schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Sep 2018, 13:29)Was hat das nun mit den verbreiteten Stimmungslagen im Osten Deutschlands heute zu tun? Na, zumindest, dass ab Mitte der 80er eine eher linksliberale Opposition in den Westen gegangen war. Diese künstlich lebensverlängerte DDR war eine kaum aushaltbare Gesellschaft. Später kam dann noch Glasnost und Perestroika und die strikte Ablehnung dieser Vorstöße durch die DDR-Oberen hinzu. Bis hin zu Aufführungsverboten sowjetischer Filme. Die Luft wurde - kulturell natürlich, nicht sozial und materiell - so dünn,
dass ein großer Teil der DDR-Bürger quasi bleibende Gehirnschäden davontrug. Gut, das ist jetzt vielleicht etwas drastisch formuliert. Verblieben waren lediglich innerparteilich moderat oppositionelle Leute in der SED wie etwa Gysi. Und eher rechtskonservative Oppositiionelle aus Kirchenkreisen wie Rainer Eppelmann.
Also ich hab keine "bleibenden Gehirnschäden" als Folge der DDR-Verhältnisse davongetragen (zumindest nicht, dass ich wüsste

) und ich glaube auch nicht, dass die jetzigen rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Entwicklungen viel mit der DDR zu tun haben, sondern wesentlich mehr mit den Verhältnissen im Osten in den Jahren nach der Wende. Und das dauert bis heute an. Dass es Rechtsradikale und Neonazis auch in der DDR gab, wie überall in Europa, und das schon lange vor dem Fall des Eisernen Vorhanges, ist unstrittig. Aber nun jetzt jeden Mittag-Honecker-Pups heute 30 Jahre (!) nach der Wende für die jetzige Entwicklung verantwortlich zu machen, halte ich für ziemlich schräg.
Man kann sich hier zwar viel "Sympathie" und ne Menge Pluspunkte holen, wenn man behauptet, die besonders große Hinwendung der Ostdeutschen zum Rechtspopulismus hätte mit ihrer tragischen und verfehlten DDR-Vergangenheit zu tun. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die heute draußen herumgrölenden 35- bis 40-Jährigen, vor allem viele Männer, keine besonders engen innerlichen Bindungen mehr haben zur DDR-Vergangenheit, zumindest nicht vordergründig im Sinne von "ganz schlimme Diktatur". Im Gegenteil, ich hab sogar mal aus dem Mund eines heute sehr weit rechts stehenden jungen Sachsen höchstpersönlich gehört, dass er es gut findet, was seine Eltern (keine SED-Mitglieder) aus der DDR-Zeit erzählen, dass die soziale Sicherheit Gold wert gewesen sei und man das nach der Wende erst wieder schätzen gelernt habe, was es damals bedeutet habe, sich nie um den Job, die Wohnung, die Miete, den Kita-Platz, die Ausbildung und die Rente sorgen zu müssen. Auch wenn das Fehlen der Reisefreiheit und der Mangel an bestimmten Konsumgütern schon unheimlich genervt hätten, meinte er. Er habe jedoch als Kind erlebt, wie seine Eltern, die in der DDR ihr ganzes Leben lang beide Vollzeit gearbeitet hätten und das auch sehr gerne, nach der Wende dann jeden Tag immer wieder aufs Neue kämpfen mussten, um halbwegs abgesichert zu sein, wie sie sich von ABM zu ABM hangeln mussten und ab und zu mal einen schlecht bezahlten Job fanden. All das hat den jungen Mann mehr geprägt im negativen Sinne als das, was Honecker und co. veranstaltet haben. Vielleicht sollte man mal fragen, warum sich so einer nun magisch von den Rechten angezogen fühlt.
Es wird bei dieser DDR-Analyse meistens viel zu wenig beachtet, dass die von Stasi, Staat und SED Verfolgten nur ein Teil der Bevölkerung waren, dass die meisten aber ganz normale durchschnittliche nicht verfolgte Leute waren, die einfach mal besser leben und konsumieren und deshalb die D-Mark haben wollten. Der große oft postulierte Anspruch, den "schrecklichen, diktatorischen und gefängnisartigen Staat DDR" endlich loszuwerden und gegen die "freiheitliche und demokratische BRD" einzutauschen, war nur die Intention eines Teils der Menschen. Dass sie dann in der Mehrheit den Anschluss wählten, hat eher Wohlstandsgründe. Man wollte das haben, was "die da drüben" auch hatten. Das wird nachträglich immer so heroisiert und als "Freiheitskampf" hochstilisiert.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz