne Entscheidungsgewalt wollen nicht länger Madrid, Berlin, Brüssel, Rom durchfüttern. Spätestens wenn die Baby-Bommer-Generation aus den Parlamenten verschwunden ist, so denke ich, wird einer der o. g. Optionen eintreten. Ich verweise hier auf das Alter von Kurz, Conte und Duda. Wenn Merkel 2021 geht, wird vermutlich einiges in Bewegung kommen.
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streicher
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von streicher »

Gen_Y hat geschrieben:(02 Feb 2019, 10:43)

Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Optionen:

1.) Ein Zurück zu den Nationalstaaten ohne EU mit eigener Währung (Vorbild England). Handelswährung ECU.
Auf das "Vorbild England", noch ist es Großbritannien, darf man gespannt sein. Es wirkt nämlich eher so, als hätte sich GB in den Fuß geschossen.
Die Zukunft ist Geschichte.
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keinproblem
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von keinproblem »

Sören74 hat geschrieben:(01 Feb 2019, 19:40)

Hallo, ich weiß nicht, ob es eine ähnliche Diskussion hier schon gab. Mir fällt auf, dass sehr viele EU-Kritiker der Ansicht sind, dass ein Nationalstaat besser die Probleme lösen kann bzw. Brüssel den Ländern wieder mehr Rechte einräumen sollte.

Nur verstehe ich nicht, warum nicht gefordert wird, dass man den Regionen und Bundesländern mehr Rechte und Geld einräumt. In dem wieder aufwachsenden Nationalismus in Europa sehe ich nicht nur eine Gefahr für das Projekt Europa, sondern auch für die Regionen. Über Föderalismus wird kaum noch gesprochen, was wirklich schade ist. Gerade in den Ländern, wo es zudem starke regionale Unabhängigkeitsbestrebungen gibt wie in Großbritannien oder Spanien findet man kaum ausgeprägte föderale Strukturen. Schottland hat zwar beispielsweise ein eigenes Parlament, aber keinen eigenen Haushalt und können entsprechend kaum eigene Politik machen.

Egal wie man zu der EU steht, aber ein Zurück zu mehr Nationalstaat unter Lasten des regionalen Föderalismus halte ich für schlecht.
Eine nicht föderale Union ist eine scheiternde Union. Wie du bereits sagst, ein Zurück zum Staat schwächt die einzelnen Länder nur und den Superstaat wollen, Gott sei Dank, kaum welche. Selbstbestimmung kann es auf EU Ebene nur geben wenn zumindest einige der wichtigen Länder auch innenpolitisch viel mit regionaler Autonomie arbeiten. Da das auch mehr Volksentscheide und direkte Demokratie generell mit einschließt, sehe ich die Herausforderung in erster Linie darin, dass das bei uns noch belächelt wird.
Fragen die nach konkreten Details fragen sollten wir wohl erstmal Außen vor lassen, aber es ist wichtig eine ungefähre Vorstellung zu haben, wer dann die Souveränität über die Wirtschaftsordnung hat, die Region, Brüssel oder eine Instanz dazwischen? Wenn die Leute merken, dass sie politisch in ihrer Region mitbestimmen können und die Wirtschaft zumindest leicht ins Rollen kommt bin ich mir sicher, dass das ein anspruchsvoller und vordenkerischer Meilenstein europäischer Geschichte sein wird. (voraussgesetzt man lässt den Lokalen nicht mehr vor Ort entscheiden um dem Volk weiterhin die Souveränität innerhalb der EU Kommission vorzuenthalten).
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keinproblem
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von keinproblem »

Gen_Y hat geschrieben:(02 Feb 2019, 10:43)

Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Optionen:

1.) Ein Zurück zu den Nationalstaaten ohne EU mit eigener Währung (Vorbild England). Handelswährung ECU.
2.) Eine EU der Regionen, aber nicht nach US-Vorbild, denn das wäre wiederum der EU-Superstaat. Vielmehr müssten die Regionen (Katalonien, Flandern, Bayern, Südtirol, Wallonien, etc.) Finanz- und Militärhoheit bekommen. Außerdem müssten diese Regionen individuelle Sozial- und Außenpolitik betreiben dürfen. Der Vorteil der EU bestünde dann im zollfreien Binnenmarkt. Außerdem natürlich Reise- und Beschäftigungsfreiheit. Angst vor dem "bösen" Russen und vor China müsste keiner haben, da die NATO ja weiterhin bestünde. Und welche Fahne auf dem Soldatenarm klebt, ist dann eigentlich wurscht.

So wie es nun ist, kann es auf keinen Fall weitergehen. Hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa. Italien, GR, Spanien und F können nur durch 0-Zins-Politik vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Die Folge davon ist die Vernichtung von Privatvermögen. Regierungsbildungen, selbst in Landtagen, werden immer schwieriger, da die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet. Die starken Regionen ohne Entscheidungsgewalt wollen nicht länger Madrid, Berlin, Brüssel, Rom durchfüttern. Spätestens wenn die Baby-Bommer-Generation aus den Parlamenten verschwunden ist, so denke ich, wird einer der o. g. Optionen eintreten. Ich verweise hier auf das Alter von Kurz, Conte und Duda. Wenn Merkel 2021 geht, wird vermutlich einiges in Bewegung kommen.
Ich würde mir erstmal wünschen, dass wir mit einer Föderalisierung auch eine weitestgehende Demilitarisierung erleben. Wir brauchen kein Militär, Polen Belgien und Griechenland auch nicht. Wenn bestimmte Regionen da so scharf drauf sind, sollen die machen. An Mut zur Wehrlosigkeit darf es uns nicht mangeln. Komplett unbewaffnet hielte ich auch für unverantwortlich, eine kleine, stählerne Spezialeinheit die nur die Besten Unionsbürger ins Training aufnehmen und im Verteidigungsfall als Guerillatruppen funktionieren, den Feind punktuell so derb schaden und vor allem verlangsamen können, bis das Kernland mobilisiert werden kann.

Eine Diplomatie die auf Dialog und Schlichtung basiert, mit starken und schwachen Mächten jeweils auf ehrlicher Augenhöhe, so können wir womöglich einen Verteidigungsfall schon von Beginn an abwenden. Gerade wenn wir im Zuge der zunehmenden Digitalisierung und Robotisierung hinkriegen, ein global weiterhin enorm wichtiger Wirtschaftsstandort zu sein würde die Brüsseler Stimme an Gewicht gewinnen. Das sind jetzt aber schon wieder zu viel Träumereien, zuerst muss ein Ausbau der direkten Demokratie wie wir sie in Deutschland nur ganz marginalisiert haben ernsthaft und medienwirksam diskutiert werden.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Gen_Y »

keinproblem hat geschrieben:(02 Feb 2019, 14:26)
Wenn die Leute merken, dass sie politisch in ihrer Region mitbestimmen können und die Wirtschaft zumindest leicht ins Rollen kommt bin ich mir sicher, dass das ein anspruchsvoller und vordenkerischer Meilenstein europäischer Geschichte sein wird. (voraussgesetzt man lässt den Lokalen nicht mehr vor Ort entscheiden um dem Volk weiterhin die Souveränität innerhalb der EU Kommission vorzuenthalten).
Hier liegt wohl der Hase im Pfeffer. Die repräsentative Demokratie findet keine Antworten mehr. Siehe Landtagswahlen in Hessen 2018. Die CDU verliert 11%, Bouffier abgewählt bleibt jedoch weiterhin Ministerpräsident. Der Preis dafür: Schwarz/Grün = Hessen stimmt im Bundesrat gegen sichere Herkunftsländer sowie Änderung des Schulnotensystems. Verrät damit die Haltung der Bundes-CDU. Diese grünen "Kröten" kosten die CDU in Hessen weiter Wähler, was in fünf Jahren zu Weimarer Verhältnissen führen kann.

Einzig direkte Demokratie in der BRD und in der EU nach schweizerischem Vorbild könnte den Istzustand retten und die Sezessionsbestrebungen der Regionen beenden. Dann hätte auch die gigantische Umverteilung ein Ende. Zum Beispiel zahlt Bayern jährlich 5,9 Mrd. Euro an den Bund. Die fehlen dem Freistaat für Investitionen. Im Hauptnehmerland Berlin macht man dann kostenlosen ÖPNV und das Auto madig, ohne zu wissen, dass in Bayern nicht nur BMW, sondern auch etliche Automobilzulieferer die preußische Gaudi finanzieren.
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keinproblem
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von keinproblem »

Gen_Y hat geschrieben:(02 Feb 2019, 16:13)

Hier liegt wohl der Hase im Pfeffer. Die repräsentative Demokratie findet keine Antworten mehr. Siehe Landtagswahlen in Hessen 2018. Die CDU verliert 11%, Bouffier abgewählt bleibt jedoch weiterhin Ministerpräsident. Der Preis dafür: Schwarz/Grün = Hessen stimmt im Bundesrat gegen sichere Herkunftsländer sowie Änderung des Schulnotensystems. Verrät damit die Haltung der Bundes-CDU. Diese grünen "Kröten" kosten die CDU in Hessen weiter Wähler, was in fünf Jahren zu Weimarer Verhältnissen führen kann.

Einzig direkte Demokratie in der BRD und in der EU nach schweizerischem Vorbild könnte den Istzustand retten und die Sezessionsbestrebungen der Regionen beenden. Dann hätte auch die gigantische Umverteilung ein Ende. Zum Beispiel zahlt Bayern jährlich 5,9 Mrd. Euro an den Bund. Die fehlen dem Freistaat für Investitionen. Im Hauptnehmerland Berlin macht man dann kostenlosen ÖPNV und das Auto madig, ohne zu wissen, dass in Bayern nicht nur BMW, sondern auch etliche Automobilzulieferer die preußische Gaudi finanzieren.
Die repräsentative Demokratie wie wir sie in der BRD kennen musste sich ja vorher nie so vielen und vor allem gewichtigen Fragen stellen wie es heute der Fall ist. Wenn wir wieder wirtschaftliche Verhältnisse wie vor zwei Jahrzehnten hätten (zumindest wie in Westdeutschland), dann wären wieder die meisten mit der Politik zufrieden, würden sie zumindest hinnehmbar finden. Und die Frage um eine konkrete Demokratie an der die Leute wirklich teilnehmen würde erst recht nicht mehr im Gemeinbewusstsein schweben. Den Menschen ist da auch kein Vorwurf zu machen, es ist a) nicht jeder wesenhaft an Politik interessiert und b) werden die die es sind es in der Regel nicht erfahren, weil man sie im Schulunterricht zugemüllt hat. Wir sollten die brenzlige Lage aktuell nutzen, solange die Menschen noch zuzuhören bereit sind und in der Familie, bei den Freunden und Kollegen auch mal darüber tatsächlich reden, dass unser Demokratieverständnis sich seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gerührt hat.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von imp »

Die Töne vom "Europa der Vaterländer" haben nichts damit zu tun, auf welcher Organisationsebene welche Probleme zu lösen gehen. Dieselben Kreise beklagen auch "Kleinstaaterei im Bildungswesen".
"Don't say words you gonna regret" - Eric Woolfson
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

imp hat geschrieben:(02 Feb 2019, 18:17)

Die Töne vom "Europa der Vaterländer" haben nichts damit zu tun, auf welcher Organisationsebene welche Probleme zu lösen gehen. Dieselben Kreise beklagen auch "Kleinstaaterei im Bildungswesen".
Das ist auch so ein Punkt. Fast alle schimpfen darüber, dass jedes Bundesland bestimmt, wie die Schulbildung organisiert wird. Aber dabei ist das ein Bestandteil des Föderalismus. Man kann natürlich fordern, dass der Bund das alles übernehmen soll, wir nur noch ein Schulsystem in Deutschland haben, ein Abitur, alle machen das gleiche. Nur wäre das ein Schritt in Richtung nationaler Zentralstaat und die Bundesländer hätten weitere Gestaltungsmöglichkeiten verloren. Wenn man so weiter denkt, dann kann man sich schon die Frage stellen, wozu brauchen wir dann noch Bundesländer und Landkreise. Deren Aufgaben könnten doch auch von zentraler Stelle bearbeitet werden und es gebe keine "Kleinstaaterei" mehr.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Gen_Y »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 18:52)
Das ist auch so ein Punkt. Fast alle schimpfen darüber, dass jedes Bundesland bestimmt, wie die Schulbildung organisiert wird.
Hierbei handelt es sich um eine unbelegbare Behauptung Ihrerseits. Ich finde, dass der Bildungsförderalismus in den erfolgreichen Bundesländern in Süd- und Ostdeutschland sehr anerkannt ist. Eine Zentralisierung würden die Menschen in BY, Sachsen, Thü und BW vermutlich niemals mitmachen. Zurecht, schließlich ist ein Land ohne Ressourcen auf Bildung angewiesen und braucht den Wettbewerb.

Das Wort Kleinstaaterei kommt aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Hier hatten viele Fürstentümer eigene Währungen, eigene Maßeinheiten und alle 5 Kilometer gab es Zollschranken. Beim "Europa der Regionen oder Vaterländer" geht es doch nicht mehr um diese Dinge. Es geht lediglich darum, dass sich ein Bürger in Ilmenau politisch vertreten fühlt. Das er zusammen mit seinen Mitbürgern die Region Thüringen so gestalten kann, wie er möchte. Ohne dass schwach- oder nicht legitimierte Politiker in Brüssel die Hand drüber halten, da sie "Gleichmacherei" präferieren. Das hat nämlich nichts mit Demokratie zu tun, sondern ist fast wie Monarchie, wo so mancher König nicht mal die Sprache seiner Untertanen sprechen konnte.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von keinproblem »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 18:52)

Das ist auch so ein Punkt. Fast alle schimpfen darüber, dass jedes Bundesland bestimmt, wie die Schulbildung organisiert wird. Aber dabei ist das ein Bestandteil des Föderalismus. Man kann natürlich fordern, dass der Bund das alles übernehmen soll, wir nur noch ein Schulsystem in Deutschland haben, ein Abitur, alle machen das gleiche. Nur wäre das ein Schritt in Richtung nationaler Zentralstaat und die Bundesländer hätten weitere Gestaltungsmöglichkeiten verloren. Wenn man so weiter denkt, dann kann man sich schon die Frage stellen, wozu brauchen wir dann noch Bundesländer und Landkreise. Deren Aufgaben könnten doch auch von zentraler Stelle bearbeitet werden und es gebe keine "Kleinstaaterei" mehr.
Dass Problem ist doch vielmehr, dass ein Abitur 2,0 aus Bundesland X einen ganz anderen Stellenwert hat als das aus Land Y. Dazu kommt noch, dass ein Kind das von Berlin nach München zieht auf einmal mit ganz anderem Stoff konfrontiert wird. Ein universeller Bildungsschlüssel ist in meinen Augen ein zwingender Schritt wenn man in die Richtung eines stärkeren Deutschlands gehen will. Würde man sich flächendeckend erstmal drum bemühen, dass wir mit dem preußischen Grundverständnis von Bildung einen Schlussstrich ziehen hätte man dieses Problem sowieso nicht mehr.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

Gen_Y hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:00)

Hierbei handelt es sich um eine unbelegbare Behauptung Ihrerseits.
Ich gebe da meine Wahrnehmung wieder, sobald es um die Bildung geht, schimpft irgendein Politiker, Journalist oder User über die Kleinstaaterei im Bildungswesen. Wenn das Ansehen zum Bildungsföderalismus tatsächlich besser ist, dann freut es mich.
Gen_Y hat geschrieben: Beim "Europa der Regionen oder Vaterländer" geht es doch nicht mehr um diese Dinge. Es geht lediglich darum, dass sich ein Bürger in Ilmenau politisch vertreten fühlt. Das er zusammen mit seinen Mitbürgern die Region Thüringen so gestalten kann, wie er möchte. Ohne dass schwach- oder nicht legitimierte Politiker in Brüssel die Hand drüber halten, da sie "Gleichmacherei" präferieren. Das hat nämlich nichts mit Demokratie zu tun, sondern ist fast wie Monarchie, wo so mancher König nicht mal die Sprache seiner Untertanen sprechen konnte.
Ich finde aber die Frage durchaus berechtigt, wie viel Einflussmöglichkeiten auch der Nationalstaat diesen Regionen einräumt, sich selbst zu entfalten. Für den Fall Ilmenau und Thüringen mag es noch gehen, in anderen Regionen sind die Gestaltungsmöglichkeiten wesentlich eingegrenzter. Und das hat weniger mit Brüssel und angeblicher "Gleichmacherei" zu tun, sondern mit der zentralistischen Ausrichtung der Regierungen in London oder Madrid beispielsweise.
Sören74

Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

keinproblem hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:04)

Ein universeller Bildungsschlüssel ist in meinen Augen ein zwingender Schritt wenn man in die Richtung eines stärkeren Deutschlands gehen will.
Es gibt mit Sicherheit gute pragmatische Gründe, das so zu handhaben. Aber es muss einem auch bewusst sein, dass damit die Unabhängigkeit der verschiedenen Bildungssysteme in den Bundesländern eingeschränkt wird.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von keinproblem »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:27)

Es gibt mit Sicherheit gute pragmatische Gründe, das so zu handhaben. Aber es muss einem auch bewusst sein, dass damit die Unabhängigkeit der verschiedenen Bildungssysteme in den Bundesländern eingeschränkt wird.
Was wäre schlimm dran, wenn die Länder in der Hinsicht weniger selbstständig sind?
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

keinproblem hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:34)

Was wäre schlimm dran, wenn die Länder in der Hinsicht weniger selbstständig sind?
Da kommen wir zum Ursprung meiner These an. :) Man könnte auch generell fragen, was wäre schlimm daran, wenn wir einen zentralistischen Nationalstaat hätten, der die Aufgaben seiner Regionen übernimmt?
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Gen_Y »

keinproblem hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:34)
Was wäre schlimm dran, wenn die Länder in der Hinsicht weniger selbstständig sind?
Das Schlimme daran wäre, dass es dabei nur Verlierer gäbe. NRW ist in der Pisa-Studie 2018 auf dem 15. Platz. Die müssten aufschließen, was aber nicht so einfach geht, da die Schülerschaft häufig bildungsfernen Migrationshintergrund besitzt. Hingegen die Sachsen und Bayern würde man stutzen, da man sich ja irgendwo in der Mitte treffen müsste. Durch den Bildungsföderalismus hat jedes Bundesland die Möglichkeit, individuell auf seine Bevölkerung einzugehen. Das ist doch objektiv betrachtet sehr vernünftig. Und wenn die Menschen in Bremen, Berlin oder Brandenburg eine bessere Bildung wollen würden, dann täten sie anders wählen.

Man sollte nicht vergessen, dass es in der BRD aufgrund des Föderalismus keine Gelbwesten gibt. Die französische Landbevölkerung fühlt sich von Paris nicht mehr repräsentiert und rebelliert. Ich verstehe angesichts dieser Probleme in Frankreich nicht, wie die deutschen Regierungspartien noch mehr EU-Zentralismus fordern können.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Quatschki »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:56)

Da kommen wir zum Ursprung meiner These an. :) Man könnte auch generell fragen, was wäre schlimm daran, wenn wir einen zentralistischen Nationalstaat hätten, der die Aufgaben seiner Regionen übernimmt?
Und die zentralistische Europaregierung macht dann die Nationalstaaten überflüssig?
Da wäre ich eher dafür, die Bundesrepublik auf mittlere Sicht abzuschaffen und ihre Gliedstaaten zu autonomen Gliedstaaten der Europäischen Union zu befördern.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Gen_Y »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:56)
Da kommen wir zum Ursprung meiner These an. :) Man könnte auch generell fragen, was wäre schlimm daran, wenn wir einen zentralistischen Nationalstaat hätten, der die Aufgaben seiner Regionen übernimmt?
Angesichts Ihres User-Namen sind Sie 10 Jahre älter als ich. Ich kann mir schwer erklären, warum Sie eine solche Frage nicht beantworten können.

Bayern: Erziehungsgehalt statt Kita, Familie zuerst, keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, christliches Menschenbild, Ankerzentren. Das bürgerliche Lager besitzt 64%.
Berlin: Überall das krasse Gegenteil. Das linke Lager besitzt 52,4%.

Wie soll das zusammenpassen?
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keinproblem
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von keinproblem »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 22:56)

Da kommen wir zum Ursprung meiner These an. :) Man könnte auch generell fragen, was wäre schlimm daran, wenn wir einen zentralistischen Nationalstaat hätten, der die Aufgaben seiner Regionen übernimmt?
Ich bin schon der Meinung, dass was anderes ist. Mir geht es um die Gleichwertigkeit der Abschlüsse, was nicht automatisch bedeutet, dass es eine Gleichheit sein muss (bei dem aktuellen Bildungsmodell würde es tatsächlich darauf hinauslaufen). Wenn wir in traditionellen Kategorien von Bildung sprechen, dann wäre das eine Extrem eine absolut zerklüftete Schullandschaft, in der es in jeder Gemeinde einen ganz anderen Anspruch an Schulen gibt was bedeutet, dass Kinder die in einer Gemeinschaft aufwachsen in der die Bildung den Leuten nicht wichtig genug ist bzw keine Gelder da sind einen deutlichen Nachteil gegenüber anderen hätte und sich das Phänomen über die Jahrzehnte noch verschärfen würde.
Das andere Extrem wäre ein zentralisiertes Schulwesen, in dem jeder Portugiese vom Dorf exakt den selben Stoff wie der Schüler aus Stockholm lernt. Das Modell hat auch einige Fehler und Stärken, vor allem aber den großen Nachteil, dass die ganze Jugend der EU nach ein paar Jahren so dermaßen ähnlich gepolt ist, dass über viele immens wichtige Themen kein unverzerrter Dialog mehr stattfinden kann. Den Punkt kann man noch zeilenweise aufführen, spare ich mir aber - ich denke du verstehst, dass ich Einheitsbrei nicht verteidigen will.

Was ich will ist etwas ganz anderes und zwar, dass jeder Schüler nach seinen natürlichen Begabungen und Potenzialen gefördert wird und man ihm hilft seine Schwächen kompetent zu händeln. Also nicht, dass ein absolutes Genie der Naturwissenschaft keinen Abschluss bekommt, nur weil es in Sprachen eine komplette Niete ist. Dass das Kind mit der Begabung x alle Mittel die aufzubringen sind erhält, um in ein paar Jahren als ein Revolutionär in dem Gebiet aufzugehen. Wenn Themenfeld y ihm nicht liegt ist das dann eben so, sollte man fördern, aber keine Wunder erwarten und nach einer angemessenen Zeitspanne ein Zeugnis ausstellen. Was interessiert es uns denn heute, ob ein Einstein in der Lage war ein Gedicht zu interpretieren?

Genau dieses Konzept auf wir jetzt nur sehr oberflächlich eingegangen sind, würde ich gerne an jeder Schule wiederfinden. Wenn es eine aufoktroyierte Entscheidung der Hauptstadt ist, dann ist das eben so.
Sören74

Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

Quatschki hat geschrieben:(02 Feb 2019, 23:19)

Und die zentralistische Europaregierung macht dann die Nationalstaaten überflüssig?
Ich sag ja nicht, dass eine EU die Nationalstaaten überflüssig machen soll. Aber genauso wenig sollte ein Nationalstaat die Regionen und einzelnen Länder überflüssig machen oder ausbremsen. Das sollte man aus den jüngsten Entwicklungen in Schottland und Katalonien gelernt haben. Zudem halte ich die Wahrung des Subsidiaritätsprinzip für wichtig.
Sören74

Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

Gen_Y hat geschrieben:(02 Feb 2019, 23:19)

Angesichts Ihres User-Namen sind Sie 10 Jahre älter als ich. Ich kann mir schwer erklären, warum Sie eine solche Frage nicht beantworten können.
Nur damit es keine Missverständnisse gibt, ich bin nicht 74 Jahre. ;) Und das war auch mehr als rhetorische Frage gemeint.
Gen_Y hat geschrieben:Bayern: Erziehungsgehalt statt Kita, Familie zuerst, keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, christliches Menschenbild, Ankerzentren. Das bürgerliche Lager besitzt 64%.
Berlin: Überall das krasse Gegenteil. Das linke Lager besitzt 52,4%.
Inwieweit kann Bayern ein Erziehungsgeld und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen festlegen? :?:
Sören74

Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

keinproblem hat geschrieben:(02 Feb 2019, 23:19)

Ich bin schon der Meinung, dass was anderes ist. Mir geht es um die Gleichwertigkeit der Abschlüsse, was nicht automatisch bedeutet, dass es eine Gleichheit sein muss (bei dem aktuellen Bildungsmodell würde es tatsächlich darauf hinauslaufen). Wenn wir in traditionellen Kategorien von Bildung sprechen, dann wäre das eine Extrem eine absolut zerklüftete Schullandschaft, in der es in jeder Gemeinde einen ganz anderen Anspruch an Schulen gibt was bedeutet, dass Kinder die in einer Gemeinschaft aufwachsen in der die Bildung den Leuten nicht wichtig genug ist bzw keine Gelder da sind einen deutlichen Nachteil gegenüber anderen hätte und sich das Phänomen über die Jahrzehnte noch verschärfen würde.
Das andere Extrem wäre ein zentralisiertes Schulwesen, in dem jeder Portugiese vom Dorf exakt den selben Stoff wie der Schüler aus Stockholm lernt. Das Modell hat auch einige Fehler und Stärken, vor allem aber den großen Nachteil, dass die ganze Jugend der EU nach ein paar Jahren so dermaßen ähnlich gepolt ist, dass über viele immens wichtige Themen kein unverzerrter Dialog mehr stattfinden kann. Den Punkt kann man noch zeilenweise aufführen, spare ich mir aber - ich denke du verstehst, dass ich Einheitsbrei nicht verteidigen will.
Ja okay. Man kann sich da vieles vorstellen, vom völlig zerklüftenden Bildungsmodell in jedem Ort bis hin zu einem einheitlichen Schulsystem vom Polarkreis bis Gibraltar. Ich finde, dass sich da eben die Ausprägung eines föderalen System zeigt, wie viel Unterschiedlichkeit man gegenseitig toleriert. Ganz praktisch gesprochen, kann man damit leben, dass manche Bundesländer ein zweigliedriges Schulsystem haben und andere ein dreigliedriges. Oder muss man sich auf genau ein Modell einigen, damit die Abschlüsse 1:1 ersetzbar sind? Ich habe in den 90er Jahren Abi gemacht und da hat man zwar mühsam, aber ohne KO-Kriterien die Landesgrenzen wechseln können. Ob wir heute tatsächlich mehr Vereinheitlichung brauchen, kann ich nicht einschätzen. Mein subjektiver Eindruck ist nur, dass tendenziell mehr Entscheidungskompetenzen von den Ländern zum Bund rutschen und kaum umgekehrt. Was mich zu der These bringt, dass viele sich anscheinend doch mehr Zentralstaat wünschen.
keinproblem hat geschrieben: Was ich will ist etwas ganz anderes und zwar, dass jeder Schüler nach seinen natürlichen Begabungen und Potenzialen gefördert wird und man ihm hilft seine Schwächen kompetent zu händeln. Also nicht, dass ein absolutes Genie der Naturwissenschaft keinen Abschluss bekommt, nur weil es in Sprachen eine komplette Niete ist. Dass das Kind mit der Begabung x alle Mittel die aufzubringen sind erhält, um in ein paar Jahren als ein Revolutionär in dem Gebiet aufzugehen. Wenn Themenfeld y ihm nicht liegt ist das dann eben so, sollte man fördern, aber keine Wunder erwarten und nach einer angemessenen Zeitspanne ein Zeugnis ausstellen. Was interessiert es uns denn heute, ob ein Einstein in der Lage war ein Gedicht zu interpretieren?
Da bin ich sofort bei Dir. Top. Möchte ich auch.
keinproblem hat geschrieben: Genau dieses Konzept auf wir jetzt nur sehr oberflächlich eingegangen sind, würde ich gerne an jeder Schule wiederfinden. Wenn es eine aufoktroyierte Entscheidung der Hauptstadt ist, dann ist das eben so.
Ist das wirklich so, dass eine individualisierte Schule nur zentral erreichbar ist, quasi top-down vorgegeben. Ich hab da meine Zweifel, so sehr ich mir auch solche Schulen wünsche.
Zuletzt geändert von Sören74 am Sa 2. Feb 2019, 23:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Gen_Y »

Sören74 hat geschrieben:(02 Feb 2019, 23:30)
Inwieweit kann Bayern ein Erziehungsgeld und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen festlegen? :?:
Das Bayerische Betreuungsgeldgesetz sollte politisch interessierten Menschen ein Begriff sein.
Des Weiteren lehnen die bayerischen Regierungsparteien ein Tempolimit auf Autobahnen ab, währenddessen die Berliner Landesregierung es befürwortet.
Aber das wissen Sie alles.
Sören74

Re: Nationalstaat vs. Föderalismus

Beitrag von Sören74 »

Gen_Y hat geschrieben:(02 Feb 2019, 23:44)

Das Bayerische Betreuungsgeldgesetz sollte politisch interessierten Menschen ein Begriff sein.
Okay, mein Fehler. Ich habe bei "Erziehungsgehalt statt Kita" an das Erziehungsgeld vom Bund gedacht.
Gen_Y hat geschrieben: Des Weiteren lehnen die bayerischen Regierungsparteien ein Tempolimit auf Autobahnen ab, währenddessen die Berliner Landesregierung es befürwortet.
Aber das wissen Sie alles.
Die Entscheidung wird aber im Bund getroffen. Und es ist noch nicht mal klar, ob es für ein Tempolimit eine Zustimmung vom Bundesrat bräuchte.
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