In mehreren Interviews äußert sich der im Eingangsbeitrag zitierte Richterbundvorsitzende Gnisa zu seinem erwähnten Buch. Neben einigen eher verwaltungstechnischen Dingen wie Mangel an Finanzierung des Justizapparats nennt er einen tieferliegenden Grund für den Vertrauensschwund:
Bauchgefühl statt rechtsstaatlicher Entscheidungen? Wenn es nach dem Vorsitzenden des Richterbundes geht, stellt die zunehmende Moralisierung im deutschen Strafrecht ein ernstes Problem dar. Das betreffe auch den Fall Uli Hoeneß.
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Die Bürger setzen ihr Bauchgefühl oft anstelle rechtsstaatlicher Entscheidungen und wollen rechtliche Argumentationen nicht mehr akzeptieren.
Warum das so ist ... darüber müsste man mal nachdenken. Es dürfte mehrere Gründe geben. Zumindest einen gewissen Teil dürfte der Wandel in den Medien spielen. Früher war das eine eher einseitige Veranstaltung. Hier die Macher dort die Empfänger. (Egal ob es sich um "ernste", seriöse Dinge oder um schlichte Unterhaltung handelt). Heute wird mehr und mehr zurückargumentiert. Man jubelt oder empört sich. Der ganze gesellschaftliche Diskurs - worüber auch immer - ist zunehmend von subjektiven moralischen Empfindungen geprägt. Ein Fall wie Hoeneß wird ähnlich reflektiert wie die ESC-Vergabe.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)